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DER ARZT

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Andrew trat in der Medizin in die Fußstapfen seines Vaters. Drei seiner Brüder wurden ebenfalls Ärzte. Seine medizinische Ausbildung bekam Andrew, wie viele Ärzte dieser Zeit, indem er in die Lehre ging. Andrew entschied sich, unter der Anleitung seines Vaters zu arbeiten. Nachdem er alle medizinischen Bücher gelesen hatte, die er finden konnte, und bei seinem Vater gelernt hatte, wurde Andrew Still als Arzt in Macon County, Missouri registriert.1

Die Kindertage hatte er hinter sich gelassen und er sagte, “ich wurde zum Mann […], so ging ich auf Brautschau“2, um festzustellen, ob er die Aufmerksamkeit der Mädchen erregen konnte. Er besuchte Treffen der Kirche, das gemeinsame Maisschälen und Kuchenversteigerungen, und er gewann das Interesse eines bestimmten Mädchens. Es handelte sich um Mary Margaret Vaughn aus Macon. Nach kurzer Brautwerbung heirateten sie im Haus ihrer Eltern am 29. Januar 1849; Andrew war 21 Jahre alt. Die Neuvermählten zogen auf ein Landstück von 80 Morgen, nur wenige Meilen von der Farm der alten Stills entfernt. Andrew praktizierte als Arzt und betrieb die Farm. Im ersten Jahr pflanzte er 60 Morgen Mais, die sich gut machten, bis zum Nachmittag des 4. Juli, als dunkle Wolken aufkamen und ein Sturm hereinbrach. Hagel zerstörte alle Halme, nichts blieb übrig. Um über die Runden zu kommen, unterrichtete Andrew in diesem Winter in einer Schule für 15 Dollar im Monat.3 Gleichwohl war es eine schöne Zeit mit seiner Familie und Freunden in der Nähe. Doch diese Verhältnisse sollten sich ändern.

Der Nordosten Missouris wurde zu einer Brutstätte des Streits über die Frage der Sklaverei. Als Rev. Abram Still und seine Familie dort anfangs ankamen, gab es keine Probleme deswegen, weil die meisten der ersten Sieder keine Sklaven hatten. Allerdings begannen immer mehr Siedler in die Gegend zu ziehen, unter denen viele Sklavenbesitzer waren. Abram hatte gegen die Sklaverei gepredigt, doch inzwischen waren viele der neuen Mitglieder seiner Kirche anderer Ansicht als er. Einige unterbrachen seine Predigten, andere bedrohten sogar sein Leben. Die methodistische Kirche verwickelte sich in diesen Streit und zerfiel schließlich in zwei Gruppen, die methodistische Kirche des Südens, die die Sklaverei befürwortete, und die methodistische Kirche des Nordens, die sie ablehnte. Abram löste sich aus der südlichen Gruppe und fuhr fort, feurig gegen die Sklaverei zu predigen. Er nannte die Sklavenbesitzer „Gottlose.“ Die Elders seiner Kirche baten ihn, seine Rhetorik zu mäßigen, aber das lehnte er ab und die Drohungen gegen sein Leben hielten an. Im Jahr 1850 beschlossen die Offiziellen der Kirche, ihren Pionierprediger, der sieben Kirchen in der Gegend begründet hatte, nach Missouri zu versetzen. Sie boten ihm die Stellung als Leiter und Missionsarzt bei einer neuen Mission an, die im Kansas-Territorium für die Shawnee-Indianer gebaut werden sollte.4 Abram stimmte dem Vorschlag zu und war sehr begeistert ob der Herausforderung. Im Herbst 1851 brach er auf Richtung Kansas, wo er ein Stück Land in der Nähe des Zusammenflusses des Wakarusa und des Kansas-Flusses als Standort für die Missionsstation auswählte, die er Wakarusa-Mission nannte. Sie lag nur sieben Meilen östlich von dem Ort, wo bald darauf die Stadt Lawrence, Kansas gegründet wurde. In diesem Herbst ließ Abram ein zweistöckiges Holzhaus mit Strohdach errichten, das dann als Schulhaus und als Wohnhaus seiner Familie genutzt wurde. Er ließ seine Familie im Jahr 1852 dorthin ziehen. Mrs. Still war beunruhigt darüber, dass sie ihre drei ältesten Söhne und deren Familien zurücklassen musste, doch musste sie sich nun nicht länger darum sorgen, dass das Leben ihres Ehemannes bedroht wurde. Sie unterrichtete in der Schule, in der etwa 30 indianische Kinder angemeldet waren. Die jüngeren Kinder der Stills besuchten die Schule ebenfalls, während die älteren Töchter ihrer Mutter halfen.5


