Читать книгу Leib und Leben - Группа авторов - Страница 11
Der menschliche Leib –
Medium der Kommunikation und der Partizipation 1 Der Leib als raum-zeitlich lokalisierbarer Körper
ОглавлениеDie weit verbreitete Überzeugung, die Funktionsweise des Leibes lasse sich nur mit der naturwissenschaftlichen Methode, rein physiologisch also, erklären, hat seit Descartes zu einer befremdlichen Frage geführt: Woher kann man eigentlich wissen, dass der Körper, der einem begegnet, auch Träger von Subjektivität ist, dass es sich also um einen anderen Menschen handelt? Möglich, so die These, sei nur ein Analogieschluss, der auf der Ähnlichkeit des anderen Körpers mit dem eigenen beruhe. Vor dem Hintergrund der Entwicklung künstlicher Intelligenz könnte das Gegenüber jedoch auch ein humanoider Roboter sein.1 Die Voraussetzung dieser These ist freilich, dass Menschen ihren Empfindungen und Absichten keinen Ausdruck verleihen und weder in ihrer biographischen Identität noch in ihrer körperlichen Verfassung an der Umwelt partizipieren und mit ihr verflochten sind. Während die Natur nur als Energielieferant für den Erhalt der biologischen Funktionen bedeutsam ist, gründet die personale Identität allein auf bewussten Erinnerungen und Erwartungen.
Nach wie vor argumentieren die meisten Philosophen der analytischen und der hermeneutischen Tradition, dass man den gesamten Bereich des Seienden zwei Kategorien zuordnen könne: Dingen, die in der Raum-Zeit lokalisierbar sind, und Personen, die mit Rationalität, Selbst- und Zeitbewusstsein und Sprache ausgestattet sind. Ein prominentes Beispiel für diese Position ist das Werk des französischen Philosophen Paul Ricœur, dessen Anliegen es ist zu zeigen, dass die personale Identität strukturell auf der Beziehung zur Andersheit beruht: zum Leib, zum Gewissen und zu den Mitmenschen. Und Ricœur wäre unzufrieden, wenn diese Relation rein funktional verstanden würde. Sie beruht auf der ethischen Orientierung am guten und gerechten Leben.
Um die analytische mit der hermeneutischen Position zu vermitteln, beginnt Ricœur in seinem Werk ‚Das Selbst als ein Anderer‘ seine Argumentation mit der Position der analytischen Tradition: Danach erscheinen Menschen für einen außen stehenden Beobachter zunächst als lokalisierbare, körperliche Objekte.2 Die biologische Identität, die durch physikalische und chemische, mithin durch genetische, neuronale und physiologische Prozesse kausal bestimmt ist, wird von der Biographie der Person getrennt, die auf mentalen Akten, auf Präferenzen, Erinnerungen und Erwartungen, beruht. Da Menschen jedoch handeln müssen, entwickelt Ricœur Schritt für Schritt die Perspektive der ersten Person und unterscheidet den Körper in seinen physiologischen Funktionen vom erlebten Leib als Ausdruck der Person.3 Dennoch wird noch am Ende dieser umfassenden und detaillierten Analyse die Identität nur auf Selbstbewusstsein und Sprache gegründet, die Menschen strukturell miteinander verbinden.
Doch zu welcher Kategorie gehören Pflanzen und Tiere, Babys und demente Menschen? Sie sind offensichtlich weder Objekte noch Personen. Und wie können Menschen als leibgebundene Wesen ohne irgendeinen Bezug zur Natur überhaupt überleben? Offensichtlich fehlt in Ricœurs Philosophie der Begriff des Lebens, der zwischen Personen und Sachen vermittelt und Lebewesen in die Natur als ein dynamisches Relationsgefüge einbettet, das nicht nur die Summe unserer Praktiken, mithin ein ‚Zeugzusammenhang‘ ist, der sprachlich erschlossen und kulturell unterschiedlich ausgelegt und benutzt wird. Obwohl Ricœur Descartes kritisiert, bleibt er in der Bifurkation der Natur gefangen. Sie ist für ihn nicht mehr als ein wertneutrales Substrat des wissenschaftlich-technischen und ethisch-kulturellen Fortschritts der Menschheit.
Auch das Streben nach Human Enhancement, nach der genetischen, neuronalen und technischen Optimierung von Fähigkeiten, ist von diesem Modell geprägt. Besonders deutlich zeigen sich diese Prämissen beim Transhumanismus, dessen Ziel es ist, physische und psychische Leistungsgrenzen mit Hilfe technischer Verfahren über das Menschenmögliche hinaus zu erweitern. Aussehen und Funktionen des Körpers sollen dem Selbstbild immer mehr angepasst werden. Letztlich kann das ehrgeizige Programm jedoch nur erfolgreich sein, wenn auch die Natur vollständig beherrscht wird. Denn nur wenn die Identität völlig unabhängig von den natürlichen Lebensbedingungen wäre und ausschließlich auf Prozessen der Informationsverarbeitung beruhen würde, ließen sich auch Alter und Tod überwinden. Die Verneinung der Leibgebundenheit und der Natur ist die Voraussetzung für die Entstehung des ‚neuen Menschen‘.4 Obwohl die wenigsten Menschen die Ziele des Transhumanismus teilen würden, bildet die Vorstellung, dass der Mensch, wie Sartre schrieb, ‚nichts anderes ist, als wozu er sich macht‘5, für viele inzwischen die Grundlage des Lebensgefühls. Unweigerlich werden dadurch die Natur in ihrer Eigendynamik und der andere Mensch entweder zum Hindernis oder zum Spiegel eines erfolgreich durchgesetzten Lebensplanes.6