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Berlin

Die Amerikaner von Berlin

Die deutsche Hauptstadt ist der neue Sehnsuchtsort für US-Bürger. Sie gründen Firmen, lernen Deutsch oder singen in der Oper. Ein Streifzug durch Berlin.

Das Büro könnte im Silicon Valley sein. Die Räume sind mit Glasscheiben getrennt, vollgekritzelt mit Formeln und Diagrammen. Überall hocken junge Leute um Tische, reden über Marketingstrategien und Programmierungsprobleme. Ihr Englisch ist amerikanisch, britisch oder mit ausländischem Akzent. Alles brummt und wuselt, ein Start-up wie aus dem Bilderbuch.

Naren Shaam sitzt mit gekreuzten Beinen auf dem Bürostuhl und knackt mit den Fingern. Auch der Firmenchef könnte aus dem Silicon Valley sein: Smart, jung, wieselflink. Angeödet von seinem Job an der Wall Street schmiss der Amerikaner indischer Herkunft vor gut einem Jahr alles hin, setzte sich ins Flugzeug - und flog nach Berlin. Er kannte dort keinen Menschen und sprach kein Wort Deutsch.

Alles, was er in der Tasche hatte, war ein Businessplan, den er vor drei Jahren auf dem Flughafen in Paris hastig aufgeschrieben hatte: Eine Webseite, die in Europa die Flug-, Zug- und Busreisen miteinander vergleicht und auf der Reisende gleich alle Tickets kaufen können. "Bei der Landung war das ein leeres Gefühl", sagt der 30-Jährige.

Die ersten Wochen schlief Shaam auf dem Sofa der Eltern eines Freundes. Doch heute arbeiten 21 Leute für den Harvard-Absolventen. Er sammelte mehr als vier Millionen Euro von renommierten Risikokapitalgebern wie Hasso Plattner Ventures für sein Start-up "Go Euro" ein. Vor wenigen Wochen ging seine Webseite für Deutschland und England ans Netz. Länder wie Spanien, Italien oder Frankreich folgen. Die Kasse klingelt, "von Tag eins", wie Shaam sagt, "wir machen viel Geld".

Berlin zieht viele Menschen an. Aber bei Amerikanern ist die Stadt derzeit das Maß aller Dinge. 2012 kamen 313 000 als Touristen, mehr als Italiener, Holländer oder Franzosen, nur übertroffen von den Engländern. Der absolute Zuwachs war mit knapp 55 000 Besuchern der mit Abstand höchste.

Nicht wenige von den US-Besuchern bleiben. Nach offiziellen Zahlen leben 14 400 Amerikaner in Berlin. Aber die Statistik ist trügerisch. Nach Schätzung von "Democrats Abroad", der Auslandsvereinigung der US-Partei mit Sitz in Berlin, bleiben viele ohne Visum oder sind wegen Heirat mit einem Deutschen nicht bei der Ausländerbehörde gemeldet. Nach ihrer Schätzung sind bis zu 20 000 Amerikaner in der Stadt. Der Chef von Democrats Abroad, David Knutson, muss es wissen: Er arbeitete 38 Jahre als Tenor an der Deutschen Oper in Berlin. Komponist Ari Reimann schrieb gar die "Gespenstersonate" eigens für den Amerikaner. "Diese Stadt lässt einen irgendwie nicht los", sagt Knutson.

Checkpoint Charlie, die Rosinenbomber oder die Kennedy-Rede - Berlin und Amerika verbindet viel. Das Deutsch-Amerikanische Volksfest im Juli unter Schirmherrschaft der Amerikanischen Botschaft lockt jedes Jahr rund eine halbe Million Menschen. Immer mehr jüngere Amerikaner kommen in die Stadt, angezogen von preiswerten Mieten, der Hoffnung auf Partys, Untergrundkultur und einem Start-up-Boom. Ließen sich 2004 nur knapp 2 300 Amerikaner in Berlin nieder, waren es 2011 mehr als doppelt so viele.

Hannah Hollander wuchs in einem Kaff in Florida auf. Jetzt lebt die 20-Jährige in Kreuzkölln und will Technischen Umweltschutz oder Mathematik an der TU Berlin studieren. Dafür büffelt sie seit einem Jahr Deutsch. "Ich arbeite daran, meinen amerikanischen Akzent wegzubekommen", sagt Hollander.

Die Blondine ist begeistert von der Technikexpertise in Deutschland. Die Wirtschaft wachse, und ein Studium koste sie nicht wie an der Universität in Atlanta, wo sie für ein Ingenieurstudium angenommen war, mindestens 40 000 Dollar im Jahr. Nicht jeder in ihrer Heimat ist begeistert von ihrer Wahl. Ihre Eltern unterstützen sie, aber Freunde, Bekannte und Verwandte schütteln den Kopf. Sie solle zu Hause studieren, "das amerikanische Programm durchziehen", sagt Hollander.

