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6. Das Leben, ein Kinderkrippenspiel

Der Einstieg in meine Kinderkrippenspielkarriere war steil. Ich musste mich nicht erst als wortloser Ochs- oder Esel-Statist zu den besseren Rollen hocharbeiten, nicht den dritten Stern von rechts geben oder die vierte Tanne von links. Ich war auch keiner von vielen im Engelschor. Nein, bereits meine erste Rolle war sehr viel tragender: der zweite Hirte! An meinen Text kann ich mich leider nicht mehr erinnern. Besonders viel war es wohl nicht und die Worte waren offensichtlich nicht so eindrücklich, dass sie bei mir – geschweige denn dem Publikum – hängengeblieben wären. Ich kann nicht behaupten, dass ich noch heute – schlappe dreißig Jahre danach – darauf angesprochen werde. Immerhin ist mir ein Satz von Hirtenkollege Numero drei in Erinnerung, vielleicht gerade weil er viel zu leise und unverständlich genuschelt aus Schulkamerad Guido herauskam:

„Seht ihr nicht den Stern dort stehen?“

Da konnten wir schon in den Proben auf Guido einreden, wie wir wollten. Er kriegte es einfach nicht deutlicher raus. Vielleicht habe ich es auch diesem Umstand zu verdanken, dass ich aus der Hirtenschar hervorstach. Dazu ein blasser Josef. Und schon stand meinem Aufstieg nichts im Wege: Für die Rolle des Josef kam im nächsten Jahr nur einer in Frage …

Vorher stirbst du tausend Tode. Wenn es dann aber gut gelaufen ist, gibst du dich souverän und staatstragend und genießt neben dem gemeinschaftlich verdienten Applaus auch deinen persönlichen Erfolg. Ich zog den Josef durch, trotz des herben Rückschlags, den es bei der Rollenvergabe zu verarbeiten gab: Nicht die herzzerreißend rührende Anita spielte in diesem Jahr die Maria. Tapfer stützte ich Brunhilde – und kam mir etwas komisch vor.

Heute kann ich sagen, das ganze Leben steckt in einem Kinderkrippenspiel. Schon in den ersten beiden Aufführungen, in denen ich mitwirkte, deutete es sich an: Rollenfindung, Applaus und komische Gefühle.

Nun sollte es noch steiler mit mir aufwärts gehen! Im nächsten Jahr bekam ich die Hauptrolle. Ich war – die Tür zum Stall. Zugegeben, das klingt nach weniger als Ochs und Esel ohne Text. Aber in unserem Stück, das unsere Gemeindeschwester Gerlinde auch dieses Jahr aufopfernd mit uns einstudierte, war die Tür zum Stall quasi die Erzählerin des Stücks. Sie war es, die die Geschichte zusammenhielt und den meisten Text zu bewältigen hatte. Der sich einem Lied-Refrain ähnelnd wiederholende Text ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, sprich für alle Ewigkeit im Langzeitgedächtnis geblieben:

Ich bin die Tür zum Stall!

Ich rufe euch Menschen all,

still einzukehren und zu sehen,

was hier im Stalle ist geschehen.

Um ein Haar hätte mir Richard an diesem Heiligen Abend in den 1980er-Jahren die Show gestohlen. Er war als Engel verkleidet, eine Statistenrolle, in der er sich nicht sonderlich wohl zu fühlen schien. Richard stolperte über sein Engelsgewand und flog krachend und ungebremst, den Kopf voran, voll in die Krippe. Ich meine sogar, er hat sich die Lippe aufgeschlagen. Hätte er sich mal an meine Worte gehalten: Still einzukehren und zu sehen … Dennoch: Meine Kinderkrippenspielkarriere hatte ihren Höhepunkt erreicht.

