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Terror im deutschen Machtbereich
ОглавлениеBereits vor dem Überfall auf Polen machte Hitler im engeren Kreis wiederholt deutlich, daß der Krieg gegen Polen kein gewöhnlicher Krieg sein würde. Ihm ging es nicht nur um die Verschiebung der deutschen Grenze nach Osten. Am 25. März 1939 erklärte Hitler: „Polen soll […] so niedergeschlagen werden, daß es in den nächsten Jahrzehnten als politischer Faktor nicht mehr in Rechnung gestellt zu werden brauche.“ In einer Besprechung in der Reichskanzlei am 25. Mai unterstrich er, daß es sich beim Krieg gegen Polen „um die Erweiterung des Lebensraums im Osten und Sicherung der Ernährung“ handle, die durch deutsche Besiedlung erreicht werden sollte.4 In der Tat beabsichtigte Hitler, dort die ersten konkreten Maßnahmen zur Verwirklichung seiner Vision von „Lebensraum“ vorzunehmen und eine Germanisierung des Ostens einzuleiten. Die allgemeinen Grundsätze dieser Volkstumspolitik gegenüber den Polen standen bereits vor dem Krieg fest. Sie umfaßten die Beseitigung der polnischen Führungsschicht und die teilweise Germanisierung der eroberten Gebiete. An die geltenden völkerrechtlichen Normen wollte und konnte man sich dabei nicht halten, denn, so Hitler, ein „volkstumspolitischer“ Kampf gestatte „keine gesetzlichen Bindungen“.5
Unmittelbar nach der militärischen Niederschlagung Polens und der Teilung der Kriegsbeute mit der Sowjetunion unternahmen die deutschen Besatzer erste konkrete Schritte, um die allgemeinen Zielvorgaben der Volkstumspolitik in die Praxis umzusetzen. Viel Erfahrung hatten sie dabei nicht. Als erste Maßnahme ordnete Hitler an, die Militärverwaltung abzulösen und die deutsch besetzten Gebiete – wie erwähnt – in zwei Territorien aufzuteilen. Die dem Reich einverleibten Gebiete sollten kurzfristig „entpolonisiert“, „entjudet“ und innerhalb von wenigen Jahren vollständig germanisiert werden. Polen und Juden sollten im Rahmen einer „ethnischen Flurbereinigung“ ins GG vertrieben und an ihrer Stelle Volksdeutsche aus dem Osten angesiedelt werden. Die Errichtung des GG hatte dagegen zum Ziel, die Durchführung dieser „ethnischen Flurbereinigung“ zu ermöglichen, also alle „unerwünschten Elemente“ aus den annektierten Gebieten aufzunehmen. Gleichzeitig galt es aber im GG zu verhindern, „daß eine polnische Intelligenz sich als Führungsschicht aufmacht“. Polen sollten zwar zur Verwaltung des GG eingesetzt werden, „eine nationale Zellenbildung darf aber nicht zugelassen werden“, bestimmte Hitler.6 Die Methoden, mit denen die deutschen Besatzer diese Zielvorgaben umsetzten, bestanden in Terror und Völkermord, Deportationen, Vertreibungen und Umsiedlungen, Zwangsarbeit, Kollektiventeignung und Ausplünderung, Beseitigung und Unterdrückung des kulturellen Lebens.
Die Geschichte des deutschen Terrors im besetzten Polen läßt sich chronologisch grob in zwei Phasen – von September 1939 bis Ende 1941 und von Anfang 1942 bis zum Ende der Besatzung – unterteilen. Sie unterschieden sich in der Intensität der Gewalt und teilweise in ihrer Zielsetzung. Der deutsche Terror in Polen begann bereits am 1. September. Die Luftwaffe bombardierte von Anfang an nicht nur militärische Anlagen und gegnerische Truppen, sondern auch gezielt zivile Objekte, Städte, Dörfer und Straßen, auf denen Flüchtlingszüge unterwegs waren. Während des Feldzuges beging die Wehrmacht zahlreiche Verbrechen an Kriegsgefangenen und sowohl jüdischen wie auch polnischen Zivilisten. Außer diesen Terrorakten sind systematische Morde durch die Einsatzgruppen zu verzeichnen, die in dem neuen Charakter dieses Krieges begründet waren. Die insgesamt sieben Einsatzgruppen, die sich aus Angehörigen von SD, Sicherheits- und Ordnungspolizei rekrutierten, hatten die Aufgabe, alle „deutschfeindlichen Elemente“ zu bekämpfen. Darunter verstand man die Angehörigen der einheimischen Eliten im weiteren Sinne, d.h. alle politisch und gesellschaftlich aktiven Personen und die Intelligenz, mit einem Wort: die staatstragenden Schichten Polens.
