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ALICE HASTERS WHO’S BLACK?

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Wenn ich über die Frage nachdenke, wer Schwarz ist, dann lande ich oft bei dieser Erinnerung (und Achtung, sie dreht sich um einen rassistisch konnotierten Begriff):

Ich lief mit meiner weißen Freundin durch den Kölner Hauptbahnhof. Das muss kurz vor oder nach dem Abitur gewesen sein. 2008, 2009. Menschen feierten zu der Zeit gerne in 80er-Jahre-Glitzerleggins zu 90er-Jahre-Pop der nervigsten und nostalgischsten Sorte. Es war spät und von so einer Party kamen wir gerade.

Wir gingen einen langen, schmalen Flur entlang, ein wenig wie ein Catwalk. Uns liefen zwei Schwarze Mädchen entgegen. Für einige Sekunden bewegten wir uns aufeinander zu, genug Zeit also, um sich gegenseitig zu mustern. Als sie an uns vorbeigingen, sagten beide gleichzeitig: »Noch so ein verlorenes Mischlingskind.«

Meine weiße Freundin machte große Augen. Mir fiel die Kinnlade herunter. Sie wusste diesen Spruch nicht einzuordnen. Ich hingegen wusste genau, was sie meinten.

Sie sahen mich, ein Mädchen mit Afrolocken und brauner Haut, Partyglitzer im Gesicht, neben einer weißen blonden Freundin.

Weshalb sie mit hoher Wahrscheinlichkeit folgende Schlüsse zogen: Ich wäre verloren. Ich hätte meinen Schwarzen Vater niemals kennengelernt. Er hätte meine weiße Mutter verlassen, bevor ich ein Langzeitgedächtnis entwickeln konnte. Meine Mutter wäre überfordert gewesen. Ich wäre aufgewachsen mit dem Gefühl, dass mein Schwarzsein falsch sei – eine Last für meine Mutter, für meine ganze weiße Familie, die meine Hautfarbe wie eine Bürde sah, für die ich nichts konnte. Ich hätte mich geschämt, wenn jemand gefragt hätte, wo ich herkäme, denn ich hätte keine Identität außer der deutschen gehabt. Doch die billigte mir niemand zu. Deshalb hätte ich mir gewünscht, ich wäre weiß, wie mein Umfeld. Ich würde versuchen meinem Schwarzsein so wenig Bedeutung wie möglich zuzumessen. Versuchen, dort Platz zu finden, wo ich nicht gewollt wäre. Ich wäre eine wandelnde Identitätskrise, die weder bei Schwarzen noch bei weißen Menschen richtig Anschluss finden würde. Ein Oreo, eine Kokosnuss. Einsam. Verloren.

Ich rollte mit den Augen und schüttelte den Kopf. Nicht allerdings, weil ich ihren Kommentar an sich unmöglich fand. Sondern, weil er aus meiner Sicht nicht auf mich zutraf. Mein Vater ist weiß, meine Mutter ist Schwarz, ich bin mit beiden Elternteilen aufgewachsen sowie mit meiner Schwarzen Großmutter. Ich hatte den US-amerikanischen Pass sowie den deutschen und kannte meine Familie in den Staaten. Mich störte also nicht das Bild des »verlorenen Mischlingskinds« an sich – sondern, dass sie mich mit diesem verwechselten. Ich war also kein bisschen weniger vorverurteilend und hatte dieses Stereotyp genauso verinnerlicht wie die Schwarzen Mädchen, die gerade an uns vorbeigegangen waren.