Im darauffolgenden Herbst folgte ohne Vorankündigung der Super-GAU. Es war das Jahr vor meiner Konfirmation und somit planmäßig das letzte, in dem man noch ohne Peinlichkeit im Krippenspiel mitwirken konnte. Nun war ich aus den Vorjahren große Rollen und Erfolge gewohnt und ging natürlich davon aus, dem zum krönenden Abschluss noch eins draufsetzen zu können. Doch an dem Tag, an dem die Rollen vergeben wurden, war ich nicht da. Vielleicht kam ich auch nur zu spät, ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall waren alle bedeutsamen Rollen schon vergeben und mir blieb die Kleinrolle des Wirtes, der nur einen einzigen Satz zu sprechen hatte: „Alle Betten sind belegt!“

Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken! Ich, der Star der vorangegangenen Krippenspiele, musste erleben, wie in diesem, meinem letzten Weihnachtsspiel andere brillierten. Mir blieb eine unbedeutende Nebenrolle.

„Alle Betten sind belegt!“

Nach dem Höhenflug der tiefe Fall – und das in meinen jungen Jahren! Da war sie wieder, die Lebensmetapher. Das ganze Leben, ein Kinderkrippenspiel. Letztes Kapitel: Konkurrenz im eigenen Stall.

Fügte ich meiner Erinnerung ein paar filmisch-dramatische Nuancen hinzu, wären beim Auszug aus der Kirche alle Augen entsetzt auf mich gerichtet – oder schlimmer noch: Die Blicke hätten sich von mir abgewandt, als klar wurde, mehr kommt nicht vom Wirt, als dieser eine Satz. Die Geigen und Flöten würden von der Empore herab besonders schrill und schief klingen, statt Oh du fröhliche! das Lied vom Tod spielen. In Zeitlupe wäre ich, den Kopf zu Boden gesenkt und die Schamesröte im Gesicht, durch den Mittelgang aus der Kirche entflohen. Welch ein erbärmliches Ende meiner hoffnungsvollen Schauspielkarriere!

Vom gefeierten zum gefallenen Helden. Das Leben, ein Kinderkrippenspiel: Triumph und Tränen, Freud und Leid – wie nah liegt das beisammen!

Und dann geschah das Unfassbare: Das Leben ging weiter! Doch nicht nur das! Meine subjektiv empfundene größtmögliche Niederlage fiel in Anbetracht des Weihnachtstrubels kaum ins Gewicht. Am Ende des Gottesdienstes durfte sich jeder noch eines der Geschenke-Päckchen mit Süßigkeiten abholen, die unter dem riesigen Weihnachtsbaum gestapelt waren. Auch ich. Aus langjähriger Erfahrung wusste ich, dass eine Packung „Manner-Waffeln“ standardmäßig mitverpackt war. Ein zusätzlicher Anreiz, mich für mein Päckchen anzustellen. Zu Hause gab es ein herrliches Festmahl und auch die Bescherung fiel nicht weniger üppig aus als sonst. Wie konnte das sein? Ich hatte im Vergleich zu den Vorjahren viel weniger geleistet. Ich hatte einen einzigen unbedeutenden Satz zum Krippenspiel beigetragen, hatte weder als Josef, noch als Erzähler brilliert, nicht mit Worten gespielt, mit Mimik geglänzt, mit Charme gepunktet, mit Witz beeindruckt. Ich war an diesem Abend kein Held – und wurde doch beschenkt.

Das Leben, ein Kinderkrippenspiel. Darum geht’s: Sich beschenken zu lassen. Unverdient und ohne Gegenleistung. Ein Kind kommt auf die Welt und macht uns inmitten allen Versagens und aller Enttäuschung das größte Geschenk: Versöhnung mit ganz oben. Frieden. Statt vergänglichem Ruhm ewiges Leben.

Ich habe in den vielen Jahren seit dem enttäuschenden Ende meiner Kinderkrippenspielkarriere weiß Gott nicht häufig die Heldenrolle gespielt. Doch Geschenke gab’s zu Weihnachten noch jedes Jahr. Von allen aber bleibt am Ende nur das eine: Der Grund, warum wir Weihnachten feiern. Ob mit oder ohne Kinderkrippenspiel.

