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5.1 Textlinguistik – eine „Revolution“ in der Linguistik

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Die Textlinguistik gilt heute fast weltweit als etablierte Wissenschaftsdisziplin. An einigen Universitäten gibt es spezielle Lehrstühle für Textlinguistik; zumindest aber werden an nahezu allen Universitäten Lehrveranstaltungen zu Textproblemen angeboten. Auch bei den linguistischen Publikationen nehmen Forschungen zu textlinguistischen Problemen heute eine zentrale Stellung ein.

Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass die Textlinguistik keineswegs so unumstritten ist, wie das auf den ersten Blick scheinen mag. Vor allem für viele Grammatiker gilt nach wie vor das strukturalistische – von Bloomfield (1955: 170) explizierte – Axiom, wonach Sätze als größte exakt fassbare linguistische Einheiten zu gelten haben. Sprachliche Gebilde von größerem Umfang können – nach dieser Grundannahme – nicht als ein in sich geschlossenes regelhaftes (syntaktisch verstandenes) Beziehungsgefüge charakterisiert werden. Auch wenn die Existenz von Texten natürlich nicht in Frage gestellt wurde, so können doch komplexe Texte aus dieser Sicht nicht Gegenstand linguistischer Forschung sein.

Die linguistische Forschung seit etwa 1970 und die erfolgreiche Anwendung von linguistischen Einsichten in der kommunikativen Praxis des gesellschaftlichen Lebens haben diese strukturalistischen Antipositionen zur Textlinguistik eindrucksvoll widerlegt. Die allmähliche Herausbildung einer Wissenschaft von den Texten hat vielmehr deutlich gemacht, dass die Textlinguistik zwar als „newcomer“ unter den linguistischen Disziplinen betrachtet werden muss, dass mit ihr aber auch eine neue Qualität zum Tragen kommt, eine grundlegende Veränderung im Vergleich zu den tradierten sprachwissenschaftlichen Disziplinen (der Phonologie/Phonetik, der Morphologie, der Syntax und der Lexikologie), gleichsam ein qualitativer Sprung, der von manchen auch als eine Art „Revolution“ in der Linguistik gekennzeichnet wurde.

Worin aber zeigt sich nun das qualitativ Neue der Textlinguistik? Vereinfacht formuliert darin, dass nun nicht mehr nur das Beziehungsgefüge von Sätzen (und linguistischen Einheiten unterhalb der Satzebene) durch Regeln expliziert wird – wobei sich diese Regeln ja immer nur intern auf andere Teileinheiten desselben Systems beziehen –, sondern dass nun versucht wird, das praktische kommunikative Funktionieren von komplexen Äußerungseinheiten als Teil der Lebenspraxis der Kommunizierenden zu erfassen. Das bedeutet mit Notwendigkeit, bei der Charakterisierung von komplexen Texten grundsätzlich von den aktiv in der Kommunikation Handelnden in bestimmten InteraktionenInteraktion auszugehen und erst in einem zweiten Schritt zu fragen, welcher sprachlicher Strukturen sich die Kommunizierenden zur Erreichung bestimmter kommunikativer Ziele bedienen.

Aus diesen grundsätzlichen Überlegungen wird deutlich:

