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Die Mordnacht von Zürich und die letzte Vermittlung der Agnes von Ungarn
ОглавлениеAm 17. August 1349 treffen sich die sogenannten «Äusseren» von Zürich, die Verbannten von 1336, auf der Burg Rapperswil mit Johann II. von Habsburg-Laufenburg. Bereits im Frühling 1348 hat der junge Graf die Burg Pfäffikon überfallen und Konrad II., den Abt des Klosters Einsiedeln, vorübergehend gefangen genommen. Pfäffikon liegt mitten in den Höfen, die Jakob Brun, der Bruder des Bürgermeisters, pfandweise aus dem ehemaligen Rapperswiler Besitz übernommen hat. Der Konflikt kann zwar durch die Vermittlung des habsburgösterreichischen Hauptmanns Hermann von Landenberg und durch Rudolf Brun selbst rasch wieder beigelegt werden. Der friedliche Status quo steht aber auf Messers Schneide. Graf Johann II. verspricht sich von einem erneuten Zusammengehen mit Bruns Gegnern einen Ausweg aus seiner Verschuldung beziehungsweise die Möglichkeit, die Höfe in der March, die er an die Familie Brun verloren hat, wieder auszulösen. Die Parteigänger Bruns in Zürich bekommen aber Wind vom geplanten Putsch. Auch dass der Rapperswiler im Bodenseeraum Söldner anwirbt, ist in Zürich ruchbar geworden.
In der Nacht vom 23. auf den 24. Februar 1350 schlagen die Verschwörer schliesslich los. Um Mitternacht dringen sie in die Stadt ein mit dem Ziel, Rudolf Brun und seine wichtigsten Anhänger aus dem Weg zu räumen. Die Angegriffenen sind auf den Überfall vorbereitet und können sich erfolgreich wehren. Im blutigen Strassenkampf behält Bürgermeister Brun mit seinen Leuten die Oberhand, Graf Johann wird gefangen genommen und im Wellenberg-Turm eingekerkert, viele seiner Parteigänger finden den Tod oder werden kurz darauf hingerichtet. Der militärische Auszug der Stadt Rapperswil, zur Unterstützung der Verschwörer per Schiff nach Zürich unterwegs, kehrt nach der Nachricht von der misslungenen Aktion wieder um. Rudolf Brun hingegen schlägt rasch und unbarmherzig zurück. Eine Woche nach der Mordnacht zieht der Zürcher Auszug seeaufwärts nach Rapperswil. Nach dreitägiger Belagerung ergibt sich die Stadt. Mit dem gefangenen Grafen und dem Besitz von Rapperswil scheint Brun alle Trümpfe in der Hand zu haben. Die Stadt Zürich steht aber alleine da. Die Mülner-Fehde mit Basel und Strassburg belastet die Beziehungen zu den Reichsstädten. Und Habsburg-Österreich steht sowohl auf der Seite der Grafen von Habsburg-Laufenburg wie auch der Städte Basel und Strassburg.
In dieser Situation sucht Rudolf Brun Wege, sich gleich auf zwei Seiten abzusichern. Mithilfe von Agnes von Ungarn erreicht er – einmal mehr – einen Waffenstillstand. Am 6. Juli 1350 ist es wieder Agnes, die in Königsfelden eine Vermittlung mit den Städten Basel und Strassburg in der Mülner-Fehde zuwege bringt. Und auf den 4. August ist sogar die Erneuerung eines wahrscheinlich von 1347 oder 1348 stammenden Bündnisses zwischen der Stadt Zürich und Habsburg-Österreich geplant. Dieses Bündnis liegt allerdings nur als Entwurf vor. Dass es definitiv ausgefertigt wurde, ist wenig wahrscheinlich. Und die Fehde mit Rapperswil geht trotz Waffenstillstand weiter. Die Zürcher plündern Rapperswiler Güter in der March, zerstören die Burg Alt-Rapperswil und legen Teile der Befestigungen der Stadt nieder, um sie wehrlos zu machen.
Diese unsichere Situation hält über den Winter an. Rudolf Brun sucht deshalb im Frühling 1351 Unterstützung in der Innerschweiz. Mit Schwyz hatte er bereits 1350 engeren Kontakt. Am 8. Februar 1350 war eine Zürcher Delegation in Einsiedeln bei der Beilegung des alten Marchenstreits zwischen dem Kloster und dem Stand Schwyz dabei, und im Herbst desselben Jahres kontaktierte Brun die Schwyzer bei seinem Auszug in die March. Am 1. Mai 1351 ist es dann so weit: Die Zürcher schliessen mit den Waldstätten und Luzern ein Bündnis auf gegenseitige Hilfeleistung, in einem sehr ähnlichen Wortlaut wie im nicht zustande gekommenen Abkommen mit den Habsburgern ein Jahr zuvor. Das Bündnis ist später zum Beitritt Zürichs zur Eidgenossenschaft hochstilisiert worden. In der Zeit selbst war es ein Schachzug Bruns, sich in seiner schwierigen Lage etwas Luft zu verschaffen. Selbst die Zürcher Stadtchronistik aus der Zeit erwähnt das Bündnis mit keinem Wort.
