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Almut Fehrmann

Wann ist Weihnachten?

Es war die Zeit, in der es Mode war, im Überfluss zu leben. Die Menschen hatten viel mehr, als sie brauchten und trotzdem gelang es mit ausgeklügelter Werbung, immer wieder Bedürfnisse zu wecken, die die Leute noch gar nicht an sich entdeckt hatten. Sie kauften, was sie sich zuvor nicht einmal gewünscht hatten. Wie waren sie enttäuscht, als sie bemerkten, dass sie sich damit nur sehr kurze, vergängliche Glücksmomente ergatterten. Sie jagten weiter nach dem Glück. Wandten sogar viel Geld und Energie dafür auf.

In dieser Zeit lebte eine kleine Familie im wunderschönen Sachsenland – Mama, Papa und Kind Peppolino. Die Erwachsenen gehörten dem Menschenschlag an, der täglich einer bezahlten Beschäftigung nachging. Einmal im Jahr aber zog es sie in ein Faulenzerhotel, wo sie nicht einkaufen, Essen kochen und Betten beziehen mussten. Sie wollten ihre Arbeitskraft reproduzieren und dem vierjährigen Sohn ein neues Stück der herrlichen Welt zeigen. So geschah es, dass Mama, Papa und Kind nach Rothenburg ob der Tauber gelangt waren und beim Spazierengehen durch die alte Stadt den Weihnachtsladen von Käthe Wohlfahrt in der Herrngasse 1 entdeckten. Schon an der Tür vernahmen sie Weihnachtsmusik. In mehreren Räumen glitzerte und strahlte es. Über und über geschmückte künstliche Tannen, Schwibbögen, Räuchermänner, Pyramiden, Spieldosen, Kitsch aus Asien und echte Volkskunst. Neugierige aller Augenfarben drängelten sich von Raum zu Raum und fotografierten wie besessen.

„Mama, ist jetzt Weihnachten?“, fragte Peppolino ganz aufgeregt. „Nein, mein Sohn, das ist immer hier, zum Ansehen und Kaufen, Kommerz, weißt du.“ „Was ist Kommerz, Mama?“ „Das erkläre ich dir später.“

Nach dem Urlaub war Mama froh darüber, dass der Junge über dem Alltag seine Frage vergessen hatte und nahm ihn gelegentlich zum Einkaufen mit. Wieder kam der Kleine ins Staunen. Bärtige Plaste-Männer mit roten Mützen, Engel, Nussknacker, Lebkuchen und Stollen. „Mama, aber jetzt ist Weihnachten!“, frohlockte er. „Noch nicht, mein Sohn, du kannst aber schon deinen Wunschzettel für den Weihnachtsmann malen.“ „Ich weiß schon, was da drauf kommt.“ „So, was denn?“ „Geheimnis, Mama!“

„Ach“, seufzte die Mutter, „bis dahin ist noch lange Zeit, es ist ja erst September.“

Drei Wochen später saß die Familie beim Abendbrot. Papa war pünktlich von der Dienstreise zurück. „Stellt euch vor“, sagte er, „bei Radio PSR verschenken sie Weihnachtsgeld – im Oktober.“ „Wie, Weihnachtsgeld?“, lachte Mama. „Du kannst per E-Mail an den Sender schreiben, dir einen Geldbetrag wünschen und hinzufügen, was du dafür kaufen willst.“ „Und dann gehen wir ins Puppentheater!“, freute sich Peppolino. „Ach, wir haben sowieso kein Glück“, maulte Mama und die Stimmung war verdorben.

Die Zeit verging, es wurde November.

„Weihnachtsbäume aus Dänemark, ganze LKWs voll habe ich auf der Autobahn gesehen. Sobald der Verkauf beginnt, holen wir uns einen, da kann man ihn noch aussuchen“, riet Papa.

Gute Idee, stimmte Mama zu. „Kugeln und Kerzen dran und dann ist Weihnachten!“, jubelte das Kind.

„Erst ist Martinstag, da gibt es eine leckere Gans“, belehrte ihn Mama. „Oh, fein, Weihnachtsgans Auguste!“ Mama hatte keine Zeit, Peppolino den Unterschied zwischen einer Martins- und Weihnachtsgans zu erklären und kramte schon mal den ganzen Reichtum vom Boden herunter, der das Wohnzimmer jedes Jahr in eine festliche Stube verwandelte.