Es ist leichter zu thematisieren, wie weiße Menschen das eigene Schwarze Selbstbild negativ geprägt haben, als darüber zu sprechen, wie Schwarze Menschen es untereinander getan haben. Zum einen, weil es schwer ist, sich einzugestehen, dass man ebenfalls Anti-Schwarze Narrative verinnerlicht hat und diese weiterträgt. Zum anderen, weil viele Angst haben, dabei rassistische, coloristische Stereotype zu reproduzieren und somit zu verfestigen. Da diese Anekdote aus meiner Perspektive geschrieben ist, könnte man denken, die dark skinned Mädchen seien die Aggressiven, Gemeinen. Diese Geschichte hat also das Potenzial, ein Vorurteil eher zu bestätigen, als es zu dekonstruieren. Das ist nicht meine Absicht. Deshalb betone ich an dieser Stelle noch einmal: Ich dachte als mixed Person genauso stereotypisiert über mixed Kinder wie diese Mädchen. Dass wir diese Vorurteile verinnerlicht hatten, lag daran, dass sie schon älter waren als wir alle. Wir schnappten sie auf, hinterfragten sie (noch) nicht und trugen sie weiter. Außerdem waren wir zu dem Zeitpunkt alle Teenager – und wer als Teenager nicht vollkommen verquere Sachen gedacht und gesagt hat, werfe den ersten Stein. Zudem ist es wichtig, dass uns Schwarzen Menschen genauso Individualität zusteht, wie allen anderen auch. Ich stehe nicht für alle light skinned mixed Frauen. Genauso wie die Mädchen nicht für alle dark skinned Frauen stehen. Das hier ist nur eine Geschichte, eine Wahrnehmung, eine Perspektive über Schwarze Identitäten in Deutschland – und wie sie manchmal aufeinanderprallen.

Diese Geschichte soll ebenso wenig dazu dienen, zu zeigen, dass Colorism »in beide Richtungen« geht. Denn das stimmt nicht. Zwar haben mich diese Mädchen aufgrund meiner helleren Haut beleidigt – aber dieser Spruch, diese individuelle Begegnung spiegelt die strukturellen Machtverhältnisse nicht wider. Das vorab, denn in diesem Text fokussiere ich mich nicht auf Colorism, auch wenn mir bewusst ist, dass er nicht von der Frage ums Schwarzsein zu trennen ist. Aber eins nach dem anderen.

Was mir damals am Hauptbahnhof jedoch bewusst war: Unter Schwarzen gibt es Abstufungen. Aus meiner Sicht waren die Mädchen mehr Schwarz als ich – und ich war mehr Schwarz als die, mit denen sie mich angeblich verwechselten. Doch wie kam ich eigentlich darauf? Wer ist eigentlich Schwarz? Und wie wird Schwarzsein bestimmt?

Ich hierarchisierte Schwarzsein in dem Moment am Bahnhof nach Zugehörigkeitsgefühl und Kenntnis des nicht-deutschen Herkunftslandes. Das machte ich, weil ich mit dieser Einordnung ziemlich gut dastand und mich überlegen fühlen konnte. Die meisten würden Schwarzsein jedoch anders definieren. Viele Menschen würden wahrscheinlich antworten, dass Menschen afrikanischer Abstammung Schwarz sind. Aber das ist nicht präzise, denn viele Menschen aus Nordafrika werden nicht als Schwarz bezeichnet und sehen sich selbst auch nicht so. Außerdem ist es durch eine stetige Migration innerhalb Afrikas und einer Zuwanderung von außerhalb noch schwieriger, »Schwarz« mit »afrikanisch« gleichzusetzen. Andere würden mit dem Phänotyp argumentieren, Schwarz seien diejenigen, die Schwarz aussähen, also Menschen deren Haut- und Augenfarbe dunkelbraun und deren Haare kraus sind. Gegebenenfalls würden auch Gesichtszüge und Körperformen mit ins Gewicht fallen. Bei der phänotypischen Definition würden jedoch auch Menschen aus Südasien und indigene Gruppen aus Australien und Ozeanien in die Kategorie Schwarz fallen. Kulturelle und familiäre Hintergründe würden keine Rolle spielen. Andere wiederum würden historisch argumentieren: Schwarz ist, wer von Menschen abstammt, die von der Kolonialisierung und Versklavung in Afrika negativ betroffen waren. Die Frage ist dann aber, wie hoch der Anteil dieser Nachfahr*innen sein muss? Und gibt es dann eine Hierarchisierung zwischen den Völkern, die versklavt wurden und denjenigen, die mit den Kolonisatoren zusammengearbeitet haben? Und wie genau könnte man das heute noch bestimmen? Klar ist jedoch: All diese Definitionen koexistieren in dieser Welt und je nach Land werden sie unterschiedlich ausgelegt.

