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ОглавлениеI. Einleitung
Die Weimarer Republik – ein Dauerthema der Zeitgeschichtsforschung? Um mit einer ketzerischen Frage zu beginnen: Rechtfertigen vierzehn Jahre deutscher Geschichte die bis heute unternommenen umfänglichen Forschungsanstrengungen? Selbst wenn wir Weimar als Teil einer umfassenderen Zwischenkriegs-Epoche verstehen, drängt sich der Vergleich mit den historiographischen Bemühungen zu vierzig Jahren deutsches Kaiserreich oder fünfzig Jahren Bundesrepublik auf? Eine rhetorische, eine angesichts der Forschung provozierende Frage, aber Anlass, kurz auf Aktualität und Wahrnehmung des Themas wie ‚Weimarer Republik‘ einzugehen. Bei seinen Forschungen zum deutsch-französischen Verhältnis der Zwischenkriegszeit erhielt ein deutscher Zeithistoriker jüngst auf seine Anfrage beim Auswärtigen Amt die Auskunft, dass Deutschland seit 1990 seine Reparationszahlungen zur Tilgung der Young-Anleihe in Höhe von 176 Mio. DM wieder aufgenommen habe und bis zum Jahre 2010 beendet haben werde (184, S. 455). Kann man sich eine größere Aktualität unseres Themas vorstellen? Aktualität oder Distanz verweisen auf Wahrnehmung. Wie nahmen Zeitgenossen, wie nehmen wir heute ‚Weimar‘ wahr?
Im Sinne des optimistischen Fortschrittsgedankens des 19. Jahrhunderts lag die Republik im Fluchtpunkt der im Kaiserreich kontinuierlich gewachsenen sozialen Bewegung, repräsentiert durch SPD und Gewerkschaften, bildete einen Höhepunkt der vom liberal-demokratischen Bürgertum getragenen Emanzipation parlamentarisch-demokratischen Regierens und setzte den Schlussstein einer auf materiellen Fortschritt fixierten Kultur. So erklärt sich die optimistisch vorwärts gerichtete Stimmungslage der Gründungsphase der Republik, die ihren Niederschlag in der Verfassung fand. Mit ihrer Annahme durch die von Berlin nach Weimar exilierte Nationalversammlung am 31.7.1919 hatte sich Deutschland die modernste Verfassung seiner bisherigen Geschichte gegeben. Und doch war der dem Verfassungskompromiss zugrunde liegende Konsens von Anbeginn brüchig. Das lag vor allem daran, dass der konservativ-traditionale Teil der deutschen Gesellschaft ihm nicht beitreten konnte. In seinen Augen krankte die rational und ‚vernünftig‘ aufgebaute Republik an einem politischen Übergewicht der Linken und einem Mangel an vaterländischem Patriotismus, Folgen ihrer revolutionären Entstehung und Ausdruck von Deutschlands diskriminierter Stellung im ‚Versailler System‘.
Aber auch für die ‚Republikaner‘, einem Bündnis von Sozialdemokratie, Linksliberalismus und politischem Katholizismus, waren nicht alle Erwartungen in Erfüllung gegangen. Für die Sozialdemokratie saß, vergiftet durch die in der Revolution eingetretene Spaltung der Arbeiterbewegung, der Stachel im Fleisch „offener sozialer Forderungen“. Liberal-demokratische Republikaner vermissten im Verfassungskompromiss einen entschiedenen Unitarismus und Klarheit in allen Fragen wirtschaftlicher Freizügigkeit. Für das Zentrum stellten, nach Diskriminierungen der Katholiken im Kaiserreich, die nach wie vor ungeklärten Beziehungen zwischen Staat und dem Vatikan ein schmerzhaft empfundenes Defizit dar.
Auf diese Weise entstand bei Zeitgenossen und entsteht bis heute eine ambivalente Wahrnehmung des ersten deutschen Demokratieversuches: Nach Verlust der sozialen Statik im Kaiserreich war der im Krieg einsetzende soziale Wandel vielschichtig und unübersichtlich. Mit ihrem Schwanken zwischen unterschiedlichen Revisionismuskonzepten des ‚Versailler Systems‘ war die Republik für ihre Nachbarn schwer kalkulierbar. Innenpolitisch erweckte sie wegen der im Laufe der Jahre eintretenden erstaunlichen Deformationen einer Reihe von Verfassungsinstitutionen wie Parlament und Reichspräsident den Eindruck, größeren politischen Belastungen nicht gewachsen zu sein.
Unter normalen Verhältnissen aber hätten diese Voraussetzungen und Belastungen einen zumindest offenen Ausgang der nach dem Krieg betriebenen Integration des besiegten Deutschlands in die europäisch-atlantische Staatengemeinschaft bedeutet. Der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und ihr Übergreifen auf Deutschland verknüpfte allerdings strukturelle Geburtsschwächen und konjunkturelle politische Belastungen in einem sich aufschaukelnden Krisenverlauf zur schwersten Staatskrise der neueren deutschen Geschichte.