Die Juden als ethnische Gruppe waren 1939 im allgemeinen noch nicht das erklärte Ziel der systematischen Erschießungen; sie galten ja nicht als Führungselite des polnischen Staates, es sei denn, es handelte sich um polonisierte Juden. Wenn damals Juden ermordet wurden, dann meistens bei pogromartigen Ausschreitungen oder bei sogenannten Vergeltungsaktionen. Schätzungen zufolge fielen in ganz Polen bis zur Jahreswende 1939/40 etwa 7000 Juden der deutschen Gewaltherrschaft zum Opfer.7 Die große Mehrheit der Opfer des deutschen Terrors im Herbst 1939 waren jedoch ethnische Polen. Von dieser Welle waren in erster Linie die westlichen Gebiete betroffen. Allein für Danzig-Westpreußen schätzt man, daß bis Ende des Jahres etwa 30.000 polnische Bürger gewaltsam zu Tode kamen. Im Wartheland geht man von ca. 10.000 Ermordeten bis zum 26. Oktober aus, während in Ostoberschlesien in 58 Massenexekutionen mehr als 1500 Menschen hingerichtet wurden.8 Auf dem Gebiet des späteren GG verlief die erste Terrorwelle bei weitem nicht so blutig wie in den eingegliederten Gebieten. Dort wurden bis Ende 1939 ‚lediglich‘ etwa 5000 Menschen ermordet.9 Diese Erschießungen liefen unter dem Oberbegriff „Intelligenzaktion“ und wurden von den Einsatzgruppen ausgeführt, aus denen im November 1939 der polizeiliche Sicherheitsapparat im GG gebildet wurde.
Im Frühjahr 1940 begannen die deutschen Besatzer mit der zweiten groß angelegten und gezielten Terrorwelle, die gegen die polnische Führungsschicht gerichtet war. Im Wartheland waren davon ca. 5000 Personen betroffen, von denen die meisten in den Konzentrationslagern umkamen. Im GG führten SS und Polizei zu diesem Zeitpunkt die sogenannte Außerordentliche Befriedungsaktion (AB-Aktion) durch. In deren Rahmen ermordete die Sicherheitspolizei etwa 4000 Menschen, größtenteils Angehörige der Intelligenz sowie Menschen, die als „asozial“ eingestuft wurden. Ferner ordnete Himmler die Einweisung von 20.000 Polen in Konzentrationslager an. Zu diesem Zweck wurde auch das KZ Auschwitz eingerichtet, wo der erste Transport mit polnischen Häftlingen am 14. Juli 1940 eintraf. Ende 1940 befanden sich dort 8000 Gefangene, vor allem Polen.10
Allerdings standen die Pläne zur Vernichtung der polnischen Intelligenz zum Teil im Widerspruch zur aktuellen Besatzungspolitik. So waren im GG die deutschen Besatzer auf Ärzte und Ingenieure, auf einheimische Spezialisten in Wirtschaft, Verwaltung und im Gesundheitswesen angewiesen. Außer der „AB-Aktion“ vom Mai/Juni 1940 fanden im GG keine Massenerschießungen mehr statt, die ausschließlich gegen die Intelligenz gerichtet gewesen wären. Die allgemeinen Richtlinien galten aber bis zum Ende der Besatzung, und die polnischen Eliten im GG blieben Ziel des deutschen Terrors; ihre Angehörigen wurden ermordet oder ins KZ eingewiesen.11 Im Gegensatz zum GG wurde in den annektierten Gebieten die Mehrheit der Angehörigen der polnischen Führungsschichten zwischen September 1939 und Frühjahr 1941 entweder ermordet oder in KZs interniert, ins GG deportiert oder zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt, so daß dort die Deutschen ihr Ziel – die Beseitigung der polnischen Führungsschicht – weitgehend erreichten.