In den USA fallen relativ viele Menschen in die Kategorie Schwarz, weil dort während der Versklavung unter anderem die »One drop rule« galt. Laut dieser Regel wurde das Schwarzsein über mehrere Generationen vererbt, selbst wenn der Großteil der Vorfahr*innen weiß war. In Brasilien gibt es zahlreiche Bezeichnungen, um die Rassifizierung von Menschen zu beschreiben. Je nach Region und subjektivem Empfinden können diese Bezeichnungen variieren. In Südafrika galten während der Apartheid mixed Menschen als Colored und nicht als Schwarz. Heute sind Coloreds in Südafrika eine eigene rassifizierte Gruppe. Werden Menschen mit einem weißen und einem Schwarzen Elternteil heute in Südafrika geboren, gelten sie jedoch in der Regel nicht als Colored, sondern als biracial. In Russland werden Menschen mit kaukasischen Wurzeln diskriminierend als Schwarz bezeichnet. Also diejenigen, von denen der englische Begriff Caucasian abgeleitet wird, der in den USA ein Synonym für weiß ist. Es gibt also kein global einheitliches Verständnis darüber, wer in der Kategorie »Schwarz« inbegriffen ist. Es ist kontextabhängig. Vor allem ist es nicht loszulösen von Rassismus. Wer Schwarz ist, wird dadurch bestimmt, wie Rassismus in den jeweiligen Ländern ausgelebt wurde und wird.

Wie ist oder war es also in Deutschland? Schauen wir mal auf die letzten 100 Jahre: Nach dem Ersten Weltkrieg wurde eine intensive, aufwendige Kampagne gegen die Soldaten aus den damaligen französischen Kolonien gefahren, die nach Deutschlands Niederlage das Rheingebiet besetzten. Sie lief unter dem Titel »Die Schwarze Schmach« und sollte Ängste vor dem bösen, triebhaften, brutalen Schwarzen Mann schüren, der sich über weiße deutsche Frauen hermachte. Auch vor der NS-Zeit wurde in Deutschland also bereits von den Schwarzen Menschen als »Gefahr für die weiße Rasse« gesprochen. Weißsein wurde als etwas gesehen, das »pur« und »rein« gehalten werden musste. Die Kinder dieser Soldaten wurden »Rheinlandbastarde« genannt.

Unter den Nürnberger Gesetzen, die 1935 in Kraft traten, wurden Menschen, die nicht als »deutschrassig« klassifiziert wurden, von der deutschen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, außerdem wurde ihnen die Eheschließung mit als deutsch klassifizierten Menschen untersagt. Diese Gesetze betrafen neben jüdischen Personen, Sinti*zze und Rom*nja auch Schwarze Menschen. Reichsinnenminister Wilhelm Frick verfügte 1936 in einem inoffiziellen Schreiben: »Dagegen wird regelmäßig bei einem Mischling mit einem Viertel oder noch weniger artfremdem Blute ein Bedenken gegen die Eheschließung mit einer deutschblütigen Person nicht zu erheben sein.« Die einzige Ausnahme seien Schwarze Menschen, weil das »N****blut« so stark wirke, dass es bis zur 7. oder 8. Generation weitergegeben würde.1

Bei mixed Schwarzen Menschen sei also eine »besonders scharfe Prüfung« notwendig, bevor einer Eheschließung stattgegeben würde.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Nürnberger Gesetze zwar abgeschafft, ein Gesetz änderte sich jedoch nicht: War die Mutter weiß und der Vater Schwarz, wurden ihre Kinder nicht als deutsche Staatsbürger*innen anerkannt, weil die Staatsbürger*innenschaft über den Vater weitergegeben wurde. Das betraf nach Kriegsende unter anderem einige Tausend Kinder Schwarzer US-Soldaten. Viele Schwarze Kinder wurden ihren weißen Müttern weggenommen, weil die Mütter rein rechtlich kein Sorgerecht über ihre eigenen Kinder hatten. Diese Kinder kamen in Heime oder wurden in einigen Fällen für Familien in den USA oder Dänemark zur Adoption freigegeben. Deutschland imaginierte man weiterhin als weiß und es gab institutionalisierte Programme, die dieses Bild aufrechterhalten sollten. Jedoch wurde unterschieden: Schwarze Menschen ohne weißes Elternteil waren aus institutioneller Sicht ein Problem, weil sie keine Deutschen waren. Mixed Personen waren ein Problem, gerade weil sie auch Deutsche waren und die Deutschen weniger weiß machten. Schwarze Menschen mit und ohne weißen Elternteil wurden immer wieder daran gehindert, Teil der deutschen Gesellschaft zu werden. Auf der anderen Seite war vor allem der institutionalisierte Rassismus, den sie erfuhren, nicht immer deckungsgleich.

