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1. Entwicklung der Sonderabgabenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

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Mehr noch als andere Bereiche des Finanzverfassungsrechts ist das Recht der Sonderabgaben durch eine breite Kasuistik des Bundesverfassungsgerichts geprägt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung die speziellen Rechtfertigungsgründe der Sonderabgabe fortschreitend herausgearbeitet und verfeinert[544].

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Leitentscheidung ist diejenige zur Ausbildungsplatzförderungsabgabe von 1980[545]. Dort wurden vor dem Hintergrund der besonderen Rechtfertigungsbedürftigkeit nichtsteuerlicher Abgaben[546] drei kumulativ erforderliche Voraussetzungen postuliert, um eine Sonderabgabe ausnahmsweise von Verfassungs wegen für zulässig zu erklären:

Eine in der Wirklichkeit und/oder in der Rechtsordnung vorfindliche und abgrenzbare homogene soziale Gruppe muss vorliegen, damit sie rechtmäßig mit einer solchen Abgabe belastet werden kann.
Eine spezifische Sachnähe/Beziehung zwischen dieser Gruppe und dem zu finanzierenden Zweck ist erforderlich: „Die mit der Abgabe belastete Gruppe muss dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck evident näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler. Aus dieser Sachnähe muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit der außersteuerlichen Abgabe zu finanzierenden Aufgabe entspringen.“
Das Abgabenaufkommen muss gruppennützig verwendet werden, um eine sachgerechte Verknüpfung zwischen Belastung und Begünstigung herzustellen.

Bei der gruppennützigen Verwendung handelt es sich nicht nur um eine einfache haushaltsrechtliche Zweckbindung, vielmehr führt diese zur Haushaltsflüchtigkeit, also der fehlenden Erfassung des Aufkommens aus den Sonderabgaben im Haushaltsplan.

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In der Entscheidung zur Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe[547] werden diese Kriterien für Sonderabgaben, die nicht primär Finanzierungszwecken dienen, sondern Antriebs- und Ausgleichsfunktion besitzen, modifiziert: Durch die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe sollen Arbeitgeber angehalten werden, Schwerbehinderte einzustellen (Antriebsfunktion), und die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die dieser Verpflichtung genügen, und denjenigen, die sie nicht erfüllen, ausgeglichen werden (Ausgleichsfunktion der Abgabe).

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Eine Konsolidierung der bisherigen Rechtsprechung findet sich in der Kohlepfennig-Entscheidung:[548] Die Allgemeinheit der Stromverbraucher treffe keine besondere Finanzierungsverantwortung für die Aufgabe der Förderung des Steinkohleeinsatzes zur Stromerzeugung. Die bloße Nachfrage von Haushalten und Industrie nach dem gleichen Wirtschaftsgut forme die Verbraucher nicht zu einer „homogenen Gruppe“ mit Finanzierungsverantwortung für diese Aufgabe. Der Kreis der Stromverbraucher sei nahezu konturenlos und gehe in der Allgemeinheit der Steuerzahler auf: „Das Interesse an einer Stromversorgung ist heute so allgemein wie das Interesse am täglichen Brot. Die Befriedigung eines solchen Interesses ist eine Gemeinschaftsaufgabe des Parlaments, das Finanzierungsinstrument die Gemeinlast der Steuer.“ Durch den Feuerwehrabgabenbeschluss[549] wurden die bisher entwickelten Grundsätze auch auf landesrechtlich geregelte Sonderabgaben übertragen.

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Ein neues Erfordernis an die Zulässigkeit von Sonderabgaben stellt die Altenpflegeumlage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Gestalt einer besonderen Dokumentationspflicht auf[550]. Um einer substanziellen Schwächung des Grundsatzes der Vollständigkeit des Haushaltsplans durch die zunehmende Zahl haushaltsflüchtiger Sonderabgaben entgegenzuwirken, sind diese in ihrem vollständigen Bestand in einer dem Haushaltsplan beigefügten Anlage zu dokumentieren. Diese Dokumentationspflicht rückt die Sonderabgabe jedoch auch weiter in den „Bereich des beinahe Normalen und Regelmäßigen“[551] und schwächt dadurch den Charakter der Sonderabgaben als „verfassungsrechtliche[n] Krisentatbestand“[552] weiter ab[553] – eine nicht unbedenkliche Entwicklung.

