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Gewalt gegen Juden

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Übergriffe von Wehrmachtssoldaten richteten sich im September 1939 aber nicht nur gegen die polnische Bevölkerung allgemein, sondern oft gezielt gegen polnische Juden. Diese wurden von den Deutschen nicht nur angestarrt, verhöhnt oder gedemütigt – etwa durch die brutale Prozedur des gewaltsamen Bartscherens, die nach Aussagen von Überlebenden überall im Land praktiziert wurde, durch die gezielte Zwangsrekrutierung zu Aufräumarbeiten, zum Ausheben von Gräbern oder zu schikanösen Säuberungsaktionen.46 Plünderungen und andere Ausschreitungen, die in den ersten Tagen nach Abschluß der Kampfhandlungen für die Wehrmacht ein ernsthaftes disziplinarisches Problem darstellten und mit aller Härte geahndet wurden, richteten sich häufig gezielt gegen jüdische Händler und Privatleute und zwar nicht nur aus offensichtlich antisemitischen Motiven, sondern auch, weil die Soldaten der Auffassung waren, daß solche Verbrechen von den Kriegsgerichten nicht geahndet würden. An höherer Stelle sah man sich daher wiederholt dazu genötigt, in Befehlen, die das allgemeine Phänomen der Plünderungen unterbinden sollten, explizit darauf hinzuweisen, daß sich dies auch auf von Juden bewohnte Häuser bezog.47 Der Kommandeur der 3. Panzerdivision berichtete am 17. September aus Włodowa: „Die Truppe zeigte Ansatz zu undiszipliniertem Verhalten. Es wurden Ansichten laut, als ob bei Juden geplündert werden konnte. Eine geringe Zahl kriegsgerichtlicher Verhandlungen verschaffte Klarheit.“48

So beraubten etwa drei Wehrmachtsangehörige mehrere Tage hintereinander die Wohnungen jüdischer Familien und vergewaltigten deren Frauen. Einer von ihnen war von seinen beiden Kameraden mit dem Argument zu den Verbrechen überredet worden, daß es völlig in Ordnung und nicht strafbar sei, Verbrechen gegen Juden zu begehen. Dementsprechend hatten sich die furchtbaren Übergriffe der drei Männer tatsächlich ausschließlich gegen Juden gerichtet.49 Der Fall wurde bekannt, weil auf die Anzeige einer der geschädigten Familien hin kriegsgerichtliche Ermittlungen eingeleitet wurden. Es wirft allerdings ein merkwürdiges Licht auf die Untersuchung, daß man das größte Interesse der Frage widmete, ob bei den Vergewaltigungen der Geschlechtsakt tatsächlich vollzogen worden sei und ob die Delinquenten sich über die Bestimmungen der Nürnberger Gesetze im Klaren gewesen seien. In der Anklageschrift wurden sie der Vergewaltigung, Erpressung, Plünderung und Rassenschande beschuldigt.50

Die Ermordung von Tausenden polnischer Juden sowohl durch deutsche Polizisten als auch durch deutsche Soldaten ist in der Forschung heute unbestritten. „Seit dem ersten September 1939 verging kein Tag, an dem nicht Wehrmacht, SS oder Polizei polnische Staatsbürger jüdischer Nationalität erschossen, erschlugen, erstachen, füsilierten oder lebendig verbrannten – von ‚gewöhnlichen‘ Drangsalierungen und Ausplünderungen ganz zu schweigen. […] Am Vorabend und am jüdischen Neujahrsfest (13. bis 15. September 1939) wurden Hunderte polnischer Juden in Mielec, Dynów, Przemyśl und Piotrków Tribunalski von Wehrmachts- und SS-Einheiten in ihren Synagogen verbrannt.“51 Es ist aber kaum möglich, verläßliche Aussagen darüber zu machen, wie hoch die Zahl der jüdischen Opfer tatsächlich ist, die durch Ausschreitungen von Wehrmachtssoldaten im September 1939 ums Leben kamen.52 Daher können die folgenden Fallbeispiele nur als Illustration eines Phänomens verstanden werden, über dessen tatsächliches Ausmaß noch wenig bekannt ist.

