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Die indogermanische Sprachfamilie

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3½ Jahrtausende direkte Dokumentation

Die indogermanische Sprachfamilie ist die einzige, die heute auf allen Kontinenten vertreten ist. Auch nach der Zahl der Sprecher, die sich auf 418 Einzelsprachen verteilen, nimmt sie den ersten Rang unter den Sprachfamilien ein. Ihr gehören sechs Weltsprachen (Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Russisch, Deutsch) und zwei weitere Sprachen mit mehr als 100 Millionen Sprechern (Hindi, Bengalisch) an. Am Beispiel dieser linguistischen Großfamilie wird die Ausdifferenzierung neuer Sprachen – und gegenläufig auch das Aussterben bestehender – so anschaulich wie sonst nirgends, umfasst ihre direkte Dokumentation doch bis zu 3½ Jahrtausende und mit den großen, gut erforschten Kultursprachen des Altertums wie Altgriechisch, Latein und Altindisch/Sanskrit eine unvergleichlich reiche Überlieferung. Dazu kommt, dass die Methode der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft von den ältesten Textzeugnissen des 2. Jahrtausends v. Chr. aus weitere zwei Jahrtausende zurück in die schriftlose Periode der ausgehenden Jungsteinzeit und zur Rekonstruktion der unbezeugten indogermanischen Grundsprache führt. Keine weitere Sprachfamilie ist in vergleichbarer Weise in ihrer historischen Entwicklung überschaubar.

Die im deutschen Sprachraum geläufige Bezeichnung „indogermanisch“ orientiert sich an der geographischen Ausdehnung der Familie in Antike und Mittelalter, von der indischen Sprache Sri Lankas im äußersten Südosten bis zum germanischen Island im Nordwesten. Wie „indogermanisch“ beinhalten auch „Indo-European/Indo-Européen“ insofern eine gewisse terminologische Unschärfe, als verschiedene Sprachen Europas in Gegenwart (Baskisch, Ungarisch, Finnisch, Estnisch, Saamisch, Sprachen von Migranten u.a.) und Vergangenheit (Iberisch, Tartessisch, Ligurisch, eventuell auch Etruskisch, Minoisch) nicht zur Indogermania gehören. Die Selbstbezeichnung der Indogermanen ist nicht bekannt. Die vom Nationalsozialismus missbrauchte Benennung „Arier“ ist die Selbstbezeichnung indoiranischer Sprechergemeinschaften: Altindisch und altpersisch arya-, enthalten zum Beispiel in *aryānām xšaθra „Reich der Arya“, das von Erān, Irān (šahr) fortgesetzt wird. Die Bezeichnung wäre im Europa des 20. Jahrhunderts also am ehesten den ursprünglich aus Indien stammenden Sinti und Roma zugekommen. Ausdrücke wie „indogermanische Völker“sind von prägnanter Kürze, doch sind Sprachgemeinschaften weder mit Ethnien noch mit Rassen gleichzusetzen.

Datierung der Grundsprache

Der zeitliche und geographische Ansatz der indogermanischen Grundsprache ist nicht sicher bestimmt. Die Datierung ins 4. Jahrtausend v. Chr. ist heute eine von der Mehrheit der Forscher getragene Schätzung, die vom Sprachstand und der Sprachentwicklung der ältesten Einzelsprachen beziehungsweise Sprachzweige ausgeht (Anatolisch, Indoiranisch, Griechisch). Verschiedene archäologisch fassbare Kulturen wurden mit den Indogermanen identifiziert, ohne dass darüber Einheit bestünde. Verbreitet lokalisiert man die indogermanische Urheimat im östlichen Mitteleuropa oder in der südrussischen Steppe, doch könnte Aufschluss vielleicht nur im Zusammenspiel von Archäologie und einer aktuellen Analyse des Wortschatzes im Bereich der Lebensbedingungen und natürlichen Umwelt (Fauna, Flora, Werkzeuge) erzielt werden.

