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Kapitel 4 Segreti – Geheimnisse
ОглавлениеMartedi (Dienstag) – 28. August
In aller Früh tauchen die Eltern von Julian Weigel auf. Rote, verquollene Augen, traurig, fassungslos. Julians Freundin steht stumm dabei. Sie wollen ihren Sohn, ihren Verlobten nach Hause holen. Abschied nehmen, an dem Ort, an dem er gestorben ist. Die drei werden von einem Sergente begleitet. Einige Gäste sitzen bereits beim Frühstück und schauen neugierig zu dem traurigen Grüppchen, das gerade durch den Garten Richtung Pool zieht, dahin, wo das Unglück geschehen ist.
Bis auf ein paar bunte Handtücher auf einigen Liegen ist der Poolbereich verlassen.
Ein kleines Mädchen steht auf der Terrasse und schaut zu der Gruppe rüber.
Unter uns gedrückte Stimmung, keine Scherze in der Küche, das gebietet der Respekt vor dem Toten. Auch wenn wir ihn kaum gekannt haben. Die tiefe Trauer der Eltern und der jungen Frau schlägt uns aufs Gemüt. Adriano und Greta gehen rüber zum Pool, Niveo, Mia und ich übernehmen den Frühstücksbetrieb. Die eine oder andere Frage an Mia, die bedient. Ein bedauerlicher Trauerfall, sagt sie freundlich, aber in einem abschließenden Tonfall, der jegliche Nachfrage verbietet. Außerdem überlagert das Bedürfnis nach ungetrübtem Urlaub die Sensationslust, und so plätschert das Gemurmel im Speisesaal bald in gewohnten Bahnen. Die erweiterte Brotauswahl, der selbst gebackene Kuchen und vor allem der Gratisprosecco rufen allgemeine Begeisterung hervor. Hab ich’s nicht gewusst? Ich zwinkere Niveo zu, als eine ältere Dame ein gut gefülltes Glas Prosecco in der einen Hand, in der anderen Kaffeetasse samt Unterteller Richtung Terrasse jongliert, wo sie dann eine Zigarette aus dem hundertwasserbunten Etui zieht und auf ihrem Smartphone surft, während ihr Mann mit Kaffee und Bildzeitung folgt. Urlaubsidylle.
Neben Spiegelei-, Rührei- und Schinkenbruzzeln, werf ich einen Blick auf das Abendmenü. Valdo Carlotti hat angeboten, sich um die Bevorratung und Einkaufsliste zu kümmern, was mir sehr gut passt, auch mit Blick auf Vinc, der morgen kommt, da schadet Unterstützung in der Küche nicht.
»Oh Mann!« Greta kommt mit gerötetem Gesicht in die Küche. »Mir hat’s grade schier das Herz zerrissen. So was wünsch ich meinem schlimmsten Feind nicht.«
Sie hat Tränen in den Augen. Ich nehm sie in die Arme.
»Als Jugendlicher war er im Schwimmverein und hat jeden Wettbewerb gewonnen, hat seine Mutter gesagt«, schnieft Greta.
»Das ist Schicksal«, versuch ich sie zu trösten und weiß, dass es für die Familie von Julian Weigel keinen Trost gibt.
»Die Polizei hat den Leichnam freigegeben. Sie können ihn jetzt mit nach Hause nehmen.«
Wir nicken stumm, dann lenkt uns der laufende Betrieb ab. So ist das, denk ich, und es erschüttert mich, wie schnell der Alltag einen verschlingt, während sich im selben Moment für jemand anderen das Leben für immer verändert.
»Wann kommen eigentlich eure Kinder zurück?«, frag ich Greta.
»Isabella hat sie übers Wochenende mit nach Verona zu ihrer Familie genommen und bringt sie heute Abend oder morgen wieder. Pflicht für die nächsten Wochen erfüllt«, sagt sie böse. »Bis dahin können wir zusehen, dass sie wieder normal ticken.«
»Na, komm, so schlimm wird’s schon nicht werden«, will ich sie beruhigen, merk aber selber, wie blöd das klingt. Schließlich kenn ich Laura und Davide überhaupt nicht, und schon gar nicht ihren Zustand nach einem Aufenthalt bei ihrer Mutter.
Gretas Blick spricht Bände.
»Tut mir leid!«, entschuldige ich mich und umarme sie fest. »Aber ich unterstütz dich, versprochen!«
Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.
Schön. Tja, Köchin, Kindermädchen – und was kommt noch? Kein Ding, bin zuversichtlich, dass ich das rocke. Ich mein, ich kann ganz gut mit Kindern. Solang es nicht meine eigenen sind und ich sie wieder abgeben kann … Ist einfach noch kein Thema für mich und zum Glück schreit Paps auch nicht nach Enkeln. Und Vinc? Wir haben uns noch nicht in das Thema vertieft. Ich muss lachen. Hallo! Wie komm ich denn auf so tiefschürfende Gedanken?
Greta lauscht abgelenkt, dann eilt sie aus der Küche. Keine zwei Minuten später ist sie wieder zurück.
»War nur Hugo. Der wollte zu Mia. Die ist gerade auf ihr Zimmer gegangen.«
»Hugo? Ist das Mias Verlobter?«, frag ich neugierig. Den hab ich noch nicht kennengelernt.
Greta nickt.
