Читать книгу Aktive Gewaltfreiheit - Группа авторов - Страница 6
ОглавлениеVorwort
Ohne zu übertreiben lässt sich im 100. Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkrieges feststellen: Die Weltlage ist ernst! Wir beobachten immer weiter ausgreifende kriegerische Konflikte zwischen Staaten, blockierte Demokratisierungsbemühungen in ganzen Regionen, die Auflösung der Ordnung bisher leidlich funktionierender Staaten, einen Zerfall des demokratischen Grundkonsenses und die Verschärfung gesellschaftlicher Auseinandersetzung selbst in unseren bisher so stabilen westlichen Ländern. Die Zunahme von Migrationsbewegungen ist eine Folge der beschriebenen Situationen, verschärfen diese aber zugleich. Der Klimawandel und die Bedrohungen der natürlichen Lebensgrundlagen, die letztlich auf den verschärften Kriegszustand der Menschheit gegenüber der Natur zurückgehen, werden die Probleme weiter anheizen. Es steht nicht gut um unsere Welt…
Das Christentum sieht sich in dieser Situation besonders herausgefordert: Umkehr, Frieden, Gerechtigkeit, ein gutes Leben („Heil“) für alle sind der Kern der christlichen Botschaft. Gegen die jahrtausendealte Fixierung auf Gewalt als Mittel zur Lösung von Konflikten setzt das Christentum in einer Umkehr des Blicks auf Gewaltfreiheit. Diese ist Ziel und Handlungsmaxime zugleich. Eine lange Lerngeschichte, nicht zuletzt in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts, hat geholfen, auch den schon in der Bibel zu verfolgenden Weg aus einem falschen Vertrauen auf Gewalt neu zu verstehen. Wenn „Gott“ immer wieder zur Legitimierung von Gewaltausübung in Anspruch genommen wird, wenn die monotheistischen Religionen sogar im nicht völlig unbegründeten Verdacht stehen, Gewalt habe sich im Kern ihres Gottesverständnisses eingenistet, wird die theologische Differenzierung und Klärung dringlich, aber ebenso der Aufweis und die Einübung praktischer Wege, die Leben und Zukunft öffnen.
Es gehört zu den grundlegenden Einsichten der Erfahrungen aus den auf Gewalt bewusst verzichtenden Widerstandsbewegungen des vergangenen Jahrhunderts, dass die Mittel immer und ohne Ausnahme dem Ziel entsprechen müssen: Wer Gewaltfreiheit will, muss sich und sein Handeln aus den Zwängen der Gewalt befreien und Gewaltfreiheit befördern. Damit hängt eine zweite grundlegende und die Hoffnung befördernde Einsicht des so gewaltfixierten 20. Jahrhunderts zusammen: Die Überwindung der Gewalt gelingt nur als radikale, als an die Wurzel gehende Verwandlung, die bei den Engagierten beginnt und die „Feinde“ ein- und eben nicht ausschließt. Gewaltfreiheit ist das anspruchsvolle Gegenprogramm zu jeder Vernichtungsstrategie! Theologisch kommt eine dritte grundlegende Erkenntnis hinzu: Gewaltfreiheit ist – im theologisch strikten Sinne – schöpferisch, das heißt sie ist nicht gemacht, sondern gegeben. Alles gewaltfreie Handeln von Menschen ist nur möglich als eine Fortsetzung der von Gott längst begonnenen Umwandlung der Todeswelten in Räume des blühenden Lebens, wie es nicht zufällig gleich das erste Kapitel der Bibel erzählt.
Gewaltfreiheit ist kein exklusiv christliches Thema. Als globales Projekt führt der Einsatz für die Überwindung der Gewalt „wie von selbst“ alle Religionen, alle Menschen, die vom Willen zum Frieden beseelt sind, zusammen. Es ist die Ebene, auf der sich alle treffen, die Gott als „Freund des Lebens“ verehren, und ebenso der „Treffpunkt“ mit denen, die diese Liebe zum Leben unter anderen Namen als den Sinn ihres Daseins erkannt haben. Die Überwindung der immer todbringenden Gewalt ist das grundlegende und wichtigste inter- wie transreligiöse Thema, der ganzen Menschheit aufgegeben und sie verbindend. Es geht um nicht weniger als um das Leben selbst und die Zukunft aller Lebewesen.
Vor diesem zugegebenermaßen „dramatischen“ Horizont der Gefährdung und des Ringens sind die Beiträge dieses Bandes zu sehen. Aus ganz unterschiedlichen Perspektiven schildern sie Erfahrungen mit der Praxis der Gewaltfreiheit, entwickeln Ideen für Wege aus der Gewalt und formulieren Begründungen für diesen stets strittigen und prekären Weg zu einer heilvollen Zukunft für alle. Gewaltfreiheit zu einem globalen way of life zu machen, ist ein Aufgabe, an der sich alles entscheidet, eine Aufgabe, die alle neu und tiefer verbinden kann.
Wer über Gewaltfreiheit nachdenkt, wird schnell zu ihren „theologischen“ Grundlagen geführt und erkennt die pastoralen und pädagogischen Herausforderungen. So liegt es nahe, diese Beiträge der Osnabrücker Pastoraltheologin und Religionspädagogin Professorin Dr. theol. Martina Blasberg-Kuhnke zum 60. Geburtstag zu widmen; in ihrer theologischen Arbeit und als Koordinatorin der Osnabrücker Friedensgespräche war und ist sie dem Thema auf vielerlei Weise verpflichtet.
Der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Elisabeth Uebber danken wir für die umsichtige und sorgfältige Gestaltung der Druckvorlage, dem Echter Verlag für die gute Zusammenarbeit.
Osnabrück, im Frühjahr 2018
Margit EckholtGeorg Steins