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3.

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Als die Kleine aufwachte, gab das Licht keine bestimmte Zeit zu erkennen. Es war weder Morgen, noch Abend, noch mitten am Tag. Und sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand, ob es in der Gegenwart war, am gestrigen Tag, am heutigen Tag oder in irgendeiner anderen Zeit, die sie nicht kannte. Das Licht war fremd, es stammte aus einer anderen Welt als der, die sie gewohnt war, und aus ihm heraus trat eine Frau und schlüpfte durch eine Türöffnung auf ihrer Brust.

Sie kam bald zu sich, und alles schrumpfte in sie selbst hinein zusammen. Sie wußte, wo sie war, und spürte zugleich den Geruch von nasser Erde, Tieren und einem fremden Haus. Es war ganz früh am Morgen, lange bevor sie immer daheim aufwachte. Deshalb kannte sie das Licht nicht. Die Frau hatte sie aus dem Schlaf aufgeschreckt. Nach der anfänglichen Verwunderung, der Verwirrung und der Zeitlosigkeit des Lichts erwachte die Erbarmungslosigkeit, die von morgens bis abends auf allem lasten sollte.

Gleich am ersten Tag wurde sie sich selbst fremd. Es war nicht sie, die sich an diesem Ort aufhielt. Zum ersten Mal merkte sie, wie einfach es in Wirklichkeit war, Kummer und Schmerz in ihrem Innern zu verstecken, ohne daß es jemand merkte. Die Leute schauten zwar, aber sie schauten nicht, um zu sehen, deshalb wurde ihr klar, daß allein zu sein bedeutete, unter Fremden zu sein und so sein zu wollen.

Sie bekam nicht gleich, nachdem sie aufgestanden war und gefrühstückt hatte, eine besondere Arbeit zugewiesen, aber man hatte ein Auge auf sie. Sie durfte nicht hinausgehen und mußte in der Küche warten, bis sie gebraucht wurde. Sie saß dort auf einer hölzernen Bank und schwieg.

Sogar das Frühstück hatte anders geschmeckt, als es zu Hause schmeckte. Alles war anders: das Licht, der Geschmack, der Geruch, was man sah und fühlte. Die weiße Milch tat einem in den Augen weh. Der Quark verströmte eine unangenehme Kälte. Das Metall des Löffels war härter als das der Löffel daheim, er hatte einen feindseligen Geschmack von giftigem Metall. Alles um sie herum war reine Kälte, Klarheit des Schweigens, und doch war in beidem auch Qualm und Rauch. Die Frau hatte gesagt:

Du mußt tüchtig frühstücken, dann geht es dir gut.

Im Haus roch es nach Hunden, alles hatte einen starken Geruch von Tieren, auch die Frau und der Mann. Das Mädchen erinnerte sich daran, daß ihre Mutter gesagt hatte: »Auf dem Land riecht alles nach Hundearsch.«

Alles war sauber und ordentlich im Haus, aber wenn sie den seltsamen Geruch einatmete, erstickte sie beinahe, deshalb schlich sie mit weit aufgerissenem Mund auf den Gang hinaus zur Haustür, als wolle sie die Umgebung in sich aufsaugen. Sie hielt die frische Luft eine Weile in ihren Lungen und hustete sie dann wieder heraus.

Irgendwie hatte sie sich jedoch auf diese Weise an das Land angepaßt. »Vier Monate«, dachte sie. »Nicht länger.« Dann ging sie wieder in die Küche zurück, setzte sich auf die Bank und wartete auf etwas, wußte aber nicht, was das sein mochte. Sie wartete nur.

Wenig später kam ein Junge vom nächsten Hof hereingestürmt, und als er sie sah, sagte er atemlos:

Komm heraus zum Spielen bei dem guten Wetter.

Er war sauber und adrett gekleidet. Sein Gesicht war wie Schlagsahne, nur die Wangen hatten die Farbe von Erdbeeren. Er versuchte, überall sein Lächeln anzubringen, während er vor sich hin gluckste, wie es kleine, dicke Jungen tun, anstatt offen zu lachen. Das war ein Zeichen absoluten Wohlbehagens, und er zappelte hin und her mit seinem hellen, festen Speck.

Sie ist nicht hierhergekommen, um zu spielen, sagte die Frau schnell. Sie muß arbeiten.

Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, befahl sie ihr, den Abfall hinauszutragen. Das Glucksen des Jungen hörte plötzlich auf, während er die Kleine enttäuscht ansah, und das Lächeln verschwand. Er schien nichts zu verstehen, und sie ging schweigend im Bogen an ihm vorbei. Er wurde wieder eifrig und zappelig, wich aber dennoch zurück. Das Mädchen spürte, daß ein himmelweiter Unterschied zwischen ihnen war, als die Frau ihn ziemlich scharf und höhnisch fragte:

Wird für dich nicht Geld bezahlt?

