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Zwingli – vom humanistischen Kirchenrebell zum Gehorsamsprediger

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In seiner Anti-Fasten-Schrift «Von der Auswahl und der Freiheit der Speisen» vom April 1522 schrieb Zwingli wohl für die jungen Heisssporne einladend genug: «Der Herr ist mit seinem Licht gekommen und hat die Welt mit dem Evangelium erleuchtet, damit sie ihre Freiheit erkenne.» Die Schrift trug den Titel «Von Erkiesen und Freiheit der Speisen». Diese christliche Freiheit – die sowohl von seinen jüngeren Anhängern wie von den Bauern auf dem Land befreiungstheologisch verstanden wurde – schränkte Zwingli dann aber in der Folge, durch Drohungen der Eidgenossen und das Drängen des Zürcher Rats genötigt, zwischen Sommer 1523 und 1525 im Sinn einer strengen Obrigkeitstheologie wieder stark ein.

Kann es wirklich erstaunen, dass da, spätestens vom Herbst 1523 an, Zwinglis jüngere Freunde offen und herausfordernd Kritik an ihm übten und ihn immer wieder an seine Frühthesen erinnerten, von denen er bereits im Januar 1523, an der Ersten Zürcher Disputation, nicht alle schriftlich niederzulegen wagte? Seit Mai 1522 trafen sich die Radikalen in Castelbergers Bibelkreis – der Bündner Andreas Castelberger galt als der wichtigste reformatorische Buchhändler der Stadt und war lange Zeit Zwinglis Vertrauter. Aus diesem Bibelkreis ging Anfang 1525 die Täuferbewegung hervor. Castelberger muss in Zürich insbesondere die Schriften von Andreas Bodenstein von Karlstadt verbreitet haben, der weiter ging als Luther und auf den sich Zwingli erst recht nicht offen berufen wollte.

Den jungen Kritikern zufolge schritt Zwingli mit der Kirchenreform überhaupt zu zaghaft voran – nicht «unerschrocken» genug, wie es in einer späteren Formulierung hiess – und schien eben seine radikalen Frühthesen zu verwässern oder gar ins Gegenteil zu verkehren. Verstanden die Radikalen seine Taktik nicht, wollte sich Zwingli im kräftigen Gegenwind, auf den er stiess, «unterstellen», wie bei einem «Gewitter»? So schrieb Zwingli es dem eng mit ihm befreundeten Vadian am 11. November 1523, der als Conrad Grebels Schwager eine schwierige Stellung hatte.

Als Zwingli anlässlich der Zweiten Disputation vom 26. bis 28. Oktober 1523, die sich mit der Forderung nach Abschaffung der Bilder und der Messe befasste, die Entscheidungsbefugnis über diese nächsten grossen kirchlichen Reformschritte formell an den Zürcher Rat abtrat, der den Beschluss, wie kaum anders zu erwarten gewesen war, auf die lange Bank schob, rebellierten die jungen Radikalen, allen voran Simon Stumpf, ein guter Freund Conrad Grebels, der in Höngg das Predigtamt ausübte, aber kein Zürcher war. Darauf liess Zwingli diesen Stumpf als lästigen Kritiker fallen. Auch die ersten Bilderstürmer schmorten weiter in der Haft und wurden daraufhin vom Rat aus der Stadt verbannt, so auch der aus Zollikon stammende Schuster Niklaus Hottinger. Dieser hatte im September 1523 mit einem Gefährten das Stadelhofer Kreuz umgelegt. Später sollte er von den Eidgenossen gefasst und im März 1524 in Luzern öffentlich als Ketzer verbrannt werden.

Im wachsenden Ärger sagten sich die Jungen schliesslich von Zwingli als ihrem früheren Wortführer los. Conrad Grebel schrieb seinem Schwager Vadian am 18. Dezember 1523 aufgebracht: «Wer von Zwingli meint, glaubt und sagt, er handle gemäss der Pflicht eines Hirten, der meint, glaubt und redet gottlos.» Das war zwar fundamentalistisch gedacht – Zwingli aber war nicht notwendigerweise weniger wortgläubig. Der Streitpunkt lag auf einer anderen Ebene und betraf sozusagen die politische Theologie: Conrad Grebel beharrte auf einer Distanz der Kirche zum Staat und schien den Eindruck zu haben, Zwingli liefere die Kirche dem Staat aus. Wenn sich Zwingli von einem zwar anfänglich menschlich milden, aber stets schon scharf disputierenden Kirchenrebellen zu einem harten Verfechter des Obrigkeitsprinzips wandelte, so ist leicht zu ersehen, dass sich diese Umgestaltung seiner Theologie unter dem Drängen des Zürcher Rats und als Reaktion auf die Drohungen der Eidgenossen vollzog, welche die Reformation verabscheuten.

