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Radikale Opposition zu Zwingli

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In der Täuferforschung gilt gemeinhin die Zeit von Dezember 1523 bis September 1524 als quellenlose Zeit. Es klafft eine Lücke zwischen dem bereits zitierten Brief von Conrad Grebel an Vadian, in dem er Zwingli verdammt, und einem aufschlussreichen Brief Grebels und seiner Freunde an den predigenden Rebellen und Anführer des Bauernkriegs Thomas Müntzer vom 5. September 1524 – den dieser aber vermutlich nie erhalten hat.

Diese knapp neun Monate, in denen das Denken der kleinen radikalen Gruppe definitiv eigene Formen annahm, lässt sich aber rekonstruieren: Letztlich war es die Radikalisierung der bäuerlichen Reformation, die der städtischen Reformation einen neuen Schub verlieh. Die Zehntenverweigerung der Bauern, die sich 1523 trotz scharfen, von Zwingli gedeckten Mandaten ausbreitete, wurde von den Bauern reformatorisch begründet: Die Abgaben wollten sie nicht mehr länger ohne seelsorgerische Gegenleistung an Klöster geben, sondern direkt für ihre evangelischen Prediger verwenden. In der Zielsetzung ebenfalls klar reformatorisch war der Aufstand in Wädenswil am Zürichsee zum Jahreswechsel 1523/24. Der Versuch des städtischen Rats, einen bei den Bauern beliebten evangelischen Pfarrer zu verbannen, hatte die Unruhen ausgelöst.

Eine ähnliche reformatorische Ursache hatte die Mobilisierung der Bauern in Weiningen – sie versuchten im Januar 1524 ihren bilderstürmerischen Pfarrer Georg Stähelin vor dem Zugriff des eidgenössischen Landvogts von Baden zu schützen. Bei Stähelin hatte niemand anders als der aus Höngg vertriebene Conrad-Grebel-Freund Simon Stumpf Unterschlupf gefunden. Stumpf und Stähelin sorgten schon im November 1523 durch eine Doppelhochzeit, bei der sie sich gegenseitig mit je einer Frau trauten, für einen Skandal bei den Eidgenossen.

Ebenfalls im Januar 1524 verlangten die Bauern des Chorherrenstifts im zürcherischen Embrach mit evangelischer Logik die Abschaffung der Leibeigenschaft, und zwar in Punkt drei der acht Artikel ihrer Beschwerdeschrift: «Zum dritten: diewil jetzt im heiligen Evangelio und rechter göttlicher Schrift die Freiheiten gefunden werde, insbesondere dass kein Mensch des andern Eigen sein solle […].»

Der illegale Zollikoner Bildersturm vom 15. Mai 1524 schliesslich zeigte, dass die Forderung nach Abschaffung der soeben noch inbrünstig angebeteten Heiligenbilder auch auf dem Land Zustimmung fand. Doch erst der überraschende Tod der zwei sich halbjährlich ablösenden älteren Bürgermeister am 13. und 15. Juni 1524 machte in der Stadt den Weg frei für den – peinlich geordnet verlaufenden – Zürcher Bildersturm, der am 20. Juni begann und 13 Tage dauerte. Es sollte ihm alles Anstössige genommen werden, doch es blieb eine Kulturzerstörung grössten Ausmasses. Schrittweise muss sich in jenen Sommermonaten 1524 die Stossrichtung der jungen Radikalen um Conrad Grebel und Felix Manz gewandelt haben.

Den grössten Einschnitt aber, politisch gesehen, brachte kurz darauf der sogenannte Ittinger Sturm vom 18./19. Juli 1524 – die Besetzung und Zerstörung der Kartause Ittingen. Sie lag in der von den Eidgenossen gemeinsam verwalteten Herrschaft Thurgau. Zürcher Bauern waren massgebend daran beteiligt. Deshalb drohte ein eidgenössischer Bürgerkrieg. Nur durch die Auslieferung einiger vermeintlicher Hauptverantwortlicher – zweier bäuerlicher Untervögte und zweier dörflicher Prediger – an die katholischen Eidgenossen konnte die Stadt Zürich ihn vermeiden.

Die schwierigen Verhandlungen in Baden endeten am 28. September 1524 mit der Hinrichtung von drei der vier Ausgelieferten, darunter die zwei dörflichen Untervögte. Von Zürcher Seite war niemand anders als der Vater von Conrad Grebel, Junker Jakob Grebel, hindelegiert worden, und dass er nur das Leben von Adrian Wirth, des jüngsten der beiden zum Tod verurteilten evangelischen Prediger, hatte retten können und schon froh war, den befürchteten eidgenössischen Bürgerkrieg verhindert zu haben, verzieh ihm Zwingli nie.

