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3 Sermones
De diuersis luxurie illecebris
ОглавлениеDer Name des Verfassers der Sermones ist unbekannt; sein Pseudonym Sextus Amarcius Gallus Piosistratus ist bisher unaufgelöst.17 Es wird vermutet, dass er am Ende des elften Jahrhunderts gelebt hat.
Die Sermones rezipieren sehr stark die Satiren des Horaz, was z.B. durch unzählige, häufig abgewandelte Horaz-Zitate augenfällig wird. Die Sermones werden von ihrem Verfasser zwar nicht direkt als Satiren bezeichnet, und auch der an Horaz erinnernde Titel sermones stammt lediglich aus einem Bibliothekskatalog von 1185,18 aber um 1280 nennt ein Schullehrer in einer literaturgeschichtlichen Schrift diesen Amarcius ausdrücklich einen satyricus in der Horaz-Tradition.19 Dieser mittelalterliche Lehrer nimmt mithin keinen Anstoß daran, dass die Sermones eine als solche unantikische und insbesondere unhorazische Großform der Verssatire wären, in 2662 Hexametern20 und in vier systematischen Büchern, von denen die ersten beiden vitia behandeln, die letzten virtutes, und dass sie insoweit der Tradition der gedichteten Tugenden- und Lasterlehren nahestehen, die dem Mittelalter seit der Psychomachia des Prudentius bekannt sind.
Das hier ausgewählte Kapitel21 befasst sich in praller Bildlichkeit und in sehr schwungvoller Rede, die über die Versgrenzen hinausschießt, mit ungesund-luxuriöser Lebensführung. Der imaginierte soziale Hintergrund wird bewusst offen gelassen: Der Fresssüchtige mit seinem einzigen Diener 349–384 soll vielleicht auf das sich entwickelnde städtische Milieu verweisen, der Musiksüchtige (385–421) lässt einen Sänger höfischer Lieder kommen,22 was vielleicht auf Luxus beim Dienstadel verweisen soll, und ein jagdsüchtiger höherer Herr (hěrus 422) geht auf die privilegierte Hochjagd und hält sich Falken oder Habichte in seiner Burg (421–434), was wohl auf Fehlverhalten beim Adel verweisen soll.
Im Mittelalter wurden die Sermones des Amarcius selten gelesen: Sie sind nur in zwei Handschriften erhalten geblieben,23 und der oben genannte Lehrer nennt Amarcius schon im 13. Jahrhundert einen auctor rarus.24
Lateinischer Text: MAMTIUS 1969, S. 69–77; davon bin ich abgewichen an folgenden Stellen (wodurch besonders die Verse 330, 390 und 401 anders verstanden werden): 330 furiate] turiace; pene] penne – 334 Protea] Prothea–358 Consumat] Consummat–366 apta] abta–389 Coro] Choro–390 mouet] vovet. Post versum 390 lacunam coniecit Manitius – 401 igni] iugi.
Nec tu, furiate labes deterrima pene,
tu, que blandiciis diuersicoloribus omne
euum hominum: pueros iuuenesque senesque triunca
fuscinula rapiens patulo detrudis Auerno,
Luxuries, aberis. Tibi tot, quot Protea uultus
fama habuisse refert. Sed maxime aplestia mentes
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dissicit et uenas distendit et incitat inguen.
Nunc de missilibus diuersis accipe Luxus!
Huius flammifera lumbos transuerberat hasta
blandius effusum detentans uulnere ceco.
Palpitat ille cadens coituque auertere pestem
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cogitat inmissam, uulnusque ita curat ut ille,
qui lippo suadet uarias spectare figuras,
aut qui fomentis credit parere podagram
aureaque incassum dispendit frusta chirurgis.
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Ast alium ceso de silua mille saporum
appetit hastili, ueribusque premit, duplicisque
in miserum iuris truculentos depluit imbres.
Ille labans nec iners iaculo stridente repugnans:
„Si mihi perdicum nidore adolere supinas
contingat nares, necnon pipere atque piretro
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irritare gulam, gratoque rubore Falerni
proluere, et stomachum monstris placare marinis,
que fluuiis aiunt ignota minoribus, ut sunt
Renus, Arar, Rodanus, Tanais, Padus, Hister, Araxes:
Hoc equidem, reor, hoc medicamen reddere sanum
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me queat. – ‚I, puer, et propolas perspaciare,
uenit ubi uinum, moratum, sicera, medo!
Consumat Cererem sine Dacus Saxoque potu,
at bonus et tenuis mea pernatet exta Lieus!
Tu fora percurrens obsonia cara macelli
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huc eme, fer panes, et edules adde placentas!