Die Spannungen zwischen Zürich und den übrigen Eidgenossen erreichten im Sommer 1523 einen ersten Höhepunkt. Zwingli liess sich zwar gegen aussen nichts anmerken, aber er fühlte sich zunehmend verfolgt. In der Innerschweiz gab es ein Spottlied auf ihn, das auf seine rötlichen Haare Bezug nahm – die auch in dem bekannten Gemälde von Hans Asper zu erkennen sind: «[…] der Zwingli, der ist rot, wärint die von Zürich nit, er käm in grosse Not». Anlässlich eines Fasnachtsspiels Ende Februar 1523 war er in Luzern in effigie, also als Puppe oder Bild, verbrannt worden. In einer merkwürdigen Spukgeschichte erfand ausserdem eine Frau in Zürich, die später alle ihre Lügen gestand, ein angebliches Mordkomplott der städtischen Predigermönche gegen ihn. Die Befürchtungen Zwinglis wuchsen, als die Tagsatzung in Baden, die am 15. Juni 1523 zusammenkam, etwas zum Traktandum machte, das Zwingli gerüchteweise gepredigt haben soll: Die Eidgenossen «verkaufen das christliche Blut und essen das christliche Fleisch». Brisant war der Vorwurf deshalb, weil da Zwinglis ethische Solddienstkritik und seine reformatorische Abendmahlkritik direkt vermengt schien.

Die Eidgenossen wollten am darauffolgenden Tagsatzungstreffen – das war durchgesickert – auch schauen («luogen»), wie man Zwingli loswerde. Der Streit liess sich nicht beilegen, und wirklich beschloss daraufhin die Tagsatzung in Bern vom 7. Juli 1523, den Landvogt vom Thurgau und den Landvogt von Baden zu beauftragen, «den Zwingli von Zürich auf Betreten zu verhaften, aus Ursachen, die jeder Bote weiss». An dieser Verhandlung hatte Junker Jakob Grebel offenbar teilgenommen, denn sein Sohn Conrad erwähnt am 28. Juli, der Vater werde als Leiter einer Delegation im Auftrag des Zürcher Rats nach Bern «zurückkehren».

Erst am 27. Juli 1523 befahl der Zürcher Rat selbst eine Untersuchung. Diese brachte zutage, dass denen von Luzern zugetragen worden war, wie Magister «Uolrich Zwingli» unlängst auf der Kanzel öffentlich («offenlich») geredet habe, «die von Luzern» seien «Blutverkäufer oder Blutfresser». Zwingli hatte genaue Kenntnis davon erhalten, dass er an jenem 7. Juli in Bern Gegenstand der eidgenössischen Verhandlungen werden würde, und der Tagsatzung eine Schrift zukommen lassen, in der er die ihm zur Last gelegten Worte dementierte. Er gab lediglich zu, im Jahr zuvor, 1522, während der Fastenzeit gepredigt zu haben: «Es schilt manch einer das Fleischessen übel und hält es für eine grosse Sünde […]; aber Menschenfleisch verkaufen und zu Tode schlagen hält er nicht für eine grosse Sünde.»

Genützt hatte diese gedruckte Rechtfertigung nichts. Zürich geriet im eidgenössischen Bündnis in immer grössere Bedrängnis. Mit reger diplomatischer Aktivität sollten wenigstens Bern und Solothurn, die der Stadt an der Limmat eher gewogen schienen als Luzern, davon überzeugt werden, dass sich wegen der neuen Predigtweise niemand bedroht zu fühlen brauche: Sie dürften nicht glauben, schrieb Zürich bereits am 25. Juni 1523, was geredet werde, dass durch die «lutherische Sache […] etliche in ihrem eigenen Haus nicht mehr sicher» seien. In Zürich werde, «soviel wir wissen», nichts anderes gepredigt und gelehrt als das «heilige Evangelium und das, was mit der göttlichen Lehre und der heiligen Schrift bewährt» werden mag. Ihre Prediger würden sich nicht «des Luthers beladen». Wo sie das täten, «würden wir es ihnen nicht gestatten».

