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2. Der christliche Gott als „Deus ludens“ a) „Deus ludens trinitas“
ОглавлениеViele Kirchenväter haben Spr 8 als alttestamentlichen Hinweis auf die immanente Trinität gedeutet, als Indiz dafür, dass Gott von Ewigkeit her nicht eine undifferenzierte Einheit, sondern Beziehung ist.18 In ihrer allegorischen, christologischen Exegese haben sie die Stelle auf Jesus Christus hin gedeutet.19 Die alttestamentliche Weisheit ist demnach eine Allegorie, ist ein Typos bzw. Vorausbild Christi. Christus, der ewige Logos Gottes, ist identisch mit der ewigen Weisheit des Alten Testaments, die vor Gott dem Vater spielt resp. tanzt. Diese Identifikation findet sich bereits im Neuen Testaments, implizit in der engen Assoziierung Jesu mit der Weisheit Gottes (vgl. Mk 6,2par; Lk 2,40.52), explizit bei Paulus (1 Kor 1,24). Einen eminenten plastischen Beleg dieser Identifikation stellt die Hagia Sophia dar, Justinians gewaltige Hauptkirche der östlichen Christenheit aus dem 6. Jh., die nicht einem abstrakten Prinzip Weisheit geweiht ist, sondern eben Christus als der Weisheit Gottes. Ein zweiter Beleg ist ein klassischer Marientitel, dem ein fester ikonographischer Typos entspricht: Maria als sedes sapientiae, als Sitz/Stätte/Thron des Weisheit-Christus – dargestellt z. B. im Apsismosaik der Hagia Sophia. Ein letzter Verweis auf die lex orandi: Der Weisheit-Christus findet sich in der westlichen Liturgie etwa in der ersten adventlichen O-Antiphon.20
Zahlreiche Väter und Theologen der patristischen Zeit haben sich mit der Stelle beschäftigt,21 was wohl daran liegt, dass das Alte Testament bekanntlich nicht sonderlich reich an vestigia trinitatis, an spurhaften Hinweisen auf die Trinität, ist, die ja erst mit der neutestamentlichen Offenbarung klar in Erscheinung tritt. Als solche Spuren werden in Tradition und systematischer Theologie in aller Regel neben der hypostasierten bzw. gar personifizierten Weisheit Stellen über den hypostasierten Geist, die Gegenwart/Anwesenheit () sowie das Wort Gottes herangezogen. Andere Versuche greifen den häufigen Majestätsplural YHWHs, das dreimalige „heilig“ der Seraphim (Jes 6,3) oder die vermeintlichen göttlichen Dialoge in den Psalmen auf (die sogenannte prosopologische Exegese, die beispielsweise den Vers „Spricht der Herr zu meinem Herrn“ [Ps 110,1] auf unterschiedliche trinitarische Personen aufteilt). Am häufigsten schließlich findet sich der Verweis auf Gen 18, die Perikope der Eichen von Mamre mit den drei Engeln, die Abraham doch im Singular als „Herr“ ( Gen 18,3) anspricht.
