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Waren an der Müritz

Flügel für Schiffe

Der deutsche Schiffbau steckt in der Krise - doch niemand auf der Welt macht mehr große Bootspropeller als die Mecklenburger Metallguss GmbH in Waren an der Müritz.

Ein Arm einer computergestützten Fräsmaschine steuert zielgerichtet auf einen 65-Tonnen-Rohling mit seinen vier Flügeln zu. Späne fliegen herum, kräuseln sich wie kleine Locken: Ein mächtiger Schiffspropeller mit einem Durchmesser von knapp zehn Metern wird geschliffen und geglättet - mit einer Exaktheit von einigen Hundertstel Millimetern. Dann liegt er da, golden schimmernd, und wird vom Propellerbaumeister noch einmal vermessen und ultraschallgeprüft.

Patzer dürfen nicht passieren. In dieser 400 Meter langen Produktionshalle ist Präzision angesagt, vom Anfang bis zum Ende, vom Guss bis zum Schliff. Dafür sorgen die 220 Ingenieure, Baumeister und Facharbeiter der Mecklenburger Metallguss GmbH (MMG) in Waren an der Müritz. Hier, mitten in der Provinz Mecklenburg-Vorpommerns, werden Schiffspropeller gebaut, die größten und modernsten weltweit.

Sie sind die Antriebe für Frachter, Tanker, Kreuzfahrtschiffe. Und "MMG ist durch effizienzsteigernde und verbrauchssenkende Propeller bestens positioniert", sagt Max Schumacher, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Gießerei-Industrie. Die Wettbewerber sitzen in Japan und Korea, "aber MMG hält durch intensivsten Forschungs- und Entwicklungseinsatz einen Weltmarktanteil von etwa 60 Prozent".

Es wirkt unglaublich: Der Weltmarktführer für Schiffspropeller agiert aus einer der strukturschwächsten ostdeutschen Regionen heraus. MMG wurde 1875 als Eisengießerei gegründet und hat mittlerweile 65 Jahre Erfahrung mit der Fertigung von Schiffspropellern. In der DDR war MMG Teil des Schiffbaukombinats. Nach der Wende bricht der Markt weg. Die ostdeutschen Werften haben kaum noch Aufträge, die westdeutschen sind mit Lieferanten versorgt. "Wir sind nicht gerade mit offenen Armen empfangen worden", erinnert sich MMG-Geschäftsführer Manfred Urban.

Urban ist seit 1980 dabei und arbeitet sich hoch. 1993 fliegt er, mittlerweile Vertriebschef, das erste Mal nach Korea, dort werden die weltweit größten Frachter gebaut. "Mit Hilfe deutscher Reeder, die Schiffe in Korea gekauft haben", erzählt der 58-Jährige, "haben wir es dann geschafft." Keiner der in Waren produzierten Schiffspropeller gleicht dem anderen. Ein Propeller, der die Motorenleistung der großen Dampfer energieeffizient in Vortrieb umwandeln soll, muss perfekt auf das Schiff abgestimmt sein. Langsam baut sich MMG einen Markt auf. Doch es gibt immer wieder Rückschläge.

Mitte der 1990er-Jahre rutscht der Eigentümer, die Bremer Vulkan-Werft, in den Konkurs. Treuhand und Mecklenburg-Vorpommern retten MMG vor dem Niedergang. 1999 steigt die Essener Gießerei-Holding Dihag ein. Das erweist sich rückblickend als Glück: Die Dihag finanziert den Ausbau des ostdeutschen Unternehmens. Urban wird zum Geschäftsführer ernannt.

"Wir wollten uns auf die ganz großen Propeller konzentrieren", formuliert Urban das damals und noch heute gültige Ziel. 60- bis 70-Tonnen-Propeller, die hätten viele gebaut, sagt Urban. Er setzte auf den Bau von 100-Tonnen-Propellern, um eine Chance auf dem umkämpften Markt zu haben. "Einige zehn Millionen Euro Investitionsvolumen sind hier hineingeflossen", erzählt der Unternehmenschef. Der größte von MMG gebaute Propeller, die hauptsächlich aus Kupfer bestehen, hat ein Gewicht von 131 Tonnen und einen Durchmesser von 11,3 Metern.

Die Wettbewerber in Europa "gibt es heute alle nicht mehr", sagt Urban. MMG hat überlebt - was schon deswegen merkwürdig wirkt, weil das Unternehmen fernab vom Meer produziert. "Wo würde ich produzieren, wenn ich ein neues Werk bauen würde?", fragt Urban. "Bestimmt nicht hier, aber auch nicht in Hamburg oder irgendwo an der Ostsee, sondern in Asien, wo die meisten Schiffe gebaut werden."

Aber das Werk steht nun einmal in Waren. "Gemessen an den Gesamtkosten für einen Propeller", verteidigt Urban den Standort, "sind die Transportkosten zum Hafen gering." Zudem "bekommt man Aufträge nicht nur über den Preis, sondern auch über den Wirkungsgrad der Propeller". Hier kämpft MMG ständig um Vorsprung - gegen die Wettbewerber aus Asien, Nakashima in Japan und Hyundai Heavy in Korea. Der Schiffbau ist unter Druck, die Frachtraten sind gesunken. Urban: "Wir spüren deutlich, dass im Moment weniger Schiffe gebaut werden."

MMG profitiert davon, dass Reeder zunehmend langsamer fahren wollen, um Treibstoff zu sparen. Das funktioniert aber nur richtig, wenn die Propeller nicht nur perfekt auf die Maße und den Motor der Schiffe abgestimmt sind, sondern auch auf ihre Einsätze und die Beladung. So steigt die Nachfrage auch nach Propellern für Schiffe im Einsatz. Eine Effizienzsteigerung von drei Prozent bringe dem Reeder eines Frachters mit 5 000 Containerstellplätzen auf der Strecke Hamburg-Asien bei derzeitigen Treibstoffpreisen eine Ersparnis von 70 000 Dollar, rechnet Urban.

Die hartnäckige Suche nach Effizienzverbesserung spricht sich herum. Zwischen 150 und 200 Propeller fertigt MMG im Jahr. Der Umsatz aber wird 2013 rückläufig sein. Statt mit 90 Millionen Euro wie 2012 rechnet MMG nur mit 70 bis 75 Millionen Euro. 2014 soll es wieder ein Plus geben - dank neuer Aufträge für Austauschpropeller: "In unserer Konstruktionsabteilung brummt es", sagt Urban.

Bis zu viereinhalb Monate benötigen die Arbeiter für die Fertigung der Propeller, nachdem die Ingenieure zuvor wochenlang über Computerberechnungen, Konstruktionszeichnungen und Tests gebrütet haben. In riesigen Öfen werden die Rohlinge bei 1 100 Grad gegossen, frühestens zwei Wochen später aus ihrer Form geschält und geschliffen. Die fertigen Giganten werden per Sattelschlepper nach Hamburg transportiert und dort verladen.

Doch ob der Propeller hält, was er verspricht, das wird sich erst auf See zeigen - unter der Wasseroberfläche.

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