Zürich stellte im Brief auch die Gerüchte in Abrede, dass es «Zwietracht in unserer Stadt und unserer Landschaft» gebe und dass die Bauern den Zins und den Zehnten «nicht mehr geben wollten». Aber die ersten bäuerlichen Zehntenverweigerungen auf reformatorischer Grundlage waren schon 1522 erfolgt und sollten 1523 – was die Eidgenossen anscheinend schon voraussahen – im Erntemonat August grosse Ausmasse annehmen. Zwingli muss im Sommer 1523 jedenfalls endgültig bewusst geworden sein, welch enge Grenzen seinen Reformationszielen gesteckt waren. Er musste den Zusammenhang mit Luther bestreiten und die Bauern streng darauf verpflichten, weiter die Zehntabgabe zu leisten, um jeden Eindruck zu vermeiden, die Kirchenreform führe in irgendwelcher Form zu Unruhen – zu «Aufruhr», wie das Schlüsselwort damals lautete. Die Pflicht zum Gehorsam stellte seit einem Übereinkommen aus dem Jahre 1370, dem sogenannten «Pfaffenbrief», einen Grundpfeiler in der Alten Eidgenossenschaft dar.

Gerade in jenem Sommer arbeitete Zwingli intensiv an der Ausarbeitung der Thesen, die er an der Ersten Disputation im Januar 1523 vorgetragen hatte. In Buchform erschienen sie – ausgiebig erläutert und an etlichen Stellen entschärft – am 14. Juli 1523. Gleichzeitig brachte er ein zweites Werk heraus und gab ihm den Titel «Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit». Das Wort «Gerechtigkeit» stand damals für «Gesetz» oder sogar «Herrschaft». Gedruckt wurde das Buch am 30. Juli 1523. Darin legte er sich mit Bezug auf Paulus’ Römerbrief 13 darauf fest: «[…] ein jeder lebender Mensch soll den übergeordneten Obrigkeiten oder Oberen gehorsam sein. Denn es ist keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre. Die Obrigkeiten aber, die sind, die sind von Gott verordnet. Also, welcher sich wider die Obrigkeit legt, der ist der Ordnung Gottes widerstanden. Diejenigen aber, die widerstehen, werden ihr eigenes Urteil oder [die] Verdammnis [in Empfang] nehmen.» Auch baute Zwingli eine für die ganze Entwicklung des Protestantismus in der Schweiz folgenschwere Theorie vom Strafgericht Gottes in seine Staatsphilosophie ein – was die Menschen quäle und bedrücke, sei eine gerechte Strafe für ihre Sünden: «Zum ersten heisst Gott durch den Mund Pauli, dass alle Menschen der Obergheit gehorsam sein sollen; denn alle Obrigkeit sei von Got. Woraus wir merken, dass auch die bösen, gottlosen Oberen von Gott sind; doch gibt Gott solche Oberen, um unsere Sünden zu strafen.»

Mit den beiden Büchern vollzog Zwingli eine Wende. Unmissverständlich sagte er sich von früheren, radikalen Positionen los, gewichtete die Argumente neu und wollte gegenüber den besorgten Eidgenossen den Beweis führen, dass die Kirchenreform keinerlei Unordnung nach sich zöge. Nachdrücklich forderte er den Gehorsam ein, Aufruhr schloss er kategorisch aus. Am 5. August 1523 wies er in einem Brief an die mit Zürich befreundete Stadt Konstanz auch als «unchristliche Lüge» zurück, was zum «Blut Christi» über ihn «erdacht» worden sei. Doch seine Anhänger Conrad Grebel und Felix Manz hielten an den zwinglischen radikalen Frühthesen fest und verweigerten sich seinem staatspolitischen Gehorsamkeitsdiktat.

Historische Begegnungen

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