In dieser aufgeheizten Stimmung reiste Grebels Freund Felix Manz nach Basel und sorgte im Herbst 1524 heimlich für den Druck etlicher Schriften des bis zu jenem Zeitpunkt radikalsten reformatorischen Denkers überhaupt: des ehemaligen Luther-Gefährten und Doktors der Theologie Andreas Bodenstein von Karlstadt. Seine 1520 erschienene Schrift über das Weihwasser – «Von gewychem Wasser und Salcz» – hatte sich in verschiedenster Hinsicht als bahnbrechend erwiesen. Karlstadt war der Semiotiker unter den Reformatoren. Den Sakramenten wies er nur noch eine Zeichenfunktion zu. Während Luthers Untertauchen auf der Wartburg hatte er in der Universitätsstadt Wittenberg die Reformation radikalisiert und im Januar 1522 den ersten Bildersturm ausgelöst. Darauf kehrte Luther im März 1522 überraschend zurück und vertrieb Karlstadt.

Zwingli – und in noch höherem Mass nachher Conrad Grebel und Felix Manz – richteten sich viel stärker an Karlstadt aus als an Luther, und auch der spätere Streit Zwinglis mit Luther über die Bedeutung des Abendmahls liess sich im Grund nur deshalb nicht beilegen, weil Luther in Zwinglis Argumentation jene seines ehemaligen Wittenberger Widersachers Karlstadt herausspürte: Wein und Brot galten auch Zwingli nur als Zeichen, selbst wenn er dem Abendmahl den Charakter eines Sakraments beliess. Luther indessen – auch wenn er die katholische Lehre der Verwandlung (Transsubstantion) ablehnte – hielt mit Berufung auf die Allgegenwart (Ubiquität) von Jesus am Glauben einer realen Gegenwart Gottes im Abendmahl fest.

Wie der Brief Conrad Grebels und seiner Freunde an Müntzer vom 5. September 1524 zeigt, stand für sie nun – nach Erledigung der Bilderfrage – die bedingungslose Abschaffung der Messe, also die Beseitigung des herkömmlichen Opfergottesdienstes, auf dem Programm. Das Abendmahl sollte in Zürich strikt nach dem Evangelium gefeiert werden.

Verblüffend ist, dass Conrad Grebel und Felix Manz auch in der Tauffrage direkt an frühere Überlegungen ihres einstigen Vorbilds Zwingli anknüpften. Schon im Zusammenhang mit der Fegefeuer-Kritik hatte dieser nämlich 1521 – laut der Klageschrift des Zürcher Chorherrn Konrad Hofmann – verlauten lassen, «dass kleine Kinder, die nicht getauft sind», im Falle eines Todes «nicht verdammt werden». In der Auslegung seiner 18. These sprach sich Zwingli am 14. Juli 1523 auch dafür aus, dass die «Sitte» wieder «angenommen» werden sollte, «die Kinder» erst zu taufen, «so sie den festen Glauben im Herzen» hätten und ihn «mit dem Mund» bekennen würden. Wie bei der Absage an die Bilder und an die Messe hätte sich zwischen den Streithähnen auch in dieser Tauffrage leicht ein Kompromiss finden lassen müssen. Denn was das Weihwasser und den Akt der Taufe betraf, so blieb Zwingli dem Argument Karlstadts treu, dass dem geweihten Wasser keinerlei Kraft innewohne und es sich lediglich um ein äusserliches Zeichen handle. Dennoch erblickte Zwingli in der Taufe weiterhin ein Sakrament, und gerade als Zeichen wollte er die Kindertaufe spätestens ab 1524 nachdrücklich erhalten wissen – als äusseres Merkmal der Einheit der Kirche. Damit änderte er seine ursprüngliche Meinung.

In zahlreichen hitzigen Taufdebatten und zum Teil öffentlichen Disputationen stritten sich Conrad Grebel, Felix Manz und deren Freunde mit Zwingli – und stritt Zwingli im Grund mit sich selbst, da seine glühendsten Anhänger von einst nur eine Meinung verfochten, auf die er sie selbst früher gebracht hatte: «Denn der Irrtum», gestand er im Buch «Von der Taufe» vom 27. Mai 1525, «hat auch mich vor einigen Jahren verführt, dass ich meinte, es wäre viel besser, man taufte die Kindle erst, so sie zu gutem Alter gekommen wären, wiewohl ich nicht so unbescheiden verfuhr, dass ich so freventlich dastünde, als jetzt etliche tun, die noch viel zu jung und grün in der Sach dastehen […]».

Historische Begegnungen

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