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3. Intention: Die Wirkung der Texte auf ihre Leserschaft

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Die vier vorgestellten Textabschnitte des Neuen Testaments beschreiben damit primär Erlebnisse, die einer Einzelperson oder einer Gruppe zu einem bestimmten in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt zuteil geworden sind. Paulus schildert seine eigene Berufung durch Gott, und die Evangelisten behandeln die Beauftragung der Nachfolger Jesu durch den Auferstandenen. Die antiken Erst-Leserinnen und -Leser der neutestamentlichen Texte werden somit auf der einen Seite über ein Geschehen informiert, das sie nicht unmittelbar selbst betrifft.

Auf der anderen Seite bieten die Texte ihrer Leserschaft aber auch an, sich selbst in dieses erzählte Geschehen mit hineinziehen zu lassen. In einer antiken Welt, die medial nicht so sehr von bewegten Bildern geprägt ist wie unsere moderne, können Erzähltexte eine besonders intensive Wirkung entfalten. Über die Effekte von Sprache denken im antiken Kontext insbesondere die Rhetoriker nach. Als Fachmann für die Redekunst (Rhetorik) verfasst zum Beispiel der römische Autor Quintilian ein mehrbändiges Lehrbuch, in dem er seinen Schülern vermitteln will, wie sich Sprache zielgerichtet einsetzen lässt. Quintilian ist Zeitgenosse der neutestamentlichen Evangelisten und kennt eine verbreitete rhetorische Technik, die er „Anschaulichkeit“ nennt (vgl. Graf 1995: 143–149; Neumann 2011: 622–624). Wenn ein Redner oder Schriftsteller etwas erzählt und dabei beschreibt, was es in der erzählten Welt zu hören und zu sehen gibt, dann erzeugt er Anschaulichkeit. Diese führt dazu, dass das Publikum selbst innerlich das Beschriebene sieht und in die erzählte Szene hineinversetzt wird (Quint., Inst. 8,3,61). Die Adressatinnen und Adressaten vergessen für einen Augenblick, dass ihnen eine Erzählung vorgetragen wird, und meinen, der beschriebenen Handlung selbst beizuwohnen. Quintilian wählt als Beispiel einen Boxkampf und sagt: Auch den tatsächlichen Zuschauern könne der Kampf nicht deutlicher vor Augen gestanden haben als denjenigen, denen der Redner diesen Kampf anschaulich erzählt (Inst. 8,3,63). Die Anschaulichkeit ermöglicht es dem Redner somit, sein Publikum sehr unmittelbar anzusprechen und dabei nicht nur ihr Denken, sondern auch ihr Fühlen zu aktivieren (Inst. 8,3,67-69).

Vor diesem Hintergrund erschließt sich auch eine Facette der Wirkweise biblischer Texte. Auch die besprochenen Abschnitte aus der Feder des Paulus, Matthäus, Lukas oder Johannes schildern ja Ereignisse und merken dabei ausdrücklich an, was die beteiligten Personen mit ihren Sinnen wahrnehmen: Paulus empfängt eine Offenbarung (Gal 1,12; vgl. 1Kor 15,6), und die Jünger sehen den auferstandenen Christus (Mt 28,17; Apg 1,3). In direkter Rede spricht der Auferstandene zu ihnen. Besonders ausgeprägt kommt die Sinneswahrnehmung im Johannesevangelium zur Geltung, da die Jünger Jesus hier nicht nur sehen und sprechen, hören, sondern sich evtl. auch tastend von seinen Kreuzigungs-Malen überzeugen können (Joh 20,20; vgl. 20,25.27). Bei aller Zurückhaltung gegenüber Verallgemeinerungen lässt sich folglich doch hinsichtlich der behandelten neutestamentlichen Textabschnitte sagen, dass auch sie zu einem gewissen Grad anschaulich gestaltet sind. Wenn dies stimmt, dann eignen sie sich dazu, ihren Adressatinnen und Adressaten eine Erfahrung der Unmittelbarkeit zu ermöglichen. Die sprachliche Präsentation der Texte lädt zum Miterleben ein. Die Lesenden können im Lektüreprozess eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus erfahren und an der von ihm ausgehenden Sendung partizipieren. Damit beschränkt die Aussage der behandelten Textpassagen sich nicht darauf, Feststellungen über Vorgänge in der Vergangenheit zu treffen. Vielmehr können und sollen die Lesenden hier selbst auch direkt angesprochen werden.

Handbuch missionarische Jugendarbeit

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