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1.1.2 Linguistischer Determinismus

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Sprache ist jedoch nicht als die direkte Abbildung der Weltsicht zu verstehen, sondern kann diese Weltsicht – wie bereits von Humboldt vermerkt – nur mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darstellen (Trabant 2010). Dies illustrieren unter anderem Studien zu den symbolischen Farb- und Familienbezeichnungen in verschiedenen Sprachen, die meist metaphorisch aufgrund kulturspezifischer Wahrnehmungen, Profilierungen etc. gebildet werden (vergleiche Deutscher 2011). Wenn wir von Farbkognition sprechen, dann ergeben sich daraus folgende Fragen (Härtl 2013): Ziehen unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Farbgrenzen? Welche Farbeinteilungen sind universal? Hängt die Farbwahrnehmung von der einzelsprachlichen Einteilung ab? Hier finden Sie ein Beispiel für ein sprachenspezifisches Farbspektrum in kontrastiver Perspektive.


Abbildung 1.1: Farbbezeichnungen in den Sprachen nach Winawer et al. 2007 (Härtl 2013: 20)

Eine Farbversion der Abbildungen 1.1 und 1.2 finden Sie auf der Multilingua-Akademie-Lernplattform; aus drucktechnischen Gründen können diese im vorliegenden Band nur schwarz-weiß abgedruckt werden.

Darüber hinaus gibt es je nach Sprache(n) Farbverbindungen, die wiederum andere ausschließen, was die Abbildung auf der nächsten Seite illustrieren soll:


Abbildung 1.2: Farbbezeichnungen in den Sprachen nach Deutscher 2011 (Härtl 2013: 23)

Die Erkenntnisse dieser interlingualen, kontrastiven Gegenüberstellung von Farbbezeichnungen und dem zugrunde liegenden Farbspektrum betreffen zunächst nur die Bezeichnungsebene; sie können aber auch in einer anderen Perspektive interpretiert oder „gelesen“ werden, nämlich in Bezug auf das Erfassen und somit das Wahrnehmen von Phänomenen in der jeweiligen LebensweltLebenswelt oder auch realen Welt. Der Begriff der Lebenswelt ist stark mit dem phänomenologischen Ansatz bei Husserl (1992 [1936/1937]) verbunden und wird als direkter Anknüpfungspunkt von Alfred Schütz in seinem „verstehenden Ansatz“ als intersubjektivintersubjektiv bezeichnet:

So ist meine LebensweltLebenswelt von Anfang an nicht meine Privatwelt, sondern intersubjektivintersubjektiv; die Grundstruktur ihrer Wirklichkeit ist uns gemeinsam […]. Vorerst genügt es, festzustellen, daß ich es in der natürlichen Einstellung hinnehme, daß die Gegenstände der äußeren Umwelt für meine Mitmenschen prinzipiell die gleichen sind wie für mich. (Schütz & Luckmann 1979: 26)

Die LebensweltLebenswelt wird bei Schütz also zu einer Wirklichkeit, die wir durch unsere Handlungen modifizieren und die andererseits unsere Handlungen modifiziert (zur Kultur als Lebenswelt vergleiche auch Venohr 2007: 46).

Zur Rolle der Sprache heißt es bei Schütz:

Jede Sprache entspricht einer bestimmten relativ-natürlichen Weltanschauung. Die innere Form der Sprache stimmt mit den grundlegenden Sinnstrukturen der Weltanschauung überein. (Schütz & Luckmann 1979: 297)

Dass die Wahrnehmung und Konzeptionalisierung dieser (Lebens-)Welt durch Sprache geprägt ist, soll im Folgenden aus mehreren Perspektiven beleuchtet werden.

Ausgehend von Humboldts Ideen formuliert Whorf später das sprachliche Relativitätsprinzip, demzufolge das Sprachsystem die Wahrnehmung, das Denken und das Verhalten seiner Sprachgemeinschaft abbilde und darüber hinaus die Projektion der sprachlichen Strukturen auf die Sicht der realen Welt der Sprachgemeinschaft bestimme und erzwinge (linguistischer Determinismuslinguistischer Determinismus).

That part of meaning which is in words, and which we may call ‘reference’, is only relatively fixed. Reference of words is at the mercy of the sentences and grammatical patterns in which they occur. (Whorf 1956: 259)

And every language is a vast pattern-system, different from others, in which are culturally ordained the forms and categories by which the personality not only communicates, but also analyzes nature, notices or neglects types of relationship and phenomena, channels his reasoning, and builds the house of his consciousness. (Whorf 1956: 252)

Im Mittelpunkt der späteren Auseinandersetzung mit dem linguistischen Determinismus stehen Fragen nach der Universalität, Arbitrarität und Kulturspezifik der Sprache. Von Interesse ist vor allem die Frage, ob sich die Kulturspezifik als Folge kognitiver Modelle aus den Konzepten, aus der Semantik oder der Grammatik ergibt. Dabei wird die Unterscheidung zwischen Determinismus als der Bestimmung des Denkens durch die Sprache und linguistischem Relativismuslinguistischer Relativismus als der Beeinflussung des Denkens durch die Sprache nicht immer deutlich gemacht, weil Whorf selbst in dieser Hinsicht nicht deutlich unterschieden hat.

