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Umgang mit einer Menschheitskrise. Zur Einführung Daniela Winkler
ОглавлениеDass es einen menschengemachten Klimawandel gibt, der in näherer oder fernerer Zukunft in einem heute vermutlich noch nicht vorstellbaren Ausmaß auf die Lebensverhältnisse der Menschen einwirken wird, kann nicht mehr ernsthaft bestritten werden – und doch wird diese Entwicklung bestritten oder zumindest verharmlost, ignoriert oder relativiert. Und dies sowohl von Bürgern, die eine Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte, ihres ökonomischen Status oder ihres Weltbildes befürchten, als auch von Politikern, die sich diese abwehrende Haltung aus verschiedensten Zwecken zu eigen machen. Auf den ersten Blick überrascht diese Erkenntnis, nicht jedoch bei näherer Analyse der verschiedenen soziologischen, politikwissenschaftlichen und demokratietheoretischen Hintergründe, die der vorliegende Band beleuchtet.
Über die wissenschaftlichen Hintergründe und die Reichweite der aufziehenden Klimakrise ist nur eine Minderheit umfassend informiert. So werden nach dem 5. Weltklimabericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) die Folgen des Klimawandels deutlich schlimmer ausfallen als noch vor kurzem befürchtet: »Continued emission of greenhouse gases will cause further warming and long-lasting changes in all components of the climate system, increasing the likelihood of severe, pervasive and irreversible impacts for people and ecosystems« (IPCC 2015, 56). Nach allen zugrunde gelegten Szenarien wird die Durchschnittstemperatur im Laufe des 21. Jahrhunderts erkennbar ansteigen. Hitzewellen und Extremwetterereignisse werden hierdurch häufiger und intensiver auftreten. Hinzu tritt eine kontinuierliche Erwärmung der Ozeane und ein Anstieg des Meeresspiegels. Diese Auswirkungen können nur durch substanzielle und nachhaltige Reduktionen der Treibhausgasemissionen begrenzt werden. Auch wenn die menschlichen Treibhausgasemissionen auf Null reduziert würden, werden sich die Auswirkungen der bisherigen Emissionen noch über Jahrhunderte manifestieren (zu den Hintergründen und Auswirkungen noch ausführlich der Beitrag von Reinhard Zellner).
Ein Ende des vergangenen Jahres veröffentlichter Bericht der renommierten naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift Nature beschreibt eindringlich, welche Folgen das Erreichen globaler Kipppunkte mit sich bringen wird. Unter Kipppunkten (»tipping points«) versteht man jene klimarelevanten Veränderungen, welche – unabhängig von menschlicher Einflussnahme – die globale Erwärmung unumkehrbar vorantreiben werden. Kipppunkte sind insbesondere das Austrocknen des Amazonas-Regenwaldes, die Verlangsamung des Golfstroms, die Zerstörung der borealen Wälder, das Absterben der Korallenriffe, der Rückgang des arktischen Meereises, das Abschmelzen des Eisschilds Grönlands, der West- und Ost-Antarktis sowie das Auftauen der Permafrostböden. Jede dieser Veränderungen zieht unabweisbar andere – die Klimakrise anheizende – Entwicklungen nach sich. Sollten also einzelne Kipppunkte überschritten werden, könnte das nicht nur ganze Ökosysteme zerstören, sondern auch andere gefährdete Systeme zum Kippen bringen und hierdurch die Erde in eine Heißzeit überführen, deren Temperatur um mehrere Grad über der heutigen Temperatur liegen würde.
Aktuelle Messungen haben ergeben, dass das arktische Polareis in einer Geschwindigkeit schmilzt, dass die Arktis voraussichtlich nicht – wie bislang vermutet – 2050, sondern schon ab 2035 im Sommer komplett eisfrei sein wird. Hierdurch gelangen große Mengen Süßwasser in den Nordatlantik. Die daraus resultierende Senkung des lokalen Meersalzgehalts und die Abkühlung des Atlantiks verlangsamt das atlantische Strömungssystem. Zu diesem System zählt auch der Golfstrom, der für das ausgeglichene Klima in Kontinentaleuropa verantwortlich ist. Seit den 1950er-Jahren hat sich dieser bereits um 15 % verlangsamt, was sich wiederum auf die Regenhäufigkeit im Amazonasregenwald auswirkt. Eine Austrocknung des Regenwaldes könnte die Folge sein.