»Hugo Scalieri. Ist mit Mia verlobt, ja. Macht sich zurzeit ein bisschen rar, aber Hochsaison ist bei uns Ausnahmezeit, unser Privatleben startet dann im Oktober … und die Scalieris haben ja selber ein Hotel. Das größte hier in Limone.«
Valdo Carlotti schlurft in die Küche, damit ist das Thema Scalieri erst mal beendet.
»Buon giorno!«, ruf ich zu ihm rüber.
»Buon giorno«, nuschelt er in seinen nicht vorhandenen Bart.
Okay, kein Frühaufsteher, resümier ich. Aber was will er dann schon hier? Hat ihn schließlich keiner gezwungen. Will er vielleicht meinen Untergang nicht verpassen? Obwohl, das glaube ich gar nicht. Eher, dass er sich verantwortlich fühlt und ein schlechtes Gewissen hat, dass er so viel Chaos verursacht. Wahrscheinlich hat er bis jetzt noch keinen Tag gefehlt …
»Signor Carlotti, Sie kümmern sich um die Organisation der Einkäufe, richtig?«, vergewissere ich mich.
»Si, certo.« Valdo nickt. »Adriano sagt, du brauchst selbst gemachte Marmeladen fürs Frühstück? Meine Frau kann welche machen. Und ein paar Nachbarinnen auch. Die verlangen nicht viel.«
»Das ist ja megaklasse!« Ich bin begeistert. »Das geht auf jeden Fall in Ordnung, sagen Sie den Damen, sie können gleich loslegen!«
Der Alte nickt. »Sag einfach Valdo zu mir. Wir sind schließlich Kollegen.« Er verzieht keine Miene bei diesen Worten.
»Doro«, sag ich und drücke ihm spontan ein Küsschen auf die Wange. Was ihm ein breites Schmunzeln entlockt.
Okay, ich checke die Speisenauswahl. Was haben denn die lieben Gäste für den Abend gewählt? »Am besten nimmst du die Liste«, sag ich zu Valdo. »Du kannst sie Niveo und mir dann später in die Küche legen.«
To-do-Liste für heute Abend. Auf jeden Fall ausreichend Pannacotta fürs Dessert, das muss kühlen bis zum Abend. Von der Dessertsoße ist genug übrig, dazu pürier ich frische Pfirsiche, verfeinere sie mit braunem Zucker und Limoncello, schneide ein paar von den Pfirsichen in kleine Stücke, mische sie unter, und ab damit in den Kühlschrank.
»Du machst das viel schneller als ich«, lobt Niveo überschwänglich, als er mich Pfirsiche schneiden sieht.
»Was heißt, du musst viel üben«, kommentiere ich ungerührt.
»Durchschaut«, Niveo schenkt mir ein ertapptes »Jungslächeln«. Ha! Das klappt vielleicht bei seiner Mutter, aber gut, den krieg ich schon noch.
»Was hältst du von Apfelkuchen morgen früh? Und eine Rosinenfocaccia?«, frag ich ihn.
»Focaccia kann ich übernehmen. Rezept von meiner nonna«, bietet Niveo geschäftig an. »Ich mach das später, hab noch etwas zu erledigen, d’accordo?«
»Perfetto! Teil’s dir ein, wie du willst. Ich mach hier erst fertig und hab dann später ein paar Stündchen frei.«
Greta und Adriano ziehen sich ebenfalls zurück.
Mia und ich räumen einvernehmlich das restliche Frühstück ab. Mia deckt für den Abend. Sie hat gerötete Augen. Hat sie geweint?
»Was Schlimmes?«, frag ich vorsichtig.
Mia schüttelt den Kopf. Ich seh, wie ihr Tränen in die Augen steigen.
»Wenn du reden willst, ich bin da … Manchmal fällt es außerhalb der Familie leichter«, biete ich mein Ohr an.
»Tutto bene«, flüstert sie heiser, ohne mich anzuschauen.
Ich streiche ihr leicht über den Arm. »Ich mach dann mal Pause, bis der Apfelkuchen fertig gebacken ist.«
Mia nickt.
Mit nem Cappuccino auf dem Tablett verzieh ich mich nach draußen und leiste Valdo Gesellschaft, der im Schatten des Sonnenschirms sitzt.
»Willst du auch einen Cappuccino? Ich hol dir einen«, biete ich an, aber er winkt ab.
»Stört es dich?«, frag ich, bevor ich mir eine Zigarette anzünde.
»Absolut nicht. Ich rieche es immer noch gerne, obwohl ich seit fünf Jahren keine mehr geraucht habe«, beruhigt er mich.
»Echt? Respekt!«
»Na ja, mein Arzt hat gemeint, mit meinen Gefäßen steht es nicht zum Besten, und wenn ich nicht aufhöre zu rauchen … Du hättest meine Frau hören sollen. Da hättest du auch aufgehört! Wäre übrigens nicht das Schlechteste, gerade junge Frauen …«
»Danke, das weiß ich selber, aber es hält sich in Grenzen bei mir. Was sind das eigentlich für komische Vögel?«, lenk ich Valdos Aufmerksamkeit auf zwei Männer, schätze mal Anfang 30, die auf der Hotelterrasse einen Kaffee trinken. Hausexterne Gäste fallen auf, noch dazu um diese Uhrzeit. Wir beobachten sie eine Weile.
»Möchte wissen, was die hier wollen«, grummelt Valdo stirnrunzelnd.
Würde mich auch interessieren. Ein bisschen seltsam, die beiden. Quatschen jeden an, der vorbeigeht.