Die Idee mit Deutschland kam durch ihren Großvater aus Hamburg. Der wanderte in den 1950er-Jahren als Ingenieur in die Staaten aus und verbesserte die Technik von amerikanischen Münzautomaten. Noch heute besitzt er seinen deutschen Pass und weigert sich, die US-Staatsangehörigkeit anzunehmen. Der Starrsinn hilft Hollander heute: Ohne Probleme konnte sie einen deutschen Pass erhalten. Für sie gibt es kein Zurück: "Berlin hat mich verändert." Sie hofft später auf einen Job in einem Start-up. "Amerika war einmal der Traum für viele, etwas aus sich zu machen", sagt sie, "doch ich finde meinen amerikanischen Traum in Berlin."

Doch so ganz unproblematisch ist das Verhältnis von Berlinern und Amerikanern nicht. Das fängt mit den kleinen Dingen an. Wenn in den vielen "Coffee Bars" von Berlin-Mitte nur noch Englisch gesprochen wird. "Das geht mir zu weit", sagt Malte Cherdon, der bei Go Euro die Geschäfte führt. "Ein Espresso bitte - das muss jeder verstehen", sagt der Deutsche.

Michael Steltzer macht sich Sorgen. Er siedelte 1971 aus New Jersey nach Berlin um und fühlt sich wohl. Seit 30 Jahren führt er einen Drachenladen in Schöneberg. Der ist zu einer Institution geworden. Fans kommen aus aller Herren Länder und bestaunen die etwa 600 Drachen. Die Geschäfte laufen besonders gut, seitdem der Tempelhof-Flughafen ein riesiger Park wurde - die Rollbahnen sind ideal zum Drachensteigen. Doch fühlt er sich wachsender Skepsis gegenüber Amerika ausgesetzt.

Um die Ecke geht Steltzer in einem Wirtshaus gerne einen Hamburger essen. Früher steckte der Wirt eine Amerika-Flagge in das Brötchen. Aber mit dem zweiten Irak-Krieg verschwand der Sternenbanner und kam nie wieder, stattdessen thronen Fahnen aus Brasilien, Spanien oder der Schweiz darauf. Der Amerikaner konnte es verstehen. Er war selbst gegen den damals amtierenden Präsidenten George W. Bush. So stieg er bei den Berliner "Democrats Abroad" 2004 in den Vorstand auf und half 2008, den Besuch von Präsident Barack Obama zu organisieren.

Mit der Wahl von Obama verbesserte sich alles für einige Jahre. Umso schlimmer ist für Steltzer der Lauschskandal um den US-Geheimdienst NSA, der Telefongespräche, E-Mails oder Facebook-Einträge überwacht. Der 65-Jährige berichtet von dem Entsetzen einer deutschen Freundin, die eine "Uralt-Amerikafreundin" sei. Die Vertriebsleiterin eines Elektronikkonzerns stellte das Freihandelsabkommen mit Amerika infrage: "So etwas schließt man nur mit Freunden ab."

Das Heimweh überkommt Jungunternehmer Shaam oft. Er hasst den Winter in Berlin und mag das Essen in den Restaurants nicht: zu wenig Auswahl. Dazu der Ärger mit den Behörden: Viel zu schwer sei es, Visa zu bekommen. So arbeitete eine Programmiererin monatelang aus Brasilien, weil sie keine Arbeitserlaubnis erhielt. Auch in den deutschen Unternehmen dauert alles länger als in Amerika. "Es gibt viel Bürokratie", sagt Shaam. Besonders schwer sei das Durchkommen bei der Deutschen Bahn gewesen, doch "jetzt läuft die Zusammenarbeit großartig".

Auch die Arbeitsmoral in Berlin könnte besser sein. Arbeiten am Wochenende sei in New York normal. "Hier genießen die Menschen ihre Zeit", sagt Shaam. Auch ist das Arbeiten an sich anders. "Hier wird erst gedacht, dann gehandelt", sagt der Firmenchef. Planung sei nicht das Schlechteste, aber für ein Start-up nicht unbedingt geeignet. "Ich probiere lieber aus und improvisiere."

Aber die Kritik zeigt: Shaam ist schon ein wenig deutsch geworden. Solch direkte Worte wären in Amerika undenkbar. Er liebt die Zuverlässigkeit hier, bei den Zügen und in den Beziehungen zu den Menschen. Und in seinem Englisch finden sich bereits Wörter wie "Gruppentarif" oder "Regionalverkehr". In einem Jahr will er viermal so viele Mitarbeiter beschäftigen. Der Standort Berlin ist zentral für seinen Erfolg: "Es war smart, hierher zu kommen."

EINE REISE DURCH DEUTSCHLAND

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