Uinctis deinde leuem scopis abradito limum,
ut cum narcisso dempto obice lilia uernent!
Iam picturato proscenia pegmate uela,
fulcraque gemmatis scobe rasa thoralibus orna!
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Nescio, an esuriam, uel non … Tabulam tamen apta!
Rumpe moram! Quid stas? Quid hiantem, pessime, uexas?‘“
Dicit, et adducto procumbit cernuus armo
perpetuo opperiens leti discrimina morbo;
nam cibus inmodicus facit egrotare gulosum,
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dum certant elixa assis, mansueta ferinis.
Isti cyaneo purganti flumine palmas
astat deuote uilloso gausape uerna.
Dein nitidus malas distendit panis edaces;
tunc, quia uulgaris uentri sordet cibus albo,
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aggrauat ingentes patinas rombusque lupusque.
Lancibus in pandis culter coclearue moratur,
aurea blandito portantur cymbia potu.
Chia ciphum tingunt abiecto uina Falerno,
poma refutantur, nisi que dat Medica tellus
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Quid loquar astantes ficta ditescere laude
mimos? Hi dominis astu per uerba iocosa
plurima surripiunt, etiam scalpente datore
sinciput, exhausto decrescit copia cornu.
Alterius molles perturbat harundine Erinis
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auriculas resona. Tenui uolat illa susurro
diffinditque cito cerebrum uitale uolatu
ocior ac tigris rapidis agitata Molossis,
nec tam pernici quassatur machina Coro.
Tum sese in sponda mouet ut lasciua puella.
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„Cur in auaricia tantum plerique laborant?
Uellem ori dulcis blandiretur cibus, aures
mulcerent moduli, breuis hic quia mansio nobis.
‚Ue mihi‘ cur dicam, si morbo non agitar, si
turgentes papule, si torquens pleuresis absit?
395
Non talis mihi mens. ‚Puer, o puer, ales adesto!
Scin aliquem liricum, dic, aut gnauum chitaristam
aut qui casta cauo concordet tympana plectro?
Scito quidem, si non mulcebit lidius aures
has – sed curre, ardet mea mens in amore canendi
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ut torrela foco uel adunca cremacula igni.‘“
Ergo ubi disposita uenit mercede iocator
taurinaque chelin cepit deducere theca,
omnibus ex uicis populi currunt plateisque,
affixisque notant oculis et murmure leni
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eminulis mimum digitis discurrere cordas,
quas de ueruecum madidis aptauerat extis,
nuncque ipsas tenuem, nunc raucum promere bombum –
Sic quis ab externo dimotus climate celi,
sol roseus uastos ubi rura per Afra uapores
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euomit, aspiret terris, qua frigida clausis
omnibus hybernas exercet zona pruinas,
obcalletque tenax emuncto stiria naso,
secum miretur celum constare duabus
unum naturis, estate geluque trementi. –
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Ille fides aptans crebro diapente canoras,
strauerit ut grandem pastoris funda Goliath,
ut simili argutus uxorem Sueuulus arte
luserit, utque sagax nudauerit octo tenores
cantus Pytagoras, et quam mera uox philomene,
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perstrepit. –
Interea motus clangore tubarum
urget herus celerem calcaribus ire caballum
per saltus, nemora, et spissos caligine lucos.
Hic tilias, fagos reboare inpellit et ornos,
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procerasque feras ferro sulcante trucidat,
sed teneros pullos annexo fune domandos
uenari atque plagis uiuos innectere feruet,
ut muscis letum molitur aranea tela.
Precipitique capit uolucres indagine ceruos,
in qua conueniunt linces, capre, ursus aperque.
430
Post hec irretit assuetos uiuere rapto
accipitres pedicis, et captos sepe coronat,
suppeditatque cibos, tuguri clausos ut in arce
umbrosa uideat pluma candente nouari.
∗
Auch du sollst nicht fehlen, du schlimmstes Verderben, mit dem Furien quälen,
du, die du mit vielfältigen Verlockungen jedes
Alter der Menschen, ob jung, ob alt, mit dem Dreizack
aufgabelst und in den weiten Rachen der Hölle hinabstößt,
du, die Genusssucht. So viel Gestalten hast du wie einst Proteus
gehabt haben soll. Hauptsächlich ist es aber die Gestalt der Unersättlichkeit,
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die den Sinn des Menschen
uneins macht mit sich selbst und die Adern schwellen lässt und das Glied.
Höre nun von den unterschiedlichen Geschossen, die der Luxus versendet.
Sein flammender Speer dringt in die Lenden
und hält recht sanften Erguss in einer unsichtbaren Wunde zurück.
