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3. Ruhm und Status (1Sam 18,6–9)

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Im Abschnitt 18,6–9 wird nun eingangs der Auftritt der singenden Frauen Israels beschrieben. Die Beschreibung hat Ähnlichkeiten mit anderen Darstellungen im Alten Testament, bei denen Frauen ebenso in festlicher Form agieren: tanzend, mit Handtrommeln (vgl. 1Sam 18,6 ) und teilweise singend;54 etwa Mirjam und alle Frauen (Ex 15,20–21), Jiftachs Tochter (Ri 11,34), die Töchter von Schilo (Ri 21), Judit und die Frauen Israels (Jdt 15,12–14 und 16) sowie die metaphorische Frauengestalt „Jungfrau Israel“ (Jer 31,4). Das Motiv erfährt in den jeweiligen Texten und Kontexten unterschiedliche Ausformungen und Einbindungen. Das Motiv hat aber eine gewisse Nähe zum Themenkomplex Gewalt, sei es unter dem Aspekt einer Gewaltüberwindung oder unter dem Aspekt eines Dranges zur Gewaltausübung.

In 18,6 fällt auf, wer sich alles im Szenario bewegt und dabei anscheinend zusammentrifft: In der Temporalangabe kommt eine nicht näher identifizierte Gruppe heim (), und zudem kehrt David ähnlich wie in 17,5755 vom Schlag gegen den Philister zurück. Treten dann die tanzenden Frauen hinzu, wird zugleich angezeigt, dass durch sie eine breite Öffentlichkeit entsteht: „... aus allen Städten Israels“ ziehen sie aus.56 Mit ihrer Performance steuern die Frauen allerdings nur ein Ziel an: Saul. Saul wird hierbei ausdrücklich als König () tituliert. Doch der Chor der Frauen singt dann in 18,7 von Gewalttaten beider soeben erwähnten Männer und nennt sie – wie eingangs erwähnt – auch beim Namen, allerdings ohne einen Titel zu benutzen: Saul und David.

Worauf im Wortlaut des Gesanges der Akzent liegt, wird von der Forschung unterschiedlich gesehen. Insbesondere zwei Positionen stehen sich gegenüber. Kurz lassen sie sich so wiedergeben: In der ersten Position zollen Israels Städterinnen Saul und David gleichermaßen Respekt. Beide hätten ihr beachtliches Vermögen demonstriert.57 In diesem Fall übersetzt man die Kopula zwischen beiden Gesangsteilen in 18,7 mit „und“: Saul schlug und David auch.58 Bei dieser Position würden die folgenden Verse 18,8–9 darlegen, wie Saul den Gesang missversteht.

In der zweiten Position hebt der Gesang der Städterinnen auf Steigerung und Gegenüberstellung ab. Wertend benennen die Frauen Quantitäten, und die Kopula ist mit „aber“ zu übersetzen:59 Saul Tausend, aber David zehnmal mehr. In diesem Fall habe Saul in den beiden folgenden Versen 18,8–9 eingesehen, worauf der Gesang der Frauen abhebt.

Der Text des Gesanges lässt vielleicht ein Changieren zwischen beiden Verstehensweisen zu. Aufschlussreich ist jedenfalls die Fokussierung im Abschnitt. Die Verse 18,6–7 führten noch eine öffentliche und festliche Zusammenkunft vor Augen. Mit 18,8–9 folgt ein Umschwenken allein zu Saul. Seine Emotionen, Einschätzungen und sein Selbstgespräch bekunden alles andere als ein Einstimmen in die fröhliche Tanzaufführung.

In seinem Selbstgespräch (18,8) ist Saul auf den Liedtext konzentriert und darauf, wie der damit verbundene Äußerungsakt gesehen werden kann. Saul setzt die Teile des Gesanges neu zusammen. Die Reihenfolge im Gesang Saul-David dreht er um und nennt nun zuerst David. Das Schlagen erwähnt Saul nicht mehr. Stattdessen macht er die Frauen aus den Städten zu Aktanten. Ihren Sprechakt interpretiert Saul als Zuteilung im Sinne von : Sie gaben () David, sie gaben () mir. Auf die Zahlen geht Saul unterschiedlich ein. Bei der niedrigeren erscheint der Artikel.60 1.000 und 10.000 sind bekanntlich ein gängiges Staffelpaar.61 So hebt Saul mit dem Artikel auf das aus dem Staffelpaar ihm Eingeräumte ab, was zum adversativen Gepräge der parallelen Sätze beiträgt. Die Kopula ist hier eindeutig als „aber“ zu verstehen:62 David Zehntausende, aber mir nur die Tausende.

