Читать книгу Mein Coming-Out 2013 - Группа авторов - Страница 6

Pulverfass Balkan

Оглавление

Mein Coming-out war ziemlich kompliziert. Ich habe einen bosnischen Migrationshintergrund und in Deutschland aufzuwachsen, einem liberalen, „fast“ vorurteilsfreien, friedlichen Land, war nicht immer einfach. Meine Eltern hatten durch ihre kulturellen Hintergründe nun mal andere Visionen und Erwartungen mir gegenüber, aber gleichzeitig fühlte ich mich schon immer mehr als Deutscher. Wo meine Eltern herkommen, „existieren“ schwule Menschen gar nicht. „Bosnier sind nicht schwul. Hexerei ist das! Die sind alle nur verwirrt und haben noch nicht die richtige Frau gefunden.“ – Ich könnte so Stunden weiter machen und würde tausend weitere Exemplare bosnischer Sprüche über Homosexualität finden.

Mit 14 habe ich aber bereits etwas anderes gefühlt. Beim Dr. Sommer hat mich irgendwie nie die Lisa aus Münster, sondern der Max aus Hamburg, oder Christian aus Köln interessiert. Irgendwas stimmte nicht wirklich mit mir, hatte ich das Gefühl, man lernt ja „so Sachen“ mittlerweile in der Schule. Aber wie ein richtiger Bosnier sagte ich mir tagtäglich: „Ach, pff, laber doch keinen Scheiß, du bist Bosnier und die sind nicht schwul, dass geht schon weg.“ Aber es ging nicht weg. Auf dem Gymnasium kam dann das Standardschwule-Drama. Erstes Mal verknallt, dann auch noch in den besten Freund, nur noch mit ihm abhängen, heimlich von ihm schwärmen und beim Duschen auch mal gucken, damit man davon später, eh, „träumen“ kann.

Zu mehr kam es nie, dafür dann einige Jahre später während meines Aufenthaltes in Amerika. Um Papa und Gastpapa glücklich zu machen und den American Dream zu leben, hatte ich natürlich auch eine Freundin. Ich hatte immer wen, der mich zur Schule und zurück fuhr, sie konnte bei ihren Freundinnen angeben, sich den Ausländer gekrallt zu haben. Top. Bis ich dann diesen Jungen kennengelernt habe. Groß, durchtrainiert, Quaterback. Schwul. Irgendeinen Abend habe ich ihn dann zu mir eingeladen und habe ihn einfach geküsst. Den Amerikanischen Traum auf meine Art und Weise erlebt.

Zurück in Deutschland ergaben sich aber neue Probleme. Nachdem ich in Amerika endlich mal damit rumexperimentiert hatte, fiel es mir schwer wieder den „normalen“ Jungen zu schauspielern, der sich heimlich nachts aus dem Haus schleicht, dutzende Kilometer fährt, um sich versteckt mit Männern zu treffen. Zu groß war die Angst dabei immer. Was würde passieren, sollten meine Eltern es herausfinden. Da ich mit niemandem über meine Probleme reden konnte, fing ich an, Tagebuch zu schreiben. Meine Ängste, Gefühle, all so ein Girlie-Scheiß halt. Aber irgendwann reichte das nicht mehr. Also beschloss ich mich eines Abends bei geselliger Runde vor Freunden zu outen. Nervöser als in dem Moment war ich vorher noch nie. Meine Freunde sagten nur: „Wussten wir eh schon, wurde mal Zeit.“ Damit hatte sich das. So einfach ging es also. Wieso dann nur so schwer den Eltern gegenüber?

Ich zog nach dem Abitur endlich aus, in eine neue, große Stadt, wo mich niemand kannte und wo es vollkommen ok war, so zu sein, wie auch immer man will. Es lief gut. Mama und Papa anlügen wenn man sie sah, Rest der Zeit freies Leben. Aber irgendwann war selbst das keine Option mehr. Vor allem nicht, nachdem ich eine bestimmte Person getroffen hatte, die mir damals sehr geholfen hat. Groß, witzig, selbstbewusst, schwul. Serbe. Wir freundeten uns an und er erzählte mir von seinem Outing. Und das war viel schlimmer, als meine Situation zu dem Zeitpunkt hätte sein können! Ich war zu dem Zeitpunkt in einen Kerl verknallt und eines Tages beschloss ich zu meiner Schwester ins Restaurant zu gehen, um mich da zu outen. Ich aß mit meinem Objekt der Begierde, wir tranken alle Wein zusammen, lachten. Und ich sagte zu ihr, dass ich schwul wäre. Ich erwartete alles mögliche – aber nicht, dass sie mich in den Arm nahm und sagte: „Ja und? Ich werde dich immer lieben und du wirst auch immer mein Bruder sein, egal wen du liebst. Liebe hat keine Grenzen. Jeder verdient die Liebe die er braucht.“ Ich weinte an diesem Tag und werde ihre Worte niemals vergessen.

Ich nahm Mut aus diesem Gespräch mit ihr und fand nach Monaten der Lügerei und Heimlichtuerei endlich die Eier, es meiner Mutter zu sagen. Ich holte sie an dem Tag vom Flughafen ab. Wir waren im Auto, ich fuhr, die Türen waren abgeschlossen und bei 190 km/h springt sie eh nicht raus. Perfekte Situation zum Reden. Ich habs ihr einfach gesagt. Und sie schwieg. Was mich innerlich umbrachte. Ich flehte sie an irgendetwas zu sagen, war bereits den Tränen nahe und fing an zu bereuen und fragte mich, ob ich nicht noch hätte warten sollen. Aber sie sagte nur: „Ich wusste es bereits. Du solltest mal überdenken, wo du Tagebücher sicher versteckst, vor mir waren sie jedenfalls nicht sicher. Das Einzige, was ich dir zu sagen habe ist, dass die Liebe einer Mutter unendlich und unzerstörbar ist – durch nichts auf der Welt. Es ist keine Wahl die du gefällt hast, es ist einfach so. Aber ich bin glücklich, solange du glücklich bist. Das ist alles, was ich je wollte. Ich liebe dich jetzt und für immer.“ Endlich hatte ich ein wenig Frieden mit mir finden können, da ich wusste, dass immerhin meine Mutter und meine Schwester hinter mir stehen und dass es vollkommen ok ist, anders zu sein. Dazu gesagt: mein Vater weiß bis heute nichts davon. Wenn ich Eier so groß wie Jupitermonde habe, dann werde ich es machen. Aber das wird irgendwann kommen. In der Zwischenzeit bin ich ziemlich fröhlich mit mir selber, mit der Person die ich geworden bin und welche ich noch werde.

Ein starker, selbstbewusster, intelligenter, schwuler, Bosnier.

Mein Coming-Out 2013

Подняться наверх