Читать книгу Schwarz wird großgeschrieben - Группа авторов - Страница 20
MERET WEBER EIN GESPRÄCH MIT KATHARINA OGUNTOYE
ОглавлениеKatharina Oguntoye (geboren 1959 in Zwickau) ist eine Schwarze deutsche Schriftstellerin, Aktivistin und Historikerin. Sie hat zusammen mit May Ayim und Dagmar Schultz das Buch Farbe bekennen herausgegeben und ist als zentrale Figur der afrodeutschen Bewegung und Mitbegründerin der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) sowie von ADEFRA – Schwarze Frauen in Deutschland bekannt. Außerdem gründete sie in Berlin das interkulturelle Netzwerk Joliba.
Das Buch Farbe bekennen (1986) ist die erste Sammlung afrodeutscher Perspektiven im deutschsprachigen Raum. Es fängt Gespräche und Geschichten von Frauen generationenübergreifend ein, von der Weimarer Republik bis in die 1980er-Jahre. Das Buch gilt seitdem für viele als erstes Signal, dass Schwarze Menschen in Deutschland existieren, und dass Schwarzes Leben schon lange Teil deutscher Geschichte ist, auch wenn es weitgehend unsichtbar gemacht wird.
Ich habe mit ihr über Geschichten und Perspektiven der feministischen und afrodeutschen Bewegung gesprochen.
Ein Generationenaustausch.
Wir diskutieren ja heutzutage sehr viel über Sprache und Begriffe. Du hast zu Beginn deiner politischen Arbeit den Begriff »afrodeutsch« mitgeprägt. Wie hat sich das entwickelt und siehst du seitdem eine Veränderung?
Im Nachbarschaftshaus waren wir damals eine große Runde und es entspann sich eine sehr spannende Diskussion. Es gab Leute, die sagten, der Begriff »afrodeutsch« sei ihnen ein bisschen zu weit weg, weil sie afroamerikanische oder afrokaribische Wurzeln hätten, deshalb empfanden sie »Schwarze Deutsche« als den besseren Begriff. Schließlich trafen wir die Entscheidung, dass wir Schwarze Deutsche und Afrodeutsche synonym benutzen, und vor allem, dass wir uns nicht mit dem N-Wort betiteln lassen wollen. Bald herrschte dazu ein Konsens. Es fasziniert mich, dass unsere damalige Entscheidung bis heute trägt, denn wir sind ja kein Abgeordnetenparlament und machen auch keine Gesetze. Das war und ist einfach ein Einverständnis, das der Realität der Community entspricht. Und weil die Bezeichnung eben gut diskutiert und durchdacht ist, trifft sie auch auf Zuspruch. Es war sehr wichtig, dass wir einen guten Begriff fanden, der unserer Vorstellung entsprach, wie wir Identität entwickeln oder ausdrücken wollten. Es gab damals ja nur fremdbestimmte Begriffe, und jetzt wählten wir zum ersten Mal einen eigenen Begriff. Das war mir wichtig.
Du meintest, dass ihr zu Treffen alle zusammengekommen seid. Das, womit wir uns auch im Buch beschäftigen, ist die Erfahrung von Isolation, die ja viele Schwarze Menschen weiterhin machen: vor allem in der Jugend total isoliert zu sein und dann auf Schwarze Strukturen (zum Beispiel in Hochschulgruppen) zu treffen. Wie schätzt du das ein, gab es eine Veränderung?
Es ist tatsächlich noch so, nach so vielen Jahren ist das schon erschreckend. Aber verändert hat sich, dass es tatsächlich Menschen gibt, die mit dem ISD-Bundestreffen aufgewachsen sind. Das gibt es ja schon seit drei Jahrzehnten, einmal im Jahr. Da versammeln sich meistens 200 bis 300 Menschen, davon wahrscheinlich 80 Kinder und Jugendliche. Manche sind mit den Bundestreffen groß geworden und, indem sie im nächsten Jahr wieder ihre Freund*innen getroffen haben, konnten sie eine Art Selbstverständlichkeit erleben. Bei Joliba, meinem Verein in Berlin, machen wir diese Erfahrung auch – denn damals, vor 30 Jahren, gab es ja wirklich überhaupt keine Gruppen. Damals kamen die Leute wirklich aus allen Ecken Berlins zu unseren Kinderfesten – die wir drei- oder viermal im Jahr ausgerichtet haben – und sahen sich dort wieder. Der Fachbegriff dafür wäre wohl peer to peer learning, also das Lernen in der gleichaltrigen Gruppe. Einfach Menschen, mit denen man sich vergleichen kann, einen Ort, an dem man nicht das Gefühl hat, ein Sonderwesen zu sein. Das ist sehr wertvoll für die Kids.
Also Leute zu treffen, die so aussehen wie man selbst.
Genau. Damals gingen die Eltern im Sommer zum Kaffeetrinken nach draußen und der Innenraum war mit verschiedenen Aktivitäten wirklich nur für die Kinder bestimmt. So konnten sie im Zentrum stehen und waren mal nicht die Ausnahme.
Hattest du das Gefühl, dass die Kids sich von dort aus auch weiter organisiert, sich einfacher zusammengetan haben?
