Читать книгу Höhepunkte der Antike - Группа авторов - Страница 5
Оглавление[Menü]
Hohe Punkte und Höhepunkte der Antike
KAI BRODERSEN
„Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen und das Kapitol in Rom. Aus allem hat das Abendland geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen.“1 Dieses Wort des ersten Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Theodor Heuss, wird immer wieder angeführt, wenn es um eine konzise Definition europäischer Identität geht. Manch ein Theodor-Heuss-Gymnasium begründet mit diesem Wort (das 1950 bei der Namensgebung für die Heilbronner Schule geprägt wurde, an der Heuss Schüler gewesen war) seine humanistische Ausrichtung, manche Sonntagsrede ihre europafreundliche Grundhaltung und manche europäische ,Bewegung‘ ihre Zielrichtung. Ja, bei einer Sitzung des Europäischen Konvents im Jahr 2003 griffen Delegierte für ihre Auffassung, dass eine Bezugnahme auf die christliche Tradition Bestandteil der Europäischen Verfassung werden müsse, auf das Heuss-Wort von den drei Hügeln zurück.
Drei hohe Punkte stehen in diesem Wort für die europäische Tradition, die mit allen drei Punkten als von der Antike – nicht vom Mittelalter und auch nicht von der Neuzeit – ausgehend bezeichnet wird. Während etwa die heutigen Euro-Geldscheine eine epochenübergreifende gemein-europäische Tradition erfinden – sie zeigen keine realen, sondern fiktive Bauwerke aus verschiedenen Epochen –, nimmt das Wort von den drei Hügeln auf die Realität der Antike Bezug. Was also könnte besser geeignet sein, „Höhepunkte der Antike“ vorzustellen, als diese drei hohen Punkte – Akropolis, Golgat(h)a und Kapitol – seiner Gliederung zugrunde zu legen?
Die Akropolis kann dabei nicht der einzige hohe Punkt für die griechische Antike sein. Wir wollen uns vielmehr auch in die hoch gebaute Stadt Troia begeben, dann in das delphische Orakel in den Bergen, in das phrygische Hochland, in dem Alexander dem Großen die Weltherrschaft geweissagt wurde, und auf den höchsten Turm der hellenistischen Welt, den Pharos von Alexandria. Vor allem aber wollen wir das antike Athen betrachten, die Wiege der Demokratie und die „Schule von Hellas“ im Schatten der Akropolis.
Golgata steht für die christliche Botschaft Jesu von der Gottesherrschaft zwischen Galiläa und Jerusalem – auf dem Berg der Seligpreisungen ebenso wie auf dem Hügel Golgata.
Das Kapitol schließlich soll für die römische Antike stehen, die wir von den Anfängen der Stadt auf den Sieben Hügeln am Tiber über die Blütezeit unter Kaiser Augustus bis zur Neugründung von Konstantinopel auf den Sieben Hügeln am Goldenen Horn verfolgen wollen. Für die römische Reichsbildung sollen Hannibals Elefantenzug über die Alpen und Caesars Eroberung von Gallien bis zum Sieg über Vercingetorix stehen, für das Leben im Reich das ewige Rom und Pompeji – und als eine der nachhaltigsten Traditionen aus der römischen Antike wird der Band mit den Höhepunkten der römischen Rechtskultur schließen.
Wie diese Übersicht zeigt, verstehen wir den Begriff „Höhepunkte“ sowohl wörtlich als „hohen Punkt“ wie auch metaphorisch als „Höhepunkt“: Hat man nämlich einen hohen Punkt erstiegen, bietet sich ein weiter Überblick über das Gelände – und hat man sich mit den in diesem Buch vorgestellten Höhepunkten beschäftigt, so gewinnt man, wie wir hoffen, nicht nur eine Kenntnis der ausgewählten hohen Punkte, sondern auch einen guten Überblick über die Antike. Bewusst haben wir also nicht historische Wendepunkte wie Schlachten und politische Morde als „Höhepunkte der Antike“ definiert. Solcherlei Wendepunkte zeichnen sich dadurch aus, dass wir oft unausgesprochen annehmen, ein anderes Ergebnis der Schlacht oder ein unterbliebener Mord hätte zu einem anderen Verlauf der Geschichte geführt. Der britische Philosoph John Stuart Mill (1806–1873) etwa hatte über die Schlacht von Marathon 490 v. Chr. gemeint: „The battle of Marathon, even as an event in English history, is more important than the battle of Hastings“ („Die Schlacht von Marathon war sogar als Ereignis der englischen Geschichte wichtiger als die Schlacht von Hastings“ 1066 n. Chr.). Zu dieser Art von Fragestellung liegt im selben Verlag der Band Virtuelle Antike (2000) vor, der anhand der Frage nach der ungeschehenen Geschichte Wendepunkte der Alten Geschichte in den Blick nimmt.
Höhepunkte der Antike also, nicht Wendepunkte wollen wir im Folgenden vorstellen – und haben dabei eine Auswahl aus der Vielzahl für unser Darstellungsziel geeigneter hoher Punkten zu treffen gehabt, auch um die Vielfalt an historischen Quellen und Deutungen zu erschließen. So begegnen uns im Folgenden archäologische Zeugnisse in Athen und Rom, in Troia und Pompeji, und große Texte von Homer über das Neue Testament bis zum Corpus Iuris Civilis. Alexander der Große erscheint ebenso wie Konstantin der Große, Perikles ebenso wie Caesar und Augustus. Wir besuchen das klassische Athen und die hellenistische Weltstadt Alexandria ebenso wie das frühe Rom und eine römische Kleinstadt im Schatten des Vesuv. Das Orakel von Delphi ist ebenso Gegenstand des Buchs wie die griechischen Philosophen in der „Schule von Hellas“ und wie das Wirken Jesu, und Staat und Recht begegnen uns von der attischen Demokratie bis zur kaiserzeitlichen Monarchie und zur spätantiken Kodifizierung der europäischen Rechtstradition.
So möchte der Band seine Leserinnen und Leser auf bedeutende hohe Punkte der Welt des Altertums einladen – und dazu, die Antike von dort aus zu überblicken, eben von Höhepunkten der Antike.
Für die Anregung zu dem Band und für die verlegerische Betreuung danke ich Wolfgang Hornstein und Regine Gamm – und den Kolleginnen und Kollegen aus Bamberg, Berlin, Bonn, Erfurt, Erlangen, Frankfurt, Leipzig, Mannheim, Saarbrücken und Wien für die engagierte Mitarbeit: Sie hat den Band auch für den Herausgeber zu einem Höhepunkt gemacht.
Mannheim, im Herbst 2005
Kai Brodersen