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Die Große Krise und der Vormarsch der Diktatur

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Umbruch in Innen- und Außenpolitik

Im Jahre 1929, als die Weimarer Republik eher zurückhaltend gerade ihrer zehnjährigen Gründung gedachte, setzte sich in Europa die Einsicht durch, dass „es um die europäische Politik nicht zum Besten stand“ (Harold James). Das Wort „Krise“ ging um, und die Koinzidenz der Krisen der Weltwirtschaft, der Demokratie sowie des internationalen Systems bekräftigte diesen Eindruck. Mit dem New Yorker Börsenkrach am 24. Oktober begann die Weltwirtschaftkrise, die freilich in Deutschland mit einer Krise vor der Krise schon einen hausgemachten Vorlauf hatte. Mit dem Tod von Außenminister Stresemann, der am 3. Oktober einem Herzschlag erlegen war, schienen die Hoffnungen auf eine internationale Verständigung zu schwinden, was sich mit einem außenpolitischen Kurswechsel der deutschen Regierung unter der Präsidialregierung von Heinrich Brüning bald bewahrheiten sollte. Der Einmarsch Japans in die Mandschurei unter Missachtung des Völkerbundes im September 1931 verstärkte den Eindruck. Politische Radikalisierungen im Inneren und nationalistisch-aggressive Töne und Maßnahmen in der internationalen Politik zerstörten den Traum der politischen Vernunft und Berechenbarkeit.

Globale Folgen der Wirtschaftskrise

Wie aus einer allgemeinen wirtschaftlichen Abkühlung und Depression eine Große Depression wurde, ist vielfach erörtert worden und hat viele Ursachen, die ineinandergreifen und von den Finanzmärkten ausgingen. Spätestens 1931 hatte die Wirtschaftskrise globale Dimensionen erreicht, und vor allem die Staaten Mitteleuropas standen vor gravierenden wirtschaftlichen Problemen (s.S. 305ff.). Sie waren von Land zu Land freilich anders gelagert, doch die Folgen waren einander ähnlich. Überall kam es zum Zusammenbruch des Bankensystems, das durch die Nachkriegsinflation und Kapitalknappheit schon geschwächt war. Überall verloren die Staaten dadurch zunehmend ihre politische Handlungsfähigkeit, und viele der möglichen Lösungen blieben aus unterschiedlichen Gründen versperrt. Von den Schuldnerländern übertrug sich die Krise auf die Gläubigerländer. Ausgehend vom britischen Pfund wurde in mehreren Etappen fast überall der Goldstandard der eigenen Währung aufgegeben, um das Budgetdefizit zu bekämpfen und dem Ansturm auf die Banken ein Ende zu machen. Jeder verschanzte sich hinter seinen eigenen Grenzen, was die internationalen Finanz- und Warenmärkte zusammenbrechen ließ.

Krise der Produktion

Die Krise der Produktion führte zur Massenarbeitslosigkeit, die sich überall verbreitete. 1932 war der Höhepunkt der Krise erreicht, die Arbeitslosenzahlen wurden zum sichtbarsten und gesellschaftlich wie politisch wirkungsmächtigsten Indikator. In Großbritannien gab es dreieinhalb Millionen Arbeitslose, in Deutschland über sechs und in den USA mehr als zwölf Millionen. Die Krise war besonders in den klassischen Industriesektoren, bei der Eisen- und Stahlproduktion und im Maschinenbau, ausgeprägt. Besonders fatal waren die sozialen und mentalen Folgen der Großen Krise. Pessimismus und Verzweiflung machten sich fast überall breit, der Glaube an den Kapitalismus und die Marktwirtschaft schwand; unter den Langzeitarbeitslosen breiteten sich Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und ein Hang zur Kleinkriminalität aus. Politische Radikalisierungen in die verschiedenen politischen Extreme konnten nicht ausbleiben; sie waren dort besonders groß, wo die politische Kultur ungefestigt und die Parteien integrationsunfähig waren oder zunehmend wurden.

Krisenmanagement

Nicht nur im Ausmaß und in der politisch-sozialen Wirkung der weltweiten Wirtschaftskrise gab es mannigfaltige Ausprägungen; auch das Krisenmanagement war sehr unterschiedlich. Auf die Frage, warum England und die USA die schwere Krise letztlich mit demokratischen Mitteln überwinden konnten, gibt es mehrere Antworten. Sicherlich ist der Verweis auf die Erfahrungen einer gefestigten demokratischen politischen Kultur nicht gering zu werten, doch noch wichtiger sind die unterschiedlichen finanziellen und materiellen Ressourcen, die zur Ankurbelung des Arbeitsmarktes und der Wirtschaft eingesetzt werden konnten. In diesem Falle verfügten die USA, die von der Krise zwar völlig unvorbereitet getroffen wurden, über die bei weitem größten Reserven, während Krieg und Inflation gerade die europäischen Staaten besonders stark geschwächt und alle nennenswerten Kapitalreserven aufgebraucht hatten. Hinzu kommt außerdem ein ebenso entscheidender Faktor in Form des politischen Krisenmanagements. Auch hier zeigten die USA und auch Großbritannien die größte Flexibilität und Bereitschaft zu einer entschlossenen, sozialpolitisch abgefederten und demokratisch legitimierten Politik.