Wie ging es jedoch weiter mit Schwarzen Menschen in Deutschland, nachdem der Rassenbegriff stärker verbannt wurde? Ich erkläre mir die Entwicklung Schwarzer deutscher Communities so, dass sich durch strukturelle Gegebenheiten zwei Stränge ergaben. Zum einen formten sich in den 1980er-Jahren Schwarze Communities vor allem über Nationalität – oder anders gesagt: über einen migrantisierten Kontext. Vermehrt etablierten sich ghanaische, togolesische, eritreische Communities und so weiter, aber auch afrokaribische und brasilianische Communities. Dazu entstanden afroamerikanische Communities vor allem in den Regionen, wo es amerikanische Militärstützpunkte gab. All diese Gruppen waren meistens isoliert, weil sowohl ihre Bewegungsfreiheit als auch die Möglichkeit zu arbeiten häufig rechtlich eingeschränkt waren. Außerdem war ihr Alltag oft von der Unsicherheit geprägt, nicht in Deutschland bleiben zu können. Diese Communities mischten sich je nach kulturellen Gemeinsamkeiten wie Sprache, Essen, Musik, Religion oder Haar- und Hautpflegeprodukten, an Orten wie Afroshops, Restaurants, Clubs, Kirchen oder Moscheen.

Menschen mit weißem und Schwarzem Elternteil, die nur mit dem weißen Elternteil aufwuchsen, hatten meist wenig Kontakt zu diesen Communities. Sie wuchsen isoliert von ihrer Schwarzen Familie und anderen Schwarzen Menschen in Deutschland auf – und vor allem ohne Antwort darauf, was ihre Identität in einem deutschen Kontext bedeutete. Sie waren weniger von Migrantisierung betroffen, also von der Diskriminierungserfahrung als »eingewandert« markiert zu werden. Mixed Kinder sprachen oft keine andere Sprache außer Deutsch und wuchsen kulturell genauso auf, wie weiße deutsche Kinder in ihrem Umfeld. Jedoch waren sie weiterhin, wie andere Schwarze auch, rassifiziert. Aus dieser Position heraus formte sich die Afrodeutsche Bewegung in den 1980er-Jahren. Ein Bewusstsein darüber, dass ein Unterschied zwischen Schwarzen Menschen mit und ohne weißen Elternteil bestand, gab es auch schon zu Anfängen der Afrodeutschen Bewegung. Der Begriff »afrodeutsch« schien vor allem für mixed Schwarze vorgesehen.

In dem Buch Farbe bekennen von 1986 sagt Katharina Oguntoye in einem protokollierten Gespräch mit May Ayim und Laura Baum: »Ich würde mich nicht als weiß bezeichnen, insofern ist es auch nicht ganz korrekt zu sagen, ich sei schwarz.« Und May Ayim meint: »Ich finde den Begriff ›afro-deutsch‹ oder ›afro-europäisch‹ ganz gut. Ich bekenne mich dazu, daß ich anders aussehe, vielleicht mich auch anders bewege, auch aufgrund meiner Herkunft und der dadurch bedingten Lebenssituation in mancher Hinsicht anders denke oder anders fühle, aber ich möchte nicht in eine schwarze oder weiße Schublade gesteckt werden.«