Am 12. September ereignete sich im Befehlsbereich der 3. Armee ein Massaker an polnischen Juden durch einen Wachtmeister der Geheimen Feldpolizei – eine Wehrmachtsformation – und einen SS-Mann. Der Fall war der erste Übergriff dieser Art, der während des Septemberfeldzuges kriegsgerichtlich geahndet wurde. Man stellte fest, die beiden Männer hätten „etwa 50 Juden, die tagsüber zur Ausbesserung einer Brücke herangezogen worden waren, nach Beendigung der Arbeit abends in einer Synagoge zusammengetrieben und grundlos zusammengeschossen“. Während dem SS-Mann mildernde Umstände zugebilligt wurden, weil er „durch zahlreiche Greueltaten der Polen gegen Volksdeutsche im Reizzustand gewesen“ sei und „als SS-Mann im besonderen Maße beim Anblick der Juden die deutschfeindliche Einstellung des Judentums empfunden, daher in jugendlichem Draufgängertum völlig unüberlegt gehandelt“ habe, wurde diese Argumentation nicht für den Wehrmachtsangehörigen zugelassen. Zudem hatte dieser als ranghöherer Unteroffizier den Sturmmann durch Überreichen des Gewehrs erst zu der Tat veranlaßt. Die erklärtermaßen nicht provozierte Tat ist ein Indiz für die These, daß bereits im September auch bei Wehrmachtsangehörigen die Hemmschwelle für antisemitische Gewaltanwendung sehr niedrig angelegt sein konnte. Die Militärbehörden waren durch diesen Vorfall offenbar empört und nicht bereit, die für einen SS-Angehörigen als selbstverständlich angesehene antisemitische Grundhaltung als Entschuldigung für soldatisches Fehlverhalten anzusehen. Es kam ihnen aber nicht in den Sinn, das geringe Strafmaß – jeweils 3 Jahre Gefängnis für die Ermordung von 50 Juden – selbst als Ausdruck einer antisemitischen Grundhaltung anzusehen.53

Am selben Tag ereignete sich in der Stadt Końskie ein Massaker an polnischen Juden durch Soldaten eines Luftaufklärungsbataillons der 10. Armee, bei dem zufällig auch Leni Riefenstahl mit einem Kamerateam anwesend war.54 Juden aus der Ortschaft waren dazu gezwungen worden, auf einem Platz ein Grab für gefallene deutsche Soldaten auszuheben. Dabei wurden sie von den umstehenden Deutschen schwer mißhandelt. Nachdem der Ortskommandant den Juden erlaubt hatte, sich vom Platz zu entfernen, näherte sich ein Leutnant mit einem Fahrzeug dem Ort des Geschehens und feuerte zwei Schüsse auf die vermeintlich Fliehenden ab. Die Soldaten, die zuvor die Juden verprügelt hatten, eröffneten nun ihrerseits das Feuer. Nach dem Abklingen der Schießerei lagen 19 Juden tot auf der Straße, acht waren schwer verletzt, drei von ihnen erlagen bis zum 15. September ihren Wunden.

Das Kriegsgericht, das sich mit der Untersuchung des Vorgangs beschäftigte, kam zu dem Ergebnis, der Leutnant habe nicht aus einer militärischen Notwendigkeit heraus gehandelt, sondern mit der Absicht, wahllos Zivilisten zu töten. Andererseits wurden ihm mildernde Umstände zugestanden, da die polnische Bevölkerung während des Septemberfeldzuges dadurch, daß sie „sich nicht gescheut hat, sich […] am Kampfe zu beteiligen, deutsche Soldaten in ihren Unterkünften zu überfallen und zu töten“ gegen geltendes Völkerrecht verstoßen habe.55 Damit erteilte das Gericht den Wehrmachtsangehörigen geradezu einen Freibrief für Ausschreitungen gegen die gesamte polnische Zivilbevölkerung. Der Leutnant wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Die anderen Soldaten, die blindlings in die Menge geschossen hatten, wurden nicht zur Verantwortung gezogen. Sie hatten durch die vorherige brutale Mißhandlung der Juden die Situation provoziert, und sie waren sich dessen bewußt, daß es sich bei den Juden, auf die man schoß, nicht etwa um flüchtende Gefangene handelte. Das Kriegsgericht dagegen schenkte der Beteiligung von einfachen Soldaten an der Schießerei keinerlei Beachtung.

