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Gefundene Kraftquellen – in meinem Erleben des Workshops

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Der Raum, der zum großen Ensemble des Naumburger Doms gehört, ist gefüllt mit sehr vielen Menschen – wie erwartet in all ihrer Vielfalt: Die junge, die mittlere und die ältere Generation, sie kommen aus dem Osten oder Westen Deutschlands, als Pendler zwischen den Welten, als Bewohner des seit 1990 bestehenden einen Deutschland oder auch aus dem deutschsprachigen Ausland. Jede und jeder von ihnen bringt seine ganz eigenen biografischen und transgenerationalen Erfahrungen, Prägungen und auch Erwartungen mit. Werde ich für diese Vielfalt den richtigen Ton treffen, wird mein Wunsch nach Perspektivenwechsel und Begegnung seinen Weg finden?

In einer kurzen Begrüßung gebe ich unseren Unterschieden in Herkunft, Alter und Erfahrungen Raum und lade dazu ein, in diesem Workshop auch unseren Gemeinsamkeiten Raum zu geben, nämlich uns zusammen auf die Suche zu machen nach wichtigen Kraftquellen, die unser Leben vor und nach dem Mauerfall beeinflusst haben und möglicherweise bis heute wirken. Und ich spreche darüber, ob es möglich sein wird, diese gefundenen Kraftquellen dann auch in ihrer Unterschiedlichkeit würdigen zu können.

In Partnergruppen tauchen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zunächst vorsichtig, dann immer vertrauensvoller in den Austausch ihrer jeweiligen »Kraftquellenwelten« ein. Deutlich sicht- und spürbar breitet sich auf den Gesichtern eine leise Freude aus über diese Möglichkeit, die eigene Vergangenheit unter dem Aspekt »Stärkende Erfahrungen« zu betrachten, dabei einen interessierten und wohlwollenden Zuhörer zu haben und dem Gegenüber selber ein solcher Zuhörer zu sein. Die zugewandte Körperhaltung der sich ja meist fremden Teilnehmer und die tastenden bis angeregten Unterhaltungen zeigen mir, dass dieser Austausch es möglich macht, den eigenen und den Erfahrungen des anderen mit Offenheit zu begegnen.

Im nächsten Schritt lässt sich jeder Teilnehmer auf die für die meisten neue und ungewohnte Erfahrung ein: die beiden gefundenen Ressourcen mit der nichtdominanten Hand auf jeweils einem Blatt dazustellen. Ich spreche über die Gleich-Wertigkeit jeder Skizze, die ja Ausdruck einer tiefen Erfahrung ist, es geht hier nicht um einen Wettbewerb von schönen Bildern.

Im Anschluss gelingt es dann trotz knappen Raums, dass jeder Teilnehmer einen Platz auf dem Boden findet, um seine beiden Ressourcenskizzen nach eigenen Vorstellungen auszulegen. Das individuelle Betreten der eigenen Skizzen – für die ganze Gruppe angeleitet von mir – erlaubt dann das Erleben der Qualität der jeweiligen Kraftquelle mit dem ganzen Körper.

Die ruhige Konzentration der Teilnehmer zeigt mir, dass die multisensorische Wahrnehmung der eigenen Kraftquelle als ganzheitliche, erfüllende Erfahrung erlebt wird. Es entsteht im Seminarraum diese spezifische Atmosphäre, die sich einstellt, wenn es uns einmal mehr und immer wieder neu gelingt, mit den manchmal vergessenen oder nicht genutzten Schätzen unseres Lebens in Kontakt zu kommen. Es wird ein staunendes Innehalten spürbar, das auch mich als Leiterin des Prozesses mit einschließt.

Um das körperlich und emotional Erlebte auch kognitiv einordnen und reflektieren zu können, betreten die Teilnehmer die Metaposition, die sie als leeres Blatt in ausreichender Entfernung von den Skizzen auf dem Boden auslegen. Obwohl sich nun durch Platzmangel einige Blätter der Teilnehmer recht nah kommen, gelingt der gewünschte »neutrale Blick« auf die eigenen Skizzen. Als Referentin leite ich den Prozess mit Fragen an die Metaposition. Ich frage nach dem Gesamteindruck der Skizzen, nach dem Verhältnis der Ressourcen zueinander und nach ihrer Wirkung auf die heutige Identität der Person, die die Skizzen erstellt hat. Ich frage auch, ob die Metaposition dieser Person eine Einsicht oder Empfehlung mit auf den Weg geben kann.

Der sich anschließende rege Austausch in der Partnergruppe und das abschließende Teilen in der Gruppe bzw. im Plenum lassen uns teilhaben an den äußerst vielfältigen Erfahrungen, die die Teilnehmer entsprechend ihrem Hintergrund und ihrer Wirklichkeit mit dem NIG-Format gemacht haben. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass die Teilnehmer in den Mittelpunkt ihres Erfahrungsberichtes nicht das Unterschiedliche oder vielleicht sogar Trennendes stellen. Vielmehr richten sie ihren Fokus auf Verständnis, Anerkennung und Wertschätzung der gefundenen Kraftquellen – und dies gilt sowohl für die eigenen als auch für die der anderen.

Mich erfüllt das mit großer Freude, denn ich weiß aus persönlicher und fachlicher Erfahrung: Gelingt es uns, unsere eigenen Stärken und Kraftquellen und die der anderen zu würdigen, verbinden wir uns auch mit unserer eigenen Würde und dem Respekt vor der Würde des anderen.

Im Grundgesetz der BRD heißt es in Artikel 1: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Auf dem nicht immer leichten Weg zur Umsetzung dieses Artikels in unserem Leben durften wir in diesem Workshop einen kleinen Schritt zusammen gehen: einen gemeinsamen Schritt. Dafür bin ich dankbar.

Vom Träumen und Aufwachen

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