Ein Erzähltext führt in 18,8 durch zwei Sätze in den Gedankengang von Sauls Selbstgespräch ein. Die zwei Sätze legen vorauseilend die Form von Sauls verbaler Reaktion auf den Frauenauftritt offen: Saul erzürnte heftig (),63 und übel erschien dieses Wort bzw. dieser Sachverhalt in seinen Augen (). Durch die Wortwahl im zweiten Satz von 18,8 wird eine Opposition zu 18,5 angezeigt:64

Die Lesenden sind – wie erwähnt – durch 18,5 darüber informiert, wie Davids Erfolge und Beförderung durch Saul zum hohen Militär in einem breiten Konsens begrüßt wurden: Das erschien gut in den Augen des ganzen Volkes und auch in den Augen von Sauls Knechten (). Ersichtlich treten danach aus denen, welche im Konsens Davids Aufstieg begrüßen, die Städterinnen hervor. Breiter Zustimmung in Bezug auf Davids Karriere steht eine einzelne Ablehnung Sauls gegenüber. Doch genau besehen, tritt Sauls Ablehnung Davids erst mittelbar ein. Denn eine primäre Ablehnung Sauls richtet sich zunächst gegen das, was die Frauen in seinen Augen publik gemacht haben,65 und dabei erst verändert sich von seiner Warte aus das eigene Verhältnis zu David. So fügt die Erzählstimme in 18,9 an: „Und Saul betrachtete David argwöhnisch ab jenem Tag und fortan.“66

Entscheidend für den übergeordneten Zusammenhang ist Sauls Vermutung, die er am Schluss seines Selbstgesprächs in 18,8 hegt. Der Sinn des letzten Satzes in 18,8 ist nicht ganz klar (). Nach Stoebe und anderen schließt das „die Bedeutung des Fehlens“67 ein. Daher übersetzt Stoebe wie meist üblich: „nun es fehlt ihm (= David) ja nur noch das Königtum“. Ein anderer Trend in der Forschung geht davon aus, dass im Vers 18,8 das vorherige zweimalige Verb „geben“ () am Ende in Gedanken zu ergänzen sei. Im Vers ist schließlich der letzte Benifizient mit dem ersten identisch:68 „und sie (= die Frauen) werden ihm auch noch das Königtum geben!“69 Wie dem auch sei,70 in Sauls Überlegungen und Selbstgespräch ist damit offenkundig das angekommen, was die Lesenden bereits wissen sowie bewegen dürfte und was zudem in der erzählten Welt zuletzt Jonatan bei seinem Verhalten angetrieben hat. David ist der Herrscher in spe, während Saul die Herrscherstellung innehat.

Neben ideologischen Grundlagen des Königseins, wie göttlicher Erwählung und Salbung, gehört es bei einem Regenten dazu, dass er vom gesellschaftlichen Netz als König angesehen wird und dass er von solchem Ansehen auch ausgehen kann. Es geht um ein Ansehen im doppelten Sinn des Wortes, wobei der zweite Sinn auch die schillernde Kategorie der Ehre inkludiert. Diese Kategorie ist in den Texten von 1Sam 18 zwar nicht direkt verbalisiert, die Sache schwingt aber mit, und lässt sich als Interpretament heranziehen. Als hilfreich erweisen sich dabei die Begriffsbestimmungen, wie sie Jan Dietrich71 vorgenommen hat und die hier aufgegriffen werden sollen. Demnach ist eine Unterscheidung angebracht. Die Königsehre ist als Statusehre ein begrenztes Gut. In der erzählten Welt kann nur einer König sein. Diese Statusehre ist hier Saul zueigen. Auf ihn als „den König“ gehen die singenden Städterinnen zu.

Doch da die Statusehre ein begrenztes Gut ist, kann sich – je nach Umständen – auch ein Wettbewerb darum in der Form von „Herausforderung (challenge) und Erwiderung (response)“72 ereignen. Mit der Statusehre konkurriert hier die Ruhmesehre, vor allem und zuerst in den Augen Sauls. Ruhm wird erworben durch Leistungen, die bekannt und als solche auch anerkannt worden sind.73 Ruhm ist zunächst an keinen Rang und Stand gebunden. Ruhm kann auch ein einfacher Hirtenjunge wie David erwerben. Ruhm kann aber einen Status verleihen.74 Und das konstruiert hier Saul selbst: Es fehlt David nur noch das Königtum. Mit solch eigenem Konstrukt tangiert Saul hier das Wissen der Lesenden.

Fortan wird Saul das selbst Zurechtgelegte für sich mehrfach als eigene Herausforderung nehmen und darauf – in übler Weise – antworten wollen. Wie und wo sein Antworten beginnt, ist nun genauer zu eruieren. Hierbei spielt eine Rolle, in welcher Weise sich der nächste Abschnitt 18,10–13 an den Abschnitt 18,6–9 anschließt. Im folgenden Punkt ist der Anschluss zu klären und auf diesem Weg zu zeigen, dass besungene Gewalt in Kap. 18 mitursächlich Gewaltausübung erzeugt.

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