Von Anfang an setzten die Besatzer auf Kollektivstrafen und Abschreckung, um den Widerstandswillen zu brechen. Während der Kriegshandlungen nahm die Wehrmacht Geiseln, die man vornehmlich unter den Honoratioren der jeweiligen Orte suchte und erschoß sie, falls es zu ‚antideutschen‘ Aktionen kam. Diese ‚Befriedungsmethode‘ wandten Polizei und Verwaltung bis zum Ende ihrer Herrschaft in Polen an. So befahl Generalgouverneur Hans Frank am 10. November 1939, „daß in jedem Haus, an dem ein Plakat [anläßlich des 11. November, des polnischen Nationalfeiertages] angehängt bleibt, ein männlicher Einwohner erschossen wird“.12 Bis Ende des Jahres fanden im GG 155 Massenexekutionen statt, bei denen 2406 Personen erschossen wurden. Einzelexekutionen, deren Zahl weiterhin unbekannt ist, sind dabei nicht mitgerechnet. Damit die Hinrichtungen abschreckend wirkten, wurden sie bekannt gemacht und zum Teil auch öffentlich durchgeführt. Die erste große halb-öffentliche Exekution im GG kostete am 18. Dezember in Bochnia 64 Opfer, die nächste am 27. Dezember in Wawer 107 Menschen. In beiden Fällen war der Vorwand die Erschießung einzelner deutscher Polizisten – so in Bochnia – oder Soldaten – so in Wawer – durch Kriminelle. Am 14. März 1940 erschossen Polizei und volksdeutscher Selbstschutz in Józefów bei Lublin etwa 200 Personen, um die Ermordung einer volksdeutschen Familie bei einem Raubüberfall zu ‚vergelten‘. Wenige Wochen später, vom 31. März bis 11. April, fand die erste groß angelegte ‚Befriedungsaktion‘ in der Region um Kielce statt, als Antwort auf die Partisanenunternehmen des Majors Hubal. Dabei wurden 687 Personen erschossen und 200 verhaftet.13
In einem Interview für den „Völkischen Beobachter“ am 6. Februar 1940 erklärte Hans Frank auf die Frage nach dem Unterschied zwischen der Besatzungspolitik im Protektorat Böhmen und Mähren und derjenigen im GG: „In Prag waren z.B. große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, daß heute 7 Tschechen erschossen worden sind. Da sagte ich mir: wenn ich für je sieben erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen, das Papier herzustellen für solche Plakate.“14 In Warschau führten die Besatzer 1940 vier große Razzien am 8. Mai, 12. August, 17. September und 6. Dezember durch, bei denen etwa 10.000 Personen festgenommen wurden. Ein Teil von ihnen wurde entlassen, andere erschossen, die übrigen in KZs eingewiesen. Es ist nicht klar, ob es sich um Vergeltungsmaßnahmen oder um eine Fortsetzung der „AB-Aktion“ handelte; oft vermischten sich auch beide Motive.
Der deutsche Terror in Polen zwischen 1939 und 1941 übertraf den in den westlichen Ländern erheblich. Doch von 1942 bis 1944 eskalierte er noch. Ende 1941 fiel die Entscheidung, alle polnischen Juden vor Ort zu ermorden und sie nicht mehr nach dem Osten zu deportieren.15 Das Vernichtungslager Kulmhof, in dem vor allem die Juden aus dem Warthegau ermordet wurden, nahm seinen Betrieb Anfang Dezember auf. Ihm folgten die Vernichtungslager in Belzec (März 1942), Sobibor (Mai 1942), Treblinka und Auschwitz (Juni 1942). Bis Ende 1943 ermordeten die Nationalsozialisten die große Mehrheit der polnischen Juden. Nur etwa 10 % von ihnen haben den Krieg überlebt, die meisten in der Sowjetunion.