Krisenpolitik in den USA

Das gilt besonders für die USA, wo im November 1932 mit der Wahl von Franklin D. Roosevelt zum Präsidenten und seiner bis 1945 währenden Amtszeit das große Reformwerk des New Deal umgesetzt wurde. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Herbert C. Hoover, der angesichts der Krise des Systems versagt hatte, wandte sich Roosevelt der bislang abgelehnten Idee einer staatlichen Sozialpolitik und verstärkten staatlichen Interventionspolitik zu und setzte dies pragmatisch, nicht klassen- oder ideologiegebunden und in der Konzeption pluralistisch ins Werk. Die Krise hatte gelehrt, dass der individualistische Kapitalismus, der das Gesellschaftssystem der USA bestimmt und den Aufstieg zur führenden Wirtschaftsmacht gefördert hatte, im Moment der Krise durch ein „gewisses Maß an sozialer Planung und staatlicher Koordinierung“ (Karl-Dietrich Bracher) ergänzt werden musste. Die staatliche Förderung und Lenkung der Wirtschaft, die gegen heilige liberale wirtschaftspolitische Grundsätze verstieß, zusammen mit einer Regelung der Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen und vor allem der Kontrolle der Lohn- und Arbeitsbedingungen konnte sich auf eine breite politische Basis stützen – geführt von der Demokratischen Partei Roosevelts und getragen von den Gewerkschaften. Auch von den Demokraten der Südstaaten wurde diese progressive Politik der Ausweitung der Staatstätigkeit durch ein ausgeprägtes taktisches Geschick und eine mehrgleisige Politik, die neben progressiven Elementen auch traditionelle Ansätze enthielt, mitgetragen. Das bedeutete nicht, dass es eine breite Opposition von Kritikern und überzeugten Liberalen gab, die Sturm gegen die Gesetze des New Deal liefen und vor dem konservativen Obersten Gericht damit teilweise auch Erfolg hatten. Bevor die teilweise Suspendierung einiger Gesetze greifen konnte, hatten die ersten Zeichen der wirtschaftlichen Erholung ausgereicht, um Roosevelt bei den Wahlen 1936 einen eindeutigen Sieg zu verschaffen, was Verfassungsänderungen und einen partiellen personellen Austausch in der Zusammensetzung der Richterschaft des Supreme Court und damit die Fortführung der Reformarbeit erlaubte, bis einige der Maßnahmen angesichts erster Erfolge sogar ausgesetzt wurden.

Dass die staatliche Wirtschaftsförderung und Lenkung der Arbeits- und Lohnpolitik als Mittel der Krisenbekämpfung, gleichwie man sie im Einzelnen beurteilen mag, mit demokratischen Mitteln und einer reformerischen Anpassung der Wirtschaftsordnung durchgeführt wurde, macht bei allen scheinbaren Parallelen zur Krisenpolitik des nationalsozialistischen Deutschland die entscheidende Differenz zwischen einer Demokratie und einer Diktatur aus.

Krisenpolitik in Großbritannien

Auch die britische Krisenpolitik stützte sich auf bewährte Methoden der parlamentarischen Demokratie, die auf die kriegserprobte Form der „nationalen Regierung“, das heißt eine Art Große Koalition zurückgriff. Nachdem das Kabinett von Labourführer MacDonald auf dem Höhepunkt der Finanzkrise im Sommer 1931 in der Frage einer weiteren Deflationspolitik und weiteren Kürzung der Arbeitslosenunterstützung tief gespalten war, bildete der Regierungschef nach dem Rücktritt mehrerer Minister, die den Kurs nicht mittragen wollten, seine Regierung um und nahm auch konservative und liberale Politiker auf. Die nationale Regierung, so MacDonald, sollte nur für die Zeit der finanziellen Notsituation amtieren und sich vor allem der Aufgabe des Budgetausgleichs widmen. Heftige Proteste gegen den Lohnabbau – von Marinesoldaten eröffnet – bewogen den Premierminister, Neuwahlen auszurufen. Die Regierung siegte, auch durch das Mehrheitswahlrecht begünstigt, haushoch und setzte ihre Politik des Krisenmanagements durch eine kluge Währungspolitik und eine großzügige Kredithilfepolitik fort, was langfristig eine wirtschaftliche Erholung brachte, ohne allerdings schnelle Erfolge zu zeitigen. Auf die war man freilich angesichts der großen politischen Mehrheiten, die das Krisenmanagement trug, auch weniger angewiesen als instabile Regierungen und vielleicht auch Diktaturen, die ihre Popularität ebenfalls auf rasche oder auch nur vermutete Erfolge stützen müssen.

