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Kapitel 2 Lago di Garda – Wo Benacus und Phillis sich treffen
ОглавлениеDomenica (Sonntag) – 26. August
Nachts, 22 Uhr
Nicht viel los auf der Autobahn. Langsam werd ich echt müde. Na immerhin, Bozen liegt schon hinter mir. Im Radio dudelt ein italienischer Sender, auf dem Beifahrersitz kein Vinc, nur Jacke, Handtasche und eine halb leere Wasserflasche. Ich gähne hinaus in die Dunkelheit. Eindeutig, die Tage werden kürzer. Noch ne knappe Stunde. Mann, ich krieg bald ne Kiefersperre vor lauter Gähnerei. Vielleicht mach ich doch ne kurze Pause. Vor Rovereto gibt’s eine Raststätte … Toilette und Espresso … hört sich gut an, beschließe ich und gähne weiter. Ohne schlechtes Gewissen, denn zum Glück kann sich die Jacke nicht beschweren, von wegen Gähnen ist ansteckend … So wie Vinc das macht, wenn er fährt und ich auf dem Beifahrersitz diverse Geräusche von mir gebe.
Nach zehn Minuten im gemächlichen 120-km/h-Schleichgang – für meinen Rennschlitten fast maximale Obergrenze – seh ich das Hinweisschild. Ich setze den Blinker, eine Menge LKWs, wenig PKWs. Direkt vor dem Eingang der Raststätte gibt’s genügend freie Parkplätze. Drinnen ist es ruhig. Ich gönn mir einen Coffee to go, also richtigen Kaffee, keinen Espresso, was hier üblicherweise unter Caffè läuft, und trolle mich mit dem Pappbecher nach draußen. Hab die Wahl zwischen Tankstelle und LKW-Stellplatz. Echt ne öde Angelegenheit, nachts alleine hier, mit nem Kaffee im Pappbecher … Hätt doch nur einen schnellen Espresso nehmen sollen. Egal. Der restliche Kaffee landet samt Becher im Mülleimer, ich setz mich ins Auto und aktiviere das Navi. Neu. Haben wir uns gegönnt, nachdem das alte jedes Mal gestreikt hat, wenn wir es gebraucht hätten. Eigentlich unnötig für die Strecke, gleich nach Riva schalt ich’s wieder aus.
Die Illusion, Kaffee weckt die Lebensgeister, widerlege ich mit Gähnerei Teil zwei. Egal. Bin ohnehin gleich da. Kurze WhatsApp an Greta, sie stellt schon mal die Weingläser bereit, schreibt sie … links von mir glitzert der Benaco, die Lichter des gegenüberliegenden Ufers funkeln um die Wette. Ich liebe das. Urlaubsgefühle trotz Arbeitseinsatz. Seitlich strahlen Scheinwerfer eine Art Hängebrücke an. Ist mir noch nie aufgefallen. Neu? Muss ich mir bei Gelegenheit mal genauer anschauen. Die letzten Tunnel vor Limone. Limone, der Sage nach Sohn von Gott Benacus und der Nymphe Phillis, wurde nach einem tödlichen Jagdunfall vom göttlichen Papa wiederbelebt und lebte von da ab … ja, eben am westlichen Ufer des Lacus Benacus, wie der alte Lateiner sagt. Vater und Sohn gaben See und Ort seine Namen und Stoff für eine schöne Legende – und Stoff für eine lateinische Übersetzung dieser Sage. Ich muss grinsen, wenn ich daran denke, wie der Wiesmüller – Lateinlehrer und armer Tropf, den das Los der 10c getroffen hatte – die Legende von Benacus übersetzt hat. Extra für uns, einem Haufen hoffnungsloser Lateinfälle, weil er dachte, uns damit zu begeistern. Haha. Ich glaub, so ne Geschichte hätt’s nicht gegeben …
Damals war Greta in meiner Klasse … Greta, Miriam, Anna, Lisi, Felli und ich. Mädelsclique, Greta und ich vielleicht einen Tick enger, aber beide nicht der »Bestefreundinnentyp«. Nach dem Abi haben wir uns aus den Augen verloren. Greta. Hat mich letztes Jahr eingeladen, ins Hotel Magdalena, und mir stolz ihre Familie präsentiert. Haben alte Zeiten bequatscht. Das kommt davon. Jetzt soll ich die Küche übernehmen. Vorübergehend. Okay, kein Problem. Die haben, glaub ich, 20 Doppelzimmer und zwei Familienzimmer, das pack ich locker. Mit dem Hilfskoch, wenn der nicht querarbeitet … Ah, da geht’s hoch zum Hotel. Vorsichtig umfahre ich einige Nachteulen, manche sichtlich weinschwer. War ich gerade noch müde? Voll fit, würd ich sagen! Ich freu mich. Auf Greta, auf die Arbeit, auf Italien. Motorradtouren mit Vinc.
