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Anne Buchmann: Dissonanz

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Sie waren in die Dämmerung hineingefahren. Der Mann saß am Steuer, die Frau auf dem Beifahrersitz. Hinter der Kuppe lag die Stadt verborgen unter einer Decke aus gelben Lichtern. Die Frau sah über die Schulter zurück.

Bald schon würden sie ankommen, sie würden hineingehen und so tun, als sei alles in Ordnung, als sei es normal, dass sie dort waren, ausgerechnet an diesem Abend. Im Radio lief Last Christmas. Er nahm eine Hand vom Steuer und drehte den Ton ab. Sie blieb zurück mit dem Motorengeräusch und ihren Gedanken. Schon einmal waren sie dort gewesen. Das war nicht lange her. Sie erinnerte sich an den Spielautomaten neben der Garderobe. Schräg gegenüber die Theke aus dünnem Furnier. Davor die Rückansicht eines Mannes, der stumm sein Glas umfasste. Das Sitzfleisch quoll aus dem tiefen Bund seiner Jeans. Durch das lichterkettenbekränzte Panoramafenster hatte man die Autos und Lastwagen auf sechs Spuren vorüberdonnern sehen.

Sie drehte den Kopf zu dem Mann, der schweigend den Wagen steuerte. Nur eine Sekunde lang sah sie hin und legte die Stirn in Falten.

Sie fragte sich, ob er auch an die Vergangenheit dachte, an diesen Ort, der ihr so unpassend erschienen war. Seine Mutter hatte vorgeschlagen, zur Feier des Tages dorthin zu fahren. Es sei das Einfachste, hatte er zugestimmt.

Der Mann verlangsamte die Geschwindigkeit des Wagens. In ihrem Magen begann es zu kribbeln. Jetzt lagen nur noch der Verzögerungsstreifen und der leere Parkplatz zwischen ihr und –

Sie zog ihr Handy aus der Handtasche und machte ein wackeliges Foto von dem Flachdachgebäude neben der Tankstelle. #Weihnachtsessendeluxe. [Zwinkersmiley].

Noch vor dem Parkplatz erreichte sie eine Antwort. Auf dem Display leuchtete das Bild eines Tellers. Darauf schmiegten sich zwei Wiener Würstchen an hausgemachten Kartoffelsalat, Tannengrün im Hintergrund. Bildunterschrift: Ich Spießer [Zwinkersmiley].

Der Mann hielt direkt vor der Eingangstür. Beim Aussteigen sah sie durch das Panoramafenster. Die Lichterkette blinkte nervös. Sie erinnerte sich an das Essen, an die zu ockerfarbenen Bergen aufgestapelten Convenience-Produkte. Sie presste eine Hand auf den Magen.

Er war bereits einige Schritte vorausgegangen und hielt ungeduldig die Tür auf. Wenn sie hinein ginge, würde sie ihr Einverständnis erneuern. Dieser Nicht-Ort würde ein unwiderruflicher Teil ihrer Biografie werden, dachte sie und dann malte sie sich aus, wie sie stritten. Er würde aufbrausen. Damals, würde er sagen, damals wäre es für sie auch in Ordnung gewesen. Ob sie es noch wisse, als sie an Weihnachten einfach in dieses Trucker-Restaurant gefahren wären, weil sie nichts zu essen im Haus gehabt hätten. Und ihre Verlobung hatten sie auch dort gefeiert und nun, nun stelle sie diese Ansprüche.

Sie drehte sich zur Autobahn um. Ein Lkw nahm gerade Anlauf für die kommende Steigung. Sie sah ihm nach.


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Haller 18 - Weihnachten

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