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5.Wenn Hochs und Tiefs störrisch wie Esel sind

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Normalerweise wechseln sich in unseren Breiten Hoch- und Tiefdruckgebiete ab. Wie an einer unsichtbaren Schnur werden sie über unsere Köpfe gezogen. Auf ein paar Tage mit Sonnenschein folgen ein paar Tage mit Regen. Sonne über Wochen, Regen über Wochen, das war immer die Ausnahme. Mit dem Klimawandel werden derart stabile Wetterlagen häufiger. Durch die Klimaerwärmung werden Hoch- und Tiefdruckgebiete größer, unförmiger und vor allem träger. Im schlimmsten Fall – und das ist heuer passiert – kommen sie zum Stillstand und werden ortsfest. Dadurch war es am Atlantik in Nordspanien den ganzen Sommer feucht und kühl und die Temperaturen kamen nicht über 20 Grad Celsius hinaus. Auch in Österreich war der Sommer durchwachsen und vor allem im Osten Österreichs schwül und ein schweres Gewitter jagte das andere. Weiter im Osten und Südosten, in Süditalien, Griechenland und der Türkei war es ungewöhnlich trocken und schwere Waldbrände wüteten. Sogar die hitzegewohnten Wälder und Olivenhaine bei Athen und Antalya gingen in Flammen auf. Das Tief im Westen und das Hoch im Osten waren über Wochen festgefahren. Genau wie es in der Siebenschläfer-Regel heißt: „Das Wetter wie am Siebenschläfer-Tag (27. Juni) sieben Wochen bleiben mag!“ Also alles schon gehabt und insofern eh normal?

Eben nicht. Wenn ich kurz ausholen darf: Die Siebenschläfer-Regel – also die Fortsetzung der Witterung um den 27. Juni über den ganzen Sommer – ist Jahrhunderte alt. Sie hat statistisch ausgewertet eine Trefferquote von über 60 %. Und sie ist ein sehr gutes Indiz dafür, in welchem Zustand sich die Atmosphäre befindet. Konkret: Ist es um den Siebenschläfer-Tag eher bewölkt und kühl, dann bleibt der Sommer durchwachsen. In „meteorologischen Sprech“ übersetzt: Ein Tief hat sich über unseren Köpfen festgefahren. Ist es um den 27. Juni heiß, dann bleibt der Sommer sonnig und warm – es hat sich ein Hoch festgefahren. Ist die Witterung um den Siebenschläfer-Tag mal so oder so, dann bleiben die folgenden Wochen ebenso wechselhaft. Ein Hoch und Tief nach dem anderen zieht durch. Warm und trocken, kühl und feucht wechseln sich ab.

Interessanterweise scheint die Siebenschläfer-Regel im Klimawandel nicht an Bedeutung zu verlieren. Im Gegenteil, die alte Bauernregel gewinnt an Schärfe. Es zeigt sich, dass die Klimaerwärmung sowohl sonniges Wetter als auch regnerisches Wetter schnell in eine Naturkatastrophe drehen kann. Vier Wochen Sonnenschein bei Temperaturen unter 25 Grad Celsius wie in den 1990ern ist für die Landwirtschaft gut zu verkraften und für Bergsportlerinnen und Bergsportler ideales Wanderwetter. Bei vier Wochen über 30 Grad Celsius wie zum Beispiel 2003, 2015, 2017, 2018 und 2019 beginnt für die Landwirtschaft in den Niederungen ein Überlebenskampf. Die Trockenheit kann sich schnell in eine schwere Dürre wandeln. Das passiert aus zwei Gründen: Luft mit 35 Grad Celsius kann und will viel mehr Feuchtigkeit aufnehmen als Luft mit 25 Grad Celsius. Dazu kommt, dass mit dem Klimawandel die Vegetationsphase im Frühjahr eher einsetzt und die Pflanzen bis in den Herbst mehr Wasser benötigen. Wenn dann im Frühjahr das Wasser schon knapp ist, wird jede Hitzewelle im Sommer zur Nagelprobe. So kann, was in den 1990er-Jahren noch eine Trockenheit war, in den 2020er-Jahren zu einer Dürre mit schwersten Schäden werden. Erschwerend kommt in Zukunft noch dazu, dass die Schneefallgrenze weiter ansteigen wird. Dadurch sammelt sich weniger Schnee, der im Sommer schmelzen kann. Seit jeher ist in trockenen Sommern das Schmelzwasser der Alpen im Rhein, der Donau oder dem Po unabdingbar für die Landwirtschaft. Mit dem Klimawandel drohen die Alpen ihre Funktion als „Wasserturm“ Mittel- und Südosteuropas zu verlieren.