Die schmale Straße zum Hotel gabelt sich, wird enger, Via E. de Nicola, das ist es. Rechts Silhouetten von Olivenbäumen in der spärlichen Straßenbeleuchtung, die laue Luft durchs offene Autofenster, vorne links das Hotel. Ich stelle Vinc’ mintmetallicfarbenen Luxusschlitten, seines Zeichens Opel Corsa B, Baujahr ’98, Sonderedition, hinters Hotel, wo die Privatwagen der Familie stehen. Irgendwas hat sich verändert seit dem letzten Jahr. Muss kurz überlegen, was. Genau, der Anbau ist jetzt einen Stock höher, was heißt, ein paar Gäste mehr. Kein Problem. Ich streck mich und geh ums Haus.
»Hallo, Doro«, schreit mir Greta entgegen und winkt, dass das Tablett voller Gläser bedrohlich in Schieflage gerät. Noch gut was los auf der Terrasse. Egal, muss mich erst ab morgen kümmern. Einige Gäste schauen neugierig. Interessiert sie wahrscheinlich brennend, wer die junge Frau ist, die hier mitten in der Nacht ankommt und von der Juniorchefin so herzlich begrüßt wird.
»Okay, du kannst mich loslassen, ich bleib schon da«, sag ich lachend und winde mich aus Gretas Umarmung – will ja nicht übertreiben mit der Sentimentalität.
»Tut mir leid, Doro, aber ich freu mich so!«
In Gretas Augen glitzert es verdächtig. Nee, bitte nicht schon wieder!
»Ich freu mich auch, und jetzt her mit dem Vino. Darauf stoßen wir an.«
Greta schnieft kurz, lacht und schiebt mich zu dem Tisch in der Nische zwischen gemauertem Kräuterhochbeet, Olivenbaum und Eingang zur Küche. Kenn ich vom letzten Jahr, ist immer für die Familie reserviert. Bisschen abseits der anderen Tische, Küchendüfte gratis, Treffpunkt der Familie, wenn grade ein paar Minuten nichts zu tun ist.
»Das ist Niveo«, stellt Greta mir einen jungen Italiener vor, ungefähr unser Alter, schätz ich. »Doro. Meine Freundin. Hab dir ja von ihr erzählt«, sagt sie an Niveo gewandt.
»Ciao, Doro«, sagt Niveo freundlich und stellt Wasser und Wein auf den Tisch.
Perfetto. Den mag ich.
»Ciao, Niveo. Ab morgen hast du Hilfe in der Küche«, sag ich und proste ihm zu.
»Ich helfe dir!« Sagt’s, zwinkert und geht.
Er hat’s erfasst. Ohne Worte. Muss ich Vinc erzählen.
Gretas Lachfältchen vertiefen sich. »Ich glaub, der ist genauso froh wie ich, dass du da bist. Der Gute ist in der Küche eindeutig überfordert. Er ist uns Anfang der Saison sozusagen zugeflogen. Hat eine Stelle gesucht, zum Glück haben wir uns entschieden, dass unserem Valdo ein bisschen Unterstützung nicht schaden würde, er ist ja nicht mehr der Jüngste. Und jetzt sind wir total froh, dass wir Niveo haben. Als Assistent ist er okay, aber der ist niemals Koch! War schon ein leichtes Chaos die letzten Tage. Mein Mann und Niveo rocken die Küche. Wenn’s nicht so ein Stress gewesen wäre, eigentlich zum Totlachen.«
»Entspann dich, Greta. Kein Problem für mich. Hab ich gelernt, und du weißt ja, ich bin bei Paps aufgewachsen …«
Was das heißt, kann sie immerhin ahnen, auch wenn wir privat nie übermäßig ins Detail gegangen sind.