ABB. 4: DIE WAKARUSA MISSION

Wie sein Vater war auch Andrew ein glühender Abolitionist. Durch den Verlust seiner Ernte entmutigt und zudem verärgert angesichts der wachsenden Unruhe um die Sklavereifrage entschloss er sich, Missouri zu verlassen und sich seinem Vater bei der Missionsstation anzuschließen. Im Jahr 1853 zog er mit seiner Frau und zwei kleinen Kindern ins Kansas-Territorium.

Seine Frau unterrichtete an der Missionsschule, während er die Farm bestellte und seinem Vater bei der ärztlichen Behandlung der Indianer half. Mit einem Gespann von sechs Ochsen und einem 20-Zoll-Pflug bearbeitete er 90 Morgen jungfräulichen Bodens. Andrew freundete sich mit den Indianern an und lernte deren Sprache. Viele aus der indianischen Bevölkerung6 erkrankten an Cholera. Andrew bemerkte, als er diese Fälle behandelte, wie Cholera eine Dislozierung der Knochen verursachen konnte.

In den Jahren 1852/​53 diente Andrew nebenbei als Wundarzt7 für General John C. Fremont. Im Jahr 1854 verabschiedete der Kongress der Vereinigten Staaten das Kansas-Nebraska-Gesetz, welches das Territorium für die Besiedlung öffnete. Mit der Ankunft der Siedler schossen kleinere Orte wie Pilze aus dem Boden, und Andrews Dienste als Arzt waren sehr gefragt. 1855 zog der mit seiner Familie nach Palmyra, woraus später Baldwin, Kansas wurde. Dort baute er eine gutgehende Praxis auf und wurde zu einem aktiven Mitglied der neuen Gemeinde. Als die Absicht zur Gründung einer methodistischen Universität verkündet wurde, stifteten Andrew und zwei seiner Brüder 480 Morgen Land für das College, aus dem die Baker University wurde. Zudem erwarben und errichteten sie, gemeinsam mit zwei anderen Männern, eine Dampfsägemühle mit 40 Pferdestärken. Andrew verbrachte einen großen Teil der folgenden fünf Jahre damit, Bauholz für die Gebäude des Colleges zu schneiden und zu sägen und die Bauarbeiten zu beaufsichtigen.


ABB. 5: DER JUNGE DR. A. T. STILL IN PALMYRA, KANSAS

1857 stellte die methodistische Kirche die Finanzierung der Wakarusa-Mission ein. Die Missionsstation wurde geschlossen und Abram zog mit seiner Familie nach Blue Mound. Die Stadt Eudora entstand rund um die alte Mission. Andrews Bruder James, ebenfalls ein Arzt, blieb dort mit seiner Praxis.

Die Sklavereifrage folgte den Siedlern nach Kansas, das nun zu einer Brutstätte der Agitation wurde. Die Bushwackers aus Missouri, die für die Sklaverei waren, kamen oft über die Grenze, um die Sklavereigegner aus Kansas, die Jayhawkers, zu schikanieren. Angeführt von Jim Lane und John Brown war eine Gruppe von Sklavereigegnern, darunter auch Andrew und seine Brüder, aktiv an verschiedenen Scharmützeln mit den Bushwackers beteiligt. Aufgrund seiner begeisterten Beteiligung an der Sklavereifrage und bei anderen tagesaktuellen Themen ging Andrew 1857 in die Politik. Obwohl er erst 29 war, wurde er als Delegierter für Douglas County in das erste Parlament des Territoriums gewählt, das die Sklavereigegner eingerichtet hatten. Es gab bereits ein von den Befürwortern der Sklaverei gebildetes Parlament im Kansas-Territorium, sodass nun zwei einander gegenüberstehende Körperschaften existierten. Angeführt von James Lane marschierten 700 Männer, unter ihnen auch Andrew Still, zum Parlament der Sklavereibefürworter und verlangten, dass auch dem Parlament der Sklavereigegner Sitz und Gehör gegeben werden solle. Bis März 1858 erreichten sie ein territoriales Gesetz, das relativen Frieden zwischen den beiden Parlamenten stiftete. Auch bei der Entstehung und Annahme der Verfassung von Wyandotte, mit der Kansas 1860 schließlich als sklavereifreier Staat in die Vereinigten Staaten von Amerika aufgenommen wurde, wirkte Dr. Still in führender Funktion mit.

