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3. Konservativer Schwenk: Der Sieg des deutschen Revisionismus (1930–1933)

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Andreas Hillgruber hat den Begriff ‚Revisionismus‘ zur Bezeichnung der deutschen Politik in den Jahren 1918 und 1933 in die Forschung eingeführt (187). An ihm sollte sie bis in die jüngste Zeit festhalten. Hillgruber verstand darunter alle Bemühungen der deutschen Politik, die für Deutschland ungünstigen Ergebnisse des Versailler Friedens Schritt für Schritt zu verbessern bzw. zu verändern. Als Ergebnis seiner Bemühungen zur Revision des Versailler Vertrages sollte Deutschland nicht nur wieder in seine ursprüngliche ökonomische Schlüsselrolle in Mitteleuropa einrücken, sondern eine Ausgangsposition erreichen, die diese in wenigen Jahren beträchtlich übersteigen sollte.

Nach Hillgruber durchläuft die deutsche Außenpolitik als wesentliche Antriebskraft dieses Revisionismus, abgestützt durch besondere innenpolitische Konstellationen, drei Phasen. In einem ersten „defensiven Abschnitt“ gelang es ihr, die Folgen der Niederlage abzuschwächen und eine nachträgliche Ausweitung des Sieges der Alliierten zu verhindern. Diese Anstrengungen gipfeln in dem Scheitern der französischen Politik der „produktiven Pfänder“ und der ersten, Deutschlands wirtschaftlicher Lage angemessenen Reparationsregelung im Dawes-Plan 1924. Mit der Übernahme der Verantwortung der deutschen Außenpolitik durch Gustav Stresemann und der Umsetzung seiner Grundüberzeugung, dass „Europas Zukunft in den Händen der USA“ liege, gelang der deutschen Politik mit der „Parallelisierung von deutschen und amerikanischen Wirtschaftsinteressen“ (Link) einer ihrer größten Erfolge. Als Gegengewicht zu der schwierigen Westpolitik näherte sich Deutschland zeitweilig dem zweiten Verlierer des Krieges, dem revolutionären Russland an. Mit dem Vertrag von Rapallo im Jahre 1922 und dem deutsch-russischen Handelsvertrag von 1926, dem sogenannten Berliner Vertrag, unternahm Deutschland erhebliche diplomatische Anstrengungen, die Wirtschaftsbeziehungen zu dem anderen Außenseiter des Versailler Systems auf eine reale Basis zu stellen. Diese behutsame deutsche Revisionspolitik ging 1930 nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und dem Rückzug der USA aus Europa in einen deutlich aktiveren und schließlich aggressiven Revisionismus über. Zu seinem Forderungskatalog gehörten: endgültige Beseitigung der Reparationen, Überwindung der einseitigen, Deutschland diskriminierenden Abrüstung, Revision territorialer Bestimmungen des Friedensvertrages im Osten, Anschluss Österreichs und Aufbau einer wirtschaftlichen Einflusszone in Ost-Mitteleuropa.

Diese einzelnen Abschnitte des deutschen außenpolitischen Revisionismus bis 1930 stützten innenpolitisch die Parteien der „Weimarer Koalition“, allen voran die SPD. Die Verkündigung des Versailler Friedensdiktats in Form eines deutschen Reichsgesetzes bildete den Handlungsrahmen der „Erfüllungspolitik“ der ersten nachrevolutionären Regierungen und ihrer Repräsentanten: die ersten sozialdemokratischen Reichskanzler Scheidemann und Bauer, Zentrumskanzler Joseph Wirth, Matthias Erzberger als finanzpolitischer Experte und der Großunternehmer Walther Rathenau als Außenminister. Sie trugen wegen ihrer Bemühungen um Vertragserfüllung für die konservativen Gegner der Republik die verächtlich gemeinte Bezeichnung „Erfüllungspolitiker“.

Gustav Stresemann, zwischen 1923 bis zu seinem Tode 1929 kurze Zeit Reichskanzler und für längere Zeit Außenminister, repräsentiert den Übergang dieser „Erfüllungspolitik“ zu einer aktiveren Gestaltung deutscher Außenpolitik. Seine in der Summe erfolgreiche, weil Deutschland in den Kreis der Großmächte zurückführende Außenpolitik lässt bestimmte Optionen offen. In allen brisanten Punkten wie Reparationen, Abrüstung und Grenzziehung im Osten war die deutsche Politik unter Stresemann zwar aktiv, erreichte aber letztlich nichts Substantielles. Deutschland begnügte sich damit, Konstellationen zu respektieren, die sich für den Augenblick nicht ändern ließen, war aber deshalb revisionspolitisch nicht untätig. Als Minister deckte er die seit Beginn der Republik bestehende, die Versailler Rüstungsauflagen unterlaufende geheime militärische Zusammenarbeit der Reichswehr mit Russland auf. Unter dem Reichswehrminister Groener (1928–1931) wurde diese militärische Planung von dem illusionären Großmachtdenken Seeckts befreit und noch unter Stresemann einem realistischen aktiven Revisionskonzept untergeordnet. Hier knüpften Heinrich Brüning, Reichskanzler vom 29. März 1930 bis zu seinem Sturz am 30. Mai 1932, sowie seine Nachfolger Franz von Papen und Kurt von Schleicher an.