Ich steh auf. »Ich peil mal die Lage«, sag ich und geh zur Gästeterrasse rüber. Greta ist inzwischen aufgetaucht und hat den Service übernommen.
»Buon giorno, signori. Tutto bene?«, frag ich scheinheilig.
»Grazie mille, signorina. Und selbst?«, kommt es mit charmantem Lächeln retour.
Das können sie, die Italiener. Fühlt man sich immer gleich viel schöner!
»An so einem herrlichen Tag muss es einem ja gut gehen«, schmalz ich mit einer ausladenden Handbewegung auf gleicher Ebene mit.
Wir plänkeln ein bisschen hin und her.
»Il conto, per favore«, ruft der eine Greta zu.
Aha, das Gespräch scheint beendet, die beiden waren bei den anderen Gästen wesentlich redefreudiger, denk ich und setz mich wieder zu Valdo.
»Keine Ahnung, was die hier wollen, die labern bloß belanglos herum«, informiere ich ihn. »Die reden so ähnlich wie Niveo, find ich.«
Valdo schaut mich alarmiert an. »Vom Süden?«
»Keine Ahnung, da darfst du mich nicht fragen. Bei dem Dialekt versteh ich wesentlich weniger als normal. Niveo strengt sich immer an, wenn er mit mir redet und er kann ja auch recht gut Deutsch.«
»Hmm …« Valdo reibt sich nachdenklich das Kinn.
Ich beug mich vor. »Meinst du … Mafia?«, flüstere ich ungläubig. Sensationslüstern, würde Vinc sagen. Ich grinse heimlich und mein Herz schlägt ein, zwei Takte schneller. Ausnahmsweise nicht wegen Vinc, eher wegen der Gedanken an die Mafia …
»Wer weiß. Fangen die jetzt hier auch schon an, verdammt!«, presst Valdo zwischen den Zähnen hervor, anstatt mich zu beruhigen. Er springt auf.
Ich habe Angst, dass er Ärger macht, aber er dreht ab und verschwindet in der Küche.
Die beiden Mafiosi, wie ich sie für mich nenne, verlassen die Bühne. Aus der Küche hör ich Valdo. Ich geh hinein.
»Die belästigen die Gäste«, schimpft er. »Sind aus dem Süden, wie du«, schmeißt er grade Niveo provozierend an den Kopf.
»Aha! Und alle Süditaliener sind von der Mafia, oder was? Und Sizilianer sowieso. Mach dich nicht lächerlich«, weist Niveo den Vorwurf scharf zurück. Er ist auf einmal total bleich, schielt durch den Vorhang, aber die Typen sind längst weg.
Fast witzig, denk ich, wenn die beiden nicht so … ernst dreinschauen würden. Bayern – Norddeutsche, Nord- und Süditaliener … überall das Gleiche. Wie soll Greta als Deutsche hier Fuß fassen? Megaschwer.
»Fino a presto.« Niveo verschwindet ohne ein weiteres Wort zu dem Thema.
»Ja, bis später«, ruf ich ihm hinterher.
»Bisschen empfindlich, der Gute.«Ich zwinkere Valdo zu, um die Stimmung aufzulockern.
»Werd jetzt mit meiner Frau reden, wegen der Marmeladen«, murmelt der und geht.
Okay, Mimose Nummer zwei, denke ich und finde die italienische Männerwelt noch kurioser als die deutsche. Zumindest Vinc ist ein unkompliziertes Exemplar, den bringt nicht so leicht etwas aus der Ruhe. Außer ich vielleicht manchmal …
Eigentlich wollte ich Vorbereitungen für den Abend treffen, aber die Aufregungen am Morgen sind mir auf den Magen geschlagen. Mach ich lieber jetzt meine Pause. Dann kann ich Niveo später ein bisschen auf den Zahn fühlen. Na ja, oder auch nicht …
Auf dem Zimmer ist es angenehm kühl, die Krone des großen Olivenbaums wächst bereits bis über den zweiten Stock hinaus und ist Gold wert. Natürlicher Schatten und Blickschutz. Einziger Nachteil des Zimmers ist das Bad, genauer das Badfenster. Kann man zwar kippen, aber nicht ganz öffnen, was sich im Zuge der Anbauänderungen so ergeben hat. Zwischen Alt- und Neubau ist ein blinder Gang entstanden, der vom neuen Flur mit einer Tür abgetrennt wurde und jetzt als Besenkammer dient. Und auf diesen blinden Gang geht mein Badfenster raus. Ornamentglas, aber kein Rollo oder Vorhang. Egal, Fenster gekippt, die Badtür offen, da brauch ich kein Licht – der Gang wird zwar nur selten genutzt und ich bin nicht besonders verklemmt, aber das Gefühl, im Gegenlicht quasi unbemerkt beobachtet werden zu können, ist nicht sehr prickelnd. Noch dazu, wenn ich auf der Toilette sitze – so wie jetzt. Und Fall X eintritt, so wie jetzt!
Ich hör Stimmen. Die nähern sich mehr oder weniger direkt meinem Fenster. Na super, Liveprogramm auf dem Klo! Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich jetzt aufstehe, dann sieht man das von außen. Unangenehme Situation. Was soll’s, bleib ich halt sitzen, wahrscheinlich nur ne heimliche Raucherpause der Zimmermädchen. Mal hören, was sie so tuscheln … Ein paar Insiderinfos schaden nie, und so viel ist sicher: Außer Vinc wird das nie jemand erfahren!
