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Einführung Einführung Der Fund

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Im Giornale degli scavi di Pompei liest sich nichts von Begeisterung über den aufsehenerregenden Fund des 3. und 5. Juli 1875; in knapper, gewohnt sachlicher Aufreihung hält das Tagebuch der Ausgräber Fundstätte, Art und Umfang des Fundes und dessen Erhaltungszustand fest: luglio … 3. All’ angolo sud-est (!) del detto peristilio, all’altezza di circa quattro metri dal suolo si è raccolto: Legno. Una grande quantità di libelli scritti, più o meno conservati, che erano rinchiusi in una cassa, di cui si è rinvenuto un frammento. I libelli non sono tutti della medesima dimensione, ma all‘ incirca hanno la grandezza di mill. 140 per mill. 110.1

Der Fundort, ein Haus an der Ostseite der Via Vesuvio (reg. V 1, 26), gehört zu einem der Stadtbereiche, in denen Giuseppe Fiorelli während seiner Zeit als Leiter der Ausgrabungen in Pompeji (1863–1875) nach neuer Methode Grabungen vornehmen ließ. Frühere Ausgräber hatten zunächst Straßen freilegen lassen und waren von dort aus seitwärts in die Häuser vorgedrungen, hatten dabei aber in Kauf genommen, dass Wände infolge des Erddrucks aus den noch nicht freigelegten Teilen des Hauses einstürzen konnten. Im Unterschied dazu ließ Fiorelli von oben her ausgraben. Vielleicht war es ja diese Grabungsmethode, die den Fund im Obergeschoss des Hauses glücklicherweise beisammen und einigermaßen intakt hielt. Die handgeschriebene Version des Giornale nennt als Fundort die Nordost-Ecke des Peristyls etwa vier Meter über dem Boden. Anton Mau, der den Ausgrabungsbereich aus eigener Anschauung kannte, beschreibt ihn genauer: nördliche Säulenhalle des Peristyls auf Höhe des Architravs zwischen der ersten und zweiten Säule, von der östlichen Ecke her gezählt, aufbewahrt in einem höher gelegenen Zimmer oberhalb der Porticus.2

Bewohner und Eigentümer des Hauses in neronischer Zeit war L. Caecilius Iucundus, wie sowohl der Fund als auch weitere Funde in den Hausteilen V 1, 22–27, die allesamt zu seinem Anwesen gehörten, nahelegen.3

Gefunden wurde das Fragment eines Kastens, ursprünglich etwa 70 cm hoch, breit und tief, der aber noch im Moment seiner Freilegung in Staub zerfiel. Von stabilerer Konsistenz war sein Inhalt, eine Menge verkohlter Wachstäfelchen rechteckigen Formats aus Tannenoder Pinienholz4, ordentlich nebeneinander gestapelt, allerdings vielfach beschädigt, viele fragmentiert oder gar fast pulverisiert, das Wachs der Schreibflächen weitgehend geschmolzen oder mit Siegelwachs verschmolzen, nur wenige so gut wie vollständig in ihrer verkohlten Form erhalten.5 Sie wurden, da die Ausgräber bereits an Ort und Stelle auf ihnen Buchstaben entdeckt hatten, zu ihrer Sicherung summa cum cautione et diligentia6 ins Museo Nazionale nach Neapel gebracht, angesichts ihres fragilen Zustands und der damaligen Wege- und Transportverhältnisse eine beachtliche Leistung. Dort zunächst in der Sonne getrocknet und gehärtet, wurden die Einzelteile eines jeden Täfelchens anschließend in mühevoller Kleinarbeit zusammengesucht, auseinander gelegt, zusammengesetzt und schließlich mit einem Holzrahmen umschlossen.7 In diesem Zustand konnten dann Lesung und Abzeichnung sowie die wissenschaftliche Auswertung des Fundes beginnen.

Die Täfelchen sind unterschiedlich groß, keines breiter als 150 mm oder höher als 125 mm.8 Schnüre, die um die Täfelchen geführt wurden, banden meist drei von ihnen zu sechsseitigen Triptychen zusammen, gleichsam zu einem kleinen Buch. Daneben finden sich einige vierseitige Diptychen.9