Im September 1859 starb seine Frau und ließ ihn mit drei kleinen Kindern zurück. Sechs Wochen vor ihrem Tod hatte sie einen Sohn zur Welt gebracht, der nur sechs Tage alt wurde. Sie war untröstlich und kam nicht wieder richtig zu Kräften. Andrew verstand, dass ihre Seele8 gebrochen war. Die Härten des Frontierlebens und der Verlust dieses Babys sowie eines anderen, das vier Jahre zuvor gestorben war, waren für ihren Tod ohne Zweifel von Bedeutung. Er machte sich selbst verantwortlich, dachte, dass er zu sehr mit der Parlamentsarbeit und anderen Alltagsproblemen beschäftigt gewesen sei. Weil er so oft fort gewesen war von zu Hause, hatte er ihr nicht die angemessene Sorge und Aufmerksamkeit zugewandt, die sie so verzweifelt gebraucht hatte. An diesem Punkt fing er an, die Bedeutung der Seele für die körperliche Gesundheit zu begreifen. Er zog bei seinen Eltern ein, sodass seine Mutter dabei helfen konnte, die Kinder zu hüten.

In jenen Tagen war es draußen im Westen üblich, dass ein Witwer mit kleinen Kindern recht bald wieder heiratete. Andrew folgte dieser Neigung. Ein Jahr nach Marys Tod traf er eine andere Mary, eine Lehrerin, die, weil einer ihrer Schüler an Scharlach erkrankt war, nach seinen Diensten verlangt hatte. Der Schüler erholte sich und Andrew verliebte sich in die Lehrerin. Am 20. November 1860 heiratete er Mary Elvira Turner, die Tochter eines New Yorker Arztes. Sie war Absolventin einer Mädchenakademie, des späteren Vassar College.9 Sie wurde zu seiner treuen Begleiterin, stand ihm durch all die ihnen bevorstehenden Zeiten zur Seite, als sie mit Entbehrungen, Spott und sogar Ächtung konfrontiert waren. Ohne ihre Kraft und Ermutigung hätte er wohl seinen Traum, einen besseren Weg in der Behandlung von Krankheiten zu finden, nicht verfolgen können.10

Von einem Frontierarzt wurde erwartet, jede Entfernung zurückzulegen, bei Tag und Nacht, und alles zu tun, angefangen damit, Kinder zur Welt zu bringen, Schusswunden zu behandeln bis hin zur Amputation von Beinen. Dr. Still machte alles und ließ sich sogar darauf ein, einzelne Zähne zu ziehen. Einmal schnitzte er einen hölzernen Stopfen aus einem Stück Hickory, den er in den schmerzenden Zahn einer Dame einpasste. Sie sagte, er habe nie wieder wehgetan.11 Ein andermal wurde ein junges Mädchen von einem Hund ins Gesicht gebissen, zwei Zoll tiefe Schnitte blieben zurück. Er behandelte sie zehn Tage lang mit verdünnter Schwefelsäure. Obwohl einige von dem Hund gebissene Tiere tollwütig wurden, bekam sie keine Rabies. Ein anderer Patient war ein Baby, das in seinem Bettzeug auf dem schmutzigen Boden des Holzhauses der Familie schlief. Eine Klapperschlange kroch durch einen Spalt und auf die Decke des Babys, wo sie sich zusammenrollte und einschlief. Als die Mutter aufwachte und die Schlange sah, bekam sie Panik und griff nach dem Baby, wodurch sie die Schlange aufschreckte; diese biss das Kind. Der Vater tötete die Schlange und eilte zu Dr. Still, der den Biss mit Ammoniak behandelte. Das Baby überlebte.