Oh, oh, ein Pärchen. Meine Antennen sind voll auf Empfang. Die beiden reden leise, aber nicht leise genug für meine interessierten Ohren. Sind das nicht … Mia und Niveo. Bin mir ziemlich sicher. Niveos Dialekt schützt zumindest seine Daten vor meinem Lauschangriff. Bedauerlicherweise. Weil – Mias Hälfte macht mich neugierig. Sie redet schnell, ich kann sie kaum verstehen. Niveo versucht sie zu beruhigen, flüstert nicht mehr. Klar, selbst wenn er weiß, dass das mein Zimmer ist, vor dem er steht, denkt er ja, dass ich noch in der Küche beschäftigt bin.
»Das ist nicht mehr so einfach«, jammert Mia. »Ich bin schwanger.«
Stille. Verhaltenes Weinen von Mia. Ich trau mich kaum zu atmen. Ist ja ein Ding! Schwanger? Von Hugo? Logisch. Klar, von wem sonst. Sie ist ja mit ihm verlobt. Aber … warum ist sie dann mit Niveo hier? Ist er ein so guter Freund, dass sie sich an ihn wendet, weil sie Angst vor ihrer Familie hat? Okay, hab ja selber gesagt, dass es manchmal leichter fällt außerhalb der Familie … Hab dabei allerdings an mich als verständnisvolle Zuhörerin gedacht, nicht an diesen smarten Süditaliener.
Egal, was die Lösung ist, Niveo sagt nicht viel dazu, nur, dass er ihr auch etwas Wichtiges erzählen muss. So versteh ich es zumindest.
Jemand sperrt die Tür auf.
»Versteck dich«, zischt Mia hektisch.
Wo? Im Wäscheschrank? Ich spür ganz deutlich, wie ein Lachanfall in mir hochkriecht. Ich glaub’s echt nicht! Doro’s private sitcom.
»Was brauchst du, Paola?«, ruft Mia dem Zimmermädchen zu. »Ich kann’s dir mit rausbringen, bin eh hier fertig.«
»Grazie, ich wollte nur die beiden Gießkannen holen. Ich lasse die Tür offen, in Ordnung?«
»Grazie, Paola.«
»Du kannst rauskommen«, gibt Mia nach einer kleinen Weile grünes Licht.
»Mia, cara, ich muss mit dir reden. Dringend!«
Cara? Liebste?
»Heute Abend. Jetzt müssen wir zurück. Greta braucht mich.«
»Mia! Ich brauche dich auch. Und ich muss dir etwas sagen.«
Niveo betont jedes Wort, um die Wichtigkeit seines Anliegens zu unterstreichen, und tut mir damit einen Gefallen, weil ich ihn so besser verstehen kann.
»Niveo, heute Abend, okay? Paola kommt sicher gleich zurück und ich will nicht hier erwischt werden wie ein unreifer Teenager.«
»Okay, aber dann müssen wir reden.«
»Versprochen.«
Alles ist ruhig. Vermute mal, sie küssen sich.
Hmm, Mia und Niveo. Ist mir echt nicht aufgefallen. Aber gut, ich bin erst zwei Tage hier und es war ja einiges los. Und selbst ich kann meine Antennen nicht nach allen Richtungen justieren, bin schließlich kein Satellit. Endlich! Die beiden traben ab und ich kann mich aus meiner unwürdigen Position befreien. Ich leg mich aufs Bett und verschränke die Hände im Nacken. Was wollte Niveo Mia so Dringendes sagen? Was ist so wichtig, dass die Nachricht über die Schwangerschaft fast untergeht? Überhaupt, Schwangerschaft … Heißt das jetzt, dass Niveo …? Mir fällt das Telefonat von gestern ein. Hat er doch etwas mit dem Tod von Julian Weigel zu tun? Wovor hat er Angst? Ich mein, heute mit den zwei Typen, da hat er ja auch komisch reagiert. Wird Zeit, dass Vinc morgen kommt, ich brauche jemanden, mit dem ich meine Beobachtungen besprechen kann. Greta will ich nicht damit behelligen, die hat genug am Hals.
Ich spring wieder aus dem Bett. Bin viel zu unruhig zum Entspannen. Ich schlüpf in meine Espadrilles und spaziere durch die Olivenhaine nach oben, Richtung Tremosine. Das laute Geschrei der Zikaden beruhigt mich, bin gerade lieber hier oben als unten zwischen fröhlich lauten Touris am Strand. Ich bleib stehen und lausche. Das Geräusch verstummt. Aber nur für ein paar Sekunden. Dann geht’s wieder los, gefühlte Lautstärke eines Hubschraubers. Na ja, fast. Nach einer Weile kann ich das Tier orten. Unscheinbar graubraun und kleiner als erwartet zirpt es sich, getarnt am Baumstamm, die Seele aus dem Leib. Ich leg mich ins Gras und mach die Augen zu. Die Luft ist unbeschreiblich … warm, würzig, weich, ich kann’s nicht besser benennen. Egal, auf jeden Fall mega. Als ich wieder aufwache, knallt mir die Sonne ins Gesicht. Okay, noch ein paar Minuten, bevor die Küche ruft. Ich rutsche in den Schatten und verfolge die vereinzelten Wölkchen, die am Himmel vorbeiziehen. Schönwetterwolken – sag ich mal, bin aber kein Experte auf dem Gebiet.
