Читать книгу Leib und Leben - Группа авторов - Страница 20
2 Warum wir keine Maschinen sind
Оглавление„Leben kann nur von Leben erkannt werden.“16
Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin und Sperma können als Boten unserer Vergänglichkeit erlebt werden. Erfahrungen, die wir buchstäblich am eigenen Leib machen, rufen uns unsere Hinfälligkeit, unsere Bedingtheit und Grenzen, aber auch unsere Begabung, frei zu sein, vor Augen. Denn auch daran können uns unsere Körperflüssigkeiten, unsere Ausscheidungen, unser Stoffwechsel erinnern: Ein Stein, ein Planet, ein Buch und ein Computer verfügen über diese Begabungen nicht. Anders als diese sind bereits Einzeller empfindlich gegenüber Reizen und betreiben Metabolismus, also Stoffwechsel mit ihrer Umwelt.17 Sämtliche Lebensäußerungen (bewusste wie unbewusste) lassen sich so gesehen als Bekundung von Freiheit deuten, insofern im Metabolismus etwas begegnet, was es in der unbelebten Wirklichkeit nicht gibt.
Wir sind nicht nur keine Engel, wir sind auch keine Maschinen. Eine Maschine bzw. ein Motor wird zwar von verschiedenen Brennstoffen versorgt, aber „die Motorteile selbst, die diesen Fluss durch sich passieren lassen, nehmen an ihm nicht teil. So beharrt die Maschine als ein selbstidentisches träges System gegenüber der wechselnden Identität der Materie, mit der sie ‚gespeist‘ wird; und sie existiert als ganz dieselbe, wenn jede Speisung unterbleibt.“18
Um das Verhältnis von Leib und Seele zu erläutern, stößt man in der Literatur immer wieder auf den Vergleich mit der Hard- und Software eines Computers. Aufschlussreich ist folgende Aussage von Haugeland:
„Dies ist keine Science-fiction, sondern reale Wissenschaft. Sie beruht auf einem theoretischen Konzept, das ebenso tiefgreifend wie gewagt ist: Im Grunde genommen sind wir selbst Computer. […] Denken und die Tätigkeit des Computers [sind] im Prinzip dasselbe.“19
In dieser Aussage schwingt mit, dass mental-geistige Lebensäußerungen des Menschen berechnet und mit Unterstützung diverser Programme beschrieben werden können.20 Das können wir mit Computerprozessen ja auch und die sollen doch im Prinzip dasselbe sein wie unsere mentalen Lebensäußerungen. Wirklich weiterführend und erhellend, um die leib-seelische Ganzheit zu veranschaulichen, sind der Computervergleich und Hinweis auf Hard- und Software wohl nicht. Denn es ist doch bekanntlich so, dass auf ein und derselben elektromechanischen Ausrüstung eines Computersystems kunterbunte Programme zum Einsatz kommen können. Unsere Seele wird aber nicht (wenn sich eine andere Gelegenheit bietet) einfach ausgewechselt oder erneuert. Sie ist stets die Form eines Stoffs, während für den Stoff gilt, dass er stets in Form steht, wie Aristoteles und Thomas von Aquin sagen würden.
Die leib-seelische Einheit, das Ineinander von Form und Stoff, bleibt zeitlebens bewahrt. Abgesehen davon, dass ein Computer seiner Vollzüge nicht gewahr werden kann und keinen Standpunkt hierzu einzunehmen in der Lage ist, offenbart sich das, was für dieses Programm denn nun typisch ist, nicht in der Hardware. Seelische Äußerungen schwirren nicht irgendwo im luftleeren Raum herum, sondern durchformen Ihre wie meine Organe.
„Die einzelnen Teile eines Organismus sind nicht nur zufällig zu einer bestimmten Funktion fähig, sondern zu diesem spezifischen Zweck gebildet. Der Begriff des Organischen beinhaltet daher, dass der Körper eine Ganzheit ist, bei der die einzelnen Teilfunktionen sinnvoll zusammenwirken. Sie sind derart aufeinander abgestimmt, dass sie ihre spezifischen Funktionen nur im Zusammenspiel mit allen anderen Organen vollbringen können. Als Gestaltund Funktionsganzheiten sind Lebewesen nicht in einzelne Elemente zerlegbar.“21
Bei dem ein oder anderen Philosophen unserer Tage kann man auf die These treffen, auch ein Computer oder Roboter würde mentale Lebensäußerungen (z.B. wie die eingangs von mir dargestellten Weisen des Erlebens) aufweisen können, wenn denn nur die entsprechenden funktionalen Verknüpfungen vorhanden sind. Allerdings geht an diesen Theoretikern, die mit solchen Thesen aufwarten, erstaunlicherweise vorbei, dass kein einziges Zubehörteil eines PCs auch nur annäherungsweise über ähnliche Vollzüge verfügt, die einen lebendigen Organismus ausmachen.
