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Scham und Schule

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Einer meiner ersten Lehrerfortbildungen vor vielen Jahren war ein ganzer Tag mit dem Kollegium eines Gymnasiums (60 Gymnasiallehrkräften) zum Thema »Scham«.

Nach der Einführung meldet sich ein älterer Lehrer und sagt: »Also, Herr Dr. Marks, als ich vom Thema dieser Fortbildung hörte, war ich ziemlich skeptisch. Eben erst ist mir bewusst geworden, wie sehr ich als Schüler gelitten habe unter den Beschämungen durch meine Lehrer und dass ich die ganzen Jahrzehnte als Lehrer dasselbe an meinen Schülern wiederholt habe.« Es war mucksmäuschenstill im Raum. Das ist genau der Punkt: Jeder Lehrer, da bin ich überzeugt, beginnt mit dem Wunsch: »Ich möchte mal ein besserer Lehrer werden, als ich es selbst erlebt habe. Ich möchte meine Schüler mal nicht beschämen.«

Aber wenn es eng wird, wenn Stress kommt, wenn es schnell, schnell gehen muss, wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, wenn man sich als Lehrer schämen muss, eine verfehlte Bildungspolitik zu vertreten, wenn man in versifften, verdreckten Schulgebäuden unterrichten muss … Was muten wir unseren Lehrern und Schülern zu? Wenn man dazu noch gesellschaftlich verachtet wird als »fauler Sack« und dann vielleicht noch von einem Schüler provoziert wird: Dann kann geschehen, dass ich als Lehrer in die Schamüberflutung rutsche. Dann dominiert das Reptiliengehirn, und natürlich missglückt dann eine Schulstunde. Ich kenne Lehrer, denen so etwas passiert, die im Lehrerzimmer davon berichten und sich dann von Kollegen anhören müssen: »Ich weiß gar nicht, was du hast, ich habe die Klasse im Griff, das ist mir noch nie passiert.«

Dann gehen die Türen zu! Denn natürlich möchte ich nicht noch einmal beschämt werden von meinen Kollegen. Ich möchte nicht noch einmal, dass Kollegen mitbekommen, dass ich eine Klasse »nicht im Griff« habe. Viel Scham entsolidarisiert: So geht ein Team kaputt, dann macht jeder nur noch »sein Ding«.

Was wir jedoch brauchen, sind Orte, an denen ich mit meinen Schamerfahrungen sein darf und nicht zusätzlich noch beschämt werde: das Team als Raum der Würde, wie ich dies nenne. Ein Ort, an dem ich Verständnis und unter Unterstützung erfahre:

»Ja, das ist schrecklich, was dir passiert ist. Da kann ich mich einfühlen. Wie können wir dich unterstützen? Was müssen wir hier ändern, dass so etwas nicht wieder passiert?« Solche »Räume der Würde« können wir dann schaffen, wenn wir in Kontakt mit der Scham sind. Erst ein bewusster Umgang mit Scham eröffnet die Möglichkeit, dass die jeweilige Arbeit mit Menschen in würdevoller Weise geschehen kann. Lasst uns damit anfangen, in der Beratung, in der Therapie, in der Supervision.

Vom Träumen und Aufwachen

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