Die Pause war wie ne Regenerationsdusche. Der Apfelkuchen fürs Frühstück morgen ist fertig, grünen Spargel und Frühlingszwiebeln für den Rotbarsch im Gemüsesudpäckchen vorbereiten, Alufolie für die Schiffchen ist ausreichend da. Okay. Curry-Huhn-Ananas-Soße für die Farfalle köchelt vor sich hin, ich nehm ne Kostprobe – passt. Fast. Vielleicht noch ne Prise Muskat, ich schnuppere am Glas. Na ja, das Aroma schwächelt … Egal, nehm ich halt ne Prise mehr, was Paps nicht weiß … Hmm, perfekt. Ich stell den Topf bis zum Abend in den Kühlraum. Wo ist die Tomatensoße? Steht eine ausreichende Menge im Kühlschrank. Ja dann, um den Rest soll sich Niveo kümmern.
Ist zwar kein Fünf-Sterne-Menü, aber ich bin zufrieden. Die Gäste offensichtlich auch, die Auswahl der drei Menü-Alternativen wird relativ ausgeglichen angenommen. Beim Hauptgang schielen ein paar Fleischfetischisten neugierig, wenn nicht sogar neidisch von ihrem Kalbsschnitzel in Weißweinsoße auf die Teller mit den Alupäckchen samt Rotbarbe und Spargel. Ohne falsche Bescheidenheit – es schmeckt so gut, wie es aussieht. Hat Niveo bestätigt, Carlo hat’s gnädig abgenickt und die Gäste loben den Koch in den höchsten Tönen. Ich bewahr mir natürlich absolutes Pokerface. Wenn die wüssten, dass seit gestern eine 26-jährige Deutsche den Chefkochposten übernommen hat! Na ja, das Geheimnis wird sich früh genug rumsprechen, einige von den Stammgästen wissen es eh schon.
Endlich. Der Speisesaal ist verlassen, die Tische bereits eingedeckt fürs Frühstück, die meisten Gäste sind unten im Ort, ein Elvis-Presley-Imitator macht die Promenade unsicher und sorgt für leere Hotelterrassen. Verschnaufpause fürs Personal, wozu ich mich seit zwei Tagen auch zählen darf. Ich bereu’s nicht, wäre aber nix für immer. Die Hände im Nacken verschränkt, lehn ich mich im Stuhl zurück und strecke die Beine unterm Tisch aus. Tut gut, war ein ereignisreicher Tag. Ich gähne ausgiebig. Von den anderen lässt sich keiner blicken, nur Greta wirft ab und zu einen Blick raus zu den Gästen, zwei Pärchen, Mitte 50, die einträchtig unter der Markise sitzen und am Wein nippen. Sie macht aber keine Anstalten, sich zu mir zu gesellen. Was treiben die lieben Kollegen alle? Ich steh auf. Müdigkeit kontra Neugier. Vinc würde bös ablästern, so viel ist klar. Aber er ist nicht da, also kann er mich auch nicht aufhalten. Noch ein Brüller für Vinc. Die Idee, dass er mich aufhalten könnte, würde seinen Spott über meine Neugier noch toppen. Vinc’ Quasi-Anwesenheit belebt mich. Gut gelaunt mach ich mich auf die Suche nach den Rinaldis. Keiner da im gesamten Rezeptionsbereich. Auch Greta ist wieder verschwunden. Okay, dann sind sie sicher oben, in den privaten Räumen der Familie. Ein Appartement für Mia, eine Wohnung für Greta und Adriano, plus Laura und Davide. Und einen Bereich für die Eltern. Nach der Saison ziehen die Alten in ihr Haus in Tremosine, Mia will nach Mailand, hat Greta mir erzählt … Beim jetzigen Stand der Dinge hab ich da allerdings Zweifel. Aha, die Tür zum Privatbereich steht offen, aus dem hinteren Teil dringen Stimmen. Unschlüssig bleib ich vor der angelehnten Tür stehen. Sie sind in Gretas Wohnung, was mir irgendwie die Legitimation zum Eintreten erteilt, wie ich finde. Die Tür wird von innen aufgerissen, ich spring erschrocken zur Seite. Greta stürmt an mir vorbei. »Dicke Luft«, raunt sie mir zu und eilt nach unten. Ich geh rein und bleib erst mal im Flur stehen. Die Versammlung findet in der Wohnküche statt.
»Was willst du uns so dringend sagen, Mia?«, fragt Adriano.
Den gestressten Ton kenne ich von heute früh, am Pool. Klar, unten warten die Gäste.
»Beruhige dich!«, ruft Mia aufgebracht. »Ich habe gesagt, dass ich auf Niveo warte.«
»Niveo, Niveo, draußen sitzen Gäste, die wollen bedient werden. Wir leben schließlich alle von ihnen.«
»Jaja, die Leier kenn ich!« Mia scheint jetzt wirklich wütend zu sein. »Einmal! Einmal bitte ich euch um etwas! Und das ist schon zu viel!«
»Entschuldige, Schwesterchen«, beschwichtigt Adriano, »aber du weißt ja, wie das ist. Uns gibt es halt nicht während der Saison.«
Greta erscheint wieder auf der Bildfläche, im Schlepptau Niveo. Na endlich, denk ich, und quetsch mich unauffällig hinter ihnen in die Küche.
