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6 Berufungserzählungen

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Das Situationsmotiv der Berufung durch Gott, mit ihm und einem zu Berufenden als wichtigsten Akteuren, hat zu einer ganzen Reihe markanter, erzählender Texte geführt, die oft zusammenfassend als Berufungsberichte bzw. -erzählungen bezeichnet werden. Dies sind vor allem die Berufung des Mose am brennenden Dornbusch (Ex 3), die Berufung Gideons (Ri 6) und Samuels (1 Sam 3), Jesajas Vision im Heiligtum (Jes 6), Jeremias Berufung (Jer 1) und Ezechiels Thronwagenvision (Ez 1–3).

Seit der Analyse durch RICHTER (1970) wird davon ausgegangen, dass es sich bei dem Berufungsbericht um eine alttestamentliche Gattung handelt. Als Elemente dieser Gattung gelten „1. Anspielung auf eine Notsituation; 2. Beauftragung; 3. Einwand; 4. Beistandszusage, 5. Zeichen“ (LONG 1980, 678). Dabei sind aber viele dieser Elemente häufig in den Texten gar nicht präsent und mithin auch nicht konstitutiv für die angenommene Gattung. Bei Jesaja, Jeremia und Ezechiel fehlen z.B. Anspielungen auf Notsituationen. Darüber hinaus sind die sehr allgemein beschriebenen Elemente inhaltlich oft sehr unterschiedlich gefüllt. Während bei Mose ein „Zeichen“ die Verwandlung seines Stabes in eine Schlange ist, fehlt bei den Propheten etwas Vergleichbares. Zudem finden sich bei konsequenter Definition einer Gattung/Textsorte keine signifikanten sprachlichen Eigenarten im hebr. Wortlaut, die alle genannten Texte verbinden würden (vgl. BEHRENS 2002, 4–13; 66–70). Jes 6 und Ez 1ff. lassen sich eindeutig der Gattung „Visionsschilderung“ zuordnen (vgl. LONG 1980, 677 und WASCHKE 1998, 1348). Von einer auch sprachlich zu definierenden Gattung/Textsorte sollte daher in Bezug auf Berufung nicht gesprochen werden. Vielmehr handelt es sich um ein Situationsmotiv, das formgeschichtlich nicht festgelegt ist, und daher in unterschiedlichen Text zusammenhängen und Gattungen wieder auftauchen kann. Unterschiedliche Einzelmotive können dabei verschiedene Aspekte betonen, ohne dass das Fehlen eines bestimmten Einzelmotivs das Vorliegen einer Berufung infrage stellen würde.

Die Funktion des Berufungsmotivs wurde vor allem in der Legitimation des Auftrags des Berufenen in einem außerhalb seiner selbst liegenden Handeln Gottes gesehen. Insbesondere im Hinblick auf die Prophetengestalten Jesaja, Jeremia und Ezechiel lag immer wieder eine biographische Deutung nahe. Dagegen ist zu sagen, dass es sich hier um ein literarisches Situationsmotiv mit einer bestimmten Funktion im Kontext alttestamentlicher Literaturwerke handelt. Ein Zusammenhang zur Biographie der im Motiv als Aktanten auftretenden handelnden Personen ist nicht gänzlich auszuschließen, aber methodisch nicht fassbar. Die Texte greifen auf eine Fülle vorgegebener Traditionen zurück (vgl. WANKE 1992) und sind zum Teil voneinander literarisch abhängig. Die legitimatorische Funktion ist Bestandteil des literarischen Situationsmotives „Berufung“. Die in dem jeweiligen alttestamentlichen Buch überlieferten Botschaften und Ereignisse sollen als von Israels Gott initiiert verstanden werden. Sie sind nicht lediglich Ergebnis menschlichen Wollens und Reflektierens. Zugleich wohnt insbesondere der dialogischen Struktur des Berufungsmotivs eine „argumentative“ Leistung inne (vgl. BEHRENS 2009). Leserinnen und Leser sollen die Einwände des zu Berufenden mitvollziehen und sich so zu eigen machen können. Dass Mose angesichts eines Ganges zum mächtigsten Mann → Ägyptens einwendet, er könne nicht reden, oder dass Jeremia auf seine Jugend verweist oder dass Jesaja sich ganz auf der Seite der „unreinen“ Menschen und eben nicht auf der des heiligen Gottes (→ Heilig sein) verortet, ist nachvollziehbar. Ebenso sollen dann aber auch die Beistandszusagen nicht nur die Akteure des Textes, sondern auch die Rezipienten erreichen – und das im Grunde bis heute.

Darüber hinaus haben die jeweiligen Einzeltexte ganz unterschiedliche Funktionen und Leistungen in ihrem Kontext: Jes 6 stellt den Propheten als einen paradigmatisch Sehenden (Jes 6,1) und Hörenden (Jes 6,8) einem Volk gegenüber, das eben nicht hinsehen und auf Gott hören will. Jer 1 stellt eine nachträglich eingefügte redaktionelle Einleitung des Jeremiabuches dar, die eine Reihe von Themen des Buches wie eine Ouvertüre vorwegnehmend kompiliert. Ex 3 schildert auch die Entdeckung des → Berges Horeb und erklärt dessen Bedeutung. Darüber hinaus bietet Ex 3,14 eine Theologie des Namens JHWH und schlägt eine Brücke von der Erzelterngeneration bis zum Exodus usw.

Wörterbuch alttestamentlicher Motive

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