Zwölf große Sprachzweige – Germanische Lautverschiebung

Die indogermanische Grundsprache ist nicht in schriftlichen Zeugnissen überliefert. Ihre Rekonstruktion geht von der sprachlichen Hinterlassenschaft von zwölf großen Sprachzweigen und Einzelsprachen aus: Anatolisch, Altindisch und Altiranisch, Griechisch, Italisch, Keltisch, Armenisch, Germanisch, Tocharisch, Slawisch, Albanisch und Baltisch. Dazu kommen eine Vielzahl von meist fragmentarisch überlieferten und in ihrer sprachlichen Filiation nicht sicher zu bestimmenden Sprachen: Phrygisch, Messapisch, Venetisch, Illyrisch, Thrakisch und Dakisch. Es sind die schon seit der Renaissance beobachteten, aber erst seit Sir William Jones und Franz Bopp an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert genauer beschriebenen systemhaften Gemeinsamkeiten dieser Sprachen auf allen Ebenen des sprachlichen Baus, die die Vorstellung einer sprachlichen Verwandtschaft nahelegten. Ebenso wesentlich ist aber die Feststellung, dass die anzutreffenden sprachlichen Unterschiede weithin systematischer Natur sind und festen, eruierbaren Regeln folgen. Ebenso bedeutsam wie die Ähnlichkeit von neuhochdeutsch Fuß, englisch foot, lateinisch pēs, pedis, griechisch poús, podós und altindisch (Sanskrit) pád-(konventioneller Ansatz des Stammes) beispielsweise gegenüber türkisch ayak oder hebräisch regel ist die Tatsache, dass das Lautverhältnis deutsch-englisch /ƒ/ : lateinisch-griechisch-altindisch /p/ systemhaft in zahlreichen Entsprechungsreihen wiederkehrt (teilweise mit unterschiedlicher Graphie des /ƒ/): Vater, father: pater, patr, pit; Vieh, fee: pecu, altind. páśu- (der griechische Fortsetzer ist ausgestorben). Hier bewirkte die germanische Lautverschiebung eine Weiterentwicklung des ererbten Konsonantismus (p >f). Die Abweichung des Vokalismus von altind. pád- „Fuß“ gegenüber lat. ped- und von altind. páśu- „Vieh“ gegenüber lat. pecu ist ebenfalls systemhafter Natur und lässt sich in die ausnahmslos gültige Regel fassen, dass den in den europäischen Sprachen meist bewahrten Vokalen e und o im Sanskrit grundsätzlich ein a entspricht: lat. est, griech. estí, nhd. ist : altind. ásti oder lat. rēx „König“ : altind. rāj- (z.B. in mahā-rāja „Großkönig“). Das Nebeneinander von e und o in lat. ped- und griech. pod- allerdings ist nicht mit dem Wirken eines einzelsprachlichen Lautgesetzes zu erklären; man weist es als Phänomen eines morphologisch geregelten Vokalwechsels (Ablaut) schon dem indogermanischen Paradigma zu und rechnet mit je einzelsprachlicher Verallgemeinerung einer Stammalternante: Nominativ *pód-, Genitiv *péd-. Das Sternchen kennzeichnet diese Formen als rekonstruiert und nicht in einem Text belegt; es findet seine Anwendung sowohl in (ur-)indogermanischen Rekonstrukten als auch generell in unbelegten Vorformen historischer Lexeme und Morpheme.

Es ist naheliegend, dass die Rekonstruktion des Indogermanischen in erster Linie von früh bezeugten, der Grundsprache zeitlich noch möglichst nahen Sprachen auszugehen hat, womit der Fokus auf Anatolisch, Indoiranisch und Griechisch fällt. Allerdings garantiert eine frühe Bezeugung nicht automatisch einen altertümlichen Sprachstand. Die baltischen Sprachen, 3000 Jahre später als der anatolische Zweig überliefert, weisen in vieler Hinsicht ein archaisches Gepräge auf.

