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Martina Decker

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Oma Linda feiert Weihnachten

Missmutig griff Maja zum Telefon. Gerade war sie so schön weggedöst und ausgerechnet da musste es klingeln.

„Ja …?“

„Hallo, ich bin es – Marco!“

„Mein lieber Bruder! Du störst! Ich liege in der Sonne und versuche mich ein wenig auszuruhen.“

„Tut mir leid.“ Marco klang nicht wirklich reumütig, eher aufgeregt.

„Also … Was willst du?“

„Oma Linda hat mich eben angerufen. Ich soll heute Abend pünktlich sein und nicht die Weihnachtsgeschenke vergessen.“

„Weihnachtsgeschenke?“ Maja musste grinsen. In den letzten Monaten war Oma Linda zusehends in ihre eigene Welt abgedriftet. Erst hatten sie sich nichts dabei gedacht. Aber als Oma Linda nicht mehr wusste, wer Maja war und sie für ihre Mutter hielt, war sie mit ihr zu einem Arzt gegangen.

„Demenz“, hatte der Doktor lapidar festgestellt und beiläufig hinzugefügt: „Das wird noch schlimmer. Machen Sie sich auf einiges gefasst. Diskutieren bringt wenig. Solange es möglich ist, gehen Sie auf die Geschichten ein. Das schont vor allem Ihre Nerven.“

So lernte Maja, auf den Namen ihrer Mutter zu hören, verwies unsichtbare Besucher der Wohnung, und sie hatte die Verwandtschaft gebeten, es ihr gleichzutun.

„Und – hast du die Geschenke schon eingepackt?“, fragte sie lachend ins Telefon.

„Jetzt hör aber auf!“, entrüstete sich Marco. „Eigentlich wollte ich dich bitten, ihr das mit Weihnachten auszureden.“

„Du weißt doch, mitspielen ist die Devise. Alles andere verwirrt sie nur noch mehr!“ Maja konnte sich ihr Lachen kaum noch verkneifen. Marco klang so … so verzweifelt.

„Aber ok“, fügte sie hinzu. „Ich gehe mal zu ihr rein. Vielleicht kann ich was für dich tun, Bruderherz. Bleib in der Nähe des Telefons, ich rufe dich gleich zurück.“

Ihr Blick ging zum Küchenfenster der Einliegerwohnung. Oma Linda hatte den Rollladen heruntergelassen. „Nun, dann will ich mal nachsehen!“, murmelte sie und schlenderte über den Rasen zur Eingangstür.

Oma Linda war zeitlebens ein Familienmensch gewesen. Nur wenn sie alle ihre Lieben um sich versammeln konnte, war sie wirklich zufrieden. Jeden Geburtstag, jeden Namenstag, ja fast jeden Sonntag machte sie zu einem großen Familienfest. Sie buk und kochte, dekorierte den Jahreszeiten und Anlässen entsprechend und verwöhnte alle nach Strich und Faden.

Mit ganz besonderer Hingabe bereitete sie jedes Jahr das Weihnachtsfest vor. Die letzten Tage im November stand sie Stunde um Stunde in der Küche und der Duft von Plätzchen und Christstollen zog verlockend durch alle Zimmer.

Am Vorabend des ersten Advents wurde die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet und der riesige, weiße Porzellanengel auf das Fensterbrett gestellt. Dazu gesellten sich die Wichtel aus dem Erzgebirge, von Kindern und Kindeskindern gebastelte Nikoläuse und der Lichterbogen, den Opa Willi kurz nach dem Krieg gefertigt hatte. Die Zimmerbegonien mussten den dunkelroten Weihnachtssternen weichen und wurden für die kommenden Wochen in den Keller verbannt.

Am Heiligen Abend schließlich schmückte sie die große Tanne, die Opa Willi tags zuvor im Wald geschlagen hatte, und legte für jeden ein Päckchen darunter. Abends um sechs Uhr war Bescherung. Der alte Plattenspieler leierte die Weihnachtslieder der Fischerchöre und Oma Linda wuselte unaufhörlich umher, steckte den Kleinen einen Keks zu, schenkte ihren Töchtern ein Likörchen ein und Opa und den Schwiegersöhnen einen Schnaps. Immer wieder verschwand sie in der Küche und freute sich, wenn das Essen allen gut schmeckte.

Nach Opa Willis Tod wollte Oma Linda nicht alleine in dem großen Haus bleiben. So bezog sie die kleine Einliegerwohnung im Haus von Enkelin Maja und freute sich an ihrem ersten Urenkel.

Maja hämmerte an die Tür. Oma Linda hörte auch nicht mehr so gut.

„Oma Linda! Ich bin es, Maja!“

Schlurfende Schritte näherten sich dem Eingang. Durch die Verglasung konnte Maja einen Schatten erkennen. Dann öffnete die alte Frau.