»Doro, gut, dass du da bist«, platzt Adriano heraus, als er mich sieht – so viel zum Thema unauffällig! –, »kannst du unten übernehmen?«
»Nicht nötig«, wehrt Greta ab, »ich habe die Klingel auf die Theke gestellt und den Gästen Bescheid gesagt. Die sind erst mal versorgt. Wenn es läutet, kannst du ja gehen, okay?«
Die Frage gilt mir, ich nicke, will die Aufmerksamkeit nicht weiter auf mich lenken, sonst kommt noch einer auf die Idee, dass ich nicht zur Familie gehöre – wo ich das Ganze doch nur ungern verpassen würde. Ist ja irgendwie auch ne Personalversammlung …
Niveo lehnt neben Mia an der Küchenzeile, Adriano und Greta sitzen mit den Eltern am Tisch und schauen die beiden gespannt an. An den Türrahmen gelehnt, harre ich der Dinge. Wenn die wüssten, was ich weiß, dann wären sie nicht so ruhig.
Mia fasst nach Niveos Hand. Mir entgeht das minimale Zucken von Vittorios Augenbrauen nicht.
Mia räuspert sich. »Papà, mamma, ich wollte es allen zusammen sagen, um den ewigen Heimlichkeiten ein Ende zu machen. Niveo und ich, wir lieben uns und wir wollen heiraten.«
Stille. Jetzt zucken nicht nur die Augenbrauen vom alten Rinaldi, sein ganzes Gesicht ist in Aufruhr. Aber er sagt keinen Ton. Kein gutes Zeichen, befürchte ich. Mia schluckt, wirft einen kurzen Blick zu Niveo. Der drückt ihre Hand, überlässt aber ihr das Reden. Ist wahrscheinlich auch gesünder für ihn, wenn ich das aufziehende Gewitter in Vittorios Miene richtig interpretiere. Die Ruhe vor dem Sturm.
Mia räuspert sich. »Tut mir leid, wenn es für euch überraschend kommt, aber es ist beschlossene Sache. Fürs Erste wollen wir bei Niveos Familie leben. Vielleicht eine Pizzeria eröffnen oder ein kleines Hotel. Wir werden uns irgendwie durchschlagen. Schließlich können wir nicht alle im und vom ›Magdalena‹ leben.« Mia holt tief Luft. Ich seh ihr an, wie froh sie ist, endlich alles gesagt zu haben. Na ja, fast alles.
Die Luft im Raum vibriert förmlich, ich trau mich kaum noch zu atmen. Francesca scheint das auch zu spüren, sie legt ihre Hand beschwichtigend auf die ihres Mannes. Aber das Gewitter lässt sich nicht mehr aufhalten, es entlädt sich mit voller Wucht.
»Du willst diesen Habenichts heiraten? Diesen dahergelaufenen Mitgiftjäger?« Vittorios Stimme ist gefährlich leise. »Sind denn alle meine Kinder verrückt?« Ein Seitenblick trifft Adriano, wandert weiter zu Greta.
Also, das ist echt hart! Gretas Mund ist nur noch ein dünner Strich. Am liebsten würde ich diesem italienischen Obermacho an die Gurgel springen, aber damit würde ich Greta keinen Gefallen tun. Außerdem sollte das Adrianos Part sein. »Du bist unfair! Ich liebe Niveo und er will nicht mein Geld! Was habe ich denn auch? Einen Anteil am Hotel, den ich niemals verwenden kann!«
Vittorio springt auf, die geballten Hände auf den Tisch gestützt. »Du bist mit Hugo Scalieri verlobt, vergiss das nicht!«, brüllt er, dass ich befürchte, seine Halsschlagader platzt.
»Das war euer Arrangement! Hugos Vater und du, ihr wollt das! Wir waren damit nie einverstanden. Wir suchen uns unsere Partner selber! Verdammt, papà, wir leben im 21. Jahrhundert!«, schreit Mia zurück.
Hätte gar nicht gedacht, dass in dem zarten Persönchen so eine Energie steckt. Und so eine Wut. Ich freu mich über diese Gegenwehr, ist ganz schön mutig. Und längst überfällig.
»Nicht einverstanden! Lächerlich! Du hast dich von diesem Gockel um den Finger wickeln lassen! So sieht’s aus. Liebe …« Vittorio schnaubt verächtlich. »Wir haben Traditionen. Und dazu gehört, dass man zu seinem Wort steht! Du ziehst unsere Familienehre in den Dreck!«
»Da musst du gerade reden!«, ruft Mia.
»Jetzt ist es genug. So redet meine Tochter nicht mit mir! Geh auf dein Zimmer! Und du«, er stößt seinen Zeigefinger in Richtung Niveo, »pack deine Sachen und verschwinde aus meinem Hotel! Und lass die Finger von meiner Tochter, sonst …«
Niveo kann sich nicht mehr beherrschen. Er tritt einen Schritt vor. »Sonst?«, flüstert er drohend.
Mia, sag doch endlich, dass du schwanger bist, denk ich angespannt, der Babybonus zieht immer bei den Großeltern. Aber Mia denkt anscheinend nicht daran, diesen Punkt ins Spiel zu bringen.
»Komm, Niveo, wir gehen«, sagt sie leise, mit gesenktem Blick.
Niveo folgt ihr, hochrot im Gesicht.