Die Haltung, dass Afrodeutsche nicht Schwarz seien, sondern eine eigene Gruppe, löste sich immer mehr auf, je weiter die Organisationen wuchsen. Das führte jedoch zu folgendem Dilemma: In der Afrodeutschen Bewegung wurde die Perspektive derjenigen mit einem Schwarzen und einem weißen Elternteil priorisiert – und weil sie Literatur, Filme und akademische Arbeiten zu diesem Thema veröffentlichten, wurde ihr Blick zu der dominanten Erzählung über und von Schwarzen Menschen in ganz Deutschland. Es ging vor allem um Fragen der Zugehörigkeit, um Schwarz und weiß als soziale Konstrukte und um das Finden, Entdecken und Aushandeln der eigenen Schwarzen Wurzeln. Weil diese Fragen zentriert wurden, fanden sie oftmals bei afroamerikanischer Literatur und Forschung Anschluss, wo es oft um ähnliche Themen ging. Durch die enge Verzahnung afrodeutscher und afroamerikanischer intellektueller Diskurse, aber auch durch den popkulturellen Einfluss aus den USA, wurde die deutsche Auffassung von »Schwarz« von der US-Perspektive beeinflusst.

Fragen um Zugehörigkeit oder die Suche nach den eigenen Wurzeln schienen Schwarze mit zwei Schwarzen Elternteilen jedoch anders auszuhandeln als mixed Menschen. Es ging weniger um Rassifizierung als Konstrukt, sondern um die tatsächlichen strukturellen Ungerechtigkeiten, wie den erschwerten Zugang zu finanzieller Sicherheit, den Kampf um die deutsche Staatsbürgerschaft und darum, welche Verantwortung die Diaspora gegenüber Menschen in den jeweiligen nicht-deutschen Herkunftsländern hat. Für sie fühlte sich Schwarzsein nicht nach einem Konstrukt an, weil sich ihr Schwarzsein in keinem Kontext verschob. Die Erzählungen darüber finden in der breiten Öffentlichkeit jedoch noch weniger Platz. Und wenn, dann nicht als Themen Schwarzer Menschen, sondern als Themen migrantisierter Menschen, unabhängig von Rassifizierung. Beide Richtungen entwickelten sich über die Jahre weiter – und immer wieder muss ich betonen: Diese Einteilungen sind sehr grob und basieren zum Großteil auf Beobachtungen. Auch weil es keine genaue Datenerhebung über Schwarze Menschen in Deutschland gibt. Natürlich gab es nicht-mixed Personen in der afrodeutschen Bewegung, genauso wie es mixed Schwarze in migrantisierten Communities gab. Natürlich gibt es nicht-mixed Personen, die bei weißen Adoptiveltern aufwachsen und es gibt mixed Personen, die nur mit der Schwarzen Familie aufwachsen oder mit beiden Elternteilen.

Als ich aufwuchs, fühlte ich mich mit meiner Familiengeschichte weder der afrodeutschen Bewegung noch den migrantisierten Schwarzen Communities wirklich zugehörig. Denn meine Familiengeschichte war wenig mit der ihren vergleichbar. Strukturell wurden Schwarze Kinder mit weißen deutschen Müttern stärker diskriminiert als diejenigen mit weißen deutschen Vätern. Wenn ich also diese ganzen Privilegien hatte und dadurch nur abgemilderte Formen von Rassismus erfuhr – warum war ich mir dann meines Schwarzseins so sicher?

Nun, als Teenagerin am Kölner Hauptbahnhof meinte ich zwar, mich von anderen mixed Kindern abgrenzen zu müssen – die Wahrheit ist jedoch, dass vieles bei mir natürlich ganz ähnlich war. Auch ich hatte keine Schwarze Community um mich herum, zu der ich mich zugehörig fühlte. Auch ich sah mich zwischen den Stühlen – zwischen Zugehörigkeitsgefühl und Privilegien. Aber ich hatte das Glück, dass ich nicht allein war. Meine Familie war meine Community. Daher kam auch mein Schwarzes Selbstbewusstsein. Meine Mutter brachte mir bei, mich als Schwarz zu identifizieren und dass mein Mixedsein meinem Schwarzsein keinen Abbruch tun würde. Diese Haltung kam aus ihrer afroamerikanischen Sozialisierung.