Nach heutigem Wissensstand könnte eine Beschränkung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C die globalen Veränderungen abbremsen und so größere Anpassungschancen für menschliche und ökologische Systeme bieten. Das Pariser Klimaabkommen, welches von 196 Staaten und der Europäischen Union unterzeichnet wurde, sieht daher die Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2 °C gegenüber vorindustriellen Werten vor. Ob diese Begrenzung ausreicht, um irreversible Rückkopplungen durch Kippelemente im Erdsystem sicher zu verhindern, ist allerdings fraglich: Einzelne wissenschaftliche Studien bezweifeln dies bereits. Auch der Sonderbericht des IPCC von 2018 warnt in diesem Zusammenhang vor irreversiblen Folgen, namentlich vor der weiteren Zunahme von Hitzeextremen, Starkniederschlägen und Dürren sowie einer zusätzlichen Erhöhung des Meeresspiegels. Zugleich wurde durch menschliche Aktivitäten schon jetzt eine Erwärmung von 1,0 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau verursacht. Bereits 2030 kann bei derzeitiger Entwicklung eine globale Erwärmung von 1,5 °C erreicht werden. Die Einhaltung des (möglicherweise ohnehin unzureichenden) 1,5 °C-Ziels ist daher bereits heute mehr als fraglich.
Dass der menschliche Raubbau an der Natur nicht unendlich fortzuführen ist, zeichnet sich schon seit Jahrzehnten ab. Bereits 1972 erklärte der Club of Rome (ein 1968 gegründetes interdisziplinäres Expertengremium), dass eine weiter fortschreitende Ausbeutung der Natur diese im Laufe der kommenden hundert Jahre an die Grenze ihrer Belastbarkeit bringen würde. Welche Folgen der übermäßige CO2-Ausstoß für Klima und Temperaturen haben wird, haben große Energiekonzerne schon in den 80er-Jahren weitgehend richtig vorhergesagt. So gesehen stellt sich die Frage, warum der nahenden Katastrophe in weiten Teilen von Politik und Gesellschaft ungerührt ins Auge geblickt wird. Warum ist bis heute nichts Entscheidendes geschehen? Warum basiert unser Wirtschafts- und Lebenssystem immer noch weitgehend auf Erdöl und Erdgas? Warum üben sich Politiker eher im Nichtstun, in der Hoffnung auf »technische Innovationen«, als nachhaltig auf die anstehenden Herausforderungen zu reagieren? Warum lassen sich die Menschen mit vielfältigen Versprechen und Ausflüchten abspeisen?
Angesichts der potenziell existenzbedrohenden Auswirkungen mag diese Beobachtung überraschen. Im Folgenden wird daher der Versuch unternommen, mögliche Gründe hierfür zu identifizieren:
Die konkreten Auswirkungen der Klimakrise werden von Politik und Gesellschaft weitgehend verdrängt: »Es wird künftig ein bisschen wärmer. Na und? Ich mag laue Sommernächte.« Was aber mit der globalen Erwärmung an konkreten Auswirkungen – und zwar nicht nur meteorologisch und ökologisch, sondern auch ökonomisch oder sozial (zum Thema »Klimaflüchtlinge« noch der Beitrag von Joachim Oltmer in diesem Band) – verbunden ist, wissen die wenigsten. Klimaschutz wird immer noch als »Nischenthema« verstanden. Die Forderung, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Rahmen einer Sendung »Klima vor acht« verstärkt Hintergründe und Folgen der Klimakrise zu thematisieren, wird u. a. von Christoph Schmidt, Geschäftsführer Vorabend bei @ARD_Presse, mit dem Hinweis abgelehnt, dass Klimaschutz zwar »ein hehres und richtiges Ziel« sei, aber ein solches Programm dennoch »erstmal eine parteiische Interessengruppe« bediene.
