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Schwule Katholiken

»Wem haben Sie davon erzählt, dass Sie heute hier sind?« Der Pater schaute in die Runde. Schweigen. Etwa 25 bis 30 erwachsene Berliner saßen bei ihm, aber keiner brachte ein Wort hervor.

Ich war Teil dieser plötzlich erstaunlich stillen Runde und dachte, was wohl alle dachten: Gott sei Dank weiß das kaum jemand.

Eine Großstadt, so wie ich sie sehe, besteht aus verschiedenen Milieus, aber ich kenne keines, in dem man auf Verständnis hoffen kann, wenn man sich dazu bekennt, Katholik werden zu wollen. Ob in meiner Familie, unter meinen Freunden oder bei meinen Arbeitskollegen, ob unter den Fußball-Fans, Anglern oder Literaturliebhabern, mit denen ich meine Freizeit verbringe – eine solche Lebensentscheidung kommt in dem Erfahrungshorizont meiner Mitmenschen nicht vor.

Der Pater wiederholte seine Frage: »Wer weiß davon, dass Sie heute hier sind?«

In meinem Berliner Umfeld wäre es schon abwegig, sich zur CDU zu bekennen – aber zum Katholizismus? Das würden die Menschen, die ich in dieser Stadt kenne, für einen Scherz halten. Katholizismus? Man hört immer das Gleiche. Erst kommen die Missbrauchsfälle. Dann die Kollaboration mit dem Nazi-Regime. Als Nächstes die Inquisition. Schließlich die Kreuzzüge. Habe ich jemals in Berlin einen Nicht-Katholiken etwas Positives über die katholische Kirche sagen hören? Nie.

Katholisch werden? Auf einen gewissen sozialen Druck sollte man vorbereitet sein, wenn man sich so entscheidet. Er kann etwas Unangenehmes erzeugen: Schamgefühl. Als ich gebeten wurde, ein paar Zeilen für dieses Buch zu schreiben, war mein erster Gedanke: Muss ich das unter meinem richtigen Namen tun? Katholisch sein? Es bedingt einen Perspektivwechsel. Zum ersten Mal gehöre ich einer vom Berliner Mainstream entkoppelten Minderheit an – und die Erfahrung ist geradezu klassisch. Man sieht sich Vorurteilen ausgesetzt. Denn insbesondere die katholische Welt in Berlin – und nur über die kann ich reden – ist ganz anders, als Nicht-Katholiken sie sich vorstellen.

Im Konversionskurs fragte der Pater später: »Was sind Ihre Motive für einen Eintritt in die katholische Kirche?« Ein Mann antwortete: »Ich bin schon katholisch und nur hier, um meinen Partner zu begleiten, der sich noch schwertut mit dieser Entscheidung.« Dann zeigte er auf den Kursteilnehmer neben sich – einen Mann. Das war der Moment, wo ich dachte, gleich zu wissen, ob ich hier richtig oder vielleicht doch falsch bin. Aber in den sieben Kurstreffen, der Firmung selbst und den anschließend noch privat verabredeten Runden verlor niemand auch nur ein Wort über dieses Pärchen, das etwas in sich vereint, was niemand von den Berlinern, die ich kenne, zusammenbringen würde: Homosexualität und Katholizismus. Dabei gibt es dafür eine einfache Erklärung: Berliner Katholiken sind ein Abbild der Stadt, was auch sonst?

Später erfuhr ich, dass die beiden eine Wohnung in Cottbus haben und dort regelmäßig eine katholische Gemeinde besuchen. Offen schwul und offen katholisch in Cottbus? Aber da sind wir jetzt bei meinen Vorurteilen. Deswegen werde ich irgendwann hinfahren und mir das anschauen. Das ist immer besser, als sich der eigenen Vorstellungswelt zu ergeben.

Ich staune immer noch selbst, dass ich jetzt katholisch bin, weil ich – mich eingeschlossen – niemanden kenne, der das jemals für möglich gehalten hätte.

Stefan Suchalla, Dokumentarfilmer und Redaktionsleiter, konvertiert mit 47 Jahren

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