Die neue Situation veranlasst Herzog Albrecht II., selbst in den Konflikt einzugreifen. Anfang August 1351 erscheint er nach 14 Jahren Abwesenheit erstmals wieder in den Vorlanden und lässt sich vorübergehend mit seinem Gefolge in Brugg und Königsfelden nieder. Er verlangt von Zürich die im September 1350 besetzten Gebiete in der March zurück. Mit seinen Rittern und Knechten legt er sich vor Zürich und brandschatzt die Umgebung der Stadt. Für eine lange Belagerung reichen seine Kräfte jedoch nicht. Bevor der Konflikt vollends eskaliert, gelingt es der Stadt Bern, die sowohl mit Habsburg-Österreich wie mit den Waldstätten in Bündnissen steht, eine Verhandlungslösung anzubahnen. Am 1. Oktober 1351 gelobt Rudolf Brun, in acht Tagen mit seinen Schiedsleuten im Kloster Königsfelden zu erscheinen. Zürich stellt dazu 16 Geiseln, die in Baden in Gewahrsam genommen werden. Herzog Albrecht zieht mit seinem Ritterheer von der Stadt ab. Innert vier Tagen soll ein Schiedsgericht unter der Leitung der Agnes von Ungarn den Konflikt zwischen Habsburg-Österreich und Zürich beziehungsweise den eidgenössischen Orten schlichten.
Für die Verhandlung Anfang Oktober 1351 in Königsfelden können beide Seiten je zwei Schiedsleute bestimmen. Zürich lässt sich vom Berner Schultheissen Peter von Balm und Philipp von Kien, einem weiteren Vertreter aus dem Berner Stadtadel und ehemaligen Schultheissen, vertreten. Auf der Seite Habsburg-Österreichs sind es die Räte Imer von Strassberg aus dem bernisch-solothurnischen Raum und Peter von Stoffeln, Kommenthur der Johanniterkommende Tannenfels am Sempachersee. Dass Agnes von Ungarn, der mittlerweile über 70 Jahre alten Dame aus Königsfelden, die Leitung übertragen wird, scheint im Verständnis der Zeit nicht ungewöhnlich gewesen zu sein. Zwar steht sie, auch weil ihr Bruder Albrecht vor Ort ist, klar einer Partei näher. Durch ihre Vermittlertätigkeit der letzten 15 Jahre scheint sie aber eine zumindest für Rudolf Brun glaubwürdige Position eingenommen zu haben. Das Schiedsgericht soll nicht nur den Konflikt zwischen der Stadt Zürich und dem Grafen von Habsburg-Laufenburg beziehungsweise dessen Lehensherrn, dem Herzog, schlichten, sondern ist auch dazu gedacht, die offenen Fragen mit Luzern und den Waldstätten zu lösen. Ersteres gelingt, Letzteres nicht.
Am 12. Oktober 1351 eröffnet Agnes von Ungarn ihren Entscheid. Sie fällt nicht einen Kompromissentscheid zwischen den zwei Positionen, sondern erhebt den Parteivorschlag der habsburgischen Seite zum Beschluss. Rudolf Brun lässt sich darauf ein und akzeptiert. Für die Stadt Zürich bedeutet dies eine Rückkehr zum Status quo ante, das heisst zur Situation vor der Mordnacht. Agnes’ Beschluss umfasst aber auch die alten Forderungen Habsburg-Österreichs gegenüber den Waldstätten. Diese beziehen sich einerseits auf Rechte, die nach 1315 faktisch verloren waren. Dazu kommen die de jure immer noch bestehenden Vogtei- und Besitzrechte über den ehemaligen Besitz des Klosters Murbach-Luzern, den die Habsburger im April 1291 dem elsässischen Kloster abgekauft haben. Es sind dies die Stadt Luzern sowie Rechte und Güter in Sarnen und Stans. Habsburg fordert aber auch alte landgräfliche Rechte in Schwyz und Unterwalden ein, die sowohl in der damaligen Zeit wie auch aus heutiger Sicht zumindest fraglich sind. Vor allem die Habsburg-Laufenburger berufen sich auf Forderungen aus der Fehdezeit der 1240er-Jahre, als sie in der anti-staufischen Koalition gegen Schwyz standen, übrigens in Konkurrenz zu ihrem nächsten Verwandten, dem damaligen Grafen und späteren König Rudolf. Diese Ansprüche bestanden real wohl gar nie oder wurden nie durchgesetzt. Es ist denn auch nicht ganz zufällig, dass die Luzerner im folgenden Fehdekrieg die Burg Neu-Habsburg bei Meggen zerstören. Die Burg war in den 1240er-Jahren von der Laufenburger Linie als Stützpunkt in der Innerschweiz ausgebaut worden.
Es ist klar, dass die Waldstätte auf solche Forderungen nicht eingehen können. Rudolf Brun verspricht zwar den Habsburgern, die Umsetzung des Schiedsspruchs zu unterstützen, stösst aber bei seinen neuen Bündnispartnern in der Innerschweiz auf wenig Gegenliebe. Die «ehrliche Maklerin» Agnes hat die Interessen ihrer Herkunft höher gewichtet als einen möglichen Ausgleich. Ihre letzte grosse Vermittlung scheitert.
Die Fronten, die beide Seiten in der Folge errichten, sind mehr und mehr ideologisch geprägt. Auf dieser Basis gedeiht in den nächsten Jahrzehnten die «Erbfeindschaft» der Eidgenossen zu Habsburg-Österreich, eine Feindschaft, die in der eidgenössischen Geschichtsschreibung eine zentrale Bedeutung haben wird. Im Zürcher Bund mit Schwyz, Unterwalden und Luzern vom Mai 1351 wird auch das erste Mal der Begriff «Eidgenosse» verwendet. Ein Begriff, der dann auch in den folgenden Bündnissen mit Glarus, Zug und Bern Verwendung findet. Das Treffen in Königsfelden im Oktober 1351 wird zum wichtigen Markstein in der Entwicklung der Eidgenossenschaft.