ABB. 6: FRAU MARY ELVIRA STILL (GEB. TURNER)

Als er an einem Tag in der Umgebung ausritt, stieß Andrew auf eine Gruppe mexikanischer Viehtreiber auf dem Santa-Fe-Trail. Die Wagen waren stehengeblieben und alle hatten sich um einen auf dem Boden liegenden Mann versammelt. Andrew hielt an, um zu sehen, was los sei, und sie sagten ihm, dass der Mann von seinem Pferd abgeworfen worden sei. Sie dachten, sein Genick wäre gebrochen, und als sie herausfanden, dass er ein Arzt war, baten sie ihn um Hilfe. Still erklärte, dass er, wenn er versuchen würde, es einzurenken, den Mann vielleicht töten würde. Doch sie sagten, er solle fortfahren, da dem Mann ohnehin so gut wie tot sei. Andrew trieb auf beiden Seiten des Genicks zwei Stahlstifte in den Boden, um es zu stabilisieren. Dann bewegte er langsam und vorsichtig den Kopf. Plötzlich erschlaffte der Mann und Andrew dachte, dass er ihn nun sicher getötet habe. Doch der Patient öffnete die Augen und war wieder wohlauf. Dr. Still sagte später, dass dies sein erster Versuch mit Manipulationen gewesen sei.

Obwohl Andrew sich selbst als einen guten Arzt betrachtete, wurde er entmutigt durch jene, denen er nicht helfen konnte. Er fing an, die existierenden Methoden der Medizin infrage zu stellen, wozu insbesondere das Aderlassen, das Abführen und der ausgiebige Gebrauch von Arzneimitteln gehörten, von denen viele giftig waren oder abhängig machten. Er fand, dass die Wirkungen der Arzneimittel oftmals schlimmer waren als die der Krankheit. Zudem wurden Operationen unter unhygienischen Verhältnissen durchgeführt. Er schrieb über seinen Wunsch, mehr über den Körper zu lernen, in seinen autobiografischen Aufzeichnungen:

„In den anfänglichen Tagen im windgepeitschten Kansas begann mein Durst nach mehr Wissen. Ich musste auf jede Art chirurgischer Operation vorbereitet sein (Gliedmaßen amputieren etc.). […] Deshalb musste ich über Zahl, Form, Lage und Verbindung aller Knochen im Körper Bescheid wissen. Daher besuchte ich in Begleitung von Pascal Fish (Häuptling der Shawnee-Indianer) Friedhöfe, auf denen ich bestens erhaltene Skelette fand.“12

Er trug die Knochen in Jutesäcken nach Hause und setzte sie mit Drahtstücken wieder zusammen, um Skelette zu bilden. Er lernte, jeden Knochen mit verbundenen Augen zu erkennen. Er las alle seine medizinischen Bücher erneut, worin er jedoch keine Antworten fand, sodass er sich am Kansas City College of Physicians and Surgeons anmeldete. Rasch war er unzufrieden mit der Qualität der Ausbildung. Er fand, dass er bereits so viel wusste wie seine Lehrer. In einem Brief, der im Ladies Home Journal veröffentlicht wurde, schrieb er: „Ich bestand alle Prüfungen, doch aufgrund des vielen Whiskeys, der verwendet wurde, sowie Opium, Morphium und anderen Arzneimitteln, war ich gründlich angewidert, sodass ich jedes Verlangen, den Abschluss zu machen, verlor und nie zurückkehrte, um mein Diplom entgegenzunehmen.“13

Andrews wissbegieriger Verstand14 brachte ihn auch dazu, Sachen zu erfinden. Oft half er dabei, Butter zu rühren, und scherzte, dass sein Geist zwar willig sei, sein schmerzender Arm aber nicht. Er entwickelte eine Antriebswelle, die an einer Stange mit Armen befestigt war, die den Rahm mit größerer Geschwindigkeit an die Wand des Butterfasses schleuderten als in dem alten Butterfass mit einer Stange, die hoch- und runtergeschoben wurde. Das reduzierte die Zeit für die Butterherstellung von einer Stunde auf etwa zehn Minuten. Sein Butterfass gewann einen Preis bei einem Jahrmarkt. Er versuchte, örtliche Geschäftsleute dafür zu gewinnen, es zu produzieren, aber ohne Erfolg. Dennoch wurde ein Butterfass, das das gleiche Prinzip benutzte, bald auf den Markt gebracht.

