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Wie zeitgemäß ist der Koran? Der Koran ist ein 1400 Jahre alter Text - wie modern ist ein solcher Text bzw. darf man ihn überhaupt an moderne Lebensumstände anpassen?

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Der Begriff „Koran“ geht auf die arabische Vokabel qur'ān () bzw. al-qur'ān () zurück, wie sie etwa in den ersten drei Versen der Sure 12 vorkommt. Zum grundlegenden Verständnis dieser Vokabeln gehört, dass hier weniger das gebundene Buch gemeint ist, sondern soviel wie die (arabische) „Rede“ eines (arabischsprachigen) Redners, also das gesprochene und nicht das gelesene Wort. Dies bedarf der besonderen Erwähnung, da der Koran heute in der Regel als ein Stoß Papier zwischen zwei Buchdeckeln in Erscheinung tritt. Auf das Geschriebene verweist an genannter Textstelle eher ein Wort wie kitāb () oder das im Hocharabischen verwendete mushaf (). Inzwischen aber wird der Koran weltweit wieder mehr gehört als gelesen, was mit der Verbreitung des auf Tonträgern eingelesenen Korans (murattal; ) etwa ab Mitte der 1950er Jahre bis in die heutige Zeit des Internets zu tun hat.

Der Koran ist ferner tansīl (), also Herabsendung in die vorfindliche Schöpfung hinein, die insgesamt auf Offenbarung Gottes beruht. Dieser Aspekt von Offenbarung Gottes in der Gestalt des von ihm Erschaffenen bezeichnet der Islam als taqdīr (), ausgehend von Textstellen wie 25:2. Die Offenbarung Gottes ist also weder beendet noch auf den frommen Text beschränkt, sondern findet permanent statt – die Welt ist im Vergleich zum textualen Koran der größere „Koran“. Deshalb ruft der Koran auf, sowohl in den Text zu schauen als auch die Welt zu „lesen“ und nicht blind zu sein gegenüber der Ansprache Gottes an den Menschen durch das Buch und durch die „Zeichen Gottes“ jenseits des Buchs (vgl. 25:73).

In mancher Hinsicht handelt es sich beim Koran in der Tat um einen Text, auf den die erwähnte Altersangabe zutrifft, mit allen damit verbundenen Erfordernissen eines kritischen Zugangs. In anderer Hinsicht aber ist er zugleich älter und jünger: älter insofern, als der Urheber dieses Textes die Diktion und die thematische Führung in den Kontext damals vorfindlicher „Texte“ (Erzählung; qasas; ) stellt, aus denen heraus sich mündlich oder schriftlich tradierte Religion generierte (vgl. im Koran 2:4); andererseits jünger insofern, als der Koran erst durch das Lesen zum Text wird und sich somit auch heute in den Geist des Lesenden stellt (vgl. im Koran 3:7), also gleichsam ewig jung. In der Wechselwirkung dieser beiden Aspekte liegt begründet, was für Goethe, Rückert oder Kant die Attraktivität des Korans ausmachte.

Für die theologische und religionspädagogische Interpretation stehen heute hermeneutische Fragen im Vordergrund, die nicht von der Entstehungsgeschichte und den soziokulturellen Kontexten des Textes zu trennen sind. Von daher ist die Bezugsetzung zu gegenwärtigen Lebensumständen überhaupt erst die Voraussetzung, den Koran zu verstehen und ihm als Text gerecht zu werden. Die Frage ist, wie dabei vorgegangen wird. Es ist kaum zu bestreiten, dass der Text reflektiert, was zu den Lebensumständen und zum Weltbild jener gehörte, in deren Mitte er entstand: Die Rede ist demnach vom 7. Jahrhundert nach christlicher Zeitrechnung und vom kulturgeografischen Raum des Hedschas, des südwestlichen Teils der arabischen Halbinsel sowie von den weiteren kulturellen Einflusssphären Syrien, Persien, Jemen und Ostafrika. In dieser Hinsicht erschließt sich der Koran zunächst als ein historisches und in gewisser Weise auch exotisches Diskursdokument.

Wer sich indes vom Koran ansprechen lässt, dem erschließt sich die Tiefe unter der Oberfläche des Textes. Gemeint ist mehr als nur das Lesen zwischen den Zeilen, mit dem der Koran selbst kokettiert; es geht vielmehr um die Genese von überzeitlichem Sinn als einer Leistung des lesenden Subjekts. Zum zeitgebundenen Gerüst des Textinhalts, dem Trägermilieu sozusagen, tritt der eigentliche Textgehalt in seiner zeitlosen und universalen Dimension hinzu. Die Kunst der Hermeneutik besteht nun darin, diese beiden Aspekte zueinander in Korrespondenz zu stellen und nicht gegeneinander auszuspielen. Mit dem lesenden Leser, durch den also der Koran überhaupt erst zum Koran im eigentlichen Sinne wird, treten zudem die rationalen und relationalen Merkmale seiner Person auf den Plan, die kulturräumlichen Spezifika, die eigene kognitive Karte, die relative Nähe oder Distanz zur arabischen Sprache sowie spirituelle und ästhetische Momente. All dies sind Ebenen, auf denen es zur „Passung“ zwischen Text, Lesendem und Welt kommt. Damit scheint der Koran über die Dimension seiner Historizität in der Dimension der Aktualität auf: Der Koran wird nicht nur erlesen, sondern erlebt.

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