Читать книгу Geist und Leben 3/2015 - Группа авторов - Страница 16
Offenbarung Gottes in der Sprache
ОглавлениеIst die Semantik der alten verschmutzten Sprache nun zerstört, öffnet sich Ball in einer dritten Phase eine neue geläuterte Sprache, die sich zunächst in Stummheit äußert. Das Schweigen und die Stille entdeckt Hugo Ball, während rundum die Kanonen des Ersten Weltkriegs dröhnen und verwundete Soldaten schreien. Mit dieser akustischen Antithese zum Krieg wendet er sich einer spirituellen Innerlichkeit zu, dem Dichter entsprechend auf der sprachlichen Ebene. „Die Sprache Gottes bedarf nicht der menschlichen Sprache, um sich verständlich zu machen. Unsere vielgepriesene Seelenkunde reicht nicht hierhin. Eher noch die versunkene ächzende Stummheit der Fische. Die Sprache Gottes hat Zeit, viel Zeit, und Ruhe, viel Ruhe (…) Ihre Vokabeln sind über Laut und Schrift. Ihre Lettern zucken in jenen Kurven des Schicksals, die plötzlich mit einer Lichtflut durch unser Bewusstsein schneiden.“42 Die göttliche Sprache unterscheidet sich von der menschlichen wesentlich. Sie gleicht eher der „Stummheit der Fische“ und findet in einer anderen Zeitdimension statt. Trotz dieser Andersartigkeit kann sie unvermittelt ins Leben eindringen und das Bewusstsein erhellen. Dieses Einschneiden der göttlichen Sprache in das menschliche Bewusstsein hat nicht etwa Glückseligkeit zur Folge, sondern Leiden: „Die Sprache ist die Substanz im Menschenbereich, und zwar die Sprache Gottes (…) Das Göttliche Wort ist ein Ergreifen im Innersten. Eine Bewegung zu Gott hin, ein Erleiden Gottes ist die Folge. Wer am meisten erleidet, wird am meisten ergriffen sein. Je tiefer wir den Ruf vernehmen, desto tiefer leiden wir.“43 In diesem Erleiden findet Ball aus dem Schweigen zur Sprache zurück. Diese ist freilich nicht mehr dieselbe wie vor der Flucht nach Zürich, sondern die von ihm ersehnte geläuterte Sprache. Und diese Sprache führt ihn zuerst zum Gebet. „Mehr und mehr beginne ich zu begreifen, dass das Gebetbuch meine eigenste Sache in wenigen Sätzen enthält (…), dass man zur Kirche erst dann wahrhaft gehört, wenn man dieses Buch liest, als habe man es selbst geschrieben (…) Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, und vielleicht vermag ihn kein Einzelner niemals zurückzulegen. Es ist gewiss so.“44 Aber er findet auch wieder zu einer Sprache als Dichter. „Das Zeichen des Christentums ist das Kreuz und sein Wesen der Gott-Mensch. Haben wir eine gekreuzigte Dichtung? Eine Dichtung, die aus dem göttlichen und dem menschlichen Leide zugleich geboren wird? Dichtung und Kreuz! Empfindet unsere Zeit hierbei nicht einen peinlichen Widerspruch?“45
Die christliche Dichtung als Widerspruch zum Militarismus seiner Zeit führt Ball schließlich zur monastischen Spiritualität als Gegenprogramm zum tobenden Ungeist seiner Zeit. Anstelle des kubistischen Bischofs nimmt nun der Säulenheilige Simeon der Stylit diesen Gegenpart ein. Im Byzantinischen Christentum kommt Ball denn auch auf die Wortalchimie der Dada-Zeit zurück.46 Diese wertet er nun als Bestandteil seines Lebensweges hin zu den Kirchenvätern und zur Liturgie. „Manch einer hat sich durch Wünsche und Träume, durch die Magie des Wortes derart in den Schwur verstrickt, dass er sich unbewusst für den Rest seines Daseins zu einem sakramentalen Leben verpflichtete, wenn er nicht als Verräter am eigenen Geist wollte erfunden werden.“47 Verstrickten sich die Dadaisten in ein Sprachspiel, so sieht Ball nun Simeon den Styliten in die göttliche Sprache verstrickt, Johannes Klimakos in die heiligen Zeichen versenkt.