Diese Verdrängung der Thematik an die Randbereiche des öffentlichen Diskurses begründet sich nicht nur mit fehlendem Interesse, sondern auch mit der Komplexität der Materie. Wie Ortwin Renn in seinem Beitrag belegen wird, handelt es sich bei der Klimakrise um eine systemische Krise, die sich schleichend entwickelt und dennoch fundamental in unsere Lebenswirklichkeit eingreift. Gerade der Umstand, dass sich die Wissenschaft aufgrund der komplexen Wechselwirkungen hinsichtlich einzelner konkreter Auswirkungen im Unklaren ist oder bisher gefundene Ergebnisse aufgrund neuerer Erkenntnisse revidiert, wird von den Zweiflern zur Untermauerung der eigenen Position herangezogen. Mögliche Auswirkungen lassen sich leicht verdrängen, da diese vermeintlich weit weg oder erst in vielen Jahrzehnten spürbar auftreten werden, sodass es an der eigenen Betroffenheit zu fehlen scheint.
Mehr und mehr muss sich die Erkenntnis durchsetzen, dass die notwendige Reduktion der Emission schädlicher Treibhausgase nur durch eine radikale Veränderung unserer Lebensgewohnheiten möglich ist. Ob man dabei so weit gehen muss wie die Fridays for Future-Bewegung, die »System Change, not Climate Change« fordert, mag an dieser Stelle dahinstehen; sicher ist jedoch, dass eine unreflektierte weitere Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen schnellstmöglich beendet werden muss. Damit stellen sich – auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene – eine Vielzahl von Fragen, für die bisher noch keine Antworten bereitstehen: Wie kann ökonomisches Wirtschaften in Zukunft aussehen? Wie können die Auswirkungen ökologischer Umwälzungen gerecht gehandhabt werden? Wie sind (grundrechtliche) Freiheiten künftig auszugestalten? Wie sind Verteilungskonflikte (hinsichtlich der dann verknappten Ressourcen) zu lösen? Es zeigt sich bereits jetzt, dass jene Menschen, die am wenigsten zum globalen Treibhausgasanstieg beitragen, am stärksten von diesem betroffen sein werden. Vor diesem Hintergrund erscheint verständlich, dass Politiker vor einer offenen Debatte dieser ganz grundsätzlichen Fragen zurückschrecken, zumal die auf periodische Wiederwahl ausgerichteten Politiker aus der Thematisierung solcher langfristigen Fragen und der Umsetzung unpopulärer Maßnahmen nichts gewinnen können (hierzu der Beitrag von Maximilian Schiffers).
Zugleich wird die Klimadebatte zum Schauplatz systemischer Konflikte und politischer Grabenkämpfe. So wird der Umgang mit der Klimakrise in den USA – neben der Regulierung des Waffenbesitzes und der Gewährung von Krankenversicherungsschutz – zu einem weiteren fundamentalen Unterscheidungsmerkmal zwischen Demokraten und Republikanern. Hierzulande leugnen insbesondere (rechts-)populistische Parteien einen menschengemachten Klimawandel. Eine solche »Politik der einfachen Lösungen« ist der Komplexität einer systemischen Krise jedoch nicht gewachsen. Als (vermeintlich) volksnahe Bewegung bemüht sich der Populismus zudem, Klimaschutz als ein »Elitenprojekt« zu brandmarken, dass auf dem Rücken der »kleinen Leute« umgesetzt wird.