„Das Gehirn verwirklicht zum einen Dezentralisierung, zum anderen Integration auf andere Weise als gängige Computer: Im Nervensystem werden Informationen oft in unterschiedlichen Bereichen gleichzeitig verarbeitet – und es gibt die selektive Verknüpfung von jeweils zusammengehörigen Vorgängen, zum Beispiel Sehen und Hören bei einer bestimmten Wahrnehmung, die Kopplung mit entsprechenden Affekten und – besonders bei Menschen – mit Erinnerungen und Vorstellungen.“22
Während ein Computer oder Roboter mit einem bestimmten Programm ausgestattet werden muss, entfalten sich Organismen von ganz allein. Kein Computer hat eine Entwicklungsdynamik, die typisch ist für alles, was lebendig ist. Die Programme, die wir tagtäglich auf unseren PCs ablaufen lassen, werden von Profis mit Hilfe von Rechnern zuwege gebracht. Kein Computer pflanzt sich fort oder bildet kleine Computerprogramme für eine kommende Computergeneration aus.
Benjamin Libet hat in diesem Zusammenhang einen interessanten Gedanken in die Diskussion eingebracht: Bezeichnen wir einen Computer als System A, einen Menschen als System B. Ganz offensichtlich unterscheiden sich System A und System B hinsichtlich ihrer materiellen Beschaffenheit. Nehmen wir einmal an, es gebe ein Merkmal x, das sich sowohl bei System A als auch bei System B findet. X also als gemeinsamer Nenner der Systeme A und B. Dass eine Gemeinsamkeit ausfindig gemacht werden kann, heiße laut Libet aber noch lange nicht, dass auch ein weiteres Merkmal, nennenwir dieses y, gemeinsam sein muss. In einer ähnlichen Behauptung sieht Libet denselben logischen Fehlgriff versteckt: Dies ist die Idee, jede Nervenzelle unseres Zerebrums durch einen Siliziumchip austauschen zu können und alle Funktionen, die unser Gehirn ausübt, durch einen überaus leistungsstarken Chip zu erneuern. „Wenn wir das für das ganze Gehirn tun könnten, hätte wir ein Instrument, das Funktionen erfüllen könnte, die von denen des ursprünglichen Gehirns nicht unterscheidbar sind.“23 Übersehen wird hier nach Libet aber, dass wir es bei dem ursprünglichen Zerebrum und dem Hochleistungswunderchip mit grundverschiedenen Systemen zu tun haben. Dem Riesenchip fehlen der Bezug zu einem Leib und die Lebendigkeit. „Das Gehirn“, so Libet, „ist strukturell und funktionell verschieden von einem System, das aus Siliziumchips besteht.“24 Denn schon auf einer rein technischen Ebene lässt sich sagen, dass das Gehirn ein plastisches, dynamisches, nichtlinear arbeitendes System ist.
John Searle, der die Computertheorie des Geistes für die „raffinierteste Formulierung“25 des Physikalismus hält, macht sich für den Gedanken stark, dass nicht einmal der beste Computer der Welt einsehen kann, was denn nun sein Programm bedeuten mag. Er versteht nicht, wie Searle sagt, wie und warum da etwas abläuft. Ihm fehlt, wie wir auch sagen können, die intentionale Begabtheit. Er hat kein Symbolbewusstsein. Während Sie und ich die Frage nach dem Sinn des Ganzen aufwerfen können, gibt es diese Dimension für den Computer nicht. Und hinzu kommt: Der PC ist völlig aufgeschmissen ohne seinen Nutzer! Er nimmt ihn in Betrieb oder knipst ihn aus. Er fragt, wer denn der „User des Computers“ ist, wenn unser Gehirn ein PC sein soll.26