KLAUS-ANDRÉ EICKHOFF

P. S.: Für mein Kabarettprogramm „Ach, du fröhliche!“, mit dem ich zur Adventszeit auf Tour bin, habe ich das Lied Kinderkrippenspiel geschrieben. In dieser Geschichte habe ich es nach- und auserzählt. In Reimform liest es sich wie folgt (zu hören und sehen ist es auf meiner Homepage www.ka-eickhoff.net):

Kinderkrippenspiel

Nicht der 3. Zwerg von rechts, nicht der 4. Baum von links,

die erste Rolle, die ich spielte, war allerdings

sehr viel tragender als etwa nur in Reihe zwei von rechts im Engelschor der Vierte:

Meine Krippenspielkarriere begann als 2. Hirte.

Ich war überaus erfolgreich, bald berüchtigt und bekannt.

Ich spielte die Hirtenkollegen 1 und 3 an die Wand.

Und selbst Josef mit der herzzerreißend rührenden Maria wirkte eher blass und zahm.

Sodass ich schon im nächsten Jahr seine Rolle bekam.

Und ich glänzte auch als Josef und erntete Applaus

und stach ganz nebenbei all meine Nebenbuhler aus.

Das Ganze hatte nur den Haken, dass Maria nicht Anita war, wie noch im Jahr zuvor.

Tapfer stützte ich Brunhilde und kam mir etwas komisch vor.

Und wie ich heute weiß, das ganze Leben steckt, da sag‘ ich nicht zu viel

– Rollenfindung und Applaus und ein komisches Gefühl –

in einem Kinderkrippenspiel.

Ich krönte meine Laufbahn im Jahr darauf höchst triumphal

mit der Rolle meines Lebens, dem Erzähler, der Tür zum Stall.

„Ich bin die Tür zum Stall, ich rufe euch Menschen all,

still anzuhören und zu seh‘n, was hier im Stalle ist gescheh‘n.“

Da plötzlich stolperte ein Engel und flog krachend, ungebremst, den Kopf voran, voll in die Krippe

und stahl mir fast die Show mit seiner dicken Lippe.

Im nächsten Jahr kam ich zu spät, fast alle Rollen standen schon fest.

Schließlich spielte ich den Wirt, natürlich nur unter Protest.

Denn wie hat mich, dass der Wirt im ganzen Stück nur einen Satz zu sprechen hatte, aufgeregt!

Am Ende nur vier Worte: „Alle Betten sind belegt.“

Und wie ich heute weiß, das ganze Leben steckt, da sag‘ ich nicht zu viel,

– Höhenflug und tiefer Fall, Konkurrenz im eignen Stall –

in einem Kinderkrippenspiel.

Kommst du zu spät, bestraft dich eben das Leben – wie in einem Kinderkrippenspiel.

Ein kurzer Satz, ein schneller Abgang, im Kirchenraum betretenes Schweigen.

Von der Empore obendrein nur schiefe Flöten, schräge Geigen.

Doch hab ich nicht bei der Bescherung – auch wenn an dieser Erkenntnis kitschig das Lametta hängt –

irgendwie unbewusst begriffen: Du wirst nicht nur als Held beschenkt!

Und wie ich heute weiß, das ganze Leben steckt, da sag‘ ich nicht zu viel,

– Höhenflug und tiefer Fall, Hirt und Wirt und Tür zum Stall –

in einem Kinderkrippenspiel.

Und wie ich heute weiß, das ganze Leben steckt, da sag‘ ich nicht zu viel,

– Triumph und Tränen, Freud und Leid, manche Erkenntnis,

die befreit –

in einem Kinderkrippenspiel.

P. P. S.: Letzte Anmerkungen seien mir erlaubt, um Ärger mit real existierenden Personen vorzubeugen. Folgende künstlerische Freiheit habe ich mir genommen: Es gab keine Brunhilde und leider auch keinen Engel mit dicker Lippe. Schade eigentlich. Aber der Rest entspricht den Tatsachen: Der zweite Hirte, das genuschelte „Seht ihr nicht den Stern dort stehen!“, die Rolle als Josef; Maria wurde tatsächlich von Anita gespielt; die Tür zum Stall als Höhepunkt und der Wirt als Rausschmeißer.

Weihnachtswundernacht 4

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