Warum wehrt er sich nicht? Lässt sich einfach so beleidigen? Ist es wegen Julian Weigel? Hat er etwas mit dem Tod des Gastes zu tun? Vielleicht hat er ihn gekannt und sie hatten Streit?, rasen mir die unterschiedlichsten Gedanken durch den Kopf. Jedenfalls kann ich mir keinen Reim darauf machen, warum Mia nichts von der Schwangerschaft gesagt hat.
Unten schlägt die Klingel an. Das Zeichen für meinen Aufbruch. Muss später Greta ausquetschen …
Mittlerweile sind ein paar Gäste zurück, wahrscheinlich geflohen vor den Menschenmassen oder vielleicht vor »Elvis«? Will ja keinem was unterstellen, aber solche Eventkünstler sind manchmal mit mehr Selbstbewusstsein als Talent gesegnet.
Es ist erst elf, als Adriano mich ablöst, und ich bin so platt, dass ich nur noch ins Bett will. Okay, vorher noch Vinc anrufen … Ich nehm mir eine Flasche Orangenlimo mit hoch – und ein Fläschchen Campari Soda, samt Glas und Eiswürfel. Gerade, als ich mich gemütlich auf dem Balkon einrichte, geht drüben bei Niveo das Licht an. Er ist nicht alleine. Ich höre seine Stimme und die von Mia, kann aber nichts verstehen, obwohl ich mich sehr bemühe. Das ist jetzt blöd! Hier draußen fühl ich mich nicht mehr abhörsicher, immerhin will ich Vinc einige pikante Details erzählen. Nützt nichts, ich pack mein Zigarettenpäckchen, nippe am Campariglas und mach mich auf den Weg nach unten. Hinterm Hotel, bei den Parkplätzen, bin ich ungestört. Ich geh noch ein Stück weiter, hoch zu dem Weg, der zu den Olivenhainen führt. Von dort hab ich das Hotel im Blick – und im Notfall hört man mich schreien. Tja, bin zwar neugierig, aber nicht sehr mutig, vor allem, wenn’s dunkel ist.
Ich läute Vinc aus dem Schlaf. »Schatz, ich will morgen früh los und war schon im Bett«, brummt er ins Telefon.
»Tut mir leid, Vinc, aber ich muss dir so viel erzählen.«
»Oh Gott, das auch noch! Doro, du schaffst mich.« Belustigt? Resigniert? Wahrscheinlich beides, wie ich ihn kenne.
Gnadenlos weih ich ihn in die Familieninterna ein, inklusive Schwangerschaft und angeblicher Verlobung oder Entlobung.
»Äh …«
Es dauert ein wenig, bis diese hochbrisanten Informationen Vinc’ kognitive Schaltzentrale erreicht haben.
»Ja …«
Ich seh ihn förmlich vor mir, wie er sich durch seine nackenlangen Haare fährt und wahrscheinlich gerade sehr bereut, nicht auf dem Australientrip bestanden zu haben.
»Wär viel zu teuer gewesen.«
»Hä? Was?«
»Australien. Komm, Schatz, ich weiß doch, was du gerade gedacht hast«, flöte ich durchs Telefon.
Vinc lacht los. Ich halte das Handy ein Stück vom Ohr weg und warte, bis er sich beruhigt hat.
»Geht’s wieder?«, frag ich dann sanft.
»Ja, ich denke schon.« Er japst noch einmal, dann hat er sich wieder unter Kontrolle.
»Mann, Doro, kannst du dich nicht mal nur um deine Angelegenheiten kümmern?« Das ist jetzt ganz sicher Resignation.
»Was kann ich denn dafür? Gar nichts. Außer, dass ich hier gerade anwesend bin …«
»Ja, eben, das ist ja das Problem«, schallt es trocken aus München.
»Morgen wirst du dir selber ein Bild machen können, und ich frag Greta, was ich sonst noch nicht weiß.«
»Das wird sie dir nicht auf die Nase binden, schließlich ist das eine Familienangelegenheit«, gibt Vinc mit skeptischem Unterton zu bedenken.
»Ja schon, aber Greta hat Redebedarf, sie ist hier allein unter Wölfen … oder besser unter der Fuchtel dieses italienischen Obergurus.«
»Doro, ich versteh dich ja, aber lehn dich nicht zu weit aus dem Fenster. Ich befürchte, dieser Vittorio hat nicht viel Verständnis für solche Übergriffe.«
»Er wird mich kaum auffressen, oder?«, widerspreche ich eigensinnig, weiß aber selber, dass ich mir den Zorn vom alten Rinaldi lieber nicht zuziehen will.
»Auffressen nicht, aber rausschmeißen sicher.«
Wo Vinc recht hat, hat er recht.
»Ja und, dann machen wir halt Urlaub. Außerdem braucht er mich, nachdem er Niveo vor die Tür gesetzt hat.«
»Jeder ist ersetzbar. Das sagst du doch selber immer.«
»Eins zu null für dich«, geb ich zu und wechsle das Thema. »Ich stell schon mal ein Fläschchen Prosecco kalt und … Schatz, ich freu mich soooo auf dich«, säusle ich und seufze theatralisch, aber ehrlich, ich mein’s auch so.