Beim Wandern, Klettern und Bergsteigen im Gebirge mag es kühler und angenehmer sein und uns die Klimaerwärmung nicht so viel ausmachen. In den Bergen entwickelt der Klimawandel aber eine andere bedrohliche Seite: Warme Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen und das bedeutet mehr „Treibstoff“ für schwere Gewitter. Es ist einfach mehr Energie da, um „Superzellen“ mit Tornados aufzubauen. Zum Glück sind beim Bergsteigen in den Alpen derartige Tornados auch in Zukunft nicht zu erwarten. Dennoch gilt: In den Alpen haben schwere Gewitter mit Blitz, Hagel, Sturmböen und schweren Wolkenbrüchen in den vergangenen 40 Jahren deutlich zugenommen. Mehr denn je ist in den Bergen der kontrollierende Blick zum Himmel Pflicht. Wenn die Wolken aufquellen und sich Wolkentürme aufbauen, heißt es, weg vom Berggrat, raus aus der Wand. Blitze schlagen meist an exponierten Stellen ein. In eine Mulde gekauert und alles Metallische wie Stöcke und Pickel weit von sich abgelegt, ist man am sichersten.

Keinen Deut besser läuft die nasse Variante des Sommers, wenn Regenwetter nach der Siebenschläfer-Regel „sieben Wochen bleiben mag“. Wir erinnern uns an das Alpenhochwasser 2005: In der Oststeiermark kam es in nur in einer Regennacht zu 780 Hangrutschungen auf 60 km2. In der Schweiz mussten nach der Regenkatastrophe im August die Versicherungen 2,5 Milliarden Euro berappen, die größte Summe, die je in der Schweiz für ein Einzelereignis ausgezahlt werden musste. Eine Unzahl von Murenabgängen verwüstete ganze Talschaften. Der Klimawandel legt hier noch ein paar Schaufeln nach.

Dabei lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit. Eine Analyse historischer Pegelstände zeigt, dass wir uns in Europa seit den 1990er-Jahren in einer anhaltenden Hochwasserphase befinden. Von insgesamt sechs derartigen Phasen in den vergangenen 500 Jahren ist die aktuelle Hochwasserphase immerhin die zweitstärkste. Häufiger und extremer waren Hochwässer nur im Zeitraum von 1750 bis 1800, zu Zeiten der Französischen Revolution. Vermutlich kein Zufall. Durch eine ungewöhnlich nasskalte Witterung fielen die Ernten schlecht aus und es kam zu Hungersnöten, was wiederum zu Hungerrevolten führte. Aber der Unterschied zur aktuellen Hochwasserphase liegt in der Temperatur: In den fünf historischen Hochwasserphasen war die Witterung durchwegs kühler als normal. Wir würden das damalige Wetter heute als nasskalt bezeichnen. In der aktuellen Hochwasserphase ist das anders: Durch den Treibhauseffekt ist es wärmer als früher, also eher feuchtwarm – aktuell sind es 1,5 Grad Celsius mehr als noch im 19. Jahrhundert. Physikalisch gesehen, steckt wieder die simple Tatsache dahinter, dass warme Luft mehr Wasserdampf aufnehmen und sie damit mehr Regen tragen kann. Für die Alpen entscheidend sind ihre spezielle Lage und die gebogene Form des Gebirges. Regen wird entweder vom Atlantik oder vom Mittelmeer an die Alpen geführt und gestaut. Für die Alpensüdseite sind hier vor allem Tiefdruckgebiete über Italien entscheidend, die ihre Regenmengen im Mittelmeer aufnehmen und vom Piemont bis – im Extremfall – ins Salzkammergut entladen können. Dass die Entwicklung solcher Regentiefs über Italien oft von den Alpen selbst angefacht wird, ist eines der Wetterwunder dieses bemerkenswerten Gebirgsstocks. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern.

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