Spr 8,22–31 nun nimmt in diesen apologetischen Bemühungen einen zentralen Platz ein und wird nicht zufällig zu einer Zentralperikope in den arianischen Streitigkeiten um die wahre Göttlichkeit Jesu Christi. Dies liegt freilich vor allem daran, dass es in der Passage von der (unisono auf beiden Seiten!) mit Jesus Christus identifizierten Weisheit nicht nur heißt, dass sie am Anfang, im Ursprung, vor den Werken etc. bei Gott gewesen sei, sondern dass dieser sie „geschaffen“ ( Spr 8,22) habe. Sofern das hier verwendete schillernde hebräische Verb tatsächlich mit „schaffen“ übersetzt wird (mögliche Alternativen wären – der nizänischen Orthodoxie natürlich eher gelegen – „erzeugen, gebären“ oder „für sich behalten“ bzw. „erwerben“),22 entspricht der Vers in geradezu kongenialer Weise der „Christologie“ des Arius:
„Gott, die Ursache aller Dinge, ist beim Empfangen wahrlich ohne Anfang und völlig allein, der Sohn aber, zeitlos vom Vater gezeugt und vor den Äonen geschaffen [!] und gegründet, war nicht, bevor er geschaffen wurde.“23
Jesus Christus ist für Arius das höchste Geschöpf, das gemeinsam mit dem Geist in besonderer Gottesnähe steht und auch schöpfungsmittlerische Funktionen wahrnimmt, das aber eben nicht Gott, sondern geschaffen ist, was sich wesentlich in seiner Zeitlichkeit zeigt – sei es, dass vor ihm eine innergöttliche Zeit existiert, sei es, dass mit ihm die Zeit des Äons/Kosmos entsteht. So schreibt Basilius der Große mitten in den arianischen Wirren:
„Die [Arianer; M. L.] aber flüchten sich in den Text Salomos und von dort aus, wie aus einem befestigten Lager, greifen sie den Glauben an. Deswegen nämlich, weil über die Person der Weisheit gesagt wird, ,Der Herr hat mich erschaffen []‘, schlussfolgern sie, sich erlauben zu können, den Herrn ein Geschöpf zu nennen.“24
Die vornizänische und nizänische Orthodoxie behilft sich hier unterschiedlich – will sie doch die Identifikation der Weisheit mit Christus nicht opfern: Mal wird auf die allgemeine Dunkelheit des Alten Testaments verwiesen, dann auf die genannte Mehrdeutigkeit von , mal wird der Abschnitt auf die Inkarnation hin gedeutet – was ihm freilich die Pointe nimmt, sich auf die immanente Trinität zu beziehen. Nach Überwindung des Arianismus entschärft sich das Problem um , und etwa der Kirchenschriftsteller Salonius kann die Stelle im fünften Jahrhundert scheinbar unproblematisch auf den ewigen Logos hin deuten:
„Was [der Text] sagt, spielend, muss verstanden werden als sich freuend. Er spielte alle Tage, das heißt, er freute sich, eins zu sein; d. h. einer Substanz mit dem Vater, von Anfang an, seit den Tagen der Ewigkeit. [Veranus:] Wie aber spielte er allezeit auf dem Erdkreis? [Salonius:] Weil er auch als die Zeit des Erdkreises und der Kreaturen anbrach, selbst als Sohn sich freute, weil er das, was er war, allezeit im Vater blieb.“25
Ähnlich emphatische christologische Deutungen der Stelle finden sich später bei Beda Venerabilis, Hrabanus Maurus und in den „Glossa Ordinaria“.26 Die Weisheit bzw. der Sohn, die zweite Person Gottes, „spielt“ vor Gott dem Vater seit Ewigkeit her und in Ewigkeit hin. Was aber heißt das? Welche Implikationen des Spielbegriffs lassen sich auf das Leben der Dreifaltigkeit in sich, also auf die immanente Trinität, übertragen?
