Читать книгу Der neue Atheismus - Группа авторов - Страница 12
1.4 Der Glaube des evolutionären Humanismus
ОглавлениеEs ist nun interessant, dass SCHMIDT-SALOMON in seinem im Jahr 2014 erschienenen Buch „Hoffnung Mensch. Eine bessere Welt ist möglich“ eine deutlich positivere Haltung gegenüber einem aufgeklärten Glaubens- und Religionsverständnis einnimmt. Hatte er bisher Säkularisierung „vornehmlich als Verfallsprozess der Religion beschrieben“, da sie „mit der Zurückdrängung religiöser Wahrheits- und Machtansprüche verbunden“ sei, kann er jetzt durchaus „anerkennen, wenn Gläubige sie im Sinne eines ‚religiösen Fortschritts‘ interpretieren“.24
So nimmt er folgende Differenzierung im Glaubensbegriff vor, die in direktem Zusammenhang mit dem Buchtitel steht: „erstens der rationale Glaube im Sinne von ‚Vermutung‘“, „ zweitens der irrationale Glaube im Sinne eines ‚unbedingten Für-wahr-Haltens‘“ sowie drittens Glaube „im Sinne eines ‚hoffnungsvollen Vertrauens auf irgendetwas oder irgendjemanden‘“25. Bei dem dritten Glaubenstypus nimmt der Autor noch eine weitere Unterscheidung vor; und zwar stellt er einer rationalen eine irrationale Variante gegenüber, abhängig davon, „worauf sich die jeweilige Hoffnung richtet“.26
Der irrationalen Variante des dritten Glaubenstypus rechnet er die Religionen und die „Humanismen der Vergangenheit“ zu. Zwar komme diesen das Verdienst zu, „dass sie sich mit dem Ist-Zustand der Welt nicht zufriedengaben, sondern eine Perspektive anboten, die grundlegende Besserung versprach“27. Ihr Problem sei aber gewesen, „dass sie ihre Hoffnungen auf Illusionen gründeten, die sie im Sinne eines irrationalen Glaubens […] dogmatisierten“.28 Während sämtliche Religionen – mit Ausnahme des „ursprünglichen Buddhismus“ – sowie der klassische als auch der sozialistische Humanismus diesem Verdikt verfallen, wird allein dem evolutionären Humanismus das Prädikat „rational“ zugesprochen.29
Wie ist dies zu beurteilen? Während das Phänomen des Glaubens innerhalb des neuen Atheismus sonst durchweg als obsolet beurteilt wird, überrascht es schon, wenn hier erklärt wird, dass „keine Weltanschauung, die nicht voreilig vor der Irrationalität der Welt kapituliert“, „auf einen solchen Glauben an etwas verzichten“ könne – und deshalb auch nicht der evolutionäre Humanismus.30 Doch worin besteht der Glaube des evolutionären Humanismus? Es ist der „Glaube an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen“31. Das heißt: „Evolutionäre Humanisten vertrauen darauf, dass die Menschheit lebensfreundlichere, gerechtere Verhältnisse herstellen kann, als wir sie heute vorfinden.“32 Schmidt-Salomon zufolge könne der evolutionäre Humanismus ohne einen Rückgriff auf das „Prinzip Hoffnung“ nicht auskommen, womit er auf die marxistische Philosophie von ERNST BLOCH anspielt, die von JÜRGEN MOLTMANN in seiner „Theologie der Hoffnung“ rezipiert wurde. Jedoch – und darauf legt der Sprecher der Giordano-Bruno-Stiftung größten Wert – gründeten die Hoffnungen des evolutionären Humanismus „nicht auf kulturellen Fiktionen, sondern auf empirischen Belegen“.33
Wie ist es nun um die empirischen Belege bestellt? Für den Glauben an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen beruft sich SCHMIDT-SALOMON darauf, dass das altruistische Verhalten, also „Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Einfühlungsvermögen als Bestandteile unseres evolutionären Erbes bereits in unseren Genen liegen“34. Unabhängig davon, ob dies zutrifft oder nicht, zeigt jedoch die geschichtliche Erfahrung, dass die genetische Verankerung des Altruismus offenbar noch keine gewaltsam ausgetragenen Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen auf dieser Erde wirksam verhindert hat. Auf die Gene das Prinzip Hoffnung zu gründen, scheint mir wenig plausibel zu sein.