Ausdifferenzierung in Elinzelsprachen

Beginnend mit ihrer Ausdifferenzierung aus der indogermanischen Grundsprache wirkten in allen Einzelsprachen jeweils spezifische Bündel von Lautgesetzen und verliehen ihnen ihr jeweils charakteristisches Aussehen. Wie begrenzt die Wirksamkeit von Lautgesetzen in Zeit und Raum ist, veranschaulicht das Aufkommen neuer, sekundärer e im Sanskrit nach Abschluss des Wandels e > a: devá- „Himmlischer, Gott“ stammt aus älterem, unbezeugtem *daiwa-, dessen indogermanische Ausgangsform auch lat. deus zugrundeliegt. Die „zweite“ oder „hochdeutsche“ Lautverschiebung strahlte von oberdeutschem Gebiet mit abnehmender Intensität nach Norden aus (ich : ik; Fuß : foot). Das Phoneminventar der Grundsprache wird von der überwiegenden Mehrzahl der Indogermanisten in folgender Gestalt angesetzt: fünf Vokale in distinktiver Quantitätsopposition (a, ā, e, ē, i,ī, o, ō, u, ū), von denen i und u ebenso in vokalischer und konsonantischer (, ) Geltung auftreten wie Liquiden und Nasale ; drei Reihen stimmloser, stimmhafter und stimmhaft-aspirierter Verschlusslaute für Labiale (p, b, bh), Dentale (t, d, dh), Velare (k, g, gh), Palatale und Labiovelare , den Sibilanten s und drei hinsichtlich Artikulationsart und -ort nicht sicher bestimmbare „Laryngale“ (Laryngal 1–3: h1, h2, h3). Die „Laryngaltheorie“ hat der modernen Indogermanistik ein verfeinertes Verständnis lautlicher und morphologischer Prozesse gebracht; ein Ansatz wie *h2stér- „Stern“, der den a-Anlaut von griech. astr, ástron gegenüber Stern, lat. Stēlla (und anderen) erklärt, fand durch die Erschließung des Hethitischen mit /hsterz/ „Stern“ eine Bestätigung.

Nominal- und Verbalflexion

Mit seiner reich ausgebildeten Nominal- und Verbalflexion gehört das Indogermanische zu den Sprachen des – vorherrschend – synthetisch-flektierenden Typs und steht damit agglutinierenden (Türkisch), isolierenden (Chinesisch) und inkorporierenden (Grönländisch) Sprachen gegenüber. In seiner über lange Perioden zurückzuverfolgenden Geschichte veranschaulicht das Englische den Wechsel vom flektierenden zum isolierenden Typ. Der als Subkategorie des flektierenden Typs für semitische Sprachen wie Hebräisch und Arabisch angesetzte „introflexive“ Typ (arab. kitab: Plural kutub) ist auch im Indogermanischen vertreten (* „Wasser“: * „Gewässer“). Die Anzahl der für das Indogermanische angesetzten nominalen und verbalen Kategorien hängt eng mit der noch nicht abschließend geklärten Beurteilung der sprachlichen Stellung des anatolischen Zweigs zusammen: Die vergleichsweise einfache Struktur des Hethitischen – und der anderen anatolischen Sprachen – kann als Ganzes oder in Teilen prinzipiell entweder den Zustand einer Grundsprache widerspiegeln, in der sich nach dem Ausscheiden des Hethitischen der vergleichsweise komplexe Typ des Indoiranischen und Griechischen herausbildete. Alternativ konnte die Vereinfachung einer komplexer strukturierten Grundsprache in der Vorgeschichte des Hethitischen erfolgt sein.