Die Deckelseiten der Triptychen (Seiten 1 und 6) sind glatt und meist unbeschrieben. Die Seiten 2, 3 und 5 weisen, umgeben von einem höheren Rand, eine vertiefte Mittelfläche auf, die ursprünglich mit Wachs bestrichen war, in das mittels eines metallenen Griffels (stilus) Schrift eingeritzt worden war. Bedingt durch die Karbonisierung sind nur noch in einigen Tafeln Wachsreste mit Schriftzeichen erhalten. Weit häufiger ist das ursprünglich Geschriebene auf dem Holzboden der Mittelfläche als Kratzer zu sehen, bewirkt durch den Schreibenden, als er mit der Spitze seines stilus die dünne Wachsschicht durchstieß. Seite 4 zeigt in der Mitte parallel zu den kleineren Seiten des rechteckigen Täfelchens eine schmale Vertiefung (sulcus, stria), die die Seite in gleichgroße Hälften teilt. Diese Vertiefung diente der Aufnahme von Wachssiegeln, die ihrerseits eine längere Schnur fixierten, mit der die beiden ersten Täfelchen des Triptychons umschlungen und dadurch zusammengebunden wurden. Auf diese Weise war der Text der Seiten 2 und 3 nicht mehr einzusehen oder zu verfälschen, ohne die Siegel zu verletzen.

In ihrem Inhalt erweisen sich die Täfelchen als im damaligen römischen Rechtsverkehr übliche urkundliche Quittungen (apochae). Die allermeisten von ihnen zeigen L. Caecilius Iucundus in seiner Funktion als Auktionator sowie als Steuerpächter bzw. Pächter gemeindeeigener Grundstücke in den Jahren 52 bis 62 n. Chr.10 Zwei Quittungen betreffen Auszahlungen in den Jahren 15 (Tafel 001) bzw. 27 n. Chr. (Tafel 002); erstere wurde von einem L. (C.?) Caecilius Felix11 vorgenommen, die zweite bereits von Iucundus. Die Quittungstafel 138 belegt die Pachtzahlung eines P. Terentius Primus im Jahr 53 n. Chr.12

Die Seiten 2 und 3 eines jeden Triptychons werden als scriptura interior (auch: Innenschrift, testatio, Zeugenurkunde, Hauptexemplar) bezeichnet. Sie nennt in der Regel13 den Auszahlungsbetrag in Ziffern, L. Caecilius Iucundus als Schuldner, den Gläubiger oder den von ihm für die Annahme des Geldes Beauftragten, den Anlass der Zahlung (z.B. ob auctionem, ob fullonicam), gibt bei Auktionsquittungen einen Hinweis auf das Honorar des Auktionators (mercede minus) und hält das Actum (Pompeis) und schließlich das Datum mit Nennung des Konsulatsjahres fest. Bei Pachtquittungen sind zusätzlich am Anfang von Innenschrift (und Außenschrift) die Namen der jeweiligen pompejanischen duoviri aufgeführt. Selten ist der Auktionsgegenstand, immer, soweit der Text erhalten ist, das Pachtobjekt genannt. Geschrieben wurde dieser Teil der Quittung fast ausnahmslos von derselben Hand, bei Auktionsquittungen wohl von Iucundus selbst oder seinem Schreiber14, in Pachtquittungen von einem Sklaven der Stadtverwaltung (servus actor publicus).

Seite 4 zeigt, meist in der rechten Hälfte und mit Tinte auf Holz geschrieben, Namen von Zeugen des Auszahlungsvorganges sowie in der mittigen Vertiefung (sulcus) deren Siegel. Seite 5 bietet eine zweite, offen einsehbare, oft kürzere Fassung des Urkundeninhalts, vom Gläubiger oder dem von ihm Beauftragten handgeschrieben und gesiegelt. In Auktionsquittungen nennt diese scriptura exterior (auch: chirographum, Außenschrift, Nebenexemplar) in der Regel Gläubiger und Schuldner, den Auszahlungsbetrag in Worten, den Anlass der Zahlung sowie Actum und Datum. Im Unterschied zur Innenschrift bestätigte der Gläubiger selbst bzw. der von ihm Beauftragte eigenhändig den Empfang des Geldes.15 Pachtquittungen sind in Innen- und Außenschrift durchgängig vom servus actor publicus geschrieben, der gezahlte Geldbetrag erscheint in Zahlzeichen.

Wohl aus praktischen Erwägungen tragen nicht wenige Triptychen auf der Kante eines Holzrandes eine knappe Aufschrift (index), meist das Wort perscriptio16 und den Namen des Gläubigers im Genitiv oder Dativ. Ganz selten findet sich ein etwas ausführlicherer Hinweis auf den Quittungsinhalt auf den Seiten 1 oder 6 (scriptura tertia).17 Mit Tinte geschrieben, nennt er den Empfänger des Geldes, den Auszahlungsbetrag, den Anlass der Zahlung und ein Datum.

Die Quittungstafeln des Iucundus sind Primärquellen im besten Sinne: Durch ihre materielle Existenz, durch ihre juristische Form und durch den Inhalt der Texte bezeugen sie unmittelbar tatsächliche Geschäftsvorgänge bei Auktionen und Pachtzahlungen.

Die Pompejanischen Quittungstafeln des L. Caecilius Iucundus

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