»Italiener?«, frag ich Greta und mein den einzelnen Mann, dunkelhaarig, so um die 30, der am Handy surft und ein Fasspils trinkt.
»Nein, Deutscher. Aus Stuttgart. Sportler. Düst hier mit dem Rennrad die Pässe rauf und runter«, klärt Greta mich auf. »Der ist nett, will aber seine Ruhe, hat keine Anschlussambitionen.«
Das versteh ich gut. Geht mir abends auch oft so. Den ganzen Tag Hektik, Gäste, Presse … und Paps, da brauch ich außer Vinc nichts mehr.
Niveo bedient, Greta und ich arbeiten die Zeit von der Schule bis jetzt auf, vom Rest ihrer Familie nichts zu sehen. Hab ich nen roten Teppich erwartet? Nicht wirklich … Aber so gar keiner? Außer Greta und Niveo natürlich … Na ja. Ich rutsch tiefer in den Stuhl und streck die Beine unterm Tisch aus. Die letzten Gäste, ein Paar mittleren Alters, verabschieden sich von Niveo und winken zu uns rüber.
»Buona notte«, ruft Greta und winkt zurück.
»Warum lachst du?«, fragt sie mich.
»Die sind bestimmt fünf Jahre jünger als Paps, und ich hab sie gerade mittelalt eingestuft … Paps würde mir den Kopf abreißen. Das Wort »alt« akzeptiert er nur im Zusammenhang mit Käse oder Wein!«
»Sieht aber gut aus, dein Vater. Ich hab ihn schon ein paarmal im Fernsehen gesehen.«
»Ja, klar. Wer nicht? Aber für nen roten Teppich hat’s nicht gereicht.«
»Was für’n roter Teppich?«
Ich wink ab. »Egal … Mann, ich bin platt. Zeigst du mir mein Zimmer?«
Greta nickt. »Hol du dein Gepäck, ich stell noch die restlichen Gläser rein und mach dir dann hinten auf.«
Ich geh außen herum zum Auto. Vor der Zufahrt steht eine dunkle Limousine. Na, wenn die da parkt, kommt keiner mehr durch, denk ich, erledigt sich dann aber von selbst, der Wagen wendet und fährt Richtung Hauptstraße davon.
Halb zwei. Jetzt brauch ich ein Bett. Greta geht’s genauso. Schlüsselübergabe, Küsschen und buona notte, bis morgen früh, 6 Uhr, in der Küche.
Mein Zimmer liegt im ersten Stock des Altbaus, Familientrakt des Hauses. Kurzer Blick vom Balkon: Garten, Pool und unten der See. Ist echt ein kleines Paradies, das Hotel. Hätte Greta schlechter treffen können, denk ich. Bin aber nicht neidisch. Meine Optionen in München sind durchaus reizvoll und mit Vinc hab ich sowieso den Jackpot geknackt. Freu mich, dass er nachkommt.
Ich geh ins Zimmer, die Balkontür lass ich offen, kann keiner rein hier und selbst wenn – viel gibt’s nicht zu holen. Milde Nachtluft folgt mir. Tja, das ist der Unterschied, die Nächte bei uns sind schon kühl, bald herbstlich. Hier wird’s zwar früh dunkel, aber die Nächte sind lau. Okay, auspacken kann ich morgen. Gute-Nacht-Küsschen-WhatsApp für Vinc, obwohl der bestimmt längst schläft, wecken um halb sechs, dann hab ich noch Zeit für nen Espresso. Ich schlüpf ins Bett. Slip und Top sind warm genug, ich steck nur die Füße unter die Decke.