„Margit! Schön, dass du schon da bist. Ich habe noch gar nicht mit dir gerechnet. Aber komm doch rein. Ich bin gleich fertig.“

Oma Lindas Augen strahlten. Maja trat ein.

„Nach was riecht es denn hier?“

„Ich habe gebacken. Die Plätzchendosen waren schon wieder leer. Zur Bescherung gehören Plätzchen! Was sollen die Kleinen denn sonst naschen?“

Oma Linda verschwand im Wohnzimmer. Maja beschlich eine böse Ahnung, und im nächsten Augenblick wurde diese zur Gewissheit. Im Wohnzimmer stand der kleine Plastikweihnachtsbaum, der in der Adventszeit den Vorgarten des Hauses zierte. Eigentlich sollte er in der hintersten Ecke der Garage liegen. An seinen Zweigen hingen die wenigen alten Silberkugeln, die den Umzug überlebt hatten, und einige silberne Folienstreifen.

„Was ist …“

„Kind, ich konnte das Lametta nicht finden. Und im Laden gab es auch keines. Aber in der Küchenschublade war noch eine Rolle dieser glänzenden Folie.“ Oma Linda strahlte. „Sieht schön aus, oder?“

Maja nickte stumm. Nicht diskutieren! Das bringt nichts! Ihr fielen die Kekse wieder ein. Schnell ging sie in die kleine Küche nebenan. Ein beißender Geruch lag in der Luft. Eilig zog sie den Rollladen auf und öffnete das Fenster. In den alten Blechdosen lagen kleine, verkohlte Häufchen – liebevoll mit Puderzucker bestäubt. Oder war es Mehl? Eine halbvolle Tüte lag umgestürzt auf der Anrichte. Maja fuhr der Schreck in die Glieder. Was hätte da alles passieren können! Sie musste unbedingt den Herd abklemmen!

„Margit!“ Oma Linda war schon wieder im Wohnzimmer. „Kannst du bitte mal die Geschenke vom Schrank nehmen?“

Eine Vielzahl kleinerer und größerer Päckchen lag auf dem Schrank, eingewickelt in Zeitungspapier.

„Leg sie doch bitte unter die Tanne. Ich kümmere mich jetzt um das Essen.“

„Oma Linda …“

Majas Gedanken überschlugen sich. Es war Weihnachten – für Oma Linda. Doch vom Kochen musste sie sie unbedingt abhalten.

„Weißt du nicht, dass ich heute das Essen mache?“

„Du?“ Oma Linda lachte. „Du kannst doch gar nicht kochen!“

„Kann ich wohl! Ich habe es gelernt und du hast mir versprochen, dass ich es dir heute beweisen darf.“ Maja gab ihrer Stimme einen schmollenden Unterton.

Oma Linda schaute sie durchdringend an. „Du weißt, Weihnachten ist mir sehr wichtig. Da sollte das Essen perfekt sein. Traust du dir das wirklich zu?“

Maja nickte. „Bitte, bitte, lieber Gott“, sandte sie ein Stoßgebet zum Himmel, „mach, dass sie ja sagt.“

„Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass ich dir das versprochen habe“, meinte Oma Linda und setzte dann kopfschüttelnd hinzu: „Ach, ich glaube, ich werde alt. In letzter Zeit vergesse ich tatsächlich öfter mal was. Na gut, dann koche du eben.“

Erleichtert drückte ihr Maja einen Kuss auf die faltige Wange.

„Bin gleich wieder da! Muss nur noch schnell was besorgen.“

„Beeile dich! Um sechs ist Bescherung und danach essen wir. Papa wird böse, wenn er nicht pünktlich sein Abendessen bekommt.“

Wieder im Garten atmete Maja tief durch. Kurz schloss sie die Augen und genoss die warmen Sonnenstrahlen auf der Haut.

Dann griff sie erneut zum Telefon.

„Hallo, Marco!“

„Na endlich! Hast du es hinbekommen?“

„Nein!“

„Wie, nein?“

„Du wirst wohl oder übel heute Abend herkommen müssen. Ich sag Mama und Papa Bescheid. Und sei pünktlich. Um sechs ist Bescherung.“

Es wurde eines der schönsten Weihnachtsfeste, das sie je zusammen feierten. Maja hatte die verbrannten Kekse heimlich ausgetauscht und es sogar noch geschafft, ein paar Kleinigkeiten als Geschenk zu verpacken. Der alte Plattenspieler leierte Weihnachtslieder der Fischerchöre und Oma Linda wuselte unaufhörlich umher, steckte dem Kleinen einen Keks zu, schenkte ihrer Tochter ein Likörchen ein und den Männern einen Schnaps. Immer wieder verschwand sie in der Küche, sah besorgt auf das, was Maja zubereitete, und freute sich, als später das Essen auch wirklich allen schmeckte.

Das war am 25. Juni.

Es war Oma Lindas letztes Weihnachtsfest.

Weihnachten

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