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Die letzten Jäger und Sammler und ihr Erbe

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Vom Beginn des Eiszeitalters bis zu seinem Ende vor 10.000 Jahren war Jagen und Sammeln die einzige Wirtschaftsweise der Menschen weltweit. Mit dieser Lebensform gelang nicht nur die Konsolidierung der zunächst nur aus wenigen Köpfen bestehenden Gattung Homo, sondern bis zum Ende des Eiszeitalters auch die Besiedlung aller Kontinente. Das Projekt „Menschwerdung“ war gegen Ende der letzten Eiszeit nicht mehr gefährdet. Der Erfolg des Jagens und Sammelns lag in seiner hohen Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Lebensräume. Dazu waren einerseits umfangreiche Kenntnisse über die ökologischen Zusammenhänge in den verschiedenen Biotopen erforderlich und andererseits eine an den jeweiligen Umweltbedingungen orientierte Werkzeugtechnik. Die hohe Kunst dieser Lebensform war zu allen Zeiten der kreative Umgang mit den natürlichen Gegebenheiten zur Befriedigung anthropogener Bedürfnisse.

Unverzichtbare Mobilität und Kommunikationsnetz

Unverzichtbarer Teil dieser Strategie war Mobilität im Alltag, im Laufe der Jahreszeiten und im Laufe der eigenen Lebenszeit. Die Regenerationszeit der Ressourcen innerhalb eines lokalen Nutzungsareals reichte nicht aus, um langfristig nur einen Lagerplatz zu besetzen. Mobilität war darüber hinaus ein wichtiger Baustein der Sozialstruktur. Das Zusammenkommen und Auseinandergehen kleiner lokaler Gruppen im Rhythmus der jahreszeitlichen Schwankungen des Nahrungsangebotes waren wichtige Bausteine des Systems. So entstand ein gut funktionierendes Kommunikationsnetz, das die Erstellung mittelfristiger Subsistenzstrategien erst ermöglichte. Die Besiedlungsdichte war gering, und der ökologische Fußabdruck, den die eiszeitlichen Menschen an ihren temporären Lagerplätzen zurückließen, war nach wenigen Jahren kaum mehr auszumachen.

Wildbeutertum als stabiles System

Auch wenn die eiszeitlichen Skelettpopulationen einen hervorragenden ernährungsphysiologischen Standard aufweisen, lebten die Jäger und Sammler nicht im Garten Eden. Wie wir aus ethnohistorischen Beispielen und aus Zahnuntersuchungen eiszeitlicher Individuen wissen, waren Hungerphasen Teil der jägerischen Subsistenzform. Auch noch so ausgeklügelte Jahrespläne konnten in kritischen Phasen, die durch unvorhersehbare kurzfristige Klimaereignisse möglich waren, Not nicht verhindern. Jäger und Sammler hatten grundsätzlich wenige Möglichkeiten, Reserven anzulegen. Die einzigen Reaktionsmöglichkeiten in Krisenzeiten waren das Ausweichen in Nachbargebiete, das Aufspalten der Lokalgruppe oder die Hilfesuche bei anderen Gruppen. Die Jäger und Sammler Europas, Asiens und Afrikas besetzten in der Eiszeit vor allem die zentralen Lebensräume mit optimalen Umweltbedingungen, wobei es ihnen gelungen war, mit der Erweiterung ihres ökologischen Wissens und der Optimierung ihrer Technologie auch in Risikohabitate vorzudringen. Durch den limitierenden Faktor der Mobilität wurden wirtschaftliches Wachstum und Gewinnmaximierung weitgehend ausgeschlossen. Gemeinsam mit einer sehr geringen Geburtenrate waren so ausbalancierte Gesellschaften entstanden, die weitgehend stabile Systeme darstellten.