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Die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Sonderabgaben zeigt uneinheitliche Tendenzen. Zum einen kann die Tendenz beobachtet werden, die zuvor, insbesondere in der Kohlepfennig-Entscheidung, sehr strikt gehandhabten Zulässigkeitskriterien der Sonderabgabe Stück für Stück aufzuweichen. Diese Entwicklung tritt am deutlichsten bezüglich der gruppennützigen Verwendung der durch Sonderabgaben erzielten Einnahmen und der mit dieser untrennbar zusammenhängenden besonderen Finanzierungsverantwortung der Pflichtigen zu Tage:[554] Im Klärschlamm-Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht eine „generelle Verbesserung der Bedingungen für eine landbauliche Verwertung“, eine „mittelbare Verwendung des Abgabenaufkommens im Interesse der Abgabepflichtigen“ bereits für ausreichend erachtet[555]. Dem durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten „Fortschreiten der Sonderabgabengesetzgebung in Bund und Ländern“[556] wirkt das Gericht durch eine solche Aufweichung ihrer Zulässigkeitskriterien weniger entgegen, als diese noch zu befördern[557]. Demgegenüber werden in anderen, neueren Entscheidungen die Zulässigkeitsanforderungen an verfassungsgemäße Sonderabgaben unverändert streng angewandt. Wenn der Schein nicht trügt, zeichnet sich in der Judikatur im Wege einer Differenzierung eine größere Konsistenz ab. Während die Entscheidung zum „Klärschlamm-Entschädigungsfonds“[558] – wie gezeigt – sehr großzügig vorgeht, versuchen die neueren Entscheidungen, sofern sie Finanzierungssonderabgaben (Sonderabgaben im eigentlichen Sinne) betreffen, die in der Rechtsprechung überkommenen Kriterien mehr oder weniger streng anzuwenden[559]. Diese Differenzierung wird v.a. damit gerechtfertigt, dass beim „Klärschlamm-Entschädigungsfonds“ der Gesetzgeber „sich der Abgabe zur Verfolgung eines Sachzwecks bedient, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht“, er „gestaltend auf den geregelten Sachbereich Einfluss genommen“ habe[560]. Insofern spricht der Zweite Senat von einem Instrument des „Umwelthaftungsrecht[s]“[561] bzw. von einer „versicherungsnahen Lösung“[562].

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Nur vereinzelt ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insgesamt und kategorial in Frage gestellt worden[563]. Es wird zu Recht kritisiert, dass die entscheidende Frage, ob es die Sonderabgabe „überhaupt als eigenständige Finanzierungsform geben darf“, nicht mehr gestellt, sondern alleine durch grundgesetzferne Zulässigkeitskriterien halbherzig den gröbsten Auswüchsen begegnet werde[564]. Zentraler Angriffspunkt gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist darüber hinaus, dass das Gericht die Tatbestandsmerkmale der Sonderabgabe zugleich als deren Zulässigkeitsvoraussetzung sehe[565]. Gerade die neuere, teilweise aufweichende Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Sonderabgaben verdeutlicht erneut deren grundsätzliche Problematik: Bei einer großzügigen Handhabung der richterrechtlich entwickelten Kriterien geht die spezifische Schutzfunktion für den belasteten Bürger, nur durch in der Verfassung vorgezeichnete Abgaben verfassungsrechtlich eingehegt belastet zu werden, verloren. Das haushaltsverfassungsrechtlich nachvollziehbare, erhöhter Transparenz dienende Anliegen der haushaltsmäßigen Dokumentation bringt in einem unlösbaren Zielkonflikt – ungewollt – zugleich eine problematische „Normalisierung“ und Gewöhnung an diesen abgabenrechtlichen Fremdkörper. Die Gefahr der Entwicklung einer „apokryphen Finanzverfassung“ (Peter Selmer) gewinnt erneut an Aktualität. Trotz dieser gewichtigen grundsätzlichen Bedenken ist bei realistischer Betrachtungsweise vom Fortbestand der skizzierten Judikatur auszugehen.

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