Vinc lacht. »Du tust grad so, als wärst du schon ein Jahr im Ausland!«
»He!« Ich stell mich beleidigt. »Vermisst du mich gar nicht?«
»Natürlich vermiss ich dich, mein Spatz, das weißt du ganz genau! Deshalb muss ich jetzt endlich schlafen, in fünf Stunden will ich los.«
»Super. Dann wirst du so um neun oder zehn eintreffen. Oder nimmst du die Motorradstrecke? Wenn du schon so ne tolle Maschine hast …«
»Mal sehen. Das entscheide ich spontan.«
»Egal. Genieß die Fahrt. Übrigens hab ich ein bisschen recherchiert, hier gibt’s einige interessante Touren für uns. Äh, wart mal …«
»Was ist los?«, gähnt Vinc mir ins Ohr, ich hab aber grad kein solches für Vinc’sche Zwischentöne.
»Mia und Niveo sind eben rausgekommen und gehen zum Auto«, flüstere ich, obwohl die mich weder sehen noch hören können.
»Ja und? Vielleicht wollen sie noch in die Disco«, scherzt Vinc.
»Sehr witzig. Die fahren weg! Mitten in der Nacht. Eine Tasche haben sie auch dabei, und die haben’s eilig … Das muss ich Greta sagen. Jetzt gleich. Wir sehen uns morgen, okay?«
»Zisch ab, Doro! Und Küsschen.«
»Bussi, Schatz, hab dich lieb … muss jetzt aber los!«
Vinc’ Lachen weht mir ans Ohr, bevor er auflegt. Ich gönn mir zwei Sekunden verliebtes Kribbeln im Bauch – das möcht ich nicht mehr missen. Mann, der Kerl hat mich echt am Haken!
Okay. Entschlossen vertage ich die Gedanken an Vinc. Mias kleiner roter Fiat biegt vom Parkplatz auf die Straße. Ich renn das kurze Stück zum Hotel und wäre beinahe in ein Auto gerannt, das wie aus dem Nichts aus der Einfahrt des Nachbargrundstücks schießt.
»Idiot«, ruf ich ihm erschrocken hinterher. »Schalt gefälligst dein Licht ein!«
Wieder so ein Bonzenschlitten, genau wie gestern. Definitiv kein Tourist. Gibt anscheinend genügend Italiener mit nem Haufen Kohle, aber ohne Manieren. Hmm … ich schau dem Wagen hinterher. Eine Limousine wie gestern? Zufall? Oder ist es das Auto von gestern? Keine Ahnung, hab weder Kennzeichen noch Fahrer gesehen, ich weiß nicht mal, ob es dieselbe Marke ist. Egal, hat sicher eh nichts zu bedeuten, wahrscheinlich seh ich Gespenster. Ich geh ums Hotel – keine Greta an unserem Tisch.
»Weißt du, wo Greta ist?«, ruf ich Adriano zu, der ein Tablett voller Spritz und kühlen Pils in beschlagenen Gläsern auf die Terrasse balanciert.
»Greta macht die Theke«, ruft Adriano zurück und serviert die Getränke, charmant lächelnd, als wäre nichts gewesen. The Show must go on, every day, every time … Ist ja in Daddys Restaurant nicht anders.
Ich finde Greta gebückt hinter der Theke. Sie kehrt ein paar Scherben zusammen.
»Ist mir aus der Hand gerutscht«, seufzt sie müde, als sie mich bemerkt.
»Ach komm, Greta, ist doch nur ein Glas, kein Weltuntergang«, tröste ich sie. Gemeinsam beseitigen wir die Spuren, dann nehm ich mir ein Glas Prosecco, setz mich auf einen Barhocker und schau ihr zu, wie sie den Espressoautomaten sauber macht und den Vorratsbehälter der Mühle mit Bohnen bestückt.
»Mia und Niveo sind grade weggefahren«, platzt es aus mir raus.
Greta schaut überrascht auf. »Weggefahren? Jetzt, mitten in der Nacht?«
»Mit Mias Wagen und einer Tasche. Reisetasche, wie’s ausgesehen hat.«
Greta legt nachdenklich den Putzlappen weg. »Meinst du …?«
»Was? Dass sie abhauen? Keine Ahnung. Ich kenn die beiden kaum und …« Mias Schwangerschaft liegt mir auf der Zunge. Aber ich verkneif es mir, sie zu erwähnen. Das ist definitiv nicht meine Angelegenheit. Ich bin neugierig, aber keine Klatschtante.
»Das muss ich Adriano sagen.«
Der bringt gerade das leere Tablett. »Zwei Pils und zweimal Campari Orange, per favore, mia cara.«
Süß! Geht doch!, freu ich mich für Greta.
Der huscht ein kleines Lächeln übers Gesicht, was schnell wieder verschwindet, als sie Adriano von meinen Beobachtungen erzählt.
»Mia ist erwachsen. Was hast du erwartet? So, wie meine Eltern sie heute behandelt haben.«
»Na ja, du warst auch nicht gerade eine Unterstützung«, werf ich ihm vor.
Greta hebt verwundert die Augenbrauen, sagt aber nichts.
Adriano seufzt traurig. »Ja, ich weiß. Ich hätte zu ihr stehen müssen, aber ich war viel zu überrascht.«
»Du willst also allen Ernstes behaupten, dass du nichts von Mias und Niveos Verhältnis mitbekommen hast? Dann wundert mich allerdings gar nichts mehr«, sag ich und schau zu Greta. Die hat verstanden, was ich damit auch sagen wollte, bei Adriano bin ich mir allerdings sicher, dass der null kapiert. Weder die Gefühle von Mia und Niveo noch die seiner eigenen Frau!
Du bist ne harte Nuss, denk ich mir, aber dich knack ich noch. Raue Schale, weicher Kern. Sonst hätte Greta dich nicht genommen!