Zunächst einmal und vor allem der Gedanke, dass das Spiel in aller Regel ein Beziehungsgeschehen mit fester Rollenverteilung ist. Das Spiel ist insofern ein treffendes Modell gerade für das Proprium des christlichen Gottesbildes, das Gott ja als dreifaltige Beziehung, als ewiges Beziehungsgeschehen deutet. Die drei Pole innerhalb dieses Geschehens – Vater, Sohn und Geist – werden im Laufe der Theologiegeschichte meist mit dem Begriff „Person“ bezeichnet. Aber Vorsicht: Alle theologischen Begriffe sind bloß analog, sind menschliche Hilfsmittel und Annäherungen an das Geheimnis Gottes und immer in der Gefahr, es zu verfehlen. So ist gerade der Personbegriff27 aufgrund seiner weiteren Entwicklung in der Neuzeit (Stichworte: völlige Selbstbestimmung, Autarkie, Autonomie) hoch problematisch in der Trinitätstheologie.28 Ursprünglich drückte dieser Begriff, der vermutlich aus der Theatersprache stammt (auch wenn die direkte etymologische Herleitung von oder per-sonare mittlerweile als unwahrscheinlich gilt), nämlich genau das Gegenteil aus: nicht den Selbststand, sondern die Beziehungshaftigkeit, das Bezogensein der Person; in der Sprache der heutigen Theatertheorie oder eben des Spiels: die Rolle, welche die Person den anderen Rollen bzw. Charakteren gegenüber einnimmt. Wohl aus diesem Grund wird der Personbegriff theologiegeschichtlich dann auch präzisiert durch jenen der Relation: Vater, Sohn und Geist sind wesentlich relationes, d. h. spezifische Beziehungen zueinander. So schreibt das Unionskonzil von Florenz bekanntlich, dass die göttlichen Personen in allem eins und identisch seien, mit Ausnahme ihrer jeweils spezifischen Beziehung zueinander.29 Man könnte – um im „Spielvokabular“ zu bleiben – also davon sprechen, dass die göttlichen Personen wesentlich Rollen sind, und ihre Aufgabe darin haben, im immanenttrinitarischen Spiel eine spezifische Funktion/Stellung den beiden anderen Personen gegenüber innezuhaben. Allerdings ist gleich wieder einem neuen Missverständnis vorzubeugen: Diese Rollen sind nicht beliebig, akzidentell oder austauschbar (wie im menschlichen Spiel), sondern machen das eigentliche Wesen der jeweiligen göttlichen Person notwendig und ewig aus: Der Vater „spielt“ (oder besser: ist) immer die „Rolle“ des Vaters, niemals aber jene des Sohnes, der Geist niemals jene des Vaters usw. Thomas von Aquin spricht daher davon, dass jede göttliche Person eine relatio subsistens sei30 – Existenz als (je spezifische) Beziehung. Die „Proprietät“, der Eigenstand oder Besitz der innertrinitarischen Personen, besteht also allein in ihrer jeweiligen (Ursprungs-)Relation zu den beiden anderen Personen.31
Man könnte also das, was in der klassischen Theologie Perichorese oder Circumincession genannt worden ist, das ewige Geschehen der innigen gegenseitigen Durchdringung der drei göttlichen Personen, auch als Spiel bezeichnen.32 Ein Spiel, das wie jedes Spiel – und zwar nun in höchstem Maße – selbstgenügsam und frei von vordergründigen Zwecken bzw. Spiel als Selbstzweck ist. Ein Spiel voller Freude und Harmonie, von unendlicher Kreativität, völliger Zustimmung zueinander und auch von vollkommener Hingabe: Wie eben mit dem „Florentinum“ formuliert, gehen die Personen ganz in ihren Rollen auf, wollen nichts anderes sein bzw. sind de facto nichts anderes als die je eigene Beziehung zu den beiden anderen. Der mit dem Spielbegriff konnotierte Aspekt der Zerstreuung und Erholung lässt sich nur schwer auf Gott übertragen, er könnte aber dennoch die Leichtigkeit und Unbeschwertheit dieses immanenttrinitarischen Spielprozesses hervorheben, der sich in kritik- und distanzloser Unmittelbarkeit vollzieht.
Wie lässt sich diese Vorstellung eines in ewiger Selbstgenügsamkeit spielenden Gottes nun aber mit dem Gedanken der Schöpfung verbinden? Wieso ist Gott gerade auch als Schöpfer spielender Gott, wie es ja schon der religions-geschichtliche Urmythos implizierte? Inwiefern lässt sich der Schöpfungsakt als ein spielerisches Beziehungsgeschehen mit den oben umrissenen Attributen verstehen?