Auch an dem Massaker, das die Einsatzgruppe z.b.V. Mitte September unter den Juden von Przemyśl und Umgebung anrichtete56, waren offenbar Angehörige der 14. Armee beteiligt. Deren Oberbefehlshaber, Generaloberst Wilhelm List, erließ drei Tage danach einen Befehl, in dem er feststellte: „Es mehren sich in den letzten Tagen die Meldungen über Disziplinlosigkeiten, Übergriffe und Willkürmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung. Als Beispiele müssen angeführt werden: Plünderungen, eigenmächtiges Erbrechen von Läden und Aneignung solchen Gutes, das nicht zum täglichen Bedarf benötigt wird […], willkürliche Erschießungen ohne vorheriges kriegsrechtliches bzw. standrechtliches Urteil, Mißhandlung Wehrloser, Vergewaltigungen und Notzuchtsverbrechen, Niederbrennen von Synagogen. […] Alle diese Vorfälle lassen ein Nachlassen in Haltung und Disziplin der Truppe, vor allem bei den im rückwärtigen Armeegebiet eingesetzten Einheiten, erkennen.“57 Einen Tag später, am 19. September, sah sich List erneut genötigt, seine Leute mit aller Schärfe darauf hinzuweisen, daß „Maßnahmen gegen die Juden […] unbedingt zu unterbleiben“ hätten.58 Am 21. September erging durch den Oberbefehlshaber des Heeres ein Befehl, in dem vermerkt wurde: „Die Teilnahme von Heeresangehörigen an polizeilichen Exekutionen ist verboten.“59

Einige der Verbrechen, die gegen polnische Juden während des Feldzugs begangen wurden, sind nicht nur auf unkontrollierte Ausschreitungen von deutschen Soldaten zurückzuführen, sondern ereigneten sich im Rahmen der Planung des Oberkommando des Heeres, polnische Juden aus den westlichen Landesteilen nach Ostpolen zu vertreiben. Vereinzelt wurden entsprechende Maßnahmen bereits vor Mitte September von örtlichen Militärbehörden durchgeführt, so in Mława, Włocławek, Nowy Dwór, Ostrołęka, Zichenau (Ciechanów)60; sie scheinen zunächst jedoch nicht von höherer Stelle angeordnet worden zu sein. Der erste Befehl des Oberkommandos des Heeres zur Abschiebung von Juden über den Fluß San erging am 12. September durch den Oberst im Generalstab Eduard Wagner. Zu diesem frühen Zeitpunkt erschien den örtlichen Behörden eine solche Maßnahme jedoch noch nicht durchführbar. Dies änderte sich nach dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen am 17. September. Da eine große Zahl der ortsansässigen Polen, unter ihnen auch viele Juden, über die Flüsse Narew, Weichsel und San geflüchtet war, konnten letztere durch die Abriegelung der Demarkationslinie zum sowjetisch besetzten Gebiet leicht an der Rückkehr gehindert werden. Eine entsprechende Anordnung erließ Wagner bereits am 18. September an alle Oberkommandos der im Verband der Heeresgruppe Süd eingesetzten Armeen.

