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Von 1793 bis 1796 arbeitete der künftige Philosoph Hegel ­als ­Hauslehrer in Bern. Er stiess sich an den politischen Verhältnissen. Nicht mal die Natur bot Trost.

Als Hegel 1831 in Berlin unerwartet starb, galt er als der grösste Philosoph seiner Zeit; sein Begräbnis wurde zum Defilee angesehener Persönlichkeiten und trauernder Studenten. Berlin war aber nur die letzte Station einer alles andere als geradlinigen Reise, deren frühere Etappen Heidelberg, Nürnberg, Bamberg, Jena, Frankfurt waren – und die ihren mühevollen Anfang in der Schweiz nahm.

Im Oktober 1793 trat der 23-jährige Hegel seine Stelle als «Hofmeister» im Hause des Berner Patriziers Carl Friedrich von Steiger an, für ein monatliches Salär von 25 Louis d’or. Das Studium der Philosophie und der Theologie hatte er kurz zuvor in Tübingen abgeschlossen, wo er sich mit Schelling und Hölderlin angefreundet hatte. Er genoss ei­nen Ruf als guter Gesellschafter, und das nicht nur beim intellektuellen Gespräch, sondern auch beim Kartenspiel und beim Wein; gegenüber den Mädchen soll er «küsselustig» gewesen sein. Mit den Türen von Steigers Haus, einem prächtigen Gebäude an der Berner Junkerngasse 51, öffnete sich ihm nun eine unbekannte – und in vielerlei Hinsichten auch unvermutete – Welt.

Hegels Hauptaufgabe bei der Familie von Steiger war das Unterrichten der beiden Kinder, des sechsjährigen Friedrich Rudolf und der achtjährigen Maria Catharina. Ihnen musste er die Grundbegriffe der französischen Literatur, Geschichte, Geografie, Arithmetik und Musik beibringen. Diese pädagogische Arbeit dürften aber eine Enttäuschung gewesen sein; in einem Brief an Hölderlin vom November 1796 schreibt Hegel, dass es zwar gewöhnlich gelinge, die Köpfe der Zöglinge «mit Worten und Begriffen zu füllen»; «aber auf das Wesentlichere der Charakterbildung wird ein Hofmeister nur wenig Einfluss haben können, wenn der Geist der Eltern nicht mit seinen Bemühungen harmoniert».

Hegel scheint in seiner Umgebung schlecht integriert gewesen zu sein. Zwar liessen ihm seine Pflichten als Hofmeister genug Zeit fürs Studium und das Schreiben (in ­diesen Jahren entstanden seine ersten Schriften, darunter ein «Leben Jesu» und die Abhandlung «Die Positivität der christlichen Religion»).

Dennoch beklagte er sich in seiner Korrespondenz immer wieder über seine «Entfernung von mancherlei Büchern» und «von den Schauplätzen literarischer Tätigkeit». Er fühlte sich im Bern fehl am Platz, abgeschnitten vom lebendigen Strom jenes intellektuellen Lebens, an dem seine Freunde zu Hause teilhaben konnten und von dem sie ihm in ihren Briefen auch enthusiastisch berichteten.

Das Gefühl der Isolation dürfte von Hegels aufgeklärtem Blick auf die Berner innenpolitischen Zustände erst recht verstärkt worden sein. Diese verurteilte er in einem Brief an Schelling scharf: «Alle 10 Jahre wird der conseil sou­verain um die etwa 90 in dieser Zeit abgehenden Mitglieder ergänzt. Wie menschlich es dabei zugeht, wie alle Intrigen an Fürstenhöfen durch Vettern und Basen nichts sind gegen die Kombinationen, die hier gemacht werden, kann ich Dir nicht beschreiben. Der Vater ernennt seinen Sohn oder den Tochtermann, der das grösste Heiratsgut zubringt, und so fort.» Es waren erdrückende Zustände für den jungen Hegel, der an die Ideale der Französischen Revolution glaubte – und sich nach dem Brauch der Zeit als «Ihr gehorsamster Diener» an seinen Hausherrn wenden musste.

Im Sommer 1796 unternahm Hegel zusammen mit drei sächsischen Hofmeistern eine Reise durch die Berner Alpen. Landschaftliche Beschreibung und Introspektion mischen sich in seinem Reisetagebuch. So notierte er an einer bemerkenswerten Stelle, dass «weder das Auge noch die Einbildungskraft … auf diesen formlosen Massen irgend einen Punct» finde, «auf dem jenes mit Wohlgefallen ruhen oder wo diese Beschäftigung oder ein Spiel finden könnte.» Nur der «Mineralog», den er hier als Musterbeispiel des fantasielosen Menschen zitiert, könne diese Gebirge interessant finden. Der reflexive Geist dagegen werde zur Melancholie getrieben von der traurigen Monotonie: «Der Anblick dieser ewig toten Massen», so fasste Hegel seine Eindrücke ­zusammen, «gab mir nichts als die einförmige und in die Länge langweilige Vorstellung: Es ist so.»

War es die innere Wahrnehmung, die hier den bewussten Weltbezug prägte? Jedenfalls meinten seine Freunde aus der Tübinger Zeit, Spuren einer beunruhigenden psychischen Verwandlung bemerkt zu haben. Jeder versuchte auf seine Weise, Hegels Lebensfreude zu wecken: «Du scheinst», so schrieb Schelling, «gegenwärtig in einem Zustand der Unentschlossenheit und sogar Niedergeschlagen­heit zu sein, der Deiner ganz unwürdig ist. Pfui! ein Mann von Deinen Kräften.» Viel sanftmütiger ging Hölderlin mit Hegel um: «Ich sehe, dass Deine Lage Dich ein wenig um den wohlbekannten immerheiteren Sinn gebracht hat. Siehe nun zu! Du wirst bis nächsten Frühling wieder der Alte sein.»

Was Hölderlin so optimistisch stimmte, war die Tat­sache, dass er den Freund aus seinem Schweizer «Exil» ­be­freien konnte. Dank seiner Vermittlung hatte Hegel nämlich eine neue Position als Hofmeister in Frankfurt bekommen. Im Dezember 1796 verliess Hegel die Schweiz und verbrachte die Feiertage bei seiner Familie in Stuttgart. Eine Notiz seiner Schwester Christiane lässt keine Zweifel dar­über offen, dass die Rückkehr in die Heimat notwendig war: «Herbst 1793 Schweiz, über 3 Jahre; kam in sich gekehrt zurück, nur im traulichen Zirkel fidel. Anfang 1797 nach Frankfurt.»

Nur ein Jahr später erschien Hegels erste Veröffentlichung, eine kommentierte Übersetzung von Jacques Carts Schrift «Vertrauliche Briefe über das vormalige staatsrechtliche Verhältnis des Waadtlandes zur Stadt Bern», anonym und versehen mit dem unfreundlichen Untertitel «Eine völlige Aufdeckung der ehemaligen Oligarchie des Standes Bern».

Hegels Kommentare machen deutlich, wie sehr er die schweizerischen Zustände verurteilte. Und die bitteren Erinnerungen wirkten weiter in Hegels politischem Denken: Noch in seiner letzten Publikation, der Abhandlung «Über die englische Reformbill», nennt er Bern neben Venedig und Genua als negatives Beispiel für rein aristokratische Regierungen, die ihre Sicherheit «in dem Versenken des von ihnen beherrschten Volkes in gemeine Sinnlichkeit und in der Sittenverderbnis derselben finden».

Pierfrancesco Basile

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