Das Problem der Koordination verschiedener Perspektiven auf die Welt löst Korzybski (1985) mit dem Hinweis auf das Abbildungsverhältnis von Karte und Landschaft. Das Verhältnis von Sprache und Realität entspreche der von Karte und Landschaft. Kartographische Darstellungen variieren unter anderem in Fokus (geologisch, morphologisch, mineralogisch, vegetationsbedingt, sozio- und kulturgeographisch, navigatorisch, sport- und freizeitbezogen), Projektion, Maßstab, Ausrichtung, Dimensionalität und individueller mentaler Abbildung beziehungsweise Perspektivik (mind map). Ein koordiniertes Bild der Welt, so Korzybski, könne nur da entstehen, wo der sprachliche Hintergrund der Individuen Ähnlichkeiten (oder zumindest eine Eignung für Uniformität) aufweise, also die sprach-geographischen Perspektiven Gemeinsamkeiten aufweisen. Dieser Hinweis ist nicht etwa als historisches Faktenwissen einer geschichtlich orientierten Landes- oder Geisteskunde wichtig. Vielmehr gibt er uns Anlass zu überlegen, wie wir gerade in einer Zeit ständiger technologischer Neuerungen, und gerade solcher, die sich unserer konkreten Wahrnehmung entziehen, die Welt abbilden (ab-Bild-en). Unsere Zeitvorstellungen orientieren sich an Raumvorstellungen und die gesamte virtuelle Welt ist in Räume aufgeteilt und lässt sich mit Plänen und Karten navigieren, obwohl es diese Räume eigentlich gar nicht gibt (Chat-Räume, Foren, Archive, Bibliotheken). Diese Aspekte werden im Band »Kognitive Linguistik« weiter vertieft.

Vygotsky (1986: 213) verweist in diesem Zusammenhang auf die phylogenetischphylogenetische Entwicklung von Sprache und Denken und betont gleichzeitig den vermittelnden Charakter von Sprache:

Linguistics did not realize that in the historical evolution of language the very structure of meaning and its psychological nature also change. From primitive generalisations, verbal thought rises to the most abstract concepts. It is not merely the content of a word that changes, but the way in which reality is generalized and reflected in a word […]

Thought and language, which reflect reality in a way different from that of perception, are the key to the nature of human consciousness. Words play a central part not only in the development of thought but in the historical growth of consciousness as a whole. A word is a microcosm of human consciousness.

Sprache wird gerade auch von Lernern mit grammatischen Kategorien und Regeln gleichgesetzt. Dass es verschiedene Konzepte von Grammatik gibt, zeigt sich bei Habermas (1979: 237), der den organisierenden Charakter der Grammatik im pragmalinguistischen Sinne als Sprachspielgrammatik, also als Wechselspiel zwischen unterschiedlichen Beteiligten in unterschiedlichen Situationen, fasst und ihn als gesellschaftlichen Konsens unterschiedlicher Perspektivierungen individueller Sprecher („gebrochene Intersubjektivität“) folgendermaßen darstellt: „Eine Sprachspielgrammatik verknüpft Symbole, Handlungen und Expressionen; sie legt Schemata der Weltauffassung und der Interaktion fest.“ (Habermas 1979: 237)

Die sich aus der Kulturspezifik ergebenden Differenzen zwischen Sprachen werden auch von Vertretern universalistischer Ansätze nicht ignoriert, sondern als Schnittmenge gemeinsamer Prinzipien und Eigenschaften interpretiert (vergleiche Greenberg 1990) und als in dieser Forschungsrichtung vernachlässigtes konstitutives Element sprachlicher Systeme gesehen (Jackendoff 2007).

Die landeskundlich relevante Frage ist jedoch, wie sich das Verhältnis von Kultur und Sprache in Vermittlungsansätzen abbilden lässt. Diese Aufgabe lösen traditionelle Ansätze vorwiegend deskriptiv und rekonstruktiv, manche – wie die Modelle des interkulturellen Trainingsverfahrens – dabei weitestgehend deterministisch. Die Lerneinheiten 3.1 und 3.2 von Bauer in diesem Band beschäftigen sich eingehender und durchaus auch kritisch mit dieser Thematik.

An dieser Stelle sei nochmals auf die praktische Nutzbarmachung und methodische Umsetzung der bisher vorgestellten Ansätze für den DaF-Unterricht hingewiesen: Bei der Verbindung von Sprach- und Landeskundevermittlung können das Verständnis von Wahrnehmung durch Sprache (kognitionsformender Sprachcharakter, vergleiche Einstein 1981) im interkulturellen Vergleich zu wichtigen Erkenntnissen über die Sprachgebundenheit von Kultur (auch im Sinne von LinguakulturLinguakulturen) führen.

Dies gilt auch für die nun folgende Diskussion über den geeigneten Kulturbegriff für die unterschiedlichen Auffassungen von Landeskundevermittlung (dazu ausführlicher bei Zeuner in der Lerneinheit 7.1 in diesem Band).

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