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Gestalt

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Den Begriff »Gestalt« verwendet die Gestalttherapie erkenntnistheoretisch für den menschlichen Erfahrungsprozess an sich und bezieht sich dabei auf die Ergebnisse der Gestaltpsychologie und der Gestalt-Theorie.35 Der Gestaltpsychologe Christian von Ehrenfels hatte in einem 1890 erschienenen Text über »Gestaltqualitäten« demonstriert, dass Menschen das, was sie wahrnehmen, zu für sie sinnvollen Einheiten gewissermaßen gruppieren. Wahrgenommen wird nicht, indem die Abfolge oder Ansammlung einzelner Reize oder Elemente einer objektiven Wirklichkeit zerlegt und wieder zusammengesetzt werden, sondern in Ganzheiten. Diese Ganzheiten nannte er »Gestalten.« Kurz gesagt erschaffen wir unsere Wirklichkeit, indem wir Gestalten bilden. Wie wir das tun, beschreiben zum einen der Prozess der Bildung und Auflösung von Figur und Hintergrund und zum anderen der Kontaktzyklus.

Gestalten heben sich von ihrem Umweltfeld ab und sind in sich strukturiert, sie bestehen aus einzelnen Elementen, die durch ihre Beziehung zueinander erst die jeweilige Bedeutung der Gesamt-Gestalt ausmachen. Die »Gestaltqualität« ist die umfassende Bedeutung einer Gestalt und das, was die Bedeutung der einzelnen Teile bestimmt. Am Beispiel der Kippbilder ist es »ein Eskimo« oder »ein Gesicht« woraus sich ergibt, ob eine gebogene Linie »einen Arm« oder »eine Nase« bedeutet.36 Das einzelne Element einer Wahrnehmung oder Erfahrung hat keine Bedeutung »an sich«, sie ergibt sich erst aus dem Gesamt-Gefüge. Und die Struktur einer Gestalt ist prinzipiell dynamisch, die Veränderung eines Elements oder der Beziehung der Elemente untereinander, verändern die Gestalt.

Gestalten sind transponierbar, das heißt sie können wie Melodien von einem Modus in einen anderen verschoben werden und behalten doch ihre Gestaltqualität.

Gleichzeitig sind Gestalten eingebunden in ein Gefüge aus umfassenderen Gestalten, die ihnen wiederum Sinn und Bedeutung verleihen.

Eine Eigenschaft weist über den erkenntnistheoretischen Aspekt von Gestalt hinaus: Gestalten haben eine Tendenz, zur »guten«, abgeschlossenen Gestalt zu werden. Versteht man Gestalt auch als Reaktionsmuster, als Erlebnis und Erfahrung und die daraus entstandenen Überzeugungen und Annahmen des Individuums über sich und die Welt, so beschreibt diese Tendenz einerseits das Streben des Organismus danach, biologisch, physisch und psychisch in ein ›besseres‹, der Situation angemesseneres Gleichgewicht zu kommen. Gleichzeitig besteht das »Quasi-Bedürfnis, das von sich aus zur Erledigung der Sache drängt.«37 Dieses Bedürfnis wird dadurch befriedigt, dass eine Aufgabe erledigt, eine Situation abgeschlossen oder Erfahrungen integriert, also Gestalten geschlossen werden. Bleibt eine Erfahrung unvollendet (plötzlicher Beziehungsabbruch, abgebrochene Berufsausbildung, Ende eines gemeinsamen Erlebnisses ohne Abschied etc.) dann bindet diese »offene Gestalt«, Energie und behindert oder verhindert gar das Entstehen einer aktuellen, auf das Jetzt bezogenen Gestalt. Fritz Perls hat sie später auch als »unfinished business«38 bezeichnet. Offene Gestalten können zudem gewissermaßen erstarren, das heißt, bestimmte Erfahrungen werden entweder verdrängt oder immer wieder re-inszeniert im Bestreben, sie (doch noch) abzuschließen oder in einen größeren Sinnzusammenhang zu stellen, also in eine umfassendere Gestalt zu transformieren.

Das Konzept »Gestalt« so verstanden, kann auch veranschaulichen, wie Lernen und menschliches Wachstum geschehen. Demnach heißt Wachsen durch Integration von Erfahrungen (Schließen von Gestalten) offen zu sein für das, was jetzt und als nächstes im Umweltfeld prägnant ist, damit in Kontakt zu gehen und so eine weitere Erfahrung zu machen.

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