Eher nicht. Das war schwierig, weil man sonst eben nicht die Möglichkeit hatte, sich im Alltag zu treffen. Bei EOTO (Each One Teach One) verändert und entwickelt sich das aber jetzt durch deren laufende Angebote.
Damals und heute sind die Begriffe wichtig, denke ich. Mit denen man sich in Deutschland verorten, mit denen man sich identifizieren kann. Außerdem wichtig ist, sich einmal nicht als Minderheit und Sonderheit zu erleben, sondern als den Normalzustand.
Ich bewege mich politisch eher in feministischen Bewegungen und spannend finde ich, dass es die Tendenz gibt, viele feministische Ideen und Konzepte und Begrifflichkeiten – zum Beispiel Intersektionalität – als sehr akademisch zu verstehen, auch wenn sie nicht unbedingt einen akademischen Ursprung haben. Für Schwarze feministische Bewegungen interessiert es mich, ob und wie man es schafft, diesen Punkt zu knacken angesichts der Tatsache, dass in der Bewegung einerseits viele Leute eben doch studieren oder aus einem akademischen Umfeld kommen, andererseits aber Women of Color hier in Deutschland eine der größten Gruppen prekär arbeitender Kräfte ausmachen. Inwiefern wurde am Anfang in euren Bewegungen, also in ISD und ADEFRA, über Klasse und Kapitalismus gesprochen?
Über Audre Lorde und andere Aktivist*innen aus den USA kam diese Debatte, die ihr heutzutage als Intersektionalität besprecht. Die Diskussion, dass Women of Color auch noch verschiedene andere Unterdrückungsformen erleben, wurde in der Frauenbewegung dann auch aktiv eingefordert und berücksichtigt. Allerdings eher theoretisch, muss ich sagen.
Hast du das Gefühl, dass es heute Raum für mehr Beteiligung gibt, vor allem für Frauen, die arbeiten oder für ältere Frauen?
Das ist eine Frage des Bewusstseins darüber, ob das gebraucht wird. Es gab dieses Bewusstsein damals in verschiedenen Teilen der Frauenbewegung. Bei ADEFRA gibt es heute das Projekt ADEFRA roots mit einem großen Bewusstsein für ältere Lesben und ihre Bedarfe – etwa über finanzielle oder gesundheitliche Unterstützung. Oft wird dies aber von der Gesellschaft nicht so ernst genommen, obwohl es eigentlich einen Bedarf gibt.
Diese älteren Frauen haben ja oft auch einen enormen Wissens- und Erfahrungsschatz. In eine Bewegung reinzukommen und zu sehen, dass es Menschen gibt, die genau die gleichen Themen oder Probleme schon viel länger behandeln, ist ja auch extrem bestärkend.
Ja, und es ist traurig, dass da eigentlich viel Wissen verloren geht, nur weil das Umfeld nicht vorhanden ist und das Gespräch nicht stattfindet. Es lohnt sich auf jeden Fall zu fragen, wie es denn unsere Vorgänger*innen gemacht haben, wie das für sie war, wie sie überlebt haben. All diese Erfahrungen sind sehr wertvoll. Das heißt, ins Gespräch zu kommen und einfach auf Ältere zuzugehen, wäre sicher eine Lösung.
Welche Hoffnungen und Wünsche hast du an meine Generation?
Ich finde diesen Generationenaustausch sehr spannend. Vielleicht wäre es gut, ihn noch mehr zu dokumentieren, über digitale Wege. Auf ökonomischer Ebene ist es wichtig, neue Perspektiven zu entwickeln und zu fragen: Welches System soll nach dem Kapitalismus kommen? Was stellen wir uns vor? Es müssten Lösungen entwickelt werden, wie ein Zusammenleben aussehen soll. Spannend finde ich auch, dass gesamtgesellschaftlich viele junge Männer ein Bewusstsein für feministische Fragestellungen entwickelt haben – da müsste man dranbleiben, da müssen wir weiterarbeiten und uns fragen: Wo sind Koalitionen möglich? Wo kann man zusammen an einem Strang ziehen? Und vor allem, welche Theorien gibt es, um zum Beispiel Arbeit neu zu organisieren, um Geld und Wirtschaft neu zu denken? Das ist eine riesengroße Aufgabe für die jüngere Generation. Darüber könnte man auch in den Austausch kommen und gemeinsam nachdenken, in welche Richtung es denn gehen kann und soll.
Wir machen uns dran!
Genau, bleibt dran! Es ist spannend, wie viel Geduld ausmacht. Dass die Diskurse um sexuelle Belästigung und Missbrauch beispielsweise so lange brauchen würden, bis sie von der Gesellschaft verhandelt werden, hätte ich nicht gedacht. Aber es hat eben 20 Jahre gedauert und jetzt ist es in der Gesamtgesellschaft angekommen und wird inzwischen auch innerhalb der großen Institutionen aufgedeckt. Wichtig ist, dass es irgendwann passiert. So ist das ja bei Black Lives Matter auch: George-Floyd-Fälle gab es auch vorher schon Tausende, aber das war dann einfach der eine zu viel. Dass sich dann etwas bewegt hat, liegt daran, dass man vorher schon viel gemacht hat. Deshalb würde ich euch immer ermutigen dranzubleiben – und irgendwann macht es auch gesamtgesellschaftlich Klick.