Mit der Rekonstruktion indogermanischer Lexeme wird eine ansonsten verschüttete Welt der ausgehenden Steinzeit in Ausschnitten sichtbar. Die Indogermanen verfügten über ein hochdifferenziertes Zählsystem (*, in lat. decem, griech. déka, altind. dáśa), kannten Pferd (*, in lat. equus, griech. híppos, altind. áśva-), Rad (*, in griech. kýklos, altind. cakrá-, altengl. hweohl > wheel) und Metall (*h2áHes-, in lat. aes, altind. áyas-). Sie verehrten himmlische Götter (*deó-, in lat. deus, altind. devá-), unter denen der „Vater Himmel“ (*, in lat. Iū-piter, griech. Zeùs patr, altind. Dyaúṣ pit) und die Göttin der Morgenröte (*H2ásōs, in lat. Aurōra, griech. Ēōs, altind. Uṣás-, litauisch aušrà, vielleicht altengl. Eostre ~ Ostern), eine „Tochter des Himmels“ (*Diós dhugh2tr, in griech. Diòs thygátēr, altind. Divó duhit), namentlich fassbar werden. In verschiedenen Spuren zeigt sich der Glaube an ein himmlisches Weiterleben (*- „Weg zur Sonne“, in griech. ólbos „Glück, Seligkeit“, altind. svargá- „strahlende Welt, Himmel“).

Die Frage, wie sich die Indogermanen bereits in der Vorzeit von einer, wie anzunehmen ist, begrenzten Urheimat über große Teile Eurasiens ausbreiten konnten, wird kontrovers diskutiert. Mögliche Szenarien reichen von der Ausbreitung sprachlicher Erscheinungen im Rahmen einer Akkulturation hin zur kriegerischen Expansion mehr oder weniger umfangreicher Sprachgruppen, was häufig in Zusammenhang hang mit dem Erwerb und der Verbreitung kultureller Errungenschaften – Pferd, Wagen und Ackerbau – gesehen wird. Humangenetische Ansätze korrelieren neuerdings genetische „Fingerabdrücke“ in der gegenwärtigen Bevölkerung mit (vor-)historischen Wanderbewegungen, wobei freilich die Ausbreitung von Ethnien nicht notwendig mit jener von Sprachen zusammenfallen muss.

Satem-/Kentum-Dichotomie – Indoiranische Spracheinheit

Als eine der Aufspaltung der indogermanischen Spracheinheit vorausgehende Dialektgliederung galt lange die Satem-/Kentum-Dichotomie zwischen jenen Sprachen, die neben dem Zusammenfall von Velaren und Labiovelaren eine Weiterentwicklung der Palatale in Affrikaten aufweisen – das Musterwort stammt aus dem iranischen Avestisch: satəm „hundert“ (< *) – und jenen, die Velare und Palatale zusammenführen und als reine Velare bewahren (lat. centum). Demnach stünden Indoiranisch und Balto-Slawisch als Satemsprachen den Kentumsprachen Griechisch, Italisch, Germanisch und Keltisch gegenüber. Heute gilt dieses Phänomen als eine gegenüber anderen Merkmalen vergleichsweise triviale Erscheinung, die unabhängig in den Einzelsprachen auftreten konnte. Die Bestimmung charakteristischer Isoglossenbündel zur Bestimmung sogenannter Zwischengrundsprachen ist eine komplexe und häufig kontrovers beurteilte Aufgabe; anders als grammatische Morpheme neigen Lexeme eher zur Entlehnung und sind darum kein ausschlaggebender Indikator für engere sprachliche Verwandtschaft. Gegenüber den durch gemeinsame Neuerungen klar hervortretenden Sprachzweigen Germanisch, Italisch oder Anatolisch bleibt sowohl der Ansatz höherer als auch niedrigerer Gliederungsebenen manchmal umstritten. Allgemein akzeptiert ist die indoiranische Spracheinheit, die als weithin rekonstruierbarer Vorgänger der indoarischen (= indischen) und iranischen Sprachen auf die Zeit um 2000 v. Chr. datiert wird. Ein geringeres Maß an Zustimmung erfährt die baltoslawische Zwischengrundsprache, die italo-keltische Spracheinheit und ein Balkanbund aus Griechisch, Armenisch, Tocharisch und Albanisch. Angesichts der Altertümlichkeit des Indoiranischen und Griechischen ist zu bezweifeln, dass die von manchen angesetzte „graeco-arische“ Spracheinheit im Test einer von beiden Sprach (grupp)en ausgehenden vergleichenden Rekonstruktion zu etwas anderem als eben der Grammatik und dem Lexikon des Indogermanischen – unter Ausschluss des Anatolischen – führte.