Die SPD, bis zur Septemberwahl 1930 mit knapp 25 % der Mandate stärkste Partei im Reichstag, hatte an der „Erfüllungspolitik“ der ersten Jahre vergleichsweise starken Anteil, in der anschließenden Phase abnehmenden und in der dritten Phase überhaupt keinen Anteil mehr. Zu Beginn stellte die Partei mit Scheidemann, Bauer und Müller kurzfristig drei Kanzler und damit die Mehrheit des Personals der „Weimarer Erfüllungspolitik“. Als die SPD im Juni 1928 – vorübergehend gestärkt – wieder größeren Einfluss gewann und mit Hermann Müller erneut ein Sozialdemokrat an die Spitze des Reiches trat, gaben Partei und Kanzler Stresemanns außenpolitischem Kurs Rückendeckung. Die dabei von ihr als Regierungspartei geübte Staatsräson manövrierte sie in eine Reihe schwieriger Situationen und verärgerte ihre Wähler.

Im rechten Spektrum verbreiterte in der gleichen Zeit trotz aller Spaltungstendenzen (Christlich-Sozialer-Volksdienst, Landvolkpartei und Volkskonservative) die zur Radikalopposition gegen Weimar übergehende DNVP ihren Wählerstamm und im linken nahm die KPD der SPD Wähler ab. Wiederholt hatte sich die SPD als direkte oder indirekte Regierungspartei in den vergangenen Jahren ins politische Abseits gebracht. Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 hatte sich die SPD im zweiten Wahlgang nach Verzicht auf einen eigenen Kandidaten zusammen mit der Weimarer Koalition auf der Verliererseite wieder gefunden. Zu Beginn des Jahres 1926 geriet die Partei nach einer Initiative der KPD zur Durchführung eines „Volksentscheids über die entschädigungslose Enteignung der Fürsten“ erneut in die Defensive. Im Herbst 1928 drohte sich der Vorfall anlässlich der Kampagne gegen den Bau der ersten deutschen Panzerkreuzer zu wiederholen. Nutznießer solcher ungeschickten Manöver der größten republikanischen Partei von Weimar waren die Rechten oder die KPD, die beide ihren Stimmenanteil von Reichstagswahl zu Reichstagswahl steigern konnten. Bei den Maiwahlen des Jahres 1928 errang die moskauhörige Partei mehr als 10 % der Reichstagsmandate (SPD knapp 30 %). Angesichts der inzwischen auf 5 Millionen angewachsenen Zahl der Arbeitslosen verweigerte die SPD unter Druck der Gewerkschaften ihre Zustimmung zu der vom Koalitionspartner DVP geforderten Erhöhung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und ließ die Koalition platzen. Von nun an hing der SPD im rechten Lager der Ruf eines unzuverlässigen Partners an. Die deutsche Innenpolitik vollführte einen konservativen Schwenk und die SPD wurde dessen erstes Opfer. Alle seit Frühjahr 1930 entstehenden Regierungskonstellationen klammerten konsequent die SPD aus. Dabei kam die Führung der Partei der neuen Regierung „verantwortlicher Persönlichkeiten“ weit entgegen. In einer Unterredung mit Brüning sicherten die Sozialdemokraten Wels und Müller der Regierung ihre Unterstützung zu. Der an diesen Gesprächen teilnehmende Staatssekretär Hermann Pünder notierte in sein Tagebuch: „Ein System, das man als Parlamentarismus mit Art. 48 oder als parlamentarisch tolerierte Präsidialregierung bezeichnen kann, ist mit Hilfe der SPD installiert“. Damit waren die Sozialdemokraten ungewollt Teil von Brünings Revisionismuskonzept geworden.

Nicht ohne Wirkung auf die Partei konnte die Tatsache sein, dass der politische Kurswechsel auf Reichsebene stimmungsmäßig mit einem nationalistischen Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit, wie dies die Reichstagswahlen vom September 1930 gezeigt hatten, zusammenfiel. Das neue Parlament wurde durch 107 Abgeordnete der NSDAP dominiert. Doch nach wie vor konnte sich der nun ohne parlamentarische Mehrheit regierende, deutlich geschwächte Brüning auf die SPD verlassen. Zum wiederholten Male bildete sie für ihn den Rettungsanker. So verdankte der Reichskanzler im Dezember 1930 das Scheitern eines Antrags der Rechtsparteien auf Aufhebung der Notverordnung vom 1.12.1930 der Unterstützung durch die SPD. Am 20. März 1931 enthielten sich 143 Abgeordnete der SPD bei der Abstimmung über den Wehretat und den Bau des Panzerkreuzers B der Stimme und verhalfen so dem Antrag zum Erfolg. Selbst Brünings Politik der Ausschaltung des Parlaments durch Nichteinberufung versagt sich die Partei im Ältestenrat nicht.