Er erfand auch eine Verbesserung für eine Mähmaschine, indem er ein Gestell baute, das das herabfallende Getreide mithilfe langer stählerner Arme auffing, nachdem es geschnitten worden war. Wenn 50 Pfund zusammen waren, ruckte ein Hebel und warf das Getreide in einem zum Verbinden fertigen Bündel auf den Boden. Andrew nahm Kontakt mit der Wood Mowing Company auf, um seine Idee zu patentieren und weiterzuentwickeln, und Vertreter des Unternehmens besuchten ihn. Obgleich sie Interesse zu haben schienen, hörte er nie wieder von ihnen. Doch zur nächsten Erntezeit hatten alle Mähmaschinen der Wood Company lange Finger, um das Getreide aufzufangen. Still erfand außerdem eine Feder-Wäscheklammer und ein Umschaltgerät, das von den Eisenbahnen verwendet wurde. Nie profitierte er materiell von irgendeiner seiner Erfindungen, obwohl er es gerne hätte. Sein einziger Lohn lag in der Befriedigung, ein Problem durchgearbeitet zu haben.15

In einem Jahr fiel eine furchtbare Heuschreckenplage über die Ebenen von Kansas herein und verschlang alles, was in Sicht war. Alle Nutzpflanzen und Gärten waren vernichtet. Die Heuschrecken waren so dick, dass die Leute kaum mehr aus dem Haus gehen konnten. Sie verstopften die Fenstersimse mit Lumpen, damit die Tiere nicht in die Häuser kamen. Aufgrund der dramatischen Nahrungsknappheit machte Andrew eine Reise nach Missouri und kam mit einigen Wagenladungen mit Vorräten für seine Familie sowie für die Leute aus Baldwin zurück.16

Während des Bürgerkriegs diente Andrew in der Unionsarmee. Im September 1861 verpflichtete er sich in der Neunten Kansas-Kavallerie unter dem Kommando von James H. Lane. Nachdem General Price, der die Westarmee der Konföderierten kommandierte, bei Lexington, Missouri einen Sieg errungen hatte, marschierte seine Armee südwärts nach Arkansas. Lanes Armee, Andrews Regiment eingeschlossen, folgte ihnen weit nach Süden bis nach Springfield. Im November wurde Lane nach Fort Scott zurückbefohlen bzw. weiter nach Harrisonville ins Winterquartier, wo Dr. Still als Hilfskraft im Krankenhaus der Unionsarmee diente.17 Er verabscheute die zahlreichen Toten im Feldlager infolge von Krankheiten und Dysenterie, und er hasste die vielen Amputationen. Er schrieb von einem Fall, in dem er das Bein eines Mannes gerettet hatte. Der Mann war angeschossen worden und die Chirurgen wollten sein Bein sofort amputieren. Doch Andrew stellte fest, dass die Arteria femoralis nicht verletzt worden war, und er überredete sie, ihn das Bein zu retten versuchen zu lassen. Er baute eine Holzwanne und richtete mit Federn, einem Seil und einem Fass Wasser ein Drainagesystem ein. Binnen weniger Wochen lief der Mann wieder auf Krücken.

Andrew nahm dies als ein frühes Beispiel für das „Gesetz der Arterie“ in Anspruch. In seiner Autobiografie schrieb er später: „Das Gesetz der Arterie ist absolut, universal und darf nicht gestört werden, sonst folgt Krankheit.“18 Gegen Ende April 1862 wurde Stills Bataillon aufgelöst und der Doktor kehrte nach Hause zurück.19

Kurz darauf wurde Still durch den Gouverneur darum gebeten, eine milizionär geführte Heimatreserve zu organisieren. Die Kompanie D der 18. Kansas-Miliz wurde aufgestellt und Dr. A. T. Still wurde als Captain bestellt. Einige Monate später wurde die Einheit mit anderen Bataillons zur 21. Kansas-Miliz zusammengelegt, in der Andrew in den Rang eines Majors befördert wurde. Deren wichtigste Aufgabe war es, zu patrouillieren und Schutz zu bieten gegenüber den Grenzüberfällen von William Quantrill. An dem Tag, als Quantrills Guerillas Lawrence niederbrannten und ausplünderten, sah die Familie Still schwarzen Rauch den Himmel erfüllen. Andrew griff nach seinem Gewehr und eilte fort zur Miliz. Die Frauen der Familie versteckten ihre Wertsachen, nahmen die Kinder und verbargen sich im Maisfeld. Glücklicherweise wählte Quantrill einen anderen Weg, zurück nach Missouri.20