Der Getroffene fällt, und zuckt, und will die Seuche loswerden durch Beischlaf,
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die in seine Eingeweide gesenkt wurde, doch dabei kuriert er die Wunde wie einer,
der einem Triefäugigen rät, doch verschiedene Gestalten zu betrachten,
oder wie einer, der glaubt, von warmen Umschlägen gehe die Gicht weg,
und der den Chirurgen sinnlos Goldstücke zahlt.
Auf einen anderen wieder wirft der Luxus mit einem aus dem Walde der tausend Düfte
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geschnittenen Speere und greift ihn mit Bratspießen an und lässt von Doppelter
Suppe auf den Ärmsten gewaltige Regenwetter niedergehen.
Es wankt der Beschossene, doch wacker leistet er Widerstand mit einem zischenden Wurfnetz:
„Wenn mir vielleicht der Bratendampf von Rebhühnern duftend in die
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gerümpfte Nase zöge, und mit Pfeffer ich und Bertram
die Kehle könnt’ kitzeln und mit wohlschmeckendem roten Falerner Wein
sie spülen und den Magen zufriedenstellen mit seltenen Tieren des Meeres,
die, wie man weiß, nicht in so zweitrangigen Gewässern vorkommen wie dem
Rhein, der Saône, der Rhône, dem Don, dem Po, der Donau und dem Araxes, –
ja, solche Medikation, meine ich, könnte gesund
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mich machen. – ‚Diener, geh also und mache die Runde bei den Händlern,
dort, wo man Wein verkauft, und Beerenwein und Scherbet und Met.
Dänen und Sachsen mögen ihr Brot essen, ohne etwas dazu zu trinken,
doch meine Eingeweide soll guter und feiner Wein durchströmen.
Du also eile über die Märkte und kauf teures Essen am Fleischmarkt für mich,
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bring Brot und und schmackhaften Kuchen.
Dann nimm den Reisigbesen und kehre die leichte Schmutzschicht am Boden hinweg,
damit blühende Narzissen und Lilien wieder ohne diesen Schleier hervorleuchten.
Dann stell die Tafelbilder in den Vorraum,
und schmücke die spangepolsterten Liegen mit den Edelstein-Decken.
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Ich weiß nicht genau, ob ich schon Hunger verspüre, doch deck schon den Tisch!
Na los doch! Was stehst du da? Was quälst du mich, dem der Magen knurrt, du Schuft?‘“
Spricht’s, und sinkt mit angewinkelten Armen nach vorn auf die Knie
und erwartet in ewigem Kränkeln die Stunde des Todes.
Denn maßloses Essen macht krank den Gourmand,
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da Gesottenes mit Gebratenem und Mildes mit Wildem sich in ihm nicht vertragen.
Wenn er sich mit meerblauem Wasser die flachen Hände reinigt,
steht mit ergebener Miene neben ihm der Diener und hält ein flauschiges Handtuch.
Dann schwellt ihm die gefräßigen Backen ein weißes Brot auf.
Dann liegen, weil ja gewöhnliche Speise die vornehme Blässe des Magens beflecken könnte,
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Steinbutte und Seebarsche schwer auf riesigen Schüsseln,
auf gebogenen Schalen liegen Messer und Löffel.
Goldene Becher mit lieblichem Wein trägt man auf,
erst trinkt man Falerner Wein, dann netzen süße Weine von Chios den Becher.
Obst nimmt man nur, wenn es Pfirsiche sind.
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Und, was soll ich über die fahrenden Sänger sagen, die herumstehen und
reich werden, indem sie erdichtete Vorzüge besingen?
Mit scherzenden Worten und Hinterlist ziehen sie den Herren
viel Geld aus der Tasche, und auch wenn der Herr sich verblüfft
am Kopf kratzt, leert sich das Füllhorn, und sein Vermögen nimmt ab.
Eines Anderen zarte Öhrchen verwirrt diese Furie Genusssucht
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mit dem klingenden Flötenrohre, denn sie fliegt mit leisem Säuseln heran,
doch dann dringt sie rasch ins Gehirn, das zum Leben gebraucht wird, in
einem Anflug, der schneller ist
als eine Tigerin läuft, die vor den Zähnen der Jagdhunde flieht,
und wirkt mit mehr Gewalt ein als der zerstörende Nordwest-Sturm an einem Holz-Bau.
Dann bewegt sie sich wie ein geiles Mädchen auf dem Bett.
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„Warum sind die meisten so geizig nur und mühen sich ab?
Da möchte ich doch lieber, dass meinen Gaumen süße Speise kitzele und
dass meine Ohren Melodien verwöhnen, denn nur kurz ist unser Erdenleben.