Brünings Revisionismus wurde beherrscht vom Primat der Außenpolitik. Ihm ordnete sich innenpolitisch sein harter Deflationskurs, der die Massenarbeitslosigkeit in Kauf nahm, unter. Eine solche Innenpolitik eröffnete den erwünschten außenpolitischen Spielraum. Bei seiner Nutzung nahm Brüning, anders als Stresemann, auch eine Düpierung wichtiger deutscher Verhandlungspartner in Kauf. Neben dem Abbruch aller Verhandlungen mit Polen ist der Verlauf der Verhandlungen zur Bildung einer deutsch-österreichischen Zollunion ein besonders gutes Beispiel dafür. Die Alliierten hatten im Versailler Frieden dem Anschlusswunsch Österreichs einen Riegel vorgeschoben. Doch war das Thema damit nicht aus der Welt. Von Brüning ermuntert hatte sein Außenminister Curtius, ohne Frankreich und Großbritannien zu konsultieren oder im Völkerbund die Stimmung für die Bildung einer solchen Union zu erkunden, mit der österreichischen Regierung über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit verhandelt. Am 20. März 1931 veröffentlichte die Reichsregierung den „Zollunionsplan“. Frankreich, das ein wirtschaftliches Zusammengehen Österreichs mit Deutschland wegen seiner eigenen Südosteuropa-Pläne misstrauisch verfolgte, legte im Völkerbund sein Veto ein. Damit war das Projekt, welches mit so wenig Fingerspitzengefühl eingefädelt worden war, gestorben. Als Ersatz für das gescheiterte Zollunionsprojekt forcierten Brüning und Papen nun die handelspolitischen Initiativen gegenüber den südosteuropäischen Agrarstaaten, insbesondere Ungarn und Rumänien. Die deutsche Politik bediente sich dabei unter Umgehung des Meistbegünstigungsrechtes des protektionistischen Instruments bilateraler Zollpräferenzen. In den im Sommer 1931 mit den beiden Ländern geschlossenen Handelsverträgen sicherte sich Deutschland, den Exportdruck der betroffenen Länder nutzend, eine dominierende Stellung.

Am stärksten aber sollte der unter Brüning eingetretene Wechsel zu einer offensiven Revisionspolitik in der Reparationsfrage deutlich werden. Brüning hatte in seinen Gesprächen mit dem vom 25. bis zum 27. Juli 1931 nach Berlin gereisten amerikanischen Staatssekretär Stimson und mit dem in Begleitung seines Außenministers Henderson befindlichen britischen Premier MacDonald Zusagen für eine Überprüfung der deutschen Zahlungsfähigkeit erhalten. Ende des Jahres verlangt Deutschland in der gleichen Frage den Zusammentritt des im Young-Plan vorgesehenen Sonderausschusses der „Bank für Internationalen Zahlungsausgleich“. Nachdem am 23. Dezember Sachverständige Deutschlands Zahlungsunfähigkeit festgestellt hatten und vorschlugen, das weitere Vorgehen auf einer Reparationskonferenz zu erörtern, kommentierte Brüning voreilig diesen Schritt mit der Bemerkung, dass der Young-Plan „überholt“ und Deutschland keine weiteren Reparationen zahlen werde. Nach innen durch die zu diesem Zeitpunkt veröffentlichte Denkschrift „Schluss mit den Reparationen“ des Reichsverbandes der Deutschen Industrie gedeckt, wiederholte er im Februar 1932 anlässlich der Genfer Abrüstungskonferenz diese Erklärung. Auf der Lausanner Reparationskonferenz erklärte sich der deutsche Vertreter zur Zahlung einer Restsumme von 3 Mrd. RM gegen die Streichung des Diskriminierungsartikels (Art. 231) des Versailler Vertrages bereit. Von solchen Schritten ermutigt, verkündete wenig später Brünings Nachfolger, Franz von Papen, der Weltöffentlichkeit, dass der „Kampf gegen den Versailler Vertrag die vornehmste außenpolitische Aufgabe seiner Regierung“ sein werde. Seine Regierung brachte mit der Abrüstungsfrage ein anderes brisantes Thema auf die Agenda des deutschen Revisionismus. Bis 1930 hatte Deutschland regelmäßig auf internationalen Abrüstungskonferenzen Forderungen nach Weiterführung von eingeleiteten Abrüstungsmaßnahmen unterstützt. Seit 1930 änderte sich der Tenor der deutschen Abrüstungsexperten. Nun war von „Parität der Sicherheit“ die Rede, was faktisch der Forderung nach einer deutschen Aufrüstung gleichkam. Auf der im Juli 1932 tagenden Genfer Abrüstungskonferenz verließen die Deutschen nach Ablehnung entsprechender Forderungen die Konferenz. Die Vertreter der Großmächte gaben schließlich, beeindruckt von der Hartnäckigkeit der Deutschen, deren Wünschen nach. In einer Fünf-Mächte-Erklärung wurde Deutschland die Gleichberechtigung in Rüstungsfragen zugestanden. Die deutsche Politik einer offenen Revision des „Versailler Systems“ hatte Erfolge erzielt, die man bis dahin nicht für vorstellbar gehalten hatte.

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