Krisenpolitik in Deutschland

Anders verlief die Krisenpolitik in Deutschland, die zu einer Verschärfung und zu einem Abgleiten in die Diktatur führte. Die Heftigkeit der Krise in Deutschland hatte mehrere Gründe: eine Krise vor der Krise, die Verbindung der Depression mit dem Problem der Zahlung der Reparationen, schließlich der Versuch deutschnationaler Politiker sowie von Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, die Verschärfung der Finanzkrise zur Lösung der Reparationsfrage zu nutzen, indem durch eine Zahlungsunfähigkeit Druck auf die ausländischen Kreditgeber ausgeübt werden sollte, bis diese ihre Ansprüche herunterschraubten. Damit hatte Schacht dem friedlichen und auf Übereinkunft basierenden Revisionskonzept von Stresemann widersprochen und war – durchaus konsequent – nach dem vorläufigen Scheitern seiner Obstruktionsstrategie und der Annahme des neuen Abkommens (Young-Plan) mit seinen verbesserten Zahlungsmodalitäten zurückgetreten. Das Scheitern der letzten demokratisch gewählten Regierung der Großen Koalition unter dem Sozialdemokraten Hermann Müller bedeutete den Übergang zu einer Präsidialregierung, die ohne eigene parlamentarische Mehrheiten vom Vertrauen des Reichspräsidenten und seines Gebrauchs des Notstandsparagraphen der Verfassung (Art. 48) abhängig wurde. Das war für viele Anhänger autoritärer Verfassungsformen der Einstieg in den Verfassungswandel. Zugleich erhoffte sich Brüning von dieser offensiven nationalistischen Politik die Einbeziehung der bei den Septemberwahlen 1930 erdrutschartig angewachsenen NSDAP in die Regierungsverantwortung, zunächst um sie in die Geschäfte einzubinden, später um sie für die eigenen Zwecke der Zähmung und Mehrheitsbeschaffung einzusetzen. Brünings Antwort auf die Große Krise war eine entschiedene Deflationspolitik in Form der Steuererhöhung und Ausgabenkürzung, die auch einen Rückgang der Arbeitslosenhilfe und damit eine Verschärfung der sozialen Lage in Kauf nahm. Das geschah, neben allen Zwängen des begrenzten Spielraums in der Haushalts- und Währungspolitik, vor allem in der Absicht, die deutsche Zahlungsunfähigkeit bei den Reparationszahlungen zu beweisen – eine risikoreiche Politik, die nach neuerlichen drastischen Sparmaßnahmen auf der Basis von Notverordnungen als Reaktion auf die britische Währungspolitik in einen Wettlauf zwischen einem reparationspolitischen Erfolg und einer wachsenden Verelendung von Teilen der Gesellschaft durch die Krisenverschärfung mündete. Brüning wurde durch eine politische Intrige von Seiten einer gewichtigen nationalistisch-autoritären Opposition aus der Großlandwirtschaft und der Reichswehr zu Fall gebracht; damit war der Weg zu einem offenen autoritären Verfassungswandel geebnet. Die Streichung aller Reparationsverpflichtungen auf der Konferenz von Lausanne, sicherlich eine Folge der rigiden Sparpolitik Brünings, kam seinem Nachfolger Franz von Papen zugute, der diesen Coup sofort zu einem Verfassungsbruch und Staatsstreich gegen die letzte Bastion der Weimarer Parteien in Preußen nutzte. Papen war damit aber keineswegs am Ziel, da ihm – abgesehen von den traditionellen Eliten – die politische Unterstützung fehlte und es sich bald herausstellte, dass man in einer Massengesellschaft und einer hochgradig emotionalen gesellschaftlichen Situation nicht allein auf Bajonette gestützt regieren kann. In der anschließenden Auseinandersetzung zwischen Papens autoritärem Verfassungskonzept und der totalitären und scheindemokratischen Mobilisierungspolitik Hitlers musste die Lösung Papens, der alle demokratischen Institutionen außer Kraft gesetzt hatte, den Kürzeren ziehen. Die Staats- und Wirtschaftskrise und die damit verbundene autoritäre Verformung der Verfassungsordnung wurde zum Lehrstück für die Folgen einer schrittweisen Aushöhlung parlamentarischer Politik, die schließlich zum politischen Machtvakuum und zur Machtübertragung auf den charismatischen Führer einer totalitär-faschistischen Bewegung führte. Am Vorabend der NS-Machtergreifung zeichnete sich ein mehrstufiges Tableau von politischen Methoden und Ansätzen zur autoritären und totalitären Verformung der Demokratie ab.

