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III. Akzessorietät zur Verfassungsdebatte
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Konkretisiertes europäisches Verfassungsrecht
Der Grund für die periphere Aufmerksamkeit, die die Verwaltungsrechtswissenschaft den Europäischen Gemeinschaften oder sogar der EMRK unmittelbar auch über die 1950er Jahre hinaus schenkte, ist ihre bis in die 1970er Jahre reichende Akzessorietät zur Verfassungsdebatte. Die Hauptthese dieses Beitrages lautet, dass die Vertreter der Verwaltungsrechtswissenschaft sich erst dem Gemeinschaftsrecht und der „Europäisierung“ innerlich wie rechtspraktisch zuwendeten, nachdem die Mehrheit der Verwaltungsrechtswissenschaftler einen neuen „verfassungsrechtlichen“ Bezugspunkt für ihr Fach im Gemeinschaftsrecht ausmachen konnte. Erst als sich in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eine Perspektive für einen rechtsstaatlichen Rahmen in den Gemeinschaften selbst zeigte, namentlich europäische Grundrechte gewährleistet wurden und rechtsanwendungsfähige Konkretisierungen eines europäischen Rechtsstaatsprinzips[33] entstanden, ließ die von Beginn an beobachtete Europäisierung des deutschen Verwaltungsrechts sich unter dem modifizierten Leitmotiv „Verwaltungsrecht als konkretisiertes europäisches Verfassungsrecht“ verarbeiten und über eine systematische Funktionsteilung zwischen europäischem und nationalem Verwaltungsrecht nachdenken.[34] Dass die deutsche Verwaltungsrechtswissenschaft dem berühmten Leitmotiv vom „Verwaltungsrecht als konkretisiertes Verfassungsrecht“[35] überwiegend folgte, zeigt bereits die Debatte über Maßstab und Inhalt rechtsstaatlicher Bindung bei den ersten Schritten in der Montanunion,[36] die in der Erlanger Staatsrechtslehrertagung 1959 ein größeres Forum fand[37] und deren rechtsdogmatischer Kern die Bemühungen um die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts waren.[38]
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Verfassungsdebatte
Der Kontext dieser These ist als „Verfassungsdebatte“ bezeichnet, womit zum einen das im nationalen Recht maßgebende Verhältnis von Verwaltungs- und Verfassungsrecht aufgegriffen wird, das im Europarecht sein funktionales Äquivalent auf den ersten Blick im Verhältnis von einem europäischen Verwaltungsrecht zum Recht der Verträge, dem Primärrecht, hat. Zum anderen meint „Verfassungsdebatte“ den bis heute unentschiedenen Deutungskonflikt über den Status des Gemeinschafts- und Unionsrechts. Der Konflikt kreist um die Frage, aus welcher Quelle sich die europäische Hoheitsgewalt speist und wie sich der autonome Gestaltungsanspruch des europäischen Integrationsverbandes rechtfertigt.[39] Aus verwaltungsrechtlicher Perspektive wird man hinzufügen müssen, dass auch die Leitbilder von Verwaltung in einer Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts dafür prägend sind, welchen Standpunkt die Beteiligten hatten und haben.