Warum sollte ich ‚ Weh über mich‘ rufen, wenn ich gesund bin,
wenn die schwellenden Beulen mich nicht befallen haben und nicht die quälende Schwindsucht?
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Nein, so steht mir nicht der Sinn. ‚Diener, heda, Diener! Flugs herbei!
Weißt du nicht einen Lyra-Spieler, sag, oder einen guten Zither-Spieler
oder einen, der die koschere Handpauke mit der hohlen Laute zusammenklingen lassen kann?
Aber merk dir, wenn die Weise diesen meinen Ohren missfällt,
dann – doch lauf los, es glüht mein Herz vor Liebe zum Gesang
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wie ein Rost im Herd oder ein krummer Kesselhaken im Feuer.‘“
Wenn also, nachdem das Honorar abgemacht ist, der Spielmann gekommen ist
und langsam aus der Hülle aus Büffelleder die Lyra zieht,
da kommen von allen Straßen und Plätzen die Leute gerannt
und beobachten mit gebanntem Blick und mit leisem Raunen,
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wie um die Wette die Finger des Spielmanns über die Saiten laufen,
die er aus feuchten Schafsdärmen gefertigt hat,
und wie die Saiten bald ein zartes und bald ein tiefes Summen von sich geben. –
Das ist so, wie wenn einer entfernt von der äußersten Klimazone der Erde,
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von dort, wo die rosenrote Sonne ihre gewaltigen Glutwolken über Afrikas Landen ausspeit,
wie wenn also von dort einer in einem anderen Land, dort wo die Zone des Frostes
alles unwegsam macht und winterlichen Schnee verbreitet, den Atem aushaucht
und ihm, wenn er sich schnäuzt, der Nasentropfen fest wird und hängen bleibt,
sich der dann wundert, dass ein und derselbe Himmel
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zwei Naturen haben könne, Gluthitze und zitternde Kälte. –
Der Spielmann stimmt die volltönenden Saiten und trägt laut und mit vielen Quintenklängen vor,
wie den großen Goliath die Schleuder des Hirten niedergestreckt hat,
wie ein listiger Schwabe seine Frau auf ähnliche Weise wie sie ihn getäuscht hat,
wie der kluge Pythagoras die Reihe der acht Töne
des Gesanges entdeckt hat, und wie so rein sei die Stimme der Nachtigall.
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Doch jetzt hat der Herr den Klang von Hörnern vernommen und kommt in Bewegung,
und er spornt sein schnelles Pferd an zum Lauf
über die Hügel und durch Wälder und nebelverhangene Haine.
Linden und Buchen lässt er widerhallen und Eschen,
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und ausgewachsenes Wild macht er nieder mit wundenschlagendem Eisen,
doch zarte Jungtiere will er, um sie an der Leine zu zähmen,
dadurch bejagen, dass er sie lebend in Netzen fängt,
wie es ein Spinnennetz macht, das Fliegen dem Tode weiht.
In wildem Kesseltreiben bejagt er die pfeilschnellen Hirsche,
doch auch Luchse, Ziegen, Bären und Eber werden zusammengetrieben.
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Später fängt er ans Raubleben gewöhnte
Edelfalken mit Fußschlingen, und wenn er sie hat, lässt er ein Gitter um sie bauen,
gibt ihnen zu fressen, damit er auf der Burg sehe, wie in der Volière
sich zu dunklem Gefieder ihr helles Jugendkleid mausert.
17 Das Pseudonym ist in dieser Form lediglich in Überschriften überliefert; in einem epilogartigen Versgebet taucht außerdem der Name Amarcius als der des Betenden auf.
18 Bibliothekskatalog von Marienfeld (O. Cist.) in Westfalen, erhalten in der Handschrift Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Lat. Fol. 735 (hier: fol. 1r).
19 Hugo Trimb., Registrum 439: katholicus satyricus, amator honestatis, sowie 441: Oracium in satyris suis imitatus.
20 Die Hexameter sind entgegen vielfacher mittelalterlicher Übung ungereimt und sind auch im Gebrauch von Zäsuren, Dihäresen und Elisionen antikisch.
21 Sermones 1, 330–134: De diuersis luxurie illecebris.
22 Die Lieder des Sängers haben thematische Überschneidungen mit Liedertexten im etwa zeitgenössischen höfischen Liederbuch der Carmina Cantabrigiensia vom Niederrhein.
23 In einer Dresdener Handschrift aus Merseburg und fragmentarisch in einer Kopenhagener (vermutlich aus Liesborn in Westfalen).
24 Ebenda, 451g.