Welche Schwierigkeiten diese völkerrechtswidrige Maßnahme in der Umsetzung mit sich brachte und welche Härten sie für die Betroffenen beinhaltete, belegt die eine Woche später erfolgte Verschärfung, sie solle „auch außerhalb der Brücken mit allen Mitteln – notfalls mit der Waffe“ durchgeführt werden.61 Es spricht für einzelne verantwortliche Befehlshaber vor Ort, daß sie sich der Anweisung widersetzten. Die Armeeoberkommandos bestanden jedoch auf der Durchführung und beauftragten damit neben Wehrmachtspersonal auch Einsatzkommandos, die neben der Abriegelung der Grenzflüsse auch die ursprüngliche Idee der aktiven Vertreibung in die Tat umsetzen sollten. Bei der 14. Armee, deren Oberbefehlshaber – wie weiter oben bereits ausgeführt – selber noch vier Tage zuvor angeordnet hatte, alle „Maßnahmen gegen die Juden“ zu unterlassen, wies man die örtlichen Einsatzkommandos an, die an den Flüssen gelegenen Orte „aus Abwehrgründen von allen unzuverlässigen Elementen zu säubern, in erster Linie […] die jüdische Bevölkerung […] – soweit möglich – über den San abzuschieben“.62 Ein Angehöriger des Einsatzkommandos 3/I gab im Dezember 1939 zu Protokoll: „Dann bekam ich erneut ein Kommando, die Sansicherung von Jaroslau [Jarosław] bis Sandomierz. Diese Strecke habe ich dann judenfrei gemacht und etwa 18000 Juden über den San abgeschoben. Das Gebiet war vor allem mit der Wehrmacht gesäubert worden.“63

Ein Soldat beschrieb damals die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung als Idyll: „Viel Kaftan-Juden sahen wir über den San ziehen in russisch werdendes Gebiet. Wir sind hier außer als Brückenbewachung und Verkehrsposten auch als Rückmarschsicherung.“64 Die Realität sah für die Betroffenen anders aus, wie das Kriegstagebuch des Grenzabschnittskommandos Süd bezeugt, in dem am 28. September vermerkt wurde: „Bei dem z.Zt. herrschenden Hochwasser sind dabei viele Flüchtlinge ertrunken, z.T. wurden sie dabei von den Russen erschossen.“65 Doch nicht nur Rotarmisten nahmen die Vertriebenen unter Beschuß. Überlebende bezeugten, daß beispielsweise in Pułtusk, wo es nur Frauen und Kindern gestattet wurde, den Narew über die Brücke zu überqueren, jüdische Männer, die durch den Fluß schwimmen mußten, teils ertranken, teils von deutschen Soldaten von der Brücke aus erschossen wurden.66

Neben der Direktive Wagners fehlte es auch nicht an persönlichem Engagement einzelner Wehrmachtsbefehlshaber. Generalleutnant Brandt vom Grenzabschnitts-Kommando 3 hatte für das von seiner Truppe besetzte ostoberschlesische Industriegebiet ebenfalls ambitionierte Pläne. Er schlug am 28. September im Hinblick auf „bevölkerungspolitische Gesichtspunkte“ vor, eine Evakuierungszone für die dort ansässigen Juden zu bilden, um „deutsches Blut“ vor der Verunreinigung durch „volksfremde Elemente“ zu schützen. Dies sollte seiner Auffassung nach am besten noch während des Krieges geschehen. Doch dort mußte man sich zunächst aus logistischen Gründen darauf beschränken, mit allen Mitteln das Zurückströmen von „unerwünschten Elementen“ zu unterbinden.67

Das geplante und zumindest an der Demarkationslinie auch durchgeführte Programm der Vertreibung von polnischen Juden aus deutsch besetztem Gebiet macht deutlich, daß man auf Wehrmachtsseite auch an höchster Stelle weitgehend mit der Auffassung des Reichsicherheitshauptamtes übereinstimmte, die Reinhard Heydrich in einem Schnellbrief am 21. September an die Chefs aller Einsatzgruppen68 zum Ausdruck brachte: Die polnischen Juden stellten in den Augen der deutschen Besatzer ein Problem dar, dem man sich möglichst schnell durch Konzentrierung, Abschiebung und Unterbindung einer Rückwanderung zu entledigen gedachte. Diese Tatsache relativiert die vorläufige Aussetzung der im Schnellbrief angekündigten Maßnahmen, die der Oberbefehlshaber des Heeres im Hinblick auf militärische Notwendigkeiten einige Tage später durchsetzte.69

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