Drei Modelle von Diktaturen

Es lassen sich bei der Etablierung von Diktaturen drei unterschiedliche Modelle unterscheiden, die – wie das deutsche Beispiel zeigt – auch den Charakter eines sich radikalisierenden Verlaufsmodells haben. Denn in der Krise und Auflösung der Weimarer Republik zwischen 1930 und 1933 lassen sich alle drei Modelle hintereinander verfolgen: Die erste, eher noch improvisierte Variante stellte die schein- oder halbkonstitutionelle Diktatur dar, die sich durch einen autoritären Pluralismus von politisch vorübergehend entmündigten, aber ihre Interessen nach wie vor wahrenden gesellschaftlichen Gruppen und Parteivertretern auszeichnete und sich als temporäre Notstandsherrschaft verstand. Zweitens gab es die autoritären Diktaturen, die unter Ausschluss der politischen Funktionseliten des bisherigen Systems mit partieller Veränderung einschlägiger Verfassungsbestimmungen und gestützt auf Polizei und Armee, aber ohne wesentliche Eingriffe in die gesellschaftlichen Strukturen regierten. Drittens existierte die totalitäre Diktatur, die das bisherige Verfassungssystem unter weitgehender Zustimmung der Bevölkerung und bei gleichzeitiger Verfolgung und Ausschaltung der politisch-gesellschaftlichen Opposition (Arbeiterbewegung) zerstörte und die alten gesellschaftlichen Machtgruppen zunächst integrierte oder diese nach einer Übergangsphase entmachtete (wie in Deutschland) beziehungsweise völlig eliminierte (wie in der Sowjetunion).

Drei Wellen der Diktaturgründungen

Die erste Welle der Diktaturgründungen zwischen 1921 und 1923 folgte (mit Ausnahme der Sowjetunion) dem Muster der konstitutionellen Diktatur. In Ungarn errichteten István Bethlen sowie Gyula Gömbös und in Spanien Miguel Primo de Rivera Militärdiktaturen, die sich in Spanien durch eine Politik der konservativen Modernisierung zu rechtfertigen versuchte. Auch Mussolinis systemimmanente Regierungsübernahme in einer Koalitionsregierung im Herbst 1922 gehörte anfangs noch in dieses Modell, während jedoch der gleichzeitige Terror der faschistischen Squadren die Radikalisierung des Regimes vorantrieb. Die zweite Welle der Diktaturgründungen begann 1926 und war von einem Nebeneinander konstitutioneller und autoritärer Diktaturen gekennzeichnet. Die erste Variante begegnet uns in der Herrschaft Józef Piłsudskis in Polen, aber auch in Portugal und Jugoslawien. Die autoritäre Variante setzte sich in Italien mit der Diktatur Mussolinis durch, die er 1925 aus einer Krise seiner Koalitionsherrschaft und seiner faschistischen Partei heraus unter Zustimmung der gesellschaftlichen Eliten errichten konnte. Auch die Diktaturmodelle der Präsidialregierungen von Papen und Kurt von Schleicher in Deutschland 1932 lassen sich als konstitutionelle Diktaturen charakterisieren, freilich mit der Tendenz zum autoritären Modell. Die dritte Welle begann mit der Weltwirtschaftskrise und der damit verbundenen Staatskrise und erlebte mit der schnellen Durchsetzung einer totalitär-faschistischen Diktatur in Deutschland ihren Höhepunkt. Mit den revolutionären Methoden einer Doppelstrategie der Machtübertragung von oben und der Machteroberung durch die faschistische Partei von unten zerstörte die NS-Diktatur bei wachsender öffentlicher Zustimmung die Grundlagen der liberalen Verfassung und des Rechtsstaates und schaltete jede Opposition aus. War der Faschismus Mussolinis bis dahin das Vorbild für viele kleine Diktatoren, so rückte nun die charismatische Herrschaft Hitlers in den Mittelpunkt der europäischen Aufmerksamkeit, auch wenn es in dieser dritten Welle der Diktaturgründung anderswo, etwa in Südosteuropa und Südeuropa, weiterhin zur Etablierung von bloßen autoritären Diktaturen kam, was in der geringeren politischen Mobilisierung der dortigen politisch-gesellschaftlichen Ordnungen begründet ist.

wbg Weltgeschichte Bd. VI

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