Achtzehnhundertvierundsechzig erwies sich als katastrophales Jahr für die Familie. Im Januar gebar Mary ein gesundes kleines Mädchen und sie waren voller Freude, weil sie zuvor einen kleinen Jungen verloren hatten, der krank zur Welt gekommen war und nur wenige Monate lebte. Im Februar jedoch fegte eine Epidemie von spinaler Meningitis über die Prärie und brachte viele ums Leben. Zwei von Andrews Kindern aus seiner ersten Ehe sowie ein Adoptivkind starben an der furchtbaren Krankheit. Seine älteste Tochter Marusha war zu dieser Zeit zu Besuch bei ihren Großeltern und blieb verschont. Einige Wochen später verstarb Andrews und Marys Baby an Lungenentzündung. Andrew verlor so nicht nur seine erste Frau, sondern auch sechs seiner sieben Kinder. Er war tief verzweifelt. Als er die Körper seiner toten Kinder sah, fragte er sich selbst:

„Hat Gott den Menschen bei Krankheit in einer Welt des Ratens verlassen? Soll man raten, was der Fall ist? Was man geben soll, wie das Ergebnis sein wird? Und wenn sie gestorben sind, bleibt nur zu raten übrig, wo sie bleiben? Ich entschied damals, dass Gott kein Gott des Ratens, sondern ein Gott der Wahrheit sei. Alle seine Werke, spirituelle und materielle, sind harmonisch. Sein Gesetz des animalischen Lebens ist absolut. Der weise Gott hat daher die Arzneimittel sicher in das materielle Haus gelegt, das der Geist des Lebens bewohnt. Mit diesem Gedanken hisste ich das Segel und stieß mein Boot als Entdecker in die See.“21

Das Haus, in dem sie gelebt hatten, hatte auf der Vorderseite ein großes Fenster, an dem die Kinder zu stehen pflegten und schauten, wann ihr Vater nach seinen Hausbesuchen zurückkam. Wenn sie ihn sahen, liefen sie hinaus und umarmten ihn. Die Vorstellung, wie sie am Fenster standen und auf ihn warteten, verfolgte ihn derart, dass er es zunagelte.22

In jenem Herbst nahmen die Kampfhandlungen im Westen zu und die Kansas-Miliz wurde erneut mobilisiert. Ungeachtet seiner Verzweiflung folgte Major Still dem Ruf der Pflicht und schloss sich seiner Kompanie an, als sie auszog, um die Grenze zwischen Kansas und Missouri bei Westport zu verteidigen. Sie wurden durch die konföderierten Kräfte von Joe Selby, die unter dem Kommando von General Price standen, angegriffen und hielten den Bereich, bis Price seinen Kräften den Rückzug befahl. Obwohl Still eine Einheit befehligte, half er auch bei der Versorgung der Kranken und Verletzten im Feldlager und auf dem Schlachtfeld. Einmal behandelte er Jim Lane wegen einer Schusswunde am Bein. Während dieses Gefechts war es auch, dass Still sich einen Leistenbruch zuzog und außerdem ein Herzproblem bekam. Er genas nie wieder völlig. Nach dem Krieg entwickelte er ein Bruchband, das half, die Schmerzen infolge der Hernie zu lindern. Er beantragte eine Pension; dies wurde aber abgelehnt, da das Kriegsministerium geltend machte, dass die Kansas-Miliz eigentlich kein Teil der US-Streitkräfte gewesen sei. Am 27. Oktober 1864 erhielt Major Still den Befehl, seine Einheit aufzulösen. Froh kehrte er nach Hause zurück.23