Pünktlich am ersten Advent stand alles an gewohnter Stelle und wartete auf Staub. „Ist das nicht schön“, schwärmte die Hausfrau. „Ja, liebe Frau. Gut, dass wir uns rechtzeitig um den Baum gekümmert haben, sonst hätten wir kein so schön gleichmäßig und gerade gewachsenes Exemplar.“ „Wollen wir ihn nicht jetzt schon aufstellen, dann haben wir viel länger etwas davon?“ Papa war einverstanden. Er holte den Baum vom Balkon, Mama und Kind schmückten das Prachtstück und legten die Lieblingsplatte auf mit den erzgebirgischen Liedern zur Weihnacht. … doch in Herzen lacht’s und jubelt’s, ja de Weihnachtszeit is do …

„Hörste, Mama, jetzt isse da, die Weihnachtszeit.“

„Adventszeit, mein Kind, die Adventszeit ist da. Das ist die Vorweihnachtszeit, jetzt werden Plätzchen gebacken. Wollen wir gleich anfangen?“ „Au, fein!“ Wie freute sich Peppolino beim Ausrollen und Ausstechen und beim Hineinschieben in den heißen Ofen, Blech für Blech. „Hm, die riechen gut, Mama, darf ich kosten?“ „Ja, Peppolino, wer so fleißig war wie du, der darf kosten.“ Sie kosteten auch am zweiten Advent und zwischendurch ein bisschen, auch Papa durfte probieren.

Am dritten Advent waren alle Keksbüchsen leer. „Ich kann jetzt nicht noch einmal backen, weil jetzt die Wohnung saubergemacht, Fenster geputzt und Wäsche gewaschen werden muss. An den Feiertagen soll alles glänzen.“

„Sehr wohl“, betonte Papa lachend, „die Geschenke müssen auch noch besorgt und eingepackt werden.“

„Den Stollen kaufen wir wieder beim Bäcker, der war doch prima voriges Jahr!“

Mama wirkte ziemlich nervös. „Immer die Tannennadeln beim Staubsaugen. Die Nussknacker fallen um, ich habe das Zeug langsam satt.“ „Wir räumen es weg, so einfach ist das“, bestimmte Papa.

Es war bereits vierter Advent, Baum und Zimmerschmuck hatten ihre Schuldigkeit getan und den Reiz verloren. Peppolino kam mit glänzenden Augen ins aufgeräumte Wohnzimmer und schob ein großes Auto mit Augen als Scheinwerfer den Fußboden entlang. „Das habe ich auf meinen Wunschzettel gemalt und jetzt ist es schon da. Ist jetzt Weihnachten?“ „Woher hast du das?“, rief Mama entsetzt. „Das war hinter dem Vorhang im Schlafzimmer, mit ganz schönem Papier und roter Schleife.“ „Das hast du davon, wenn du immer alles so zeitig machst!“, lästerte Papa und schob einen Dominostein in den Mund. „Da ist halt jetzt Weihnachten. Wir haben uns sowieso verausgabt und können nicht einmal eine Gans kaufen.“ „Sei nicht traurig, Frau, der Junge hat seine Freude. Oma und Opa sind während der Feiertage in Paris, deine Geschwister im Schwarzwald und mein Bruder hat Dienst. Wir wären sowieso unter uns.“

So geschah es, dass Mama und Papa am Heiligabend gemütlich im Wohnzimmer saßen, ohne Tannenbaum und Räuchermännchen, aber mit Kerzenduft und Wärme aus dem Kamin. Peppolino spielte summend auf dem Teppich mit seinem neuen Lightning-McQueen-Auto. Im Fernsehen wurde das Weihnachtsoratorium aus der Leipziger Thomaskirche übertragen. Jauchzet, frohlocket, erschallet Trompeten … Die Glocken der Dorfkirche läuteten leise den Abend ein. Mama und Papa sagten fast gleichzeitig: „Spürst du es, Söhnchen, jetzt ist Weihnachten.“

Winter – Weihnacht – Wunderbares

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