Der kleine, dicke Junge gab es zu und bekam traurige Augen. Die Grübchen und die Erdbeeren auf seinen Wangen wurden blaß.

Die Kleine hatte noch nie zuvor einen Unterschied zwischen sich und anderen Kindern verspürt. Nun wußte sie, daß es diesen Unterschied gab und daß sie nur sie selbst war, nicht so wie andere Kinder, nur sie allein und selbst. Dadurch wurden ihre Eltern auch zu Leuten, die ihr fremd waren, und dasselbe galt für ihre Geschwister, ihren Großvater und ihre Großmutter. Die schnellen und schonungslosen Worte der Frau hatten die Familie von ihr losgerissen, während sie den Abfalleimer durch den Gang nach draußen schleppte. Wenn sie nichts Schweres in den Händen gehabt hätte, wäre sie sicher umgefallen, hätte dabei den Abfall über sich ausgeschüttet und zu weinen begonnen, gänzlich verlassen, doch der Eimer war so schwer, daß die Mühe und Konzentration, die es brauchte, damit nichts herausfiel, dafür sorgten, daß Geist und Körper im Gleichgewicht blieben. Sie verzog das Gesicht, damit man nicht sehen konnte, wie ihr zumute war.

Wirf den Abfall den Hühnern am Gemüsegarten hin! rief ihr die Frau nach. Sie können sich etwas herauspicken.

Der Junge wurde wieder zappelig, lief voraus und sagte:

Ich weiß, wo man den Abfall hinwerfen muß, ich zeig es dir.

Sie warf den Abfall den Hühnern hin, die sich gleich darüber hermachten. Der Junge war währenddessen mäuschenstill. Doch plötzlich sagte er:

Es lohnt sich, so zu sein, wie du bist, und nicht wie ich.

Sie schaute ihn fragend an, und er fügte hinzu:

Vielleicht bekommst du im Herbst Geld, weil für dich nicht bezahlt wird. Ich weiß, daß ich nichts bekomme.

Sie sah ihn an.

Du verdienst etwas, sagte der Junge. Weil du arbeiten mußt.

Sie sah ihn immer noch an.

Deine Eltern verdienen an dir, fügte er eifrig hinzu. Papa und Mama zahlen drauf bei mir. Das ist der zweite Sommer, in dem sie bei mir draufzahlen.

Sie schaute weg und hatte Mitleid mit dem Jungen und seinen Eltern.

Siehst du nicht den Unterschied zwischen uns? fragte er und fügte hinzu: Bist du stumm?

Die Hühner gackerten um sie herum. Die Kleine wollte den Mund aufmachen, einen Laut von sich geben, wußte aber nicht, was sie sagen sollte. Sie räusperte sich nur. Als der Junge davonlief, versuchte sie, ihr Schweigen mit Worten zu durchbrechen.

Sicher kann ich sprechen, sagte sie.

Ihre Stimme war natürlich und leise. Wegen der unerwarteten Freude, die sie überkam, begann sie, mit den Hühnern um die Wette zu gackern. Manchmal gackerten sie im Chor. Sie lachte. Es war beinahe so, als sei in ihr ein Tier, das gackern, muhen, blöken und wiehern konnte, als sei ihr dies angeboren. Da hielt sie sich die Hand vor den Mund.

Es ist ein kleines Huhn zu uns gekommen, sagte die Frau fröhlich, als sie mit dem leeren Eimer hereinkam. Du wirst dich rasch an das Leben auf dem Land gewöhnen. Die Tiere helfen Kindern.

Sie war freundlich geworden.

Die Kleine schloß kurz die Augen, um sich ein Bild ins Bewußtsein zu rufen, das sich von der Herzlichkeit der Frau unterschied. Es war das ihrer Mutter. Sie war beim Wäschewaschen. Aus der Öffnung der Waschmaschine kam dichter Dampf, in dem sie verschwand. Dort verwahrte sie ihre Mutter, machte dann die Augen auf und lächelte. Von nun an würde sie immer so tun als ob und den ganzen Sommer lang schauspielern, damit sie spielen konnte wie der Junge, aber auf ihre Art, auf andere Weise als er. Es war Ende Mai. Sie war aufs Land geschickt worden, auf einen guten Hof zu Leuten, die aus der Welt schaffen sollten, was sie getan hatte. Und sie mußte für ihren Unterhalt arbeiten.

Während sie vor der lächelnden Frau stand, schickte sie aus dem Kopf rasch ein unsichtbares Gift durch das ganze Haus. Sie vergiftete die Zimmer, die Leute, die Tiere, die Pflanzen und die Luft, lächelte aber trotzdem und fragte:

Was soll ich als nächstes tun?

Der Schwan

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