Читать книгу MUSIK-KONZEPTE 195: Wolfgang Jacobi - Группа авторов - Страница 8
I Auf Erfolgskurs in Berlin
ОглавлениеMotiviert von bestärkenden Konzertkritiken und einem hervorragenden Studienabschlusszeugnis, startete Jacobi seine Laufbahn als freischaffender Komponist. Darüber hinaus übernahm er 1922 eine Stelle als Lehrer für Musiktheorie am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin. Er heiratete die Schweizerin Eveline Rüegg, mit der er in den folgenden Jahren zwei Kinder bekam. Die junge Familie bewohnte ein eigenes Haus im Berliner Stadtteil Lichterfelde, und Jacobi genoss zum einen das pulsierende Leben der Großstadt, zum anderen die Behaglichkeit im kleinen privaten Kreis. Als aufstrebender Komponist konnte er sich zusehends einen Namen machen und auch bald einen Verlag für einige seiner Werke gewinnen. So veröffentlichte der Berliner Musikverlag Ries & Erler 1924 seine Klavierstücke Passacaglia und Fuge op. 9 und Suite im alten Stil op. 10. Beide sind die frühesten erhaltenen Kompositionen Jacobis.9
Den ersten maßgeblichen Erfolg erzielte Wolfgang Jacobi mit seinem Cembalo-Konzert op. 31. »Meine besondere Vorliebe für die Barockmusik und das Cembalo veranlassten mich, ein Werk in dem für das Ende der zwanziger Jahre bezeichnenden Stil des Neoklassizismus zu schreiben«, erinnerte er sich später.10 Als Concertino für Cembalo und Kammerorchester 1927 entstanden, wurde das dreisätzige Werk im Oktober 1928 im Rahmen einer Matinee im Alhambra-Kino am Kurfürstendamm durch das Alhambra-Kammerorchester unter der Leitung von Paul Dessau und dem Cembalisten Eigel Kruttge uraufgeführt. Daneben waren Werke von Georg Pisendel und Leopold Mozart sowie Filmmusiken, u. a. zu zwei Trickfilmen, von Dessau zu hören. Die Veranstaltung wurde von »weltbekannte(n) Repräsentanten Musik-Berlins, wie Otto Klemperer und Professor [Artur] Schnabel« besucht und brachte Jacobi Aufmerksamkeit, positive Kritiken und das Lob ein, als »starkes kompositorisches Talent« bereits mehrfach aufgefallen zu sein.11 Er selbst betrachtete diese Aufführung jedoch mehr als eine Art Voraufführung und sah in der zwei Jahre später am 6. Oktober 1930 stattfindenden Darbietung durch die Dresdener Philharmoniker unter Paul Scheinpflug und der Solistin Lotte Erben-Groll die eigentliche Uraufführung. Diese war Teil eines Konzerts der Festtagung des Reichsverbandes Deutscher Tonkünstler und Musiklehrer in Dresden, bei dem ebenfalls ein prominentes Publikum, darunter Richard Strauss, zugegen war.12 – Jacobi hatte seinen Platz in der Musikwelt gefunden und begann sich allmählich fest zu etablieren. Sein Cembalo-Konzert, das in Dresden von der Presse noch wohlwollender aufgenommen worden war, beließ er aber letztlich nicht in seiner frühen Fassung. Über den Krieg gerettet, instrumentierte er es 1947 noch einmal um und veröffentlichte diese Version im Verlag C. F. Kahnt.13
Ein anderes Orchesterwerk, das erhalten blieb, ist die Grétry-Suite op. 44. 1932 komponiert, wurde die fünf Tänze umfassende Suite ein Jahr später in der Berliner Funk-Stunde durch das Funk-Orchester unter Bruno Seidler-Winkler uraufgeführt. Jacobi war bis dato bereits vielfach im Programm des ersten deutschen Rundfunksenders präsent. Als freier Mitarbeiter der Funk-Stunde hatte er zahlreiche Kompositions- und Bearbeitungsaufträge erhalten, so etwa für das musikalische Hörspiel Die Jobsiade – später umgearbeitet zu einer Schuloper. Auch schrieb er im Auftrag des Senders mehrere Werke für elektrische Instrumente wie Theremin oder Neo-Bechstein.14 Diese zeugen von seiner Offenheit für ungewöhnliche Instrumentierungen und neue Klangformationen, was auch an anderer Stelle noch deutlich werden wird.