Bezeugungsalter und Korpusgröße indogermanischer Einzelsprachen variieren beträchtlich. Das Alter einer Überlieferung ist nicht zwingend an die Schriftlichkeit einer Kultur gebunden, da gerade Werke der Dichtkunst vielfach lange Zeit mündlich überliefert wurden. Schrift gelangte meist von außen in eine indogermanische Sprachkultur: mesopotamische Keilschrift zu Anatoliern und Persern, minoische Linear-Schrift zu mykenischen Griechen, später phönizisches Alphabet, mit Weitergabe an Etrusker und Italiker, iberisches Alphabet zu Keltiberern usw. Es ist anzunehmen, dass eine Reihe indogermanischer Sprachen ausstarb, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Kultursprachen des Vorderen Orients

Der anatolische Sprachzweig tritt als erster in das Licht der Geschichte. Schon im 19. Jahrhundert v. Chr. tauchen indogermanisch-anatolische Personennamen in den keilschriftlichen Urkunden assyrischer Handelsniederlassungen in Kleinasien auf. Das Großreich der Hethiter hinterließ in seinen Archiven Tausende von Keilschrifttafeln, die den unterschiedlichsten literarischen Genres angehören – Annalen, Gebete, Staatsverträge und diplomatische Korrespondenz, Gesetze, Ritualtexte, mythische Erzählungen – und auch in anderen Kultursprachen des Vorderen Orients verfasste Texte enthalten, darunter in den verwandten Sprachen Luwisch und Palaisch. Bricht das Hethitische in der Katastrophenzeit um 1200 v. Chr. ab, so setzt sich das für Monumentalinschriften gebrauchte Luwische („Hieroglyphenluwisch“) ins 1. Jahrtausend v. Chr. fort, wo mit dem Lykischen, Lydischen, Karischen und einigen anderen Sprachen weitere Vertreter des Anatolischen zutage treten. Der anatolische Sprachzweig ist noch in der Antike erloschen. Seine frühe Bezeugung veranlasst gelegentlich dazu, die Urheimat der Indogermanen in Anatolien zu suchen.

Alphabetschriftlichkeit ab dem 8. Jahrhundert

Die Zugehörigkeit des Griechischen zu einem größeren Sprachzweig ist nicht unmittelbar feststellbar. In der bronzezeitlichen Palastkultur des 2. Jahrtausends v. Chr. erscheinen mit den Linear-B-Täfelchen die ersten Zeugnisse eines altertümlichen Griechisch, des Mykenischen. Das Gros der Täfelchen in Knossos, Pylos, Theben, Mykene und anderen Fundorten fällt in das 14./13. Jahrhundert, ein Neufund aus Olympia anscheinend schon in das 16. Jahrhundert v. Chr. Die verwendete Silbenschrift lässt die Sprachform nicht genau zum Vorschein kommen, der Verwendungszweck als Buchungstexte der Palastverwaltung gibt nur ein eingeschränktes Segment des Lexikons frei. Nach den schriftlosen Dunklen Jahrhunderten setzt im 8. Jahrhundert die Alphabetschriftlichkeit ein, an deren Beginn die monumentalen Epen Homers stehen. In der beispiellosen Fülle ihrer Themen und Motive, im Gebrauch archaischen Sprachguts und seiner Einbettung in beziehungsreiche Kontexte stellen »Ilias« und »Odyssee« große und nur teilweise erschlossene Tore in die Vorzeit Europas dar. Das Griechische begegnet von Beginn seiner Überlieferung an in dialektaler Aufgliederung, wobei einzelne literarische Gattungen jeweils bestimmten Dialekten zugeordnet sind (Ionisch: Epos, Dorisch: Chorlyrik). In der Neuzeit bildet das Neugriechische mit dem Albanischen, Mazedonischen und Rumänischen einen areallinguistischen Balkansprachbund.