Mesolithikum

Diese Situation änderte sich gegen Ende des Eiszeitalters. In Europa begann mit dem Holozän das Mesolithikum, die letzte Phase der Jäger und Sammler. In der Gerätetechnologie wird der Wandel deutlich fassbar. Mikrolithen genannte kleinteilige Steinwerkzeuge, die als Einsätze in komplexen, mehrteiligen Werkzeugen dienten, traten nun regelmäßig auf. Knochen und Geweih nahmen in ihrer Bedeutung ab und wurden zunehmend durch Holz ersetzt, das auf Grund der großflächigen Wiederbewaldung Europas ausreichend zur Verfügung stand. Als Jagdwaffe wurde der Bogen verwendet. In den Werkzeuginventaren treten erstmals Mahlsteine auf, die auf die Verarbeitung pflanzlicher Ressourcen hinweisen. Die jägerische Lebensform wandelte sich. Große, wandernde Huftierherden waren in der Waldlandschaft nicht mehr verfügbar. Für die Jagd stand nur noch vereinzelt oder in kleinen Gruppen lebendes Standwild zur Verfügung. Daher wurde ein breites Spektrum an Nahrungsquellen erschlossen, einschließlich des Fischfangs. An den europäischen Küsten entstanden mesolithische Muschelhaufen. Durch das intensive Sammeln von Muscheln wuchsen in den Siedlungen mehrere Meter hohe Abfallhaufen aus Muschelschalen. Die archäologischen Daten vermitteln den Eindruck, dass die mesolithischen Gruppen kleinere Schweifgebiete hatten als die des Jungpaläolithikums. Diese stärkere Standorttreue wird durch das erstmalige Auftreten von Friedhöfen bestätigt. In diese Phase fallen auch die ersten Nachweise gewalttätiger interkultureller Auseinandersetzungen. Kopfbestattungen von Gruppen aus Männern, Frauen und Kindern aus der Großen Ofnet-Höhle und dem Hohlenstein-Stadel in Süddeutschland zeigen schwere Schädelverletzungen, die durch Hacken oder Beile verursacht wurden. Diese Zeugnisse schwerer gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Gruppen können als Hinweis auf eine größere Territorialität der Menschen im ausgehenden Mesolithikum interpretiert werden.

Die technologische Hinwendung zu mikrolithischen Werkzeugeinsätzen hat ihre ältesten Zeugnisse im Kebarien und Natufien, dem späten Paläolithikum des Vorderen Orients. Das Natufien kannte bereits vor etwa 13.000 Jahren eine intensive Nutzung und gärtnerische Pflege von Wildgetreide als Teil der Subsistenzstrategie. Mahlsteine und Sichel aus Silex bezeugen die Ernte und Verarbeitung von Wildgetreide. Mit diesem Prozess ging eine stärkere Sesshaftwerdung einher. Von nun an war es nur noch ein kleiner Schritt zur Domestikation von Pflanzen und Tieren.

Domestikation von Tieren

Die Wurzeln der Domestikation von Tieren lagen in der intensiven kulturellen Auseinandersetzung mit Tieren, die Jäger und Sammler über Hunderttausende von Jahren hinweg im Paläolithikum gepflegt hatten. Neben der religiösen Interaktion hatten sie vor allem empirisches Wissen über die Verhaltensbiologie der Jagdtiere gesammelt. Der Jagderfolg hing neben guten Jagdwaffen, körperlichem Geschick des Jägers und der Einhaltung religiöser Normen vor allem von den Kenntnissen des Tierverhaltens ab. Gerade Herdentiere waren die wichtigste Jagdbeute, da sie durch Treibjagden vom Menschen gelenkt werden konnten und wahrscheinlich auch in Gatter getrieben wurden. Dort wurden sie mehr geschlachtet als gejagt. Diese Lenkung der Tierherden und ihre zumindest kurzfristige Gefangennahme vor dem Töten gab bereits den paläolithischen Jägern eine besondere Macht über Tiere, die in der Masse zudem ihre Individualität verloren. Der intellektuelle Schritt zu einer planmäßigen Haltung und Trennung der Tiere nach Geschlecht und Alter war nur noch ein kleiner; zumal die Zähmung von Jungtieren schon im Paläolithikum praktizierte wurde, wie dies für den Hund, das älteste nachweisbare Haustier des Menschen, gelten kann.