1 Nicht Sätze, sondern Texte sind als die Grundeinheiten der sprachlichen Kommunikation anzusehen. Wir leben in einer Welt von Texten: „Es wird, wenn überhaupt gesprochen wird, nur in Texten gesprochen. […] Nur texthafte und textwertige Sprache ist das Kommunikationsmittel zwischen den Menschen.“ (Hartmann 1971: 12) Diese Grundthese wurde bei einer Konferenz zu Textproblemen pointiert zusammengefasst: „Text is all around you“ (siehe Dürscheid 2007: 3). Überall finden wir Schrift-Texte und Sprech-Texte, Texte von gestern, von heute, und auch in aller Zukunft wird es immer Texte geben, solange Menschen miteinander kommunizieren.Sätze wiederum sind die grundlegenden Konstituenten von Texten. Sie tragen daher wesentlich zum Zustandekommen von Textsinn bei. Aber diese Text-Bausteine für sich genommen können nur in Ausnahmefällen wie ganzheitliche Texte fungieren, dann nämlich, wenn die Äußerung eines Satzes (oder die eines einzelnen Wortes) allein schon ausreicht, das jeweilige Ziel/die Intention des Textproduzenten dem/den AdressatenAdressat zu vermitteln (z.B. Haltet den Dieb! Feuer!). Normalerweise kommt einzelnen Sätzen nur die Funktion zu, die Bedeutung eines Sachverhalts oder Ereignisses auszudrücken sowie syntaktische und semantische Beziehungen zu anderen Textelementen herzustellen.

2 Texte werden nur produziert, wenn Individuen etwas erreichen wollen, wenn sie in einer bestimmten Situation aus einem äußeren oder inneren Anlass, z.B. einem Ereignis oder einer emotionalen Bewegtheit, ein bestimmtes Ziel verfolgen, von dem sie annehmen oder wissen, dass sie es nur mit Hilfe eines Partners realisieren können. In einer solchen Situation werden die Individuen zu Partnern, die miteinander kommunizieren, indem sie Texte produzieren. Texte sind daher primär ein soziales Faktum, gebunden an das konkrete, auf (einen) Partner bezogene Handeln von Individuen in einem bestimmten sozialen Umfeld, einer sozialen Interaktion. Daraus ergibt sich die grundsätzliche wechselseitige Partnerorientierung des Kommunizierens. Zugleich wird deutlich, dass Texte keine unabhängigen Größen sind, dass sie vielmehr nur als Variable von komplexen Kommunikationsprozessen verstanden werden können. Insofern ist auch die Textlinguistik in erster Linie eine Wissenschaft vom kommunikativen Handeln der Individuen; sekundär aber sind auch Strukturen von Texten und Relationen zwischen den Textelementen von besonderer Relevanz.

3 Wie bei jedem praktischen Handeln (HOLZ HACKEN, EINE TÜR ÖFFNEN) verfolgen Individuen auch beim kommunikativen Handeln (beim SCHREIBEN EINES BRIEFS, beim TELEFONIEREN) bestimmte Ziele. Die Ziele beim kommunikativen Handeln werden INTENTIONEN genannt. Sie bestimmen wesentlich Aufbau, Inhalt und Umfang von Texten. Erst wenn ein Text zum Verwirklichen von Sprecher-Intentionen erfolgreich beiträgt, hat er auch seine KOMMUNIKATIVE FUNKTIONFunktionkommunikative erfüllt. Primär ist dabei eben das Erreichen solcher Ziele (das Glücken von kommunikativen Handlungen), d.h. die praktische Einwirkung auf den Partner und das Umfeld, erst sekundär ist auch die Frage von Interesse, wie der entsprechende Text gestaltet ist (Wunderlich 1976: 9).Damit ändert sich auch das traditionelle Textverständnis. Texte können nämlich vor diesem Hintergrund nicht mehr nur als isolierte Struktureinheiten gesehen werden, deren Elemente aufeinander bezogen sind und in KohärenzrelationenKohärenzrelation zueinander stehen. Das ist ohne Frage auch der Fall. Hinzu kommt aber, dass die aufeinander bezogenen Elemente und Textbausteine eine in sich geschlossene Ganzheit bilden, die durch zahlreiche Faktoren geprägt wird. Das sind vor allem intentionale Aspekte, die Auswahl und Anordnung der sprachlichen Einheiten innerhalb von Texten determinieren. Hinzu kommen auch SITUATIVE FAKTOREN. So macht es durchaus einen Unterschied, ob der Texter vor Studenten oder vor Schülern über den Klimawandel spricht, ob er nur vor einer kleinen Gruppe in einem geschlossenen Raum auftritt oder bei einer Großkundgebung einer Partei auf einem Marktplatz. Schließlich sind in diesem Zusammenhang auch subjektive Gegebenheiten zu nennen, da auch das jeweilige Wohlbefinden und die jeweilige emotionale Bewegtheit für die Konstituierung der Ganzheit eines Textes eine nicht unwesentliche Rolle spielen. So darf man zusammenfassend festhalten, dass die Ganzheit von Texten vor allem durch das aktuelle pragmatische Bedingungsgefüge geprägt wird.