Die ältesten Vertreter indischer und iranischer Sprachen sind eng miteinander verwandt und werden allgemein aus einer unbezeugten indoiranischen Grundsprache (um 2000 v. Chr.?) hergeleitet. Vielfach ist unter Anwendung der größtenteils bekannten Entsprechungsregeln die unmittelbare Umsetzung einer Sprachform in die andere möglich: Altind. asura- „Herr“, medhā- „Weisheit“ : iranisch-avestischer Gottesname Ahura Mazda.

Auf dem Weg in den Indischen Subkontinent gliederte sich eine Abteilung der Indoarier im Vorderen Orient heraus und erlangte eine führende Rolle im Reich von Mittani; einzelne Namen und Termini der Pferdezucht sind durch hethitische Quellen überliefert. Das Altindische – Sanskrit im weiteren Sinn – gliedert sich chronologisch in Vedisch und Sanskrit. Am Anfang steht der Rigveda mit seinen 1028 Götterhymnen, gewöhnlich auf die Zeit um 1200 v. Chr. datiert und bis in die Neuzeit im Wesentlichen unverändert mündlich tradiert. Die Sanskrit-Literatur ist von gewaltigem Umfang; das bereits mittelindische Pali gewann als heilige Sprache des Buddhismus weite Verbreitung. Unter den über zweihundert neuindischen Sprachen, die dem indoarischen Zweig angehören, besitzt Hindi die meisten Sprecher.

Gleiches Alter wie das Altindische besitzt das Altiranische in der Sprachform des Altavestischen, in dem die häufig Zarathustra zugeschriebenen Gathas (Lieder) verfasst sind. Altavestisch und das dem Altpersischen der achaimenidischen Königsinschriften (6./5. Jahrhundert v. Chr.) zeitnahe Jungavestisch sind die Sprachen der heiligen Schriften der Parsen-Religion. Von der Sprache der skythischen Reiternomaden, die die Schwarzmeerregion und die südrussische Steppe von der Donau bis nach Zentralasien durchstreiften, ist nichts erhalten geblieben. Zu den iranischen Sprachen der Gegenwart zählen unter anderem das Farsi (Neupersisch), das Ossetische im Kaukasus und das Pashto in Afghanistan.

Latein als Grundlage für romanische Sprachen

Zum italischen Sprachzweig gehören einerseits Latein und das Faliskische, andererseits die sabellischen Sprachen (Oskisch-Umbrisch). Ein gemeinsames Merkmal mit dem Etruskischen (unbestimmter Herkunft) ist der vorhistorische Anfangsakzent, was auf einen mittelitalischen Sprachbund hindeutet. Inschriftlich beginnt die Überlieferung des Lateinischen im 7. Jahrhundert v. Chr., literarische Werke, die unter griechischem Einfluss stehen, setzen im 3. Jahrhundert v. Chr. ein. Das gesprochene Latein, das in der Literatur gewöhnlich durch ein artifizielles Stilideal ersetzt ist, bildet die Grundlage für die Ausdifferenzierung der romanischen Sprachen, hat aber auch das Albanische tiefgreifend beeinflusst.