Komplexe soziale Systeme

Von großer Faszination ist die Frage, wie es gelingen konnte, die weitgehend symmetrische Verteilung von Macht in den Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften des Eiszeitalters im Neolithikum gegen ein hierarchisches System auszutauschen. Am Beispiel von Gruppen der amerikanischen Nordwestküsten-Indianer lässt sich zeigen, dass auch Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften starke soziale Hierarchien ausbilden und hohe Standorttreue mit festen Siedlungen sowie eine hohe Bevölkerungsdichte aufweisen können. Möglich wird diese abweichende soziale Organisation durch die Nahrungsressource Lachs. Mehrere Lachsarten des Pazifiks ziehen vom Frühjahr bis in den Herbst in die Oberläufe der Flüsse und sind so eine reiche und verlässliche Nahrungsquelle. Diese sehr stabile Nahrungsquelle ermöglichte seit über 3000 Jahren an der Nordwestküste Amerikas eine Organisationsform von Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften, die über das weltweit bekannte Schema dieser Lebensform weit hinausgeht. Die führenden Persönlichkeiten der Nordwestküsten-Indianer organisierten die zentrale Speicherung von Nahrungsmitteln und ihre Verteilung innerhalb der Gemeinschaft. Teilweise koordinierten sie Verteilungsfeste, zu denen auch andere Gruppen eingeladen wurden. Der gesellschaftliche Wohlstand stand allen zur Verfügung, wurde in der Gemeinschaft verteilt, zugleich aber durch eine Elite kontrolliert. Das Ritual der Verteilungsfeste förderte den sozialen Ausgleich und bewirkte die Anlage einer Reserve für Notzeiten, die sowohl innerhalb der Gruppe, aber auch mit Nachbargruppen geteilt werden konnte. Das Beispiel der Nordwestküste bietet ein Modell, wie die letzten Jäger und Sammler auch im Vorderen Orient den Schritt zu einer neuen sozialen und wirtschaftlichen Organisation vollzogen haben könnten. Die Verschiebung der gesellschaftlichen Balance geschah wahrscheinlich unmerklich für den Einzelnen. Die politischen Führer der neolithischen Gesellschaften haben die Macht sicher nicht im Handstreich an sich gerissen, sondern allmählich durch Vertrauen und Können erworben, unterstützt durch gemeinschaftliche Handlungen und Rituale.

Beginn der Neolithisierung

Mit dem Ende der Eiszeit und dem Beginn der Neolithisierung ging der Lebensraum jägerischer Gemeinschaften weltweit ständig zurück. Zugleich sank die Bedeutung dieser Lebensform für die Lebensführung des Homo sapiens. Wir haben noch wenig Erfahrung im Umgang mit unserer Geschichte, aber ein Abgleich der zeitlichen Dimension der menschlichen Entwicklungsgeschichte kommt zu einem erstaunlichen Fazit. Im Vergleich zur Lebensform des Jagens und Sammelns ist der Rest unserer Geschichte erschreckend kurz. Wir können daher davon ausgehen, dass diese Lebensform unsere Wahrnehmung der Welt und unser Verständnis von Gemeinschaft bis zum heutigen Tage prägt.

Aber erst mit der Aufklärung wurden in Europa die Grundsätze politischer Verfasstheit bei sogenannten primitiven Gesellschaften wiederentdeckt. Soziale Gleichheit, Individualität und Mobilität – der Dreiklang des politischen Systems bei Jägern und Sammlern – sind heute politische Forderungen aller demokratisch verfassten Gesellschaften und verbriefte Grundlagen der Menschenrechte. Es entsteht der Eindruck, dass sich offenbar eine evolutionsgeschichtliche Schleife schließt. Wir sind zurückgekehrt an den Anfang unter den Bedingungen der Geschichtlichkeit. Die uralten Grundlagen menschlichen Zusammenlebens, die sich im Eiszeitalter entwickelten, sind heute so aktuell wie seit 10.000 Jahren nicht mehr. Egalitäre politische Vorstellungen werden inzwischen über die eigene Gemeinschaft hinaus auf die gesamte Spezies übertragen. Aus den Menschen und ihren unterschiedlichen Gemeinschaften ist zumindest gedanklich die Menschheit geworden, die sich als eine Art versteht und erstmals über eine verbindliche Verfasstheit ihrer politischen und sozialen Situation nachdenkt.

wbg Weltgeschichte Bd. I

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