Doch durch den Verlust seiner Kinder und den Schrecken angesichts der toten und verwunderten Soldaten hatte er jeden Glauben an die traditionelle Medizin verloren. Statt sich aber von seinem erwählten Beruf und von Gott abzuwenden, wie er es vielleicht hätte tun können, nahm er seine „Forschungen mit erneuerter Begeisterung“ wieder auf. Wiederum grub er Gräber aus, um sich die für seine Untersuchungen notwendigen Körper zu beschaffen, und erneut studierte er die Knochen und ihre Beziehungen untereinander. Auch analysierte er die Muskeln und die Nerven und den Blutkreislauf, den er den „Fluss des Lebens“ nannte. Er stellte fest, dass alle Systeme miteinander verbunden waren, sodass, wenn ein Teil betroffen war, er andere Teile beeinträchtigen konnte. Er bemerkte, dass man die ganze Person behandeln musste, statt nur ein Symptom, und er glaubte auch, dass der Körper ein eigenes Immunsystem umfasste. Er sagte, dass „ein liebender intelligenter Schöpfer des Menschen die Arzneimittel in genügender Menge im menschlichen Körper bereithält, an einem bestimmten Ort oder im ganzen System, um alle Krankheiten zu heilen. Die Gesetze Gottes sind absolut.“24

Dr. Stills Patienten bildeten nun sein Versuchslabor. Weil sie eine medikamentöse Behandlung erwarteten, stellte er mit Marys Hilfe Zuckersirup und Pillen aus Brot her, um sie ihnen zu verabreichen. Zugleich experimentierte er mit seinen Händen und versuchte zu korrigieren, was er als Defekte im Körper erfühlte.25 Er kam so zu dem Schluss, “dass alle Krankheiten nur Wirkungen sind, deren Ursache im teilweisen oder ganzen Versagen der Nerven liegt, die Lebensflüssigkeiten vernünftig zu leiten.“ Er entwickelte ein System von Manipulationen, das Krankheiten vorbeugen oder sie heilen konnte. Nach 25 Jahren des Forschens und Experimentierens glaubte er, dass seine Philosophie der Gesundheitsfürsorge richtig sei. Am 22. Juni 1874, so sagte er, “pflanzte ich schließlich das Banner der Osteopathie in die Brise.“26 Er war nun bereit, seine Entdeckungen in die Welt zu tragen, und doch dauerte es noch einmal 18 Jahre, ehe er sich sicher genug war, um die erste Osteopathieschule und also den osteopathischen Beruf zu begründen.


ABB. 7: DR. A. T. STILL MIT KNOCHEN

Er wollte seine wissenschaftlichen Entdeckungen an der Baker University vorstellen, die er zu gründen geholfen hatte. Doch weil seine Methoden so anders waren als die üblichen Verfahren seiner Zeit, wurde er abgewiesen. Der methodistische Pastor predigte von der Kanzel aus gegen ihn, verurteilte ihn und sagte, er ahme Jesus nach, indem er den Leuten die Hände auflege, um sie zu heilen. Der Pastor verkündete, dass er in der Hölle landen werde, und Andrew wurde offiziell aus der methodistischen Kirche ausgeschlossen. Obwohl er seinen Glauben nie verlor, schloss er sich nie wieder einer Kirche an. Zu dieser Zeit war Andrew T. Still der Erste Würdige Meister der Freimaurerloge in Baldwin. Auch die Freimaurer überlegten, ihn auszustoßen, aber es fehlte eine Stimme, um diese Drohung auszuführen. Er behielt seine Mitgliedschaft dort bis zu seinem Tod. Von der Ärzteschaft wurde er unterdessen diskriminiert; ihre Vertreter brandmarkten ihn als Quacksalber und Heuchler, dem es an ärztlichem Geschick fehle. Seine Freunde und Nachbarn wandten sich von ihm ab. Schließlich musste jemand, der daheim Skelette aufhängte und in seinen Taschen Knochen mit sich herumtrug, etwas verrückt sein, meinten sie. Einst eine Stütze der Gemeinschaft war Still nun gesellschaftlich und beruflich ein Außenseiter.27 Selbst sein Bruder James, ein im nahen Eudora lebender allopathischer Arzt, war enttäuscht und beschämt durch sein Handeln. Er gab ihm den Rat, seine neuen Vorstellungen aufzugeben und zur traditionellen Medizin zurückzukehren. A. T. Still jedoch war entschlossen, zu beweisen, dass seine neue Philosophie der Medizin den Körper tatsächlich heilen konnte.28 Als Dr. Still und seine Schule dann erfolgreich waren, wurden seine Brüder, James eingeschlossen, schließlich alle D.O.s.


ABB. 8: DR. ANDREW TAYLOR STILL

Erinnerungen an Andrew Taylor Still

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