Auch heute wird in Deutschland darüber gestritten, wer in die Kategorie »Schwarz« fällt. Vor allem zwei Ansätze scheinen hier aufeinanderzuprallen: Der eine, der Schwarzsein als ein Konstrukt begreift, das sich je nach Kontext – also Perspektive, nationale Geschichte und Sprache – verschiebt. Man ist nicht Schwarz, sondern die Gesellschaft macht eine*n Schwarz. Der andere ist ein essenzialistischer Ansatz, der Schwarz als eine feststehende Kategorie denkt, die unabhängig von Kontext und Gesellschaft ist. Dieser Ansatz lässt jedoch in letzter Konsequenz Rassendenken zu, indem er Schwarzsein auf etwas Biologisches, Unverrückbares zurückführt. Man wird also nicht Schwarz gemacht, sondern man ist es einfach.

Es ist wichtig, über Unterschiede im Schwarzsein zu sprechen. Dazu gehört auch die berechtigte Kritik, dass Erfahrungen von mixed Menschen oft stellvertretend für alle Schwarze Menschen wahrgenommen werden. Jedoch habe ich oft gesehen, wie diese Kritik mit biologistischen Argumenten vermischt wird. Mixed Menschen seien nicht richtig Schwarz, beispielsweise weil sie »weißes Blut« hätten. Hier dreht sich der »One drop rule«-Gedanke um. Als sei Schwarzsein auch etwas, das pur und rein gehalten werden müsse. Das ist gefährlich und ganz einfach falsch.

Um diesen Missverständnissen zu entgehen, brauchen wir eine präzisere Sprache. Und hier sind wir wieder beim zu Anfang beschriebenen Problem: Wir sind uns nicht einig, wie die Kategorie »Schwarz« genau definiert wird. Das liegt aber auch daran, dass die Notwendigkeit für Schwarze Identität durch Rassismus entstanden ist – und Rassismus ist alles andere als logisch. Somit kann es auch keine vollkommen logische Definition von Schwarzsein geben.

Doch es lässt sich wohl kaum aus dem Weg räumen, dass neben sozialen Realitäten auch biologische Faktoren, wie Hautfarbe, Gesichtszüge und Körperbau, eine Rolle im Anti-Schwarzen Rassismus spielen. Anti-Schwarzer Rassismus ist zum großen Teil eine Stigmatisierung des Körpers und wurde stark von Naturwissenschaftler*innen etabliert. Deshalb trifft er dark skinned Menschen immer härter als light skinned Menschen, wenn sie sich in vergleichbaren Situationen befinden. Das muss im konstruktivistischen Ansatz beachtet werden.

Wer ist also Schwarz? Ich habe es immer für eine Errungenschaft gehalten, dass der Schwarze Identitätsbegriff inklusiv ist und somit eine Gegenerzählung zum ausschließendem Weißsein.

Es ist wichtig, dass wir innerhalb von Schwarzen Identitäten Unterschiede und Machtdynamiken nicht unsichtbar machen. Diskurse über Colorism zum Beispiel bedeuten keine Spaltung, sondern sind notwendig, um einen Zusammenhalt weiterhin möglich zu machen. Empowerment sollte nicht in der Verklärung von Schwarzsein ausarten. Und wir müssen zulassen, dass Schwarzsein etwas Dynamisches ist, das sich je nach gesellschaftlichen Strukturen und Haltungen ändern kann. Ich bin dafür, Schwarzsein als Dachbegriff breit zu halten. Genauso bin ich für eine bessere Sprache für die Nuancen des Schwarzseins in Deutschland und Europa, um der Komplexität und Heterogenität unserer Identitäten gerecht zu werden. Diese gemeinsame Sprache können wir nur entwickeln, wenn wir unterschiedliche Perspektiven mit einbeziehen.

Es scheint ein Tauziehen zwischen strukturellen Privilegien von light skinned und mixed Menschen auf der einen und Deutungshoheit über Zugehörigkeit von dark skinned Menschen auf der anderen Seite zu geben. Doch je mehr wir uns bei diesem Kampf verausgaben, desto mehr vergessen wir, dass es vor allem weiße Menschen sind, die uns diese Probleme überhaupt eingebrockt haben. Unsere Freiheit ist abhängig voneinander und somit ist Solidarität, Verantwortung und Unterstützung unabdingbar. Frei nach Audre Lorde: Auch wenn unsere Kämpfe nicht immer die gleichen sind – wir sind nicht frei, wenn nicht alle von uns frei sind.

Schwarz wird großgeschrieben

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