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Verse ohne Worte – oder Lautgedichte
Оглавление„gadji beri bimba
glandridi lauli lonni cadori
gadjama bim beri glassala
glandridi glassala tuffm i zimbrabim
blassa galassala tuffm i zumbrabim (…)“.34
„Ich habe eine neue Gattung von Versen erfunden“35, schreibt Ball nach der Aufführung im Zürcher Cabaret Voltaire in sein Tagebuch, „(…) ‚Verse ohne Worte‘ oder Lautgedichte, in denen das Balancement der Vokale nur nach dem Werte der Ansatzreihe erwogen und ausgeteilt wird. Die ersten dieser vier Verse habe ich heute Abend vorgelesen.“36 In seinem Tagebuch Die Flucht aus der Zeit beschreibt Ball die Inszenierung des Lautgedichts auf der Bühne und wie es ihm dabei ergangen ist.37 Er konstruiert sich für die Aufführung des Lautgedichts eigens ein obeliskenförmiges, blauglänzendes Kostüm aus Karton.38 Besondere Erwähnung findet in seiner Beschreibung der riesige, innen scharlachfarbene und außen golden beklebte Kragen aus Pappe, den er mit den Ellbogen flügelartig bewegen kann. Auf dem Kopf trägt er einen gestreiften Schamanenhut. Da sich Ball in seinem Kostüm nicht fortbewegen kann, wird er im verdunkelten Raum auf die Bühne getragen. Dort wendet er sich zuerst mit einigen „programmatischen Worten“39 an das Publikum. Auf drei Notenständern liegen die Manuskripte Gadj beri bimba, Zug der Elefanten und Wolken. Langsam und feierlich beginnt Ball das Lautgedicht zu sprechen. „Die Akzente wurden schwerer, der Ausdruck steigerte sich in der Verschärfung der Konsonanten. Ich merkte sehr bald, dass meine Ausdrucksmittel, wenn ich ernst bleiben wollte (und das wollte ich um jeden Preis) dem Pomp meiner Inszenierung nicht würden gewachsen sein (…). Ich hatte jetzt rechts am Notenständer ‚Labadas Gesang an die Wolken‘ und links die ‚Elefantenkarawane‘ absolviert und wandte mich wieder zur mittleren Staffelei, fleißig mit den Flügeln schlagend. Die schweren Vokalreihen und der schleppende Rhythmus der Elefanten hatten mir eben noch eine letzte Steigerung erlaubt. Wie sollte ich’s aber zu Ende führen? Da bemerkte ich, dass meine Stimme, der kein anderer Weg mehr blieb, die uralte Kadenz der priesterlichen Lamentation annahm, jenen Stil des Messgesangs, wie er durch die katholischen Kirchen des Morgen- und Abendlandes wehklagt. Ich weiß nicht, was mir diese Musik eingab (…) Einen Moment lang schien mir, als tauche in meiner kubistischen Maske ein bleiches, verstörtes Jungengesicht auf, jenes halb erschrockene, halb neugierige Gesicht eines zehnjährigen Knaben, der in den Totenmessen und Hochämtern seiner Heimatpfarrei zitternd und gierig am Munde des Priesters hängt. Da erlosch, wie ich es bestellt hatte, das elektrische Licht, und ich wurde vom Podium herab schweißbedeckt als ein magischer Bischof in die Versenkung getragen.“40
Wenige Monate später, am 8. Oktober 1916, während der Abendandacht im Tessiner Dorf Vira denkt Ball erneut über die Aufführung nach und schreibt dazu: „Mein Bischofskostüm und mein lamentabler Ausbruch bei der letzten Soiree beschäftigen mich. Der Voltairesche Rahmen, in dem das stattfand, war dafür wenig geeignet und mein Inneres nicht darauf vorbereitet. Das Memento mori der katholischen Kirche gewinnt in dieser Zeit eine neue Bedeutung. Der Tod ist die Antithese des irdischen Wirrwarrs und Plunders. Das steckt einem tiefer, als man weiß.“41
Dass Balls Reinigung der Sprache durch die Zerstörung der Semantik religiös durchdrungen ist, zeigt sich in der Darstellung als kubistischer Bischof und in der priesterlichen Lamentation.
Fotografie von Hugo Ball als kubistischem Bischof, möglicherweise aufgenommen von Sophie Täuber-Arp; zur Verfügung gestellt von der Hugo-Ball-Sammlung, Pirmasens.