Die Jobsiade zählte laut Jacobi »zu einer von Hindemith angeregten Gattung, der ›Gebrauchsmusik‹«. Und er führte weiter aus:
»Dieser unschöne Titel besagte, dass Musik auf breitester Basis geschrieben werden sollte, die die Lücke zwischen der immer komplizierter werdenden Konzertmusik und der Musik für eine musikalisch und technisch nicht vorgebildete Hörerschaft ausfüllen könn(t)e. Hierzu gehörte u. a. die Jugendmusik, die Schulmusik und die Musik für die damals blühenden Arbeiterchöre.«15
Wie mit der Jobsiade schloss sich Jacobi auch mit der Kleinen Sinfonie für Schulorchester dem Bestreben an, für die Jugend spielbare und zugleich an die Moderne heranführende Musik zu schreiben. Überhaupt legte er bei seinen Kompositionen größten Wert auf Fasslichkeit, und das sein Leben lang. Sie sollten anspruchsvoll, aber doch verständlich sein. Eine von Jacobis Maximen war, auch seine »schwierigste Musik unterhaltend zu machen und mit plastischen, fasslichen Einfällen zu versehen«.16 Er wollte den normal kultivierten Menschen erreichen und sprach sogar von der »Erkenntnis einer ethischen Verpflichtung«, in bestimmten Bereichen der Laienmusik das Niveau zu heben.17 In den 1950er/60er Jahren versuchte er das insbesondere auf dem Gebiet der Akkordeonmusik18, in den 1930ern auch in Bezug auf Musik für die erwähnten Arbeiterchöre.
Aus dem Interesse an sozialpolitischen Entwicklungen und der Sympathie für linksorientierte Positionen sowie die damalige Arbeiterchorbewegung schrieb Jacobi u. a. die Werke Der Heilige Gipfel für Arbeiterchor (Text von Otto Rombach) sowie das Bergwerksoratorium Der Menschenmaulwurf für gemischten Chor, Bariton-Solo, Sprecher und (Blas)Orchester. Das 1932 entstandene Werk nach einem Text des Arbeiterdichters Bruno Schönlank beschreibt den harten Alltag von Bergmännern unter Tage und sollte durch den Arbeiter-Sängerbund in Hannover uraufgeführt werden, was jedoch durch die Nationalsozialisten verhindert wurde. In einem Brief des Chorleiters an Jacobi vom 4. April 1933 heißt es:
»Das, was seit langem zu befürchten war, ist nun leider eingetreten: Der Gauvorstand hat gestern abend beschlossen, die Jubiläumsfeier und damit auch die Uraufführung des ›Menschmaulwurfs‹ auf unbestimmte Zeit zu verschieben! (…) Das Notenmaterial habe ich dem Gauvorstand übergeben und wird Ihnen von dort Nachricht zugehen.«19
In den Fokus des Hitler-Regimes geraten, wurde Wolfgang Jacobi zunächst kunstpolitisch geächtet, da seine Werke nicht den Vorstellungen der neuen Machthaber entsprachen. Dann folgte auch eine »rassische« Verfolgung: Aufgrund der jüdischen Abstammung seines Vaters wurde Jacobi im NS-Terminus als »Halbjude«20 eingestuft. Er verlor seine Stelle am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium, durfte nicht mehr für die Funk-Stunde arbeiten und sah sich als nun verfemter Komponist vor dem Aus seiner hoffnungsvoll begonnenen Karriere. Auch durften seine Werke nicht mehr aufgeführt werden. Er wurde 1935 von Joseph Goebbels in seiner Funktion als Reichskulturkammer-Präsident unter dem Betreff »Keinesfalls erlaubte musikalische Werke« auf eine Liste von Komponisten gesetzt, deren Werke fortan nicht mehr im deutschen Musikleben erklingen sollten.21