Mit der Etablierung einer von den Weimarer Parteien, die durch die Fragmentierung ihrer Wählerschaft geschwächten waren, teils aktiv betriebenen, teils passiv hingenommenen autoritären Präsidialregierungen und ihrer der parlamentarisch-demokratischen Kontrolle entzogenen Regierungspraxis verwandelte sich in kurzer Zeit das liberal-demokratische Regierungssystem von Weimar in eine im ersten Schritt gemäßigte, im zweiten uneingeschränkte Diktatur. Die Maßnahmen der Präsidialregierungen wie
– Ausschaltung der Parteien als Vorstufe eines Einparteiensystem
– Umkehrung des Trends zur pluralistischen Gesellschaft mit Hilfe eines ideologisch motivierten staatlichen Interventionismus
– Lenkung der Wirtschaft unter Beibehaltung ihrer privatrechtlich-kapitalistischen Struktur
– Mobilisierung innenpolitischer Ressentiments zur Durchsetzung eines aggressiven Revisionismus
– Kulturpolitisches Gegensteuern gegen die vollständige Ausbildung der Klassischen Moderne
gestalteten die Grenzen zwischen gemäßigter Präsidialdiktatur und autoritärem Führerstaat zunehmend fließend. Auf diese Weise ist das ‚Dritte Reich‘ weit im Vorfeld der Weimarer Republik verankert. Dieselben Gründe, welche die Republik scheitern ließen, haben das Dritte Reich ermöglicht. So sind dann alle Fragen nach Weimar auch Fragen nach dem Deutschland der Jahre 1933 bis 1945.
Ist das Ende der Weimarer Republik und der Aufstieg Hitlers auf eine Reihe unheilvoll verketteter Ursachen zurückzuführen, welche die Form eines schicksalshaft erlittenen, von niemandem zu verantwortenden ‚Unglückes‘ annahm?
Oder ist es der Erfolg einer kühl kalkulierenden, unter Ausnützung verbreiteter Ressentiments populistisch taktierenden „gegenrevolutionären Reaktion“ zur Aufrichtung eines vormodernen, autoritären Staatswesens?
Ist aus weiterer Distanz betrachtet das Scheitern von Weimar das Paradigma eines durch Fortschritt wie Reaktion, Rationalität wie Irrationalität gekennzeichneten doppelköpfigen, vernünftig nicht steuerbaren und unaufhaltsam ablaufenden Modernisierungsprozesses?
Oder gibt der Ausgang des „Weimarer Experiments“ allen denen Recht, die in ihm Spätfolgen eines antimodernen deutschen Sonderweges in die Moderne sehen?1
Keine dieser Fragen ist, wie wir sehen werden, im Laufe der Jahre nicht gestellt und geprüft worden.
1. Zur Forschungssituation
Man kann, um eines kurzen Überblicks über die Zeitgeschichtsforschung willen, die Entwicklung wissenschaftlicher Fragestellungen zur Weimarer Republik grob in vier Phasen gliedern:
1) In den fünfziger Jahren wird die Forschung von zwei Richtungen dominiert. Zum einen wirkt die bis zum Kriegsende außerhalb Deutschlands weitergeführte linke Kritik an Weimar – wie z.B. durch Arthur Rosenberg – fort. Zum anderen muss sich die Forschung mit zahlreichen Rechtfertigungsversuchen Betroffener auseinander setzen (Brüning, Treviranus, Meissner, Papen u.a.).
2) Ende der fünfziger Jahre hat die deutsche wieder zur internationalen Forschung aufgeschlossen und entwickelt ein methodisches Instrumentarium, welches ihr die Beantwortung struktureller Fragen nach Weimar ermöglicht. Zu nennen ist hier Karl Dietrich Brachers Untersuchung über das Ende der Weimarer Republik (22). Bis in die siebziger Jahre hinein überwiegen in der Nachfolge Brachers, unter Einbeziehung wirtschaftsgeschichtlicher Fragen (Bochumer Symposium 1974), methodisch anspruchsvolle Forschungsansätze.
3) Die achtziger Jahre stehen ganz im Zeichen der Rehabilitation der politikgeschichtlichen Forschung. Horst Möller (464), Gerhard Schulz (86–88), Andreas Hillgruber (187) und Klaus Hildebrand (46) zeigen mit ihren Forschungen ein weniger kritisches, dafür materialgesättigteres Bild der Ersten Republik. Mit seiner dreibändigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in Weimar bricht Heinrich August Winkler das Monopol der DDR-Geschichtsschreibung zu diesem Thema (147–149). Dem Wirtschaftshistoriker Knut Borchardt (355) verdankt die Forschung, sieht man einmal von der Kontroverse über die Rolle Heinrich Brünings nach Veröffentlichung seiner Memoiren ab, ihren ersten engagiert ausgetragenen wissenschaftlichen Grundsatzstreit.