Realistischer und zugleich überzeugender dürfte hier die Sicht ALBERT SCHWEITZERs sein, der sein Erkennen als pessimistisch, sein Wollen und Hoffen dagegen als optimistisch beurteilte35. Angesichts des gewaltigen Krisenszenarios unserer Zeit mit weltweitem Klimawandel, religiös aufgeladenem Terrorismus, immer neuen Kriegen und Flüchtlingsnot in bisher unbekanntem Ausmaß haben die folgenden Sätze Schweitzers aus dem zweiten Band seiner Kulturphilosophie nichts an Aktualität eingebüßt, sondern gelten in verschärftem Sinne:
„Die Tatsachen rufen uns zur Besinnung, wie die Bewegungen des kenternden Fahrzeuges die Mannschaft auf Deck und in die Segel jagen. Schon ist uns der Glaube an den geistigen Fortschritt der Menschen und der Menschheit etwas fast Unmögliches geworden. Mit dem Mute der Verzweiflung müssen wir uns zu ihm zwingen. Alle miteinander wieder den geistigen Fortschritt des Menschen und der Menschheit wollen und wieder auf ihn hoffen: dies ist das Herumwerfen des Steuers, das uns gelingen muss, wenn unser Fahrzeug im letzten Augenblick noch vor den Wind gebracht werden soll. Fähig zu dieser Leistung werden wir nur in denkender Ehrfurcht vor dem Leben.“36
Auf der Linie eines interreligiösen und interkulturellen Dialogs liegt es, wenn SCHMIDT-SALOMON schreibt:
„Gelänge es, die progressiven Traditionen, die es in jeder Religion gibt, zu forcieren, könnte das aufklärerische Weltkulturerbe der Menschheit, das […] von Menschen aller Zeiten und Kontinente hervorgebracht wurde (unabhängig davon, ob sie gläubig waren oder nicht), stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.“37
Schmidt-Salomons Annäherung an die Religion geht sogar noch darüber hinaus, wenn er die Auffassung vertritt, dass der von ihm propagierte evolutionäre Humanismus das fördere, „was Religion bzw. Religiosität im positiven Sinn auszeichnet, jener ‚Sinn und Geschmack fürs Unendliche‘, von dem Friedrich Schleiermacher (1768–1834) einst gesprochen hat“38. Damit bezieht er sich auf SCHLEIERMACHERs 1799 ursprünglich anonym herausgebrachte Schrift „Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern“. Ja, SCHMIDT-SALOMON hält die Perspektive des evolutionären Humanismus für „im höchsten Maße anschlussfähig“ an „die besten mystischen Traditionen“ der Weltreligionen.39 Ob er diese nicht etwas vorschnell für seine Sache vereinnahmt, müsste von Kennern des Zen-Buddhismus, des Advaita-Hinduismus, des Sufismus, der christlichen Mystik eines MEISTER ECKHART oder NIKOLAUS VON KUES sowie des Pantheismus eines BARUCH DE SPINOZA genauer diskutiert werden. Was die christliche Mystik etwa betrifft, bin ich skeptisch, ob sich SCHMIDT-SALOMONs naturalistisch-materialistische Weltanschauung damit verträgt. Ist doch danach das menschliche Ich nur eine „virtuelle Inszenierung“, basierend auf der „spezifischen Organisationsform eines Körpers“40.
Sollte Schmidt-Salomon es mit seinem vorgelegten Entwurf einer evolutionär-humanistischen Ethik ernst meinen, müsste er sich allerdings von seinem Kinderbuch mit dem Titel „Wo bitte geht’s zu Gott? fragte das kleine Ferkel. Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen“41 distanzieren. Denn dieses „verrät einen aggressiven Stil der Religionsbekämpfung. Hier werden die drei monotheistischen Religionen und der Gottesglaube überhaupt in einem für Kinder verfassten Buch so diskreditiert, dass sie eine Abwehr gegen allen Gottesglauben und gegen die drei Religionen entwickeln sollen.“42