Aus verschiedenen politischen Richtungen wird daher »Sturm« auf grundlegende klimapolitische Änderungen »geblasen«. Aus liberaler Perspektive wird eine Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheiten als »Ökodiktatur« gegeißelt. Aus ökonomischer Sicht werden – unterstützt von der Lobbyarbeit großer Unternehmen, wie ebenfalls der Beitrag von Maximilian Schiffers erläutert – Wirtschaftsstandort und Arbeitsplätze hervorgehoben. Die ökonomischen Folgen mangelnden Klimaschutzes bzw. der erforderliche Klimawandelanpassung (hierzu der Beitrag von Philip Bubeck und Annegret Thieken) werden hingegen zumeist ignoriert. Zu den grundsätzlichen Fragen, die zur Bewältigung der Klimakrise beantwortet werden müssen, gehört daher auch: Wie viel Staat ist nötig, um die anstehenden Herausforderungen zu regeln? Oder kann man dies getrost dem Markt überlassen? Staaten, die grundsätzlich stärker auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes vertrauen, tun sich in der Regel schwerer damit, politische Einschränkungen zu erwirken. Zugleich erfordert eine erfolgreiche globale Klimapolitik eine Verständigung zwischen den internationalen Akteuren über die Ziele ihrer Politik, was sich insbesondere im internationalen Staatenwettbewerb als schwierig erweist. Hier wird vornehmlich eine Verschiebung von Verantwortlichkeiten propagiert, häufig mit Verweis auf den eigenen (vermeintlich: unmaßgeblichen) Beitrag zu den globalen Treibhausgasemissionen.
Verallgemeinernd kann man davon sprechen, dass die Bewältigung der Klimakrise unter einem Demokratiedilemma leidet (hierzu der Beitrag von Marc Zeccola). Demokratische Prozesse verlaufen regelmäßig langwierig, da sie auf die Berücksichtigung und Einbindung verschiedenartigster Interessen und Bedürfnisse ausgerichtet sind. Maßgeblich ist schließlich der Mehrheitsentscheid, auch wenn dieser im Ergebnis unrichtig oder unvernünftig ist. Die Klimakrise verlangt hingegen rasches und konsequentes Handeln, kurzfristige und zugleich tiefgreifende Entscheidungen, die schwerlich konsensual durchsetzbar sind. Das erklärt auch das (in dieser Stärke wohl unerwartete) Erstarken zivilgesellschaftlicher Gruppen (wie Fridays for Future, Extinction Rebellion etc.), die nicht nur zur allfreitäglichen Klimademo aufrufen, sondern sich auch Formen des zivilen Widerstandes zu eigen machen beim Versuch, konkrete klimaschädliche Projekte zu verhindern – die Besetzung des Hambacher Forstes und des Dannenröder Waldes sind aktuelle Beispiele.
Die Komplexität der Klimakrise, die in sämtliche Bereiche des politischen und gesellschaftlichen Systems hineinstrahlt, überfordert letztlich auch die Berufspolitiker, welche zunehmend (Klima-)Experten und sonstige private Akteure einbinden müssen. Auch hier entstehen Reibungen mit dem Prinzip demokratischer Repräsentation. Gerade die zunehmend politische Rolle der Klimaforscher findet nicht überall Anklang. Wählen Forscher drastische Worte, um die Menschen aufzurütteln, wird oft ihr »Alarmismus« beklagt. Konkrete politische Vorschläge werden als Kompetenzüberschreitung betrachtet (vgl. etwa die Debatte zwischen Thea Dorn und Stefan Rahmsdorf, Die Zeit vom 3.6. bzw. 24.6.2020).
Davon ausgehend entwickelt sich die Überzeugung, dass eine erfolgreiche Klimapolitik nicht ohne die Unterstützung und damit Einbindung der Bürger möglich ist. An einer Unterstützung fehlt es jedoch, soweit den Bürgern die Reichweite der drohenden Veränderungen und die Dringlichkeit politischer Maßnahmen nicht bewusst ist. In erster Linie geht es daher um die Information der Bürger, welche zunächst einmal über den Stand der Krise in Kenntnis gesetzt werden müssen. Dies wird nicht nur durch die oben beschriebene Komplexität des Themas erschwert, weshalb auch weitreichende einzelne Umweltereignisse die Aufmerksamkeit nicht insgesamt auf das Klimathema zu lenken vermögen; auch eine fortschreitende Heterogenisierung des Mediensystems steht dem entgegen. Gerade soziale Medien sorgen dafür, dass Nutzer nur noch Informationen ihrer eigenen »Blase« zur Kenntnis nehmen, wodurch bestehende Überzeugungen bestätigt werden und Anregungen, diese zu überdenken, wegfallen. Auch eine Privatisierung des Mediensystems (wie in den USA bekannt) verstärkt diesen Prozess.