4 Texte sind aber nicht nur feste statische Größen mit charakteristischen Strukturen, also die Ergebnisse von Kommunikationsprozessen. Sie müssen auch dynamisch gefasst werden, als Prozesse des Produzierens und Verstehens von Äußerungskomplexen, immer im Rahmen übergreifender praktischer HandlungenHandlung.

Resümierend darf man feststellen, dass die pragmatisch fundierte Textlinguistik in der Tat eine neue Qualität in die linguistischen Wissenschaftsdiziplinen einbringt. Zunächst handelt es sich hier um eine grundlegende Ausweitung des Gegenstandsbereichs: Nicht isolierte Sätze (und die linguistischen Einheiten unterhalb der Satzebene) stehen im Fokus des Interesses, sondern komplexe Texte. Noch wichtiger aber ist das grundsätzliche Ausgehen von einer sozialen InteraktionInteraktion, vom Handeln und Text-Handeln der Partner, die auch die Ausweitung der Inhalte einer pragmatisch verstandenen Textlinguistik um die genannten pragmatischen Faktoren des Kommunizierens in ihrer Gesamtheit impliziert. So entsteht eine umfassende Zusammenschau aller relevanten Faktoren des Kommunizierens: von den kommunikativ Handelnden – den Partnern mit ihren sozialen Prägungen, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten – in konkreten Interaktionszusammenhängen (unter Einschluss von konkreten Umgebungssituationen und Kommunikationsbereichen) über die grammatisch-semantischen Strukturzusammenhänge von komplexen Texten bis zu den Wirkungen/Effekten, die durch das kommunikative Handeln der Partner bewirkt werden. Streng genommen ist das natürlich keine „reine“ Linguistik mehr. Das will und kann eine pragmatisch orientierte Textlinguistik auch gar nicht sein. Sondern hier geht es um das Zusammenwirken von (bisher strikt voneinander getrennten) Wissenschaftsdisziplinen wie der allgemeinen Linguistik, der Handlungstheorie, der Sprachproduktions- und -rezeptionsforschung, der Grammatik, der Semantik, der Kommunikationswissenschaften i. w. S. mit Teilbereichen der Soziologie und der Psychologie (insbesondere der kognitiven Psychologie). Vor diesem Hintergrund erweist sich die Textlinguistik als eine übergreifende Text-PragmatikPragmatik.

Legt man diese Messlatte an die Textlinguistik an, dann wird deutlich, dass die auf einzelne Ebenen des Sprachsystems beschränkten Disziplinen der Phonetik/Phonologie, der Morphologie, der Syntax und der Lexikologie nicht auf eine Stufe mit der Textlinguistik gestellt werden können. Untersuchungen im Rahmen dieser Einzeldisziplinen verlieren durch die Herausbildung der pragmatisch orientierten Textlinguistik nicht an Wert, da sie helfen, das komplizierte Beziehungsgefüge von Satzstrukturen und häufig auch die Rolle dieser Einheiten und Relationen für das Zustandekommen von Satzsinn und manchmal auch von Textsinn aufzudecken. Sie sind zumindest partiell „aufgehoben“ im Hegel’schen Sinn in der übergreifenden Textlinguistik. Dennoch aber können diese strukturorientierten Arbeiten nicht ‚textlinguistisch‘ (und schon gar nicht ‚textpragmatisch‘) genannt werden, wenn sie nicht direkt auf das Erfassen des kommunikativen Funktionierens von Textganzheiten gerichtet sind.

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