Читать книгу Märchen helfen heilen - Gudrun Anders, Katja Driemel - Страница 8

Der Besuch der Brieftaube

Оглавление

Es war einmal eine wunderschöne, strahlendweiße Brieftaube, deren Beruf es war, Briefe und kleine Geschenke von einem Ort zum anderen zu bringen. Ihr machte es sehr viel Spaß, aber glücklich war sie nicht.

Tagaus, tagein flog sie durch die Lande, aber dass aufgrund ihrer vielen Arbeit einmal etwas Außergewöhnliches passiert wäre, konnte sie nicht sagen. Ein Tag war wie der andere und so verging die Zeit wie im Fluge. Und dennoch: die Sehnsucht unseres kleinen Täubchens nach mehr Abwechslung blieb unauslöschlich in ihrem Herzen verankert.

Eines Tages nun hatte unsere kleine Brieftaube die Aufgabe, einen Brief an die von allen gefürchtete Hexe Burgel zu bringen. Wer mochte wohl der Hexe schreiben? Noch nie hatte sie einen Brief erhalten! Und jetzt bekam sie einen wunderhübschen Brief mit vielen kleinen Verzierungen und einer hübschen Handschrift. Wusste denn der Schreiber dieses Briefes nicht, dass die Hexe böse war? Konnten böse Hexen Freunde haben?

Aber unser Brieftäublein schob alle ihre Ängste beiseite und machte sich auf in Richtung zu dem kleinen Hexenhäuschen mitten im Wald, wo es so dunkel war. Kurz vor dem Haus hielt die Taube inne. Was war das? Um das Hexenhäuschen herum wuchs eine riesige Mauer von großen Ausmaßen. „Wie soll ich bloß die Mauer bewältigen?“ dachte die arme Brieftaube, der man aufgetragen hatte, immer getreulich ihre Pflicht zu tun und nicht zu murren. Und so flog sie weiter, guckte sich noch einmal um, ob es nicht irgendwo ein Türchen zum durchschlüpfen gab und machte sich dann auf den Weg nach oben. Aber je höher sie flog, umso höher wurde die Mauer rings um das Hexenhäuschen und bald musste das Täubchen aufgeben, denn höher konnte es nun wirklich nicht fliegen und Kräfte für den Abstieg brauchte es ja schließlich auch noch.

So ließ es sich langsam wieder zu Boden gleiten und blieb ziemlich sprachlos vor der riesengroßen Mauer liegen und ruhte sich erst einmal etwas aus. Aber es musste ja seine Pflicht tun und der Hexe ihren Brief bringen! Das Täubchen machte nach dem anstrengenden Flug erst mal eine Mittagspause und sammelte wieder Kräfte. Aber der Gedanke, wie es die Mauer überwinden konnte, beschäftigte es doch sehr und da es schon einmal von den Waldgeistern gehört hatte, betete unser Täubchen und bat die Geister um Rat.

„Hallo“, rief es in den Wald hinein, „Waldgeister, bitte helft mir! Ich soll der Hexe Burgel einen Brief bringen, aber ich kann die Mauer nicht überwinden. Bitte sagt mir, was ich tun kann!“ „Je mehr du es unbedingt willst, desto weniger wird die Mauer fallen“, sprach eine dunkle Stimme, die direkt von oben kam. Aber zu sehen war nichts.

„Das verstehe ich nicht“, sagte unsere Taube. „Ich muss doch diesen Brief wegbringen zu der Hexe, die hinter dieser Mauer wohnt. Ich muss meine Pflicht erfüllen. Und das ist meine Pflicht. Also sagt mir, wie die Mauer fallen kann!“

„Rede nicht in diesem Ton mit uns, sonst verraten wir dir das Geheimnis nie!“ Das Täubchen sann eine Weile nach. Sie hatten Recht. So kam es bestimmt nicht weiter. Also musste es sich etwas einfallen lassen.

Eine Weile verging, ohne dass etwas geschah. „Liebe Waldgeister, ich habe es mir überlegt. Ich möchte nett sein und vielleicht ist dieser Brief für die Hexe sehr wichtig. Bitte helft mir, dass sie diese Informationen erhält. Ich werde dann jedermann erzählen, wie gut ihr mir geholfen habt und das niemand vor dem dunklen Wald und euch Angst zu haben braucht“, sprach es und die Mauer verwandelte sich zu einem Nebel, durch den unser Täubchen hindurch fliegen konnte. Gleich darauf sah es auch das Hexenhäuschen und bekam es mit der Angst zu tun.

Was war, wenn die Hexe böse war? Oder ihr gar ein Leid zufügen wollte? Kaum hatte es das gedacht, ging die Tür auf und ein freundliches Gesicht lächelte unser Täubchen an. Es gehörte zu einer Frau, die wunderhübsch aussah und an eine Zigeunerin erinnerte. Barfuß, mit langen, pech-schwarzen Haaren stand sie dort in der Tür und lächelte.

„Aber, aber... Ich dachte immer, Hexen wären alt und grau und runzelig und haben einen Raben auf der Schulter, „ stammelte das Täubchen, das gar nicht so recht wusste, was es von dieser Situation halten sollte.

„Wie du siehst, bin ich anders. Und ich bin auch keine Hexe. Die Menschen halten mich dafür, weil sie die wahren Werte nicht erkennen können, sondern nur nach dem äußeren Schein gehen.“

„Ach so, „ meinte das Täubchen und verstand jetzt gar nichts mehr.

„Siehst du, es ist so: man sollte immer das tun, was einem wirklich Spaß macht. Und ich fühle mich hier in meinem Häuschen mit meinen Büchern sehr wohl. Hier kann ich in Ruhe lesen und schreiben und wenn ich will, mit den Menschen zusammen sein, die den wahren Sinn des Lebens erkannt haben. Leben ist nicht nur Pflichterfüllung und Arbeit. Leben ist auch Spaß. Und wenn man mit dem, was einem Spaß macht auch noch für den Lebensunterhalt sorgen kann, so hat man doch die Idealform gefunden!“

„Ach, liebe Hexe“, sprach die Taube, jetzt ein wenig traurig, „wie kann ich diese Idealform finden? So lange schon bin ich auf der Suche und habe es noch nicht gefunden!“

„Öffne den Brief, den du im Schnabel hältst. Er enthält die Antwort!“ sagte Burgel.

„Aber der Brief ist doch für dich bestimmt!“ entgegnete das Täubchen.

„Den kann ich doch nicht so einfach aufmachen!“

„Natürlich kannst du es. Es ist ein Brief, der um die Welt geht. Auch du kannst seinen Inhalt für dich nutzen.“

Mit etwas zittrigen Flügeln öffnete das Brieftäubchen den Umschlag und da stand: „Alle Schätze liegen in dir. Nutze sie und gebe sie an andere weiter. Dann werden sie dir nutzen.“ Und in dem Moment verstand unser Täubchen, lächelte und ein paar kleine Freudentränen erschienen in seinen kleinen Äuglein. Es bedankte sich und fand seinen Weg ohne fremde Hilfe. Und es lebte lange glücklich und zufrieden ohne Pflichten - aber dafür jetzt mit ganz viel Spaß!

Märchen helfen heilen

Подняться наверх