4) Mit den weitgehend in den neunziger Jahren zum Abschluss kommenden umfangreichen Aktenpublikationen (Reichskanzlei, Auswärtige Politik, Parteien) rückt die Forschung zur Weimarer Republik in den klassischen Kanon der deutschen Geschichtswissenschaft. Die stärkere Fokussierung des zeitgeschichtlichen Interesses auf NS-Zeit, Nachkriegsszeit und DDR-Geschichte geht mit einem rückläufigen Interesse an der Weimarer Republik einher. Die über weite Strecken des bisherigen Forschungsganges geltende akklamative Maxime „Bonn ist nicht Weimar“ weicht einer längerfristigen entdramatisierten kulturgeschichtlichen Perspektive auf die deutsche Geschichte der Zwischenkriegszeit.
2. Zur Darstellung
In einer ein halbes Jahrhundert dauernden Forschungsgeschichte bleiben wissenschaftliche Kontroversen natürlich nicht aus. Entlang des Weimarer Phasenmodells „Revolution und Friedensschluß“, „Kriegsfolgen und Krisen“ sowie „Ende von Weimar“ sind für die vorliegende Darstellung acht solcher Kontroversen ausgewählt worden. Themen wie „Ende der Weimarer Republik“ und „Wer wählte die NSDAP?“ ordnen sich dabei der politischen Geschichtsschreibung zu, solche wie die „Borchardt-Kontroverse“ oder „Inflation und Weltwirtschaftskrise“ führen auf das Feld der Wirtschaftsgeschichte. Mit den Schwerpunkten „Streit um den Mittelstand“, „deutsche Arbeiterbewegung 1918–1933“ und „Juden und Antisemitismus vor 1933“ wird die Grenze zur Sozialgeschichte überschritten. Ein Thema wie „Die Weimarer Republik – Ort der Klassischen Moderne“ fasst die vielgestaltige und sehr kontroverse Forschung zur „Weimarer Kultur“ als Ursprung der Klassischen Moderne zusammen.
Die zahlreichen Forschungen zur Parteiengeschichte, ein die sechziger und siebziger Jahre beherrschendes Thema, bilden keinen eigenen Schwerpunkt. Der eine oder andere Leser und Nutzer wird dies vermissen. Umso mehr, als in den letzten Jahren diese Forschung etwa durch Detlev Lehnerts (66) und Peter Lösches2 provozierende Feststellungen, Weimar sei kein oder nur ein höchst problematischer Parteienstaat gewesen, neue Anstöße erhalten hat. Ob der Paradigmenwechsel von den kompromissunfähigen Weimarer Weltanschauungsparteien zu den durch ihre „sozialmoralischen Milieus“ fragmentierten Parteien mehr ist als das Abfüllen alten Weines in neue Schläuche, muss sich noch zeigen. Die Grundlagen dieser Forschungen bilden die von Otto Büsch angestoßene Aufarbeitung, Kommentierung und Darbietung des Materials zu Wählerbewegungen und Wählerentwicklungen, das eine erstaunliche Kontinuität der in bestimmten Milieus verwurzelten Wählerschaft zeigt.3
1 Anlässlich der Besprechung von Geoff Eleys den deutschen Sonderweg und Modernisierungdruck miteinander verbindender Kulturgeschichte (Geoff Eley [Hrsg.]: Society, Culture, and the State in Germany 1870–1930, University of Michigan Press 1996) fragt der amerikanische Weimar-Forscher Peter Fritzsche: „The next questions: Was Germany exceptional in mobilizing the potentials of modernity, in understanding itself as the special subject of history, and thus in generating ruin and anachronism?“ Journal of Modern History Vol. 70 (1998), S. 496–499.
2 Zuletzt ausführlich begründet: Peter Lösche: Parteienstaat Bonn – Parteienstaat Weimar? Über die Rolle von Parteien in der parlamentarischen Demokratie, in: Eberhard Kolb/Walter Mühlhausen (Hrsg.): Demokratie in der Krise. Parteien im Verfassungssystem der Weimarer Republik, München 1997, S. 141–164; sowie Peter Lösche/Franz Walter: Katholiken, Konservative und Liberale: Milieus und Lebenswelten in Deutschland während des 20 Jahrhundert, GG 26 (2000), S. 471–492.
3 Wählerbewegungen in der deutschen Geschichte. Analysen und Berichte zu den Reichstagswahlen 1871–1933, bearb. und hrsg. von Otto Büsch/Monika Wölk/Wolfgang Wölk, Berlin 1978; Horst Nöcker: Die preußischen Reichstagswahlen im Kaiserreich und Republik 1912 und 1924. Analysen – Interpretation – Dokumentation. Ein historisch-statistischer Beitrag zum Kontinuitätsproblem eines epochenübergreifenden Wahlverhaltens, Berlin 1987; und jetzt Jürgen R. Winkler: Sozialstruktur, politische Position und Liberalismus. Eine empirische Längsschnittstudie zur Wahlentwicklung in Deutschland 1871–1933, Opladen 1995.