Für die gewaltige Ausbreitung der Kelten von Spanien (Keltiberer) bis nach Kleinasien (Galater) wird ein Ausgangspunkt in Mitteleuropa gesucht. Zurückgedrängt wurden die Kelten durch die Expansion von Römern und Germanen. Auf keltiberische, gallische, lepontische und frühirische (Ogam) Inschriften folgen literarische Werke in irischer, kymrischer (walisischer) und bretonischer Sprache. Abkömmlinge des Irischen sind das schottische Gälisch und die 1974 ausgestorbene Sprache der Insel Man (Manx). Das Bretonische geht auf Flüchtlinge zurück, die Cornwall im Zuge der angelsächsischen Eroberung verließen, gehört also zur Gruppe der inselkeltischen Sprachen.

Armenisch ist seit dem 4. Jahrhundert n. Chr. überliefert. Seine Deszendenz wird häufig in einen Zusammenhang mit dem Griechischen und dem nur fragmentarisch bezeugten Phrygischen gebracht. Zahlreiche lexikalische Entlehnungen bezeugen intensiven Kontakt mit dem Iran während der arsakidischen und sasanidischen Epoche.

Universale Geltung des Englischen

Das Germanische ist zunächst durch (nordgermanische) Runeninschriften ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. bekannt. Von seinen drei Zweigen liefert das Ostgermanische mit der Bibelübersetzung des Wulfila (4. Jahrhundert n. Chr.) das erste literarische Denkmal. Auf der Krim sind gotische Sprachreste durch Ghiselin von Busbecq noch für das späte 16. Jahrhundert dokumentiert. Nord- (Altisländisch u.a.) und Westgermanisch (Althochdeutsch, Altenglisch in drei Hauptdialekten, Altfriesisch, Altsächsisch, Altniederfränkisch/Altniederländisch) setzen im 8. Jahrhundert ein. Es ist gerade die universale Geltung des Englischen in der Gegenwart, die über die Verselbständigung von Varianten – britisches, amerikanisches, kanadisches Englisch, Black English, Asian English, verschiedene Pidgin-Formen – eine Tendenz zur Ausdifferenzierung beinhaltet.

Das Tocharische ist in zwei Ausprägungen (A und B oder Ost- und Westtocharisch) vom 6. bis ins 8. Jahrhundert n. Chr. an der Seidenstraße, in der heutigen chinesischen Provinz Xinjiang überliefert und damit der östlichste Ausläufer der indogermanischen Sprachfamilie. Die Texte, im Wesentlichen Übersetzungsliteratur aus dem Mittelindischen, bezeugen einen Sprachkontakt mit der Turksprache Uigurisch, in dessen Verlauf das Tocharische ausstarb.

Im späten 9. Jahrhundert n. Chr. setzt die Überlieferung des Altkirchenslawischen oder Altbulgarischen ein, des ältesten Vertreters des slavischen Zweigs, der sich in Ost- (Russisch, Ukrainisch, Weissrussisch), West- (Polnisch, Tschechisch, Slovakisch, Kaschubisch, in Deutschland: Sorbisch und das ausgestorbene Polabisch) und Südslawisch aufspaltet. Innerhalb des Südslawischen, zu dem auch das Bulgarische, Slovenische und Mazedonische zählen, haben die Sprachen des ehemaligen Jugoslawien (Kroatisch, Bosnisch, Serbisch) durch die politischen Ereignisse der jüngeren Vergangenheit eigenständigen Status erlangt.

Im 15. Jahrhundert wurde das Albanische verschriftlicht. Es ist Mitglied des Balkansprachbundes, aber als ehemalige römische Provinz Illyricum auch intensiv durch den Kontakt mit dem Latein geprägt.

Zuletzt, nämlich erst im 16. Jahrhundert, begegnen wir den baltischen Sprachen Lettisch, Litauisch und dem ausgestorbenen Altpreußischen. Trotz ihrer späten Überlieferung weisen sie zahlreiche Archaismen in ihrem Sprachbau auf. Vielfach wird eine balto-slawische Sprachgemeinschaft für die vorhistorische Zeit angenommen.

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