Kommunikation über die Klimakrise wird daher zu einem entscheidenden Faktor erfolgreicher Klimapolitik. Besonders das sprachliche Framing übt daher wesentlichen Einfluss auf das Verständnis der klimatischen Bedrohung und die daraus resultierende Klimaschutzpolitik aus (vgl. Nisbet 2009). Bereits während der Regierungszeit von George W. Bush wurde innerhalb der republikanischen Partei der öffentlichkeitswirksame Begriffswechsel von »global warming« zu »climate change« propagiert, da »climate change« eine neutralere wissenschaftliche Position vermitteln und sich harmloser anhören sollte (vgl. Villar/Krosnick 2011). Diese Bezeichnung wurde dann u. a. auch durch die Forschungspolitik unter Bush (Ausschreibungen, Drittmittel, behördliche Forschungseinrichtungen, Universitätsbeziehungen etc.) übernommen und auch von Donald Trump zum (vermeintlichen) Nachweis herangezogen, eine Klimaerwärmung gebe es nicht. Auch die Frage, ob man von »Klimawandel«, »Klimakrise« oder bereits »Klimakollaps« spricht, verdeutlicht, dass der sprachliche Umgang mit den anstehenden Herausforderungen einen großen Anteil an der politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung hat.
Auch wenn sich eine Vielzahl von (rationalen) Gründen für das Zaudern und Zögern in der Klimakrise heranziehen lassen: Vielleicht liegt es doch zuletzt an der narzisstischen Natur des Menschen, der die Bedrohung durch die Klimakrise nicht erkennen will. Schon Immanuel Kant hat herausgearbeitet, dass es Erkenntnisse gibt, deren sich der Mensch zum Schutz des eigenen Weltbildes verweigert: sog. narzisstische Kränkungen. Die globale Veränderung des Klimas wäre dann die vierte narzisstische Kränkung seit Kopernikus’ Erkenntnis der Rotation der Erde um die Sonne, Darwins Evolutionstheorie und Freuds Entdeckung des Unterbewusstseins (so in durchaus pointierter Überzeichnung Ferdinand Otto, Die Zeit vom 29.7.2019)
Ausgehend von diesem Ausflug zu Narziss und zur griechischen Mythologie mag es auch naheliegen, vom »Ikarus-Moment« der menschlichen Geschichte zu sprechen. Bekanntlich flog Ikarus – ausgestattet mit Flügeln aus gewachsten Vogelfedern – trotz der Warnrufe seines Vaters zu nahe an der Sonne, die das Wachs zum Schmelzen und ihn zum Abstürzen brachte. Durch den Gebrauch künstlicher Federn konnte Ikarus zwar die Regeln der Natur aushebeln, und dennoch scheiterte er an den Grenzen der Natur. Seine Hybris beruht auf dem Eindruck der eigenen Unbesiegbarkeit und der grenzenlosen Beherrschbarkeit der Natur. Der Umgang der Menschheit mit der Klimakrise lässt eine solche Hybris ebenfalls erahnen. Es ist eine Überzeugung, die ihre Grundlage bereits im biblischen Auftrag an den Menschen, sich die Erde »untertan zu machen«, zu finden scheint. Und sie findet ihr modernes Pendant in einer Technikgläubigkeit, die in der Annahme gipfelt, die Klimakrise könne durch neue technische Innovationen gelöst werden – so etwa der FDP-Vorsitzende Christian Lindner kürzlich im Deutschen Fernseh-Rundfunk. Im Englischen wird dieses unendliche Vertrauen in die Allmacht der Technik mit dem Begriff des »solutionism« beschrieben. Vielleicht schließt sich an dieser Stelle aber auch nur der Kreis, indem eine hochkomplexe gesamtgesellschaftliche Aufgabe auf diesem Weg wieder zu einem (in diesem Fall: technischen) »Nischenthema« degradiert wird.
Nach dieser einleitenden Skizze einiger der vielfältigen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen beim Umgang mit der Klimakrise hoffe ich, dass Sie neugierig auf die folgenden Beiträge geworden sind, die einzelne dieser Aspekte aufgreifen und näher analysieren.