Polen war während der deutschen Besatzung zudem Schauplatz umfangreicher Deportationen, Vertreibungen, Umsiedlungen und Fluchtbewegungen. Ursprünglich sollten nach Hitlers Vorstellungen insgesamt acht Millionen Menschen – Polen, Juden und Zigeuner – in das GG vertrieben werden. Diese Pläne wurden jedoch modifiziert und die Zahl auf eine Million reduziert. Es wurden insgesamt drei „Nahpläne“ ausgearbeitet, nach denen die Vertreibungen ablaufen sollten. Hans Frank, der anfangs mit den Deportationen einverstanden war, leistete seit der Jahreswende 1939/40 Widerstand gegen die von SS und Polizei geleiteten Umsiedlungen, weil die Unterbringung und Verpflegung der Vertriebenen äußerst schwierig war. Das GG drohte deswegen im wirtschaftlichen und sozialen Chaos zu versinken. Frank erhielt Unterstützung seitens der Wehrmacht und der Wehrwirtschaftsstellen, weil die kriegswirtschaftlichen Interessen zu dieser Art Volkstumspolitik im Gegensatz standen.16 Von den drei „Nahplänen“ wurde nur der erste voll realisiert; den zweiten und den dritten mußte Himmler wegen Franks Widerstand vorzeitig abbrechen. Insgesamt wurden von Herbst 1939 bis Frühjahr 1941 ca. 460.000 Personen in das GG deportiert. Die meisten Vertriebenen waren Polen und einige Zehntausend Juden. Alle kamen ohne Vermögen, nur mit dem Nötigsten und kaum Bargeld versehen, ins GG. Für sie gab es wenig Erwerbsmöglichkeiten; viele von ihnen – Alte, Kranke, Kinder – waren ohnehin arbeitsunfähig. Die Jungen und Gesunden wurden meist zur Zwangsarbeit ins Reich verschleppt, falls sie keine Juden waren. Auch innerhalb des GG und der annektierten Gebiete fanden umfangreiche Umsiedlungen statt. Im Warthegau wurden zwischen dem 1. April 1941 und dem 21. Dezember 1943 beinahe 200.000 Polen umgesiedelt.17 Im GG wurden dagegen 1940–1942 insgesamt 188 Dörfer entvölkert, um Truppenübungsplätze für die Wehrmacht und die Waffen-SS zu schaffen. Davon waren 171000 Bauern betroffen.18 Tausende von Polen und Juden mußten überdies ihre Wohnungen und Häuser verlassen, um Platz für die im Besatzungsapparat eingesetzten Deutschen zu machen. So wurden in allen größeren Städten im GG deutsche Viertel gebildet.
Auch im Rahmen von Ghettoisierungsmaßnahmen waren Juden von Umsiedlungen betroffen und zwar sowohl im GG als auch in den annektierten Gebieten. Diejenigen Juden, die noch außerhalb der neuen Ghettos wohnten, mußten ihre Wohnungen und Häuser verlassen und sich dort eine Bleibe suchen. Umgekehrt mußten diejenigen Polen, die bisher innerhalb der jetzigen Judenwohnbezirke gelebt hatten, ihre Wohnungen verlassen und sich außerhalb neue Quartiere suchen. Wie hoch die Zahl dieser Umsiedler war, ist wohl nicht mehr zu ermitteln; sie geht auf jeden Fall in die Hunderttausende. Außerdem verschleppten die deutschen Besatzer Millionen polnischer Bürger ins Reich – bis Ende der Besatzung 2,82 Millionen, wo sie unter entwürdigenden Umständen Zwangsarbeit leisten mußten. Allerdings traf dies auch für polnisches Territorium